Begrenzt
Während Pegiden, AfDler wie Seehofers schreien die Regierung solle die Grenzen dicht machen, fragt sich immer mehr, welche Grenze eigentlich und warum überhaupt noch Grenzen in einer globalisierten Welt, was die erreichen, die Mauern wollen und welche Beschränkung sie damit ausdrücken. Nachdem Präsident Obama gerade ein ihr fast peinliches Loblied auf die Kanzlerin sang, die auf der richtigen Seite stünde, könnten ihre hysterischen Kritiker nachdenklich geworden sein, dächten sie überhaupt und fühlten sie sich nicht in ihrer eben begrenzten Angst vor der bösen Verschwörung nur durch alles bestätigt.
Was sollen Grenzen und wem nutzen sie?
Auch die deutsche Grenze ist ein Lehnwort aus dem altpolnischen, eigentlich slawischen Ursprungs und meint den Rand eines Raumes, ein Trennwert, eine Trennlinie oder eine Trennfläche. Grenzen können geografisch, wirtschaftlich, privat oder öffentlich sein. Am weitesten klaffen gerne die kulturellen und die staatlichen Grenzen auseinander - wobei die Kultur tendenziell eher grenzenlos ist. Ähnlich unbestimmbar sind manche Grenzen jenseits der geometrisch bestimmbaren Räume etwa die üblichen Verhaltensweisen, nach Treu und Glauben oder die Intimssphäre. Letztere ist zu einem rutschigen Parkett in Zeiten der sexuellen Korrektheit geworden, die deutlich macht, wie schnell Grenzen auch wieder verschwimmen können. So ist etwa die Handlungsfreiheit in Artikel 2 I, die eine freie Entfaltung der Persönlichlkeit garantiert, nicht nur durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung sondern auch durch einen Schwamm wie das Sittengesetz beschränkt, dem Einbruchstor des gesunden Volksempfindens und ähnlich diktatorischer Formulierungen aus unserer Geschichte, die völlig unpräzise bleiben, Freiheit nach Gutdünken einschränken lassen.
Warum wird Sex, aus dem wir alle wurden, was wir sind, öffentlich zensiert, also begrenzt, ist es nicht völlig natürlich?
Wie beschränkt ist, wer sich dabei begrenzt?
Das Wort Grenze kam erst im 12. oder 13. Jahrhundert aus dem altpolnischen ins deutsche und ersetzte dort die fränkische Mark. Dazu kam es erstmals als in ottonischer Zeit die Gebiete an östliche Grenzen stießen. Ältere politische Grenzen zwischen zwei Staaten fielen oft mit schwer überwindbaren Hindernissen zusammen. Später in den Kolonialzeiten oder in den USA wurden sie auf dem Reißbrett gezogen und vertraglich vereinbart, manchmal egal, was tatsächlich dort war oder lebte. In vielen Großstädten ergeben sich die Grenzen zwischen deren Teilen aus Straßen und anderen Verkehrswegen.
Die kürzeste Landesgrenze liegt zwischen La Gomera und Marokko, sie ist nur 85m lang, während die längste zwischen Kanada und den USA 8991km lang ist, am häufigsten überquert wird die Grenze zwischen Mexiko und den USA, während die innerkoreanische als die am strengsten bewachte Grenze der Welt gilt, am einfachsten machten es sich Dschibuti und Somalia, die nur eine gerade Linie als Grenze definierten, dagegen ist die zwischen Bangladesh und Indien mit 92 und 110 je eigenen Enklaven die wohl komplizierteste Grenze der Welt.
Sogar der Luftraum über uns ist begrenzt, wird streng überwacht, damit der Luftverkehr ungestört stattfinden kann und sich keiner in die Quere kommt. Auf den weiten Meeren, nicht nur in deren Engen, gelten strenge Verkehrsregeln, fast wie beim Sex an amerikanischen Universitäten und hier spielen räumliche und moralische Überzeugungen eine wichtige Rolle, die mehr im Aberglauben als der Vernunft fußen.
Eine der ältesten noch gültigen Grenzen ist die zwischen Böhmen und Sachsen, die am 25. April 1459 Kurfürst Friedrich II. und Herzog Wilhelm III. von Sachsen mit dem böhmischen König Georg von Podiebrad in Eger vereinbarten. Diese Grenze ist zum allergrößten Teil bis heute gültig und gehört damit zu den ältesten Begrenzungen in ganz Europa.
Der Vertrag von Eger legte die Grenze zwischen beiden Ländern auf der Höhe des Erzgebirges und in der Mitte der Elbe fest. Durch diesen Vertrag wurden die bis dahin häufiger Grenzstreitigkeiten endgültig beigelegt. Besiegelt wurde der Vertrag noch zusätzlich durch die Ehe von Sidonie von Böhmen, der Tochter des böhmischen Königs mit Albrecht dem Beherzten, dem Sohn des Kurfürsten im November 1459.
Die einzige Veränderung an der Grenze erfolgte 1546 als sich Herzog Moritz und König Ferdinand nach dem Schmalkaldischen Krieg die Herrschaft Schwarzenberg als Kriegsbeute teilten.
Sich einigen lohnt sich und kann Bestand haben, wie das sächsisch, böhmische Beispiel zeigt. Kämpfe um Grenzen und ihre ständige Verschiebung, wie wir sie etwa im Elsass, in Burgund oder überhaupt am Rhein sahen, forderte meist mehr Opfer, als es territorialen Gewinn dem einen oder anderen brachte. Auch Napoleons Größenwahn fielen mehr Menschen in kurzer Zeit zum Opfer als er Frankreich trotz code civil je an Nutzen brachte. Die Eroberung von Elsass-Lothringen durch das Deutsche Reich 1870/71 stand auch unter keinem guten Stern und führte zu dem Gemetzel von Verdun ab 1914, in dem auch mein Urgroßvater liegen blieb als preußischer Schuldirektor, junger Vater von fünf Kindern und Offizier. Viele solcher Schicksale liegen in Grenzgebieten oder blieben dort liegen, ohne eine Heimat zu finden.
Europa hat die Grenzen intern überwundern und wurde nach dem Fall der Mauer zum Anziehungspunkt für die Staaten Osteuropas, die bei dem grenzenlosen Erfolgsmodell der Integration, das mit den Verträgen von Rom begann und mit dem Vertrag von Maastricht, fußend auf der deutsch-französischen Freundschaft seinen bisherigen Höhepunkt fand, der in der Währungsunion gipfelte, die manche schon kurzsichtig verfluchen, weil der Aberglaube kleinstaatliche, nationale Lösungen seien ein Gewinn, schwer auszurotten ist.
Hatte die Grenzen überwunden, bis es zur ersten Krise kam, es etwas kostete, zusammenzugehören und gegenseitige Solidarität gefragt war, um Probleme gemeinsam zu lösen. Da wurden die nationalen Kräfte überall laut und pochten auf ihr gutes Recht und ähnliche dem Zusammenleben eher abträgliche Dinge. Griechenland und die Flüchtlinge überforderten viele Europäer. Der schlicht preußische oder schwäbische Sparkurs der Kanzlerin löste Hass aus, der sich in Bewunderung verkehrte, als sie zur Mutter der Flüchtlinge sich wandelte und intern dafür teils pathologischen Hass auslöste, der überall die nationalistischen Kräfte mit populistischen und ausländerfeindlichen Parolen stärkte.
Es stellen sich zur Zukunft Europas und der Grenzen viele Fragen, über die nachzudenken, den Weg zu Lösungen erleichtern könnte. Sie sind nicht abschließend und ich möchte und muss keine Antworten geben, bin an keine Partei gebunden, sondern frage als begeisterter Europäer nach der Zukunft unseres Miteinander und den Alternativen. Wohin es mit diesem Europa gehen soll, ist gerade so unklar, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Was hat Europa mit rechtsradikalen Polen oder Ungarn zu tun, die Grundrechte aushebeln und teils Minderheiten diskriminieren, Grenzen und Zäune bauen?
Wie soll ein gemeinsames Europa funktionieren, das einerseits der Türkei den Beitritt anbietet und andererseits eine Wählergruppe von fast ⅓ hat, die radikal islamfeindlich ist?
Bedeutete eine Integration der Türkei mit der Verpflichtung zur Freiheit für Christen dort wie die Bindung an europäische Menschenrechte einen Fortschritt?
Braucht Europa Grenzen, weil es ein geographischer Kontinent mit kultureller Harmonie ist?
Was sind geografische Grenzen für Menschen jenseits dieser?
Endet Europa einerseits sicher im Meer, anderseits lange nicht am Ural?
Was sagt es über Europa, wenn es wichtiger ist, wo es endet, als was es ausmacht?
Wie kann die Ukraine aber nicht Rußland dazu gehören und bis zu welcher Grenze?
Kann die Mongolei auch EU-Mitglied werden, wenn Wladiwostok eine EU-Metropole würde im weltgrößten Freihandelsraum?
Welchen Gewinn bringen Grenzen, die einer Exportwirtschaft immer nur schaden?
Kann ein grenzenloses Europa mit so begrenzten Einwohnern wie den Anhängern von Pegida, AfD, Fron National, FPÖ und ähnlichen Populisten erreicht werden?
Welche Alternative hat der Kontinent auf globalen Märkten als den Abbau von Grenzen?
Zu wessen Lasten verteidigen manche Europäer ihren Wohlstand?
Wohin führt eine Schließung der Grenzen?
Wie sollen europäische Sozialsystem auf Dauer bei schrumpfender Bevölkerung funktionieren?
Soll eine reiche Elite sich selbst versorgen und den Rest an der Grenze erschießen?
Was wäre aus Europa ohne offene Grenzen nach dem Untergang Roms geworden?
Wohin kämen wir, wenn es keine Grenzen mehr gäbe?
Muss nicht der für einen Schaden haften, der ihn verursacht, sollten also die weltweit größten Waffenexporteure aus Europa, nicht moralisch nur sondern rein sachlich zur Hilfe verpflichtet werden?
Wie bekommen wir die Missgunst aus den Köpfen der Bürger?
Wann können Menschen gönnen?
Was tut jeder von uns für Europa und den Frieden?
jens tuengerthal 25.4.2016
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