Freitag, 22. April 2016

Kulturgeschichten 0197

Raubbrüder

Wo fängt der Raub an und wo ist er ein legales Geschäft im Auftrag?

Was unterscheidet Sir Francis Drake von Störtebeker und wo steht die Deutsche Bank?

Ist der ein Räuber, der eine Bank oder einen Kaufmann überfällt oder der, welcher eine Bank eröffnet oder mit Gewinn Geschäft macht?

Sind die Panama Papers Zeichen von Piraterie in Nadelstreifen?

Am 22. April 1401 gelang es einer Flotte der Hanse unter dem Kommando des Hamburger Kaufmanns Simon von Utrecht die Vitalienbrüder zu stellen und sie in einer Seeschlacht bei Helgoland zu besiegen. Der Anführer der Seeräuber Klaus Störtebeker wird als Gefangener auf das Schiff der Hamburger, die Bunte Kuh gebracht und mit ihr nach Hamburg transportiert.

Die Geschichte von Störtebeker und den Vitalienbrüdern habe ich schon zigmal erzählt und wen es interessiert, der wird im Archiv genug ungewisses finden. Ob der Kommandant der Vitalienbrüder nun einen riesigen Schatz irgendwo versteckte, mit dem er sich von den reichen Hamburger Pfeffersäcken frei kaufen wollte, als es an sein Leben ging, wissen wir so wenig wie, ob die Geschichte stimmt, dass er ohne Kopf an seinen Vitalienbrüdern vorbei rannte und erst fiel als ihm der Henker ein Bein stellte oder vielleicht ein anderer und auch nicht, ob es stimmte, dass der Bürgermeister all den Vitalienbrüdern die Freiheit versprochen hatte, an denen Störtebeker noch ohne Haupt vorbei rannte.

Rechtlich wäre eine solche Begnadigung schwer zu begründen, warum soll einer nicht bestraft werden, nur weil sein früherer Chef ohne Kopf an ihm vorbei läuft und welcher Verdienst liegt in solch gespenstischem Verhalten?

Genauso der Sagenwelt gehören vermutlich die Geschichten an, dass der Schiffszimmermann, der die Reste von Störtebekers Schiff erwarb die Masten aus massiven Gold, Silber und Kupfer fand und daraus die goldene Krone der Hamburger St. Marien Kirche stiftete.

Auch die soziale Bruderschaft Vitalienbrüder gehört eher ins verklärt sagenhafte, mit dem einer zum Helden gemacht werden sollte, der einfach ein Seeräuber war und sich mit Gewalt nahm, was anderen gehörte, auch wenn sich mancher einfache Mann fragte, wie können die Kaufleute oder Bankiers solch verrückt hohe Gewinne machen, wenn sie für körperlich viel anstrengendere Arbeit nicht den kleinsten Teil davon erhielten.

Entstanden war die sogenannte Bruderschaft während der dänisch-mecklenburgischen Auseinandersetzung um die Krone Schwedens, wodurch sie auch Gotland lange als ihr Land hielten als Dank dafür, dass sie die dänische Blockade des Hafens von Stockholm umgangen oder durchbrochen hatten. Damals waren die Kommandeure vermutlich meist verarmte mecklenburgische Adelige, die sich durch den Einsatz für den Landesherrn Karriere erhofften.

Als sie Gotland nicht mehr hatten, keine ehrenvollen Aufgaben des Blockadebruchs anstanden begannen diese Selbstversorger alleine auf Kaperfahrt zu gehen, um ihr Überleben zu sichern. Die Frage danach, ob der Raub einer Kogge schlimmer war als die Spekulation mit  Getreide an der Börse, ist aus Sicht der Bauern verständlich - Handel aber ist legal und natürliche Folge der Herstellung von Produkten, Raub ist dagegen nie legal sondern immer die Wegnahme der Güter anderer mit Gewalt. Dabei die Frage nach der Berechtigung von Eigentum und seiner Begründung zu stellen, ist philosphisch hochinteressant, ändert aber nichts an den tatsächlichen Verhältnissen und warum einer sich nehmen dürfen soll, was einem anderen gehört, lässt sich schwer begründen.

Die Welt mag ungerecht sein, fraglich nur, ob sie gerechter würde, wenn wir diejenigen nicht bestrafen, die Reiche bestehlen und dafür nur jene, die es von den Armen nehmen, umgekehrt, wer von den Räubern mit den Armen teilte, Umverteilung praktizierte, straffrei ausginge nach dem Robin Hood Prinzip und schließlich, welcher Reiche sollte solch ein Justizsystem bezahlen wollen, welcher Zwang dazu wäre gerechtfertigt?

Manche illegale Räuber wurden idealisiert, zu ihnen gehörte auch der widerliche Antisemit Schinderhannes, der gewiss auch gutes bewirkte aber in seinen Vorurteilen Juden gegenüber, die er besonders gerne überfiel und quälte, späterer deutscher Politik  sehr ähnlich war.

Frachtschiffe, die durch den Suez-Kanal fahren oder durch bestimmte Gebiete um den Jemen herum und Afrika, brauchen heute Wachschutz, der Tag und Nacht mit Maschinengewehren auf der Brücke steht, um die Sicherheit zu gewährleisten. Es gibt wieder Piraten und lange fand ich das ein wenig romantisch, bis ich von Seeleuten hörte, wie es ist mit Bewaffneten an Bord zu fahren und wie dich die Angst wahnsinnig macht, bis ich einen 1. Offizier liebte, was die romantische Begeisterung auf der anderen Seite sehr reduziert und die Sorge irgendwelche Fanatiker könnten gerade ihr Schiff angreifen, sprengen wollen, fährt immer mit, wenn sie entlang von Afrikas Küsten fährt, wo die Menschen nichts zu verlieren haben und sich jede Tat lohnen kann. Wie gerecht und frei sind unsere Urteil über sittlich gebotenes Verhalten?

Ähnlich geht es mir bei den Banken - als ich dort arbeite und erlebte, wie Zahnarztpraxen einfach gepfändet wurden, ein Familienvater so auf die Straße gesetzt wurde, weil er mit den Zahlungen zwei Monate nicht nachkam, weil es in seinem Gebiet zu wenig Privatpatienten gab, zumindest keine mit Geld, der zu nett war, nicht hart genug, wie sie es nannten, warum sie vor der Mittagspause mal eben den Daumen über den kleinen Privatkredit senkten, während ich nach der Pause eine Etage höher in der Abteilung für die reichen Privatkunden arbeitete, wo alle hohen Richter betreut wurden, erlebte wie zwischen zwei Filialen der großen Bank mal eben ein zweistelliger Millionenbetrag beim Zocken verlorgenging, wollte ich schreien vor Wut und diese Verbrecher solche nennen. Dass ich dabei beim eigentlich sehr sozialen und sympathischen Direktor der Bank aus alter Familie mit großen Verdiensten wohnte, mit dessen Sohn ich befreundet war und der mich morgens mit seinem großen Wagen mit in die Bank nahm, gab meiner Systemkritik eine besondere Note. Dennoch musste ich mein Gewissen erleichtern und wir diskutierten mit dem Vater am Abend über die soziale Praxis der Bank und die realen Geschäfte. Und ich stellte fest, wie sehr, was ich für objektiv gerecht hielt, doch nur ein bloßes Gefühl war.

Schnell merkte ich, der Bank waren auch die Hände relativ eng gebunden, wann sie Kredite kündigen musste und durfte, wie sie mit Geld handeln durfte und wobei sie wirklich verdiente. Es gab eine reale Welt in der sie nüchterne Geschäfte mit bescheidenem Gewiinn machte und die seriös geführt wurden. Dann gab es eben noch, eine Etage höher das Devisengeschäft und damit wurde wirklich Geld verdient.

Natürlich braucht es auf einem Markt Banken, wer sollte auch sonst für das Geld sorgen, das für Geschäfte gebraucht wird?

Gibt es gute und schlechte Banken?

Dürfen wir die schlechten überfallen, die ihr Geld mit Spekulation an der Börse verdienen oder geht es uns nur so gut, weil ein Teil spekuliert während der andere ruhig seine Geschäfte macht?

Warum werden Bankräuber bestraft, während Bänker selten für ihre illegale Taten überhaupt belangt werden?

Inwieweit schützen wir systemrelevante Banken, damit anderen nicht geschadet wird?

War Putin ein Pirat als er die Krim raubte?

Sind Politker Piraten, die Volkseigentum verscherbeln, um Bankenschulden zu bezahlen, die Folge bloßer Spekulation sind?

Warum bekämpfen wir die armen Piraten aus Afrika militärisch, um den Handel zu schützen, während wir zugleich Milliarden an Entwicklungshilfe in dortigen Banken versenken?

War Englands Aufstieg zum Empire, aus dem das Commonwealth heute wurde, nicht das Verdienst von Piraten wie Francis Drake?

Auf welcher Piraterie fußt dann der Reichtum der City of London und wie würde angemessen darauf reagiert heute?

Die Grenzen verschieben sich je nach Betrachtung in Nuancen - ein Störtebeker, der Kreuzfahrer überfiele oder Containerschiffe würde hier schnell gejagt vom Staat, der auf ähnlich räuberische Art und Weise seinen Bürgern nicht mehr nur noch den Zehnten raubt, also lächerliche 10% sondern längst bei der Hälfte nicht aufhört, weil jedes Geschäft und alles irgendwie besteuert und kontrolliert wird und die Finanzämter unsere Konten alle ungefragt überwachen dürfen.

Sind die Finanzbeamten Piraten für Merkel wie es Drake für Elisabeth I. war?

Will darüber nicht letztlich urteilen müssen, doch sich fragen, warum wir die eine Bereicherung oder Erpressung für kriminell halten, während die andere uns als geboten erscheint, wir sogar all jene, die sich dieser Erpressung entziehen wollen, als asoziale  Kriminelle beschimpfen, könnte helfen, den Horizont zu erweitern und manche Grenzen verschwimmen lassen.

Verschwommene Grenzen vor aufgelöstem Horizont trüben nur scheinbar den Blick, im Gegenteil beweist die  Erkenntnis ob dieser Tatsache meist mehr Klarsicht als der gewohnte Trott.  Wagen wir es in den unscharfen Bereich politisch und finanziell vorzudringen, um die Grenzen zu verschieben, damit eine sittliche Bewertung möglich wird?

Welche Art der Geschäfte entspräche dem kategorischen Imperativ, wer handelt unsittlich und wie kriminell ist derjenige, der unsittlich ergaunerte Gewinne wieder raubt?

Warum haben wir eine Rechsordnung, die dem einzelnen diese moralische Entscheidung abnimmt und klar zwischen Räuber und Bankdirektor unterscheidet?

Haben wir ein Rechtsproblem oder eines mit der Gerechtigkeit?

Wem nutzt es - cui bono?
jens tuengerthal 22.4.201

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