Samstag, 30. April 2016

Kulturgeschichten 0206

Glaubensmacht

Die Macht des Glaubens kann gerüchteweise Berge versetzen und auch wenn mir biblische Geschichten eher fern liegen, der Gedanke der angeblichen Schöpfung mit wachsender Erkenntnis immer weiter nach hinten datiert wird und was geschrieben wurde, meist nur noch symbolisch gelesen wird angesichts der Geschichte der Natur, ist es doch erstaunlich, was und zu was der Glaube Menschen durch die Jahrhunderte bewegte und sei es der an die Liebe, der auch immer wieder zu erstaunlichen Verrenkungen führte, die wider alle Natur scheinen aber doch die Welt bewegten. Wann wirkte der Glaube in der Geschichte und wann die Vernunft, was braucht es dringender in unserer Zeit und was lässt sich aus dem Blick in die Geschichte vielleicht für die Zukunft lernen?


Vermutlich wenig, weil der Mensch selten lernt und lieber betet oder nachbetet und folgt. Am 29. April ballten sich solche Ereignisse ein wenig und von dreien soll hier erzählt werden.

Am 29. April 1429 durchbricht Jeanne d’Arc gemeinsam mit Étienne de Vignolles und einigen anderen Männern die englische Belagerung von Orléans und trifft mit einem Proviantzug in der ausgehungerten Stadt ein.

Die Jungfrau von Orléans war zu diesem Zeitpunkt 17 und hatte den König von Frankreich von ihren Visionen überzeugt, auch indem sie ihre Jungfräulichkeit von seinen Hofdamen prüfen ließ. Sie verhalf den Franzosen im Hundertjährigen Krieg bei Orléans allein durch ihre Glaubensmacht und ihren Kampfeswillen, der von ebendieser Vision getragen wurde zum Sieg gegen Engländer und Burgunder und führte anschließend, wie sie es vorhergesehen hatte, Karl VII. zu seiner Krönung nach Reims. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie von den Burgundern an die mit ihnen verbündeten Engländer ausgeliefert, die sie nach mehreren Prozessen wegen Ketzerei verurteilten und 1431 mit gerade 19 auf dem Marktplatz von Rouen verbrennen ließen. Sie wurde später zur französischen Nationalheiligen und wird auch in der Republik noch hoch verehrt als mutige Heldin aus dem einfachen Volk, die nur ihrem Glauben folgend, der französischen Armee als Vorbild im Kampf zum Sieg verhalf. Nachdem die Jungfrau vom Pferd geschossen worden war, hatte sie weiter gekämpft und nun wollte natürlich keiner der Franzosen dort, dieser Frau nachstehen an Mut.

In einem Revisionsprozess 24 Jahre nach ihrer Verbrennung machte die katholische Kirche, die sie vorher durch einen mit England verbündeten Bischof hatte verbrennen lassen, weil sie sich als Mann verkleidet und Visionen erfunden hätte und anderes mehr, zur Märtyrerin, die 1909 selig und 1920 heilig gesprochen und auch die unheilige laizistische Republik hält sie in Briefmarken und Büsten in allen Büros der Bürgermeister auf ihre Art heilig. In Deutschland unter Helmut Schmidt hätte sie mit ihren Visionen vermutlich keine große Karriere gemacht und auch bei der zwar Pfarrerstocher aber doch Naturwissenschaftlerin Merkel ist nicht vorstellbar, dass sie Bundestag und Bevölkerung mit einer Vision von ihrem “Wir schaffen das”-Credo zu  überzeugen versuchte.

Dahingestellt sei, ob es ein Gewinn ist, dass Visionäre und andere Scharlatane heute politisch in Europa keine Rolle mehr spielen. Zumindest hat es die Politik berechenbarer gemacht, wenn auch ein Stück Motivation und Begeisterung verloren ging. Zur übrigen Beurteilung solcher Fälle sei auf Kants wunderaren Text Träume eines Geistersehers verwiesen, in dem er den Seher Svedenborg bloßstellte, der in der damaligen Politik eine zu große Rolle spielte. Bewundernswert ist der Mut der jungen Frau, die ihren Ideen folgend eine Bewegung in Gang setzte, die Frankreich von innen heraus zum Widerstand gegen die ihrer Ansicht nach Land besetzenden Engländer einte. Mancher in der CDU dürfte sich wünschen, Merkel hätte zumindest einen Hauch von dieser Begeisterungsfähigkeit, um den Populisten die Wähler abspenstig zu machen. Als Aufklärer und Demokrat schätze ich die nüchterne Auseinandersetzung mehr als die euphorische Begeisterung, die selten gute Folgen hat.

Nur 60 Jahre später wurde von den Spaniern, die da noch nicht die Mauren endgültig  vertrieben hatten und sich noch in Kastilien und Aragon teilten, das Vorspiel der Eroberung Amerikas auf den Kanaren gespielt. Am 29. April 1483 gaben die Ureinwohner Gran Canarias, die Urcanarios, den letzten Widerstand gegen ihre Besetzung auf und wurden von den Kastiliern als Kolonie endgültig besetzt und die Ureinwohner versklavt. Bis heute gehören die Kanaren zu Spanien, auch wenn sie westlich von Afrika liegen und auch dort kulturell angebunden waren. Vorausgegangen war der Versuch der Christianisierung durch fromme Händler aus Mallorca, der relativ friedlich verlief. Es kam jedoch nach den Übergriffen der Spanier zum Aufstand bei dem die Urcanarios auch Bischöfe in die Vulkane warfen und andere opferten. Die Härte mit der Spanien mit dem Ziel der Besetzung zurückschlug und die Kanaren bis heute zur Kolonie machte, lässt diesen Besitz noch fragwürdiger erscheinen. Natürlich wehrte sich keiner mehr, wenn alle Ureinwohner versklavt oder ausgerottet wurden. Vor größerem Protest gegen diesen fragwürdigen Besitz wäre allerdings interessant zu wissen, was es als Alternative für die Menschen dort gäbe, ob es ihnen mit diesem Zusammenhang nicht wesentlich besser geht als den meisten Bewohnern Afrikas, zu dem sie geographisch gehörten.

Die Eroberung der Kanaren war klare Machtpolitik und eine Generalprobe für die spätere Eroberung Amerikas, von dem da noch keiner wusste. Die Inseln waren der wichtige Zwischenstopp für Christoph Kolumbus auf seiner Reise nach Westen, da er ohne diesen Zwischenhalt nicht genug Wasser und Nahrung für die lange überfahrt hätte bunkern können, auch noch vor Ort nötige Reparaturen vornehmen konnte. Getragen war Spaniens Expansionsdrang, der nicht zufällig mit dem Jahr des Endes der Reconquista zusammenfällt, von einem Missionierungswillen und einer klaren Machtpolitik. Der Reichtum der Kolonien verhinderte über lange Zeit nötige Reformen und die Entwicklung in Spanien, das nach der Vertreibung der jüdischen Elite und der maurischen Kultur weitgehend vor dem Nichts stand. Die Raubzüge in aller Welt verhinderten den Zusammenbruch Spaniens nach der ökonomisch unsinnigen Vertreibung der jüdischen und maurischen Bewohner. Der Glaube wurde dabei als Schild getragen und anders als mit überzeugtem Aberglauben lässt sich solch eine unsinnige Politik auch auf Dauer wohl nicht vertreten, im öffentlichen Interesse war sie nicht und machte Spanien lange zur Weltmacht auf Pump ohne eigenes Fundament.

Rund 200 Jahre später am 29. April 1624 wurde Kardinal Richelieu von Ludwig XIII. in den Staatsrat berufen. Wenige Monate später schon, am 13. August, wird ihm die Leitung des Gremiums anvertraut. Er führt von da an bis zu seinem Tod als erster Minister die Regierungsgeschäfte in Frankreich. Der Sohn von Henry IV, der mit dem Edikt von Nantes erst die Religionskriege in Frankreich beendete, holte damit auf Rat seiner Mutter Maria Medici einen Pfaffen an die Macht. Diese hatte zuvor noch dafür gesorgt, dass der enge Freund ihres Beichtvaters, des Kapuziners Pére Joseph zum Karidnal wurde. Bischof war er geworden, da noch Heinrich III. dem Vater für seine militärischen Verdienste einen solchen Bischofssitz zugesprochen hatte und als der etwas schwächliche und kränkliche Armand statt der militärischen Karriere Theologie an der Sorbonne in Paris studierte. Er war der mächtigste Mann Frankreichs und bereitete den Umbau zum absolutistischen Staat vor, den der Sohn von Ludwig XIII., der berühmte Ludwig XIV. auf die Spitze trieb mit dem Kult um seine Person in Versailles. Den Protetanten ließ er, nachdem er ihre letzten militärischen Festungen eingenommen hatte im Gnadenedikt von 1629 zwar die theoretische Glaubensfreiheit, nachdem er ihr militärisches Potential  ausgeschaltet hatte und beseitigte sie damit als Machtfaktor im Staat, was der frühere Hugenotte Henry IV. noch verhindern wollte. Folgerichtig wurden sie beim folgenden König zu Preußens Wohl dann auch vertrieben, denn Preußens späterer Aufstieg ist auch und gerade der bereitwilligen Aufnahme von Flüchtlingen zu verdanken.

Richelieu formte Frankreich zum absolutistischen Staat und stärkte es im Konzert der europäischen Weltmächte. Er tat alles um Österreich zu schwächen und versuchte sich auch bereits mäßig erfolgreich in der Kolonialpolitk. Als kühler Machtpolitiker war er mehr Stratege, der klarem Kalkül folgte als gläubiger Visionär, dass er Theologe wurde, ist eher den familiären Zusammenhängen geschuldet und seiner etwas schwächlichen körperlichen Konstitution, die ihn nicht zum Krieger machte. Er hatte kein Problem sich im Dreißigjährigen Krieg mit den protestantischen Schweden zu verbünden, wenn es der Schwächung Österreichs diente. Seine herausgehobene Stellung verschaffte ihm so viel Ehre wie Feinde und er überlebte drei Verschwörungen, an denen auch Maria Medici und einige bourbonische Prinzen beteiligt waren nur knapp. Doch ändert auch dieses Glück nichts an seiner Bewertung als politischer Pragmatiker. In seinem politischen Testament betont er, dass der Mensch, da er vernunftbegabt sei, wie die natürliche Einsicht erkennen lasse, er auch alles nur aus der Vernunft heraus tun solle, da er sonst gegen seine Natur handele. Es sei, betont er dort weiterhin, für einen Staat notwendig, dass sich Fürsten und Minister zuerst um das öffentliche Interesse kümmern und alle partikularen Interessen dahinter zurückstellen.

Eine Staatssicht, wie sie erst wieder in der Aufklärung normal wurde und an der weiter alles politische Handeln gemessen werden sollte. Wer verfolgt nachhaltig und weitsichtig das öffentliche Interesse und wer bedient nur Partikularinteressen oder Ängste, um so Stimmen zu angeln?

Der momentane Zustand dieser Republik gibt viel Anlass, auch über diese Frage erneut nachzudenken. Von einer parteilichen Beantwortung sei hier abgesehen, wenn der eine oder andere infolge darüber kritisch und mit weitem Blick nachdenkt, werden sich manche Fragen von alleine beantworten.

Inwieweit sich die Diamantnadelaffäre, die Alkexandre Dumas in den drei Musketieren verarbeitete, in denen der Kardinal als böser Gegenspieler der verliebten Königin Anna von Österreich auftritt, den Tatsachen entspricht, ist nicht letztlich zu klären. Insofern auch ein Zeitgenosse Richelieus und Annas, der Dichter La Rochefoucauld, der mit Königin Anna eng befreundet war, ähnliches berichtet hat, könnte sie einen wahren Kern zumindest haben, egal, ob ein D’Artagnan wirklich die Diamanten in höchster Not aus England rettete und so wirkt Richelieu, der ein großer Förderer der Künste war und der Gründer der bis heute bestehenden Académie Francaise ist, bis heute und hat die Literatur weit über seine Zeit auch durch Förderung wie Beschränkung mitgeprägt.

Am 29. April 1945 schließlich heiratete Adolf Hitler im Führerbunker seine langjährige Freundin Eva Braun. Trauzeugen sind Joseph Goebbels und Martin Bormann. Das traute Paar überlebt den Bund fürs Leben noch einen Tag und vergiftete sich gemeinsam am 30. April 1945. Eva Braun war zu diesem Zeitpunkt 33 Jahreund damit 23 Jahre jünger als Hitler. Während der Hochzeit war Berlin schon von der Roten Armee umzingelt. Es gab keine Chance noch das Blatt zu wenden. Bereits vorher hatte Hitler befohlen alle seine Papieren und Unterlagen zu verbrennen. Wem diese Hochzeit diente und was dieser kurze Lebensbund für einen der größten Massenmörder aller Zeiten noch sollte, erschließt sich bei eingehenderer Beschäftigung mit der Person Hitlers, die längst drogenabhängig dem Wahn ihrer Visionen folgte, die von Hass und Vernichtungswille geprägt waren. Seine im Ende Feigheit, mit der er sich nicht der Verantwortung für den auch durch ihn verursachten Schaden stellte, ermöglichte aber vielen die Verteufelung des Menschen Hitler, um sich von aller Verantwortung frei zu sprechen. Unklar ist inwieweit Eva Braun diese Ehe am Ende wie vieles emotional erpresste.

Das am Vortag frisch getraute Paar tötete sich mit Zyankali  Kapseln und der Tod von Eva Braun trat drei Minuten vor dem Hitlers ein. Es war bereits Eva Brauns dritter Suizidversuch allerdings der erste als Ehefrau und der erste, der glückte. Bereits in den Jahren vorher hatte sie Hitlers Zuneigung durch zuerst einen Schuss in die Brust, den sie jedoch überlebte und sodann sauberer mit Tabletten erringen wollen. Beide Versuche zeigten die gewünschte Wirkung und brachten Braun näher mit Hitler zusammen, der ihr zunächst nach dem ersten emotional näher kam und ihr nach dem zweiten Versuch immerhin eine Villa in Bogenhausen schenkte. Sie hatte bei dem Fotografen gearbeitet, bei dem auch Geli Raubal gerbeitet hatte, Hitlers Nichte und möglicherweise Geliebte, die sich Jahre vorher schon umbrachte.

Hitler hatte bis kurz vor seinem Tod immer eine Ehe verweigert, weil er mit  Deutschland verheiratet sei, weiter als unverheirateter Mann und Führer Projektionsfläche vieler Frauenträume der Zeit bleiben wollte. Sie war gegen den Willen ihrer Familie und auch gegen den Wunsch Hitlers zunächst nach Berlin gekommen und hatte aber mit ihm ab 19. März 1945 natürlich im separaten Zimmer im Führerbunker unter dem Garten der Reichskanzlei gelebt. Vorher hatten sie, wenn möglich, viel Zeit auf dem Obersalzberg gemeinsam verbracht, wo sie offiziell als Haushälterin galt.

Zu Hitlers Sexualität ist viel geschrieben und gemutmaßt worden. Von seiner Impotenz bis zu seinen perversen Neigungen. Es wurden Psychoanalytiker beauftragt, um die Person Hitler zu ergründen und aus ihrem Sexualverhalten Rückschlüsse auf die Person zu finden, die oft ähnlich wissenschaftlich waren, wie Teufelsaustreibungen. Es gibt einen Bericht, von einem früheren Vertrauten, der später sein Gegner wurde, dass seine Nichte auf ihn, um es deutlich zu sagen, pissen und scheißen musste, um ihn durch Erniedrigung zu befriedigen. Ansonsten ist wenig genaues bekannt, auch eine möglicherweise selbst unterdrückte homosexuelle Neigung, die seinen pathologischen Hass gegen diese Gruppe begründete, bleibt Mutmaßung. Auch die Vermutung er hätte nur ein Ei gehabt oder wäre gänzlich impotent oder asexuell gewesen, lässt sich nicht bestätigen. Sicher ist nur, dass er seine Sexualität seinem Wahn unterordnete.

Zu vermuten, ob ein Mann mit einer befriedigenden Sexualität weniger grausam gewesen wäre, ist müßig, andere Nazi Größen wie Goebbels bewiesen das Gegenteil. Die Verteufelung Hitlers hat aber über Jahrzehnte zu einer Deantwortung vieler Täter geführt, die alle Schuld dem Führer zuschoben und sich nur als Werkzeuge seines Willens bezeichneten. Auch wenn es dennoch zu Verurteilungen kam, weil die Täterschaft grausam genug war, konnten sich viele hinter Hitler auch nach seinem feigen Selbstmord noch verstecken. Wieviel Übung er darin bereits im Gegensatz zu seiner Ehefrau hatte, ist nicht bekannt.

Wichtiger als diesen Verbrecher zu dämonisieren, scheint mir, seine Normalität zu erkennen, um zu bemerken, wie schnell ganz normale Menschen, wenn sie die Möglichkeiten dazu haben, zu perversen Verbrechern in einer grausamen Ideologie werden. Deutschland hat unter Hitler ordnungsgemäß funktioniert, weil es hier genug grausame und perverse Menschen gab, denen es eine Freude war, andere zu quälen. Es waren viele ganz normale, besorgte Bürger, wie sie heute wieder in Dresden auf die Straße gehen, um gegen Muslime zu demonstrieren, wie es damals eben gegen Juden ging. Was heute die Asylanten als Schimpfwort sind, waren damals die Geldjuden und die Ostjuden und das Judenpack.

Der Nationalsozialismus war eine Glaubenslehre, die das Denken durch eine mit Symbolen überladene Ideologie ersetzte. Immer wenn Menschen anfangen, statt kritisch zu denken, Befehlen bedingungslos zu folgen, einen Staat als Ideologie heroisieren, sollten wir dringend gewarnt sein. Der Nationalsozialismus ist nicht so fern, wie es scheint, Pegida und der AfD zeigen, dass sich mit Hass und Ausgrenzung wieder erfolgreich in Deutschland Politik machen lässt. Dagegen hilft nur nachdenken, aufklären und erklären. Das wird Zeit und Nerven kosten, aber wenn die Kultur dieses Landes etwa wert ist, dann aus der Geschichte zu lernen und in die Zukunft zu investieren. Wer den Hass und die Angst beobachtet, merkt, wie die Zeiten sich verändern und wie dringend wir einer neuen Aufklärung und einer allgemeinen Anleitung zum kritischen Denken bedürfen. Ob es darauf nach 30 Jahren Privatfernsehen noch viel Hoffnung gibt, weiß ich nicht. Versuchen sollten wir es, was bleibt uns sonst?
jens tuengerthal 29.4.2016

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