Mittwoch, 6. April 2016

Kulturgeschichten 0181

Todessträflich

Wer darf über Leben und Tod entscheiden?

Darf es überhaupt wer oder verbietet sich dies der Natur nach, weil keine Entscheidung fehlerfrei ist?

Was verrät es über eine Gesellschaft, die darüber urteilen lässt?

Am 6. April 1489 wird der Züricher Bürgermeister Hans Waldmann nach einem Schnellverfahren hingerichtet. Er fiel Intrigen und einem Aufruhr der Landbevölkerung zum Opfer, weil er die wildernden Hunde der Bauern töten ließ.

Heute veröffentlichte Amnesty International die weltweiten Zahlen zur Todesstrafe also die Fälle, in denen Staaten meinen über Leben und Tod urteilen zu dürfen. Die Zahlen sind so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr und an der Spitze stehen China, der Iran, Pakistan und Saudi Arabien, alles Handelspartner der Bundesrepublik. Auch die USA der Partner gegen den Terror ließ 28 Menschen hinrichten, nimmt damit auf der Liste der Killerstaaten Platz 5 ein, und der als Rechtsstaat nur getarnte Terrorstaat im Westen scheute auch nicht davor Behinderte oder Minderjährige hinzurichten.

Mindestens 1998 Menschen wurden 2015 hingerichtet, wobei aus China keine Zahlen vorliegen, aber Schätzungen von mindestens 3000 Hinrichtungen ausgehen. Es sitzen weltweit über 20.000 Menschen in Todeszellen und erwarten ihre Hinrichtung. Die Begründungen für Hinrichtungen reichen weit, sogar Japan maßt sich neben den USA als einziger kultivierter scheinbar Rechtsstaat an, Todesurteile zu fällen und zu vollstrecken. Neun von zehn bestätigten Hinrichtungen fanden in den drei islamischen Ländern Iran, Pakistan und Saudi Arabien statt, wobei dem Iran über 90% zufallen.

Positiv ist nur zu bemerken, dass mittlerweile  140 Länder die Todesstrafe weltweit abgeschafft haben - 1977 waren es erst 16 Staaten unter ihnen auch damals schon die Bundesrepublik mit dem an humanistischen Werten orientierten Grundgesetz, das die Lehre aus dem Staatsterror des sogenannten Dritten Reichs zog.  Zugleich ist die  Zahl der Länder, die Menschen hinrichteten von 39 auf 25 gesunken.

Wie soll mit Terrorstaaten umgegangen werden, die sich anmaßen über Leben zu urteilen?

Was lehrt die Geschichte von Hans Waldmann zum Verständnis der Todesstrafe?

Hans Waldmann war ein Heerführer der alten Eidgensossenschaft und von 1483 bis zu seiner Hinrichtung 1489 Bürgermeister von Zürich. Er wurde Ritter und Freiherr von Dübelstein und wurde im heutigen Kanton Zug geboren. Er soll zunächst eine Schneider und eine Gerberlehre gemacht haben, hat ab 1458 an den Kriegszügen der Stadt Zürich teilgenommen etwa gegen Kempten und Konstanz und führte später auch mit den Eidgenossen Kriege gegen die habsburgischen Landgrafschaften zu einer Zeit als diese längst Kaiser im Reich waren. Während der Burgunderkriege führte er in der Schlacht bei Murthen, in der Karl der Kühne vernichtend geschlagen wurde, der Schwiegervater von Kaiser Maximilian I., das Hauptkontigent der Eidgenossen siegreich in die Schlacht.

Zur Zeit seiner Erfolge als Offizier, hatte er bereits versucht, sich hoch zu heiraten, doch noch blieb dem aus einfachen Verhältnissen kommenden Aufsteiger die Anerkennung der adeligen Kreise, in die er einheiratete, verwehrt. Erst der Sieg gegen die Burgunder machte ihn zum Verhandlungspartner der Fürsten auf Augenhöhe. Das militärische und diplomatische Ansehen förderte seine politische Karriere in Zürich und er wurde zum Zunftmeister ernannt. Der Bürgermeister war nach dem Zweiten Geschworenen Brief der Zünfte nicht mehr so mächtig sondern wechselte alle halbe Jahr zwischen dem Zunftmeister und den Constaffeln, auf den dann jeweils die Bürger ihren Eid leisteten. Während Waldmann sich noch mit einem zweiten Zunftmeister abwechselte, kam von den Constaffeln, dem städtischen Adel, mit Gödli, der immer gleiche, der jedoch schließlich abgewählt wurde, nachdem er einen Vergewaltiger, der aus dem Elsaß nach Zürich geflohen war, nicht nach Straßburg ausliefern wollte aus freundschaftlichen Gründen und damit eine Fehde mit dem Bischof von Straßburg riskierte, so dass sich mit den beiden Zunftmeistern wieder zwei abwechselten wie im Geschworenenbrief vorgesehen. Die damit Übermacht der Zünfte und ihrer Meister gefiel den Patriziern und anderen Zürichern nicht, die daraufhin begannen Waldmann zu bekämpfen, der in einer weiteren Reform auch die Zahl der Sitze der Patrizier im Rat von 12 auf 3 verringern wollte.

Als vorsitzender Richter eines Schiedsgerichts in einem Grenzstreit zwischen dem Wallis und dem Herzogtum Mailand entschied er zugunsten Mailands und ließ sich diese Entscheidung von den Mailändern reich vergüten, woraufhin sich die Walliser nicht mehr an den Entscheid gebunden fühlten, ihrerseits nach Piermont plündernd einfielen, dort aber von Mailänder Kavallerie vernichtend geschlagen wurde, woraufhin der Hass auf Waldmann in der Eidgenossenschaft noch wuchs und dieser sich nicht mehr außerhalb des Stadgebiets wagen konnte.

Die Verurteilung des Luzerners Frischhans Theiling, zwar durch Waldmanns Amtskollegen, da sein Amt gerade ruhte, wegen Beleidigung der Stadt Zürich zum Tode wurde Waldmann auch zugerechnet, obwohl er formal nicht beteiligt war und verschlechterte sein Bild in der Öffentlichkeit weiter, auch wenn die Akten keinen Hinweis auf eine Beteiligung oder Einflussnahme geben, galt diese seinen Gegnern als sicher. Auch die Verhandlungen um die Erbeinung also die Einigung mit Österreich, erst unter Friedrich III. dann unter Maximilian, die nie ratifiziert wurde, nahmen ihm die Eidgenossen wieder übel, da sie fürchteten, er wolle sich nur bereichern. Nebenbei stritt er sich noch mit den örtlichen Abteien, die er unter seine Aufsicht nahm, da er sie der Unmoral beschuldigte und die seine totale Kontrolle fürchteten.

Weitere Feinde schuf er sich in Zürich als er versuchte die Rechtsverhältnisse zu vereinheitlichen, eine stärkere Anlehnung an das Deutsche Kaiserreich und das Herzogtum Mailand förderte. Unwillen erregte bei den Bauern auch die Drosselung der Förderung des Textilgewerbes zugunsten eines Monopols der städtischen Zünfte. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich sein Gebot die wildernden Hunde der Bauern zu töten, wobei unklar ist, ob dies eher dem Wildschutz oder dem Schutz vor Tollwut diente, jedenfalls verdarb es den Bauern, die nicht mit Pferden und Fernwaffen jagen durften gründlich die Jagd. Zum Verhängnis wurde ihm die dann Aufwiegelung der Züricher Landbevölkerung an der auch der von ihm abgesetzte Göldli beteiligt war, der noch nach Rache sann, sein Amt wieder wollte.

Auf Druck der immer wütenderen Menge hin wurde Waldmann verhaftet und in den Wellenbergturm, das Stadtgefängnis, gebracht. Im Rahmen der Anklage wurde Waldmann gefoltert, was durch Zeugen, die ihn schreien hörten, belegt wurde. Nach einem Schnellverfahren, in dem er verschiedener teils absurder Delikte auch gegen Göldli angeklagt war, wurde ihm wenige Tage später das Todesurteil mitgeteilt, was er dankbar annahm, da er nur durch das Schwert getötet werden sollte und keine schlimmeren Qualen mehr zu erwarten waren. So wurde er vom Scharfrichter nach Aberkennung aller Ämter durch die Ritterschaft enthauptet. Dabei wurde der Platz so gewählt, dass die aufgehetzte Menge gut zuschauen konnnte. Angeblich soll er drei Stunden lang vor der Hinrichtung gebetet haben, aufrecht und unerschrocken in den Tod gegangen sein mit den letzten Worten, bewahr dich Gott vor Leid mein liebes Zürich.

Daraufhin übernahmen für eine gewisse Zeit wieder die Constaffel die Macht in Zürich, die ihnen jedoch bald wieder von den Zünften genommen und im Dritten Geschworenen Brief noch weiter eingeschränkt wurden. Erst im 20. Jahrhundert wurde Waldmann von den Zünften ein Denkmal spendiert und die Aufklärung des Justizmordes gefordert, die, wie so vieles in der Schweiz, sich viel Zeit lässt.

Folter und Schnellverfahren führten zur Hinrichtung eines Unschuldigen, der sich nicht mehr wehren konnte, weil er durch die Folter bereits gebrochen war. Die schnelle Hinrichtung verhinderte eine genauere Prüfung der Vorwürfe einer aufgehetzten Bevölkerung, die sich von Patriziern, Bauern und Neidern hatte verführen lassen, gegen einen, der wohl nichts unrechtes tat und nichts versuchte als alte Rechte zu beschneiden, ein überkommenes, ungerechtes Standessystem aufzubrechen. Warum sich die Bauern von den Patriziern auhetzen ließen, die selbst mit Pferden, Fernwaffen und Hunden jagten, wundert nur den, der vernünftige Reaktionen im politischen erwartet.

Genauso irrational wie rechtsradikale Kräfte gegen jede Wirklichkeit die Angst der Bevölkerung vor Flüchtlingen mit gefälschten Statistiken und dreisten Lügen schüren können, reagierten auch die Züricher auf die Anklage der Patrizier gegen den Bürgermeister, der auch persönlich reich geworden war, weil er erfolgreich verhandelte und da ist der Neid meist größer als das Gerechtigkeitsgefühl. Auch darum ist die Abschaffung und Tabuisierung der Todesstrafe so wichtig und indiskutabel. Gier und Neid treiben Menschen schnell und eher als vieles anderes. Ein unwiderrufliches, nicht mehr korrigerbares Urteil berücksichtigt nicht die immer Fehler und Kurzsichtigkeit des Menschen. Die Gefahr falscher Urteile ist auf dieser Grundlage zu hoch, als das ein Leben dafür je riskiert werden dürfte.

Wichtiger noch aber ist die grundsätzliche Frage, ob ein Mensch über ein anderes Menschenleben urteilen und entscheiden darf, dies im Rechtsstaat eine bloße Frage normativer Gestattung ist oder nicht die Prinzipien des Rechtsstaates ein solches Urteil grundsätzlich ausschließen müssen?

Wer über das Leben eines anderen meint entscheiden zu dürfen, maßt sich eine höhere Kompetenz an als derjenige, dessen Tat er beurteilt, sei sie auch ein Mord oder Totschlag gewesen, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen, wofür der andere gerade zum Tode verurteilt werden soll, was zu einem logischen Paradox führt. Welchen Grund sollte es geben, dass einer einem Gesetz im Sinne eines Gesellschaftsvertrages je zustimmte, das sein Leben beenden könnte und seine Entscheidung über Leben und Tod für weniger wert erklärt als diejenigen der Richter, die sein Leben damit beenden lassen?

Wie kann eine Gesellschaft, die Tötung als höchstes Verbrechen ahndet, diese auch auf die Gefahr von Fehlurteilen hin, selbst für legitim erklären?

Wohin führt mangelnde Konsequenz und Logik zwischen Staat und Bürger in der Frage der Befolgung der Normen?

Kann ein Staat, dem es also an Glaubwürdigkeit logisch mangelt, für sich in Anspruch nehmen, ein solches Urteil zu fällen?

Was folgt daraus, wenn ein Staat etwas tut, was er rechtlich logisch nicht dürfte und wohin führt dies auf Dauer?

Staatsterror meint staatsphilosphisch den gezielten Einsatz von Angst der Bürger vor dem staatlichen Gewaltmonopol bis zum Tod, als Mittel die Gesetzestreue zu erzwingen. Davon sind auch schon alle Formen des Polzeitstaates erfasst, deren rechtliche Grundlage zweifelhaft ist. Fälle des Ausnahmezustandes nach behaupteten Terrorakten Dritter gehören folglich logisch auch dazu.

Sind alle Staaten die Todesstrafen für Recht erklären Unrechtsstaaten?

Ist die Anwendung staatlicher Gewalt als Unrecht je etwas anderes als Terror?

Was unterscheidet die USA aus dieser Sicht vom IS und wie müssten Rechtsstaaten darauf reagieren, wären sie nicht ökonomisch abhängig?

Für was kämpft, wer mit Terrorstaaten gegen den Terror kämpft und wie glaubwürdig ist dies?

Was ist ein Menschenleben wert und was wenn nichts?
jens tuengerthal 6.4.2016

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