Donnerstag, 31. März 2016

Kulturgeschichten 0175

Abendlandstoleranz

Pegiden und andere Rechtsradikale in Europa fürchten mit der Zuwanderung von Muslimen den Untergang des Abendlandes, den sie voller Angst beschwören, statt die Werte dessen zu vermitteln, um was sie fürchten, die ihnen aber meist nicht einmal bekannt sind. Fraglich erscheint eher, ob die befürchtete Intoleranz nicht eher ein Teil der abendländischen Geschichte ist, das sich gern als humanistisch, christliche Bastion gegen den bösen Islam präsentiert.

Der Islam ist schon lange Teil Europas und war es mit dem osmanischen Reich auf dem Balkan de facto bis ins 20. Jahrhundert hinein, ist es in den Köpfen der Gläubigen bis heute geblieben. Im lange maurischen Spanien lebten Muslime, Christen und Juden nebeneinander, zwar mit Vorteilen für die Muslime, was normal für die gerade herrschende Religion ist, aber mit relativ großer Toleranz in der Koexistenz, verglichen mit der zeitgleichen christlichen Intoleranz. Jedenfalls bis die Reconquista begann.

Gerne berufen sich die Rechtsradikalen und ihre Vordenker, die besser Hassprediger hießen, weil sie weniger denken als nur dumpfe Ängste zu beschwören, auf Karl Martell, den Großvater Karl des Großen, der einst in sagenhafter Zeit die Mauren in Südfrankreich zurückgeschlagen haben soll und damit Europa vor der weiteren maurischen Invasion bewahrte.

Doch so unklar ist, was wirklich damals passierte, ob der Hausmeier nicht einfach Glück hatte, die Mauren ohnehin nur eine kleine Expedition gestartet haben, sich sein Sieg eher den anwesenden Friesen verdankte, statt christlichem Mut nur feige Taktik gewann, ein überstürzter Aufbruch viele unklare Gründe haben konnte, diente die beschworene Angst eher immer der heimischen Propaganda als tatsächlicher Politik, denn im Handel und steten Austausch mit den Mauren standen die benachbarten Herrscher alle, was vielleicht auch die größere Toleranz und Offenheit derer von Navara noch erklärt, die mit Henry IV. auf den Thron gelangten, während die streng katholischen Anjous wie das Haus Lothringen Frankreich in verheerendere Glaubenskriege stürzten, lebten die Religionen im maurischen Spanien bis zur Reconquista relativ friedlich miteinander.

Die Verteidiger des Abendlandes in Spanien aber wurden vom Geist der Intoleranz getrieben, der die Reconquista zur Taufe mit dem Schwert machte und alle anderen tötete oder vertrieb. Einer der traurigen Gipfel dieser christlichen Intoleranz ist das am 31. März von Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon unterzeichnete Alhambra-Edikt, nach dem alle im Land befindlichen Juden zum Christentum konvertieren oder das Land verlassen mussten. Sie gaben den Juden eine Frist bis zum 31. Juli, bis zu dem sie entweder konvertieren oder Spanien verlassen haben mussten.

Mit dem Edikt wurde eine Bevölkerungsgruppe vertrieben, die teils  seit Jahrhunderten auf der iberischen Halbinsel ansässig war. Die unter massiven Druck zum Christentum bekehrten Conversos, die im Volk  auch verächtlich Marranen genannt wurden, galten der Inquisition als verdächtig insgeheim noch dem Judentum anzuhängen. Deren gute christliche Gesinnung wurde ständig von den Inquisitoren überprüft und wer sich der Häresie verdächtig machte und dafür im Inquisitionsverfahren der Häresie überführt worden war, wurde häufig zum Feuertod verurteilt und bei den sogenannten Autodafés öffentlich verbrannt. Dabei urteilte die Inquisition nur über konvertierte Christen, nicht über Juden. Dahinter stand das rassistische Konzept der Limpieza de sangre, spanisch für die Reinheit des Blutes, mit dem sich die Altchristen von den Neuchristen oder Conversos abgrenzten, die muslimische oder jüdische Vorfahren hatten. Stets von der Inquisition verfolgt, standen sie im Verdacht des Judaisierens und höhere kirchliche oder staatliche Ämter waren ihnen so verschlossen, wie sie in angesehenen Institutionen nicht zugelassen wurden.

Schon 1460 hatte Alonso de Espina, ein Franziskanermönch, der Beichtvater Heinrichs IV. war, in seiner Schrift Festung des Glaubens alle Coversos unter Generalverdacht gestellt, weil der Übertritt zum Christentum nicht echt sein könne und Glaube nur auf biologischem Wege vererbt würde. Darum war Hauptanliegen der Inquisition, die auf Drängen des Beichtvaters von Isabella von Kastilien eingeführt wurde, zu überprüfen, ob die Zwangstaufen zu einer echten Bekehrung geführt hatten. Welch grauenvolle Prüfung der Gesinnung aus gut christlicher Überzeugung. Der Aberglaube nur Blutreinheit garantiere den echten Glauben setzte sich im 16. Jahrhundert immer mehr durch und bestimmte so den Zugang zu allen wichtigen Institutionen und Ämtern. Dazu wurde ein genealogischer Nachweis altchristlicher Abstammung als Voraussetzung verlangt, auch etwa von den Ammen am Königshof und wer diesen nicht erbringen konnte, galt als unrein oder befleckt, wurde damit stigmatisiert. Eine rassistische Lehre im Aberglauben, die an die Nürnberger Gesetze der rassistischen Nazi Herrschaft erinnern, wenn auch deutliche Parallelen zu erkennen sind.

Die rassistische Lehre wurde aber praktisch häufig durch Bestechung umgangen und seltener konsequent durchgeführt, zumal es auch adelige Familien gab, die von Conversos abstammten. Die strengen Statuten erfuhren jedoch auch Kritik, so von Papst Nikolaus V., der sie für ungültig erklärte und dies mit dem Römerbrief des Paulus begründete, wonach es vor Gott kein Ansehen der Person gäbe und auch Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, in dessen Reihen einige Conversos waren, stellte sich den Statuten entgegen und König Philipp II. versuchte sie sogar Ende der 1580er abzuschwächen, um seine Conversos, die als Berater am Hof tätig waren, zu schützen. Dennoch bestand die Lehre von der Blutreinheit fort und wurde auch auf die spanischen Kolonien übertragen, nach der auch die Indios als befleckt galten und entsprechend behandelt wurden bis zu ihrer Ausrottung. Noch im 19. Jahrhundert bemerkte Alexander von Humboldt, dass es in Spanien eine Art Adelstitel sei, nicht von Mauren oder Juden abzustammen und in den Kolonien die Hautfarbe bestimme, welchen sozialen Rang einer einnehmen könne. Das Konzept der Blutreinheit wurde so zur dauernden Diskriminierung aller Menschen mit afrikanischer Abstammung genutzt. Dabei galt in den Kolonien jedoch, dass der Nachweis der Blutreinheit auch käuflich war und so die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse erworben werden konnte. Was an Görings Worte, wer Jude ist, bestimme ich ein wenig erinnert.

Erstmals abgeschafft wurde das Gebot der Blutreinheit 1811, dann jedoch durch den nachfolgenden König wieder strenger gehandhabt und erst 1865 endgültig abgeschafft. Die Statuten zur Blutreinheit gelten als erstes rassistisches Gesetz, das die Diskriminierung nicht nur an der Religionszugehörgkeit festmachte, sondern an die rassische Abstammung anknüpfte. Dennoch lässt sich eine direkte Parallele zu den teils ähnlichen Nürnberger Gesetzen historisch nicht nachweisen, zumindest war der Wahnsinn vom gleichen Geist getragen.

Das Alhambra-Edikt wurde erst 1968 anlässlich der Einweihung einer Synagoge in Madrid für unwirksam erklärt. Doch dauerte es noch bis zum 1. April 1992 bis König Juan Carlos I. es unwiderruflich außer Kraft setzte und im selben Jahr erst verabschiedete das spanische Parlament ein Kooperationsabkommen, mit dem das Verhältnis des spanischen Staates zu den jüdischen Gemeinden geregelt wurde. Dabei hatten Juden schon seit der Antike und weit vorchristlicher Zeit in Spanien gelebt, doch war es schon vor dem Einfall der Mauren zu zahlreichen Zwangstaufen und Vertreibungen gekommen. Insofern hatte die jüdische Bevölkerung die muslimischen Eroberer zunächst begrüßt und sogar einen geschützten Sonderstatus erhalten, der zur Blüte von Handel und Wissenschaft in den jüdischen Enklaven führte. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts endete mit der Herrschaft der Almohaden die muslimische Toleranz und es kam zu Zwangsbekehrungen und Vertreibungen, warum viele Juden zunächst in den christlichen Norden nach Kastilien oder Aragon flohen.

Der im Januar 1492 errungene Sieg über die Mauren und der Untergang ihrer letzten Bastion der Alhambra war Ergebnis eines zehnjährigen kostspieligen Krieges. Finanziert wurde dieser Krieg maßgeblich durch die beiden jüdischen Magnaten und Berater von Ferdinand und Isabella, Isaak Abravanel und Abraham Senior. Obwohl die beiden intervenierten galt das Edikt auch für die beiden Finanziers des Krieges. Abravanel weigerte sich zu konvertieren und verließ Spanien, während Senior kapitulierte und sich mit 81 taufen ließ.

In der Begründung des Edikts unterschied sich Kastilien von Aragon insofern, dass Aragon ehrlicherweise wirtschaftlich moralische Gründe anführte, wonach christliche Güter von Wucherzinsen aufgefressen wurden, woran das letztlich machtpolitisch primitive Vorgehen deutlich wird. Das Königshaus wollte sich von seinen Schulden befreien und verkleidete es in ein religiöses Mäntelchen.

Wieviele Juden Spanien tatsächlich verließen, ist strittig, da keine exakten Zahlen vorliegen, so wenig wie zur exakten Zahl der Konvertiten, da es keine Quellen dazu gibt. Nach Schätzungen waren es zwischen 120.000 und 300.000 sephardische Juden, die Spanien verließen, was bei einer Bevölkerungszahl von damals etwa 850.000 schon deutlich über 30% der Bevölkerung läge. Viele  ließen sich zunächst in Portugal nieder, was ihnen aber auch nur vorübergehend bis 1497 Schutz  gewährte.

Der größere Teil jedoch zerstreute sich nach Nordafrika, in die Levante, wo ihnen der osmanische Sultan Zuflucht gewährte, und fand in Griechenland vor allem in Saloniki eine neue Heimat. Einige gelangten auch nach Italien, wo die Aufnahme unterschiedlich war. Während in Sizilien und Sardinien, die zu Spanien gehörten, das Edikt genauso galt, nahmen die Medici sie, als Mailand auch an Spanien fiel, mit offenen Armen auf und gewährten ihnen in Livorno volle Gleichberechtigung mit allen Nationen, sie durften Waffen tragen, erhielten volle Religionsfreiheit, durften Geschäfte eröffnen und Handel betreiben. Dies war so attraktiv, dass die jüdische Bevölkerung Livornos von 140 auf über 3000 anwuchs. Venedig tolerierte die Juden und erweiterte ihr Ghetto zur Aufnahme der Sepharden. Die Renaissance Päpste unterstellten die Juden dem Schutz der Kirche, warum sich zahlreiche in Rom und Ancona ansiedelten. Kleine Gruppen von Sepharden gelangten auch nach Amsterdam und Hamburg.

Der Markt in Spanien wurde infolge der kurzfristigen Ausweisung mit Gütern und Immobilien überschwemmt und die Preise verfielen. Andererseits fehlten plötzlich ganze Sektoren des Wirtschaftslebens, die vorher von Sepharden betrieben worden waren. Es fehlten die  Steuereintreiber und Kapital zur Finanzierung von Militär und Wirtschaft wie eines luxuriösen Lebensstils, ganze Branchen verfielen dadurch. In den Städten fehlten plötzlich die sephardischen Ärzte und Handwerker, die Diplomatie war ohne die Sprachkenntnisse und vielfältigen Kontakte der Sepharden in ganz Europa nahezu aufgeschmissen. Dem spanischen Staat blieb eine weitgehend reinrassige Oberschicht, die nicht arbeiten durfte, um Zugang zu Orden zu finden und eine arme ungebildete Schicht von Bauern und Besitzlosen. Durch die Vertreibung der Sepharden brach die dynamische Mittelschicht völlig weg. Diese ökonomische Katastrophe konnte nur durch den Import von Unmengen Gold aus den Kolonien ausgeglichen werden, der aber jede seriöse ökonomische Basis fehlte, die nur auf Ausbeutung ging, keine Perspektive hatte.

Neben der Ökonomie litten auch Kultur und Wissenschaft unter dem Aderlass, der wenig zurückließ und die besten Köpfe vertrieb. Die jüdische Mystik der Kabbalah wurde durch die Vertreibung aus Spanien, wo sie nur einigen internen Zirkeln bekannt war in ganz Europa verbreitet und in unserer Zeit sogar zur spirituellen Mode, der manche Madonna anhängt. Um die geistige Haltung der Konvertiten zu kontrollieren, baute die Inquisition ein Heer von Spitzeln auf, was zu totaler Kontrolle und verbreiteter Angst und Lähmung führte, wie in allen totalitären Staaten, es herrschte mehr Misstrauen als Vertrauen und jede Innovation wurde durch diesen rassistischen Katholizismus ausgebremst. Spanien hatte sich damit selbst entleibt und seinen Reichtum nachhaltig zerstört. Überlebt hat es nur durch den Reichtum der Kolonien und es fragt sich, warum Rom nicht mit ähnlicher Härte gegen die Spanier vorging wie gegen manche deutsche Kaiser aus weit geringeren Anlässen, warum der Vatikan von seiner Mitschuld auch nicht freizusprechen ist.

Verstehe nicht, warum ein Volk so lange einer solch totalitären Gesinnung im Aberglauben hinterherlief. Ob es die Angst war, nochmal von den Mauren überfallen zu werden, die den Gesinnungsterror tolerieren ließ?

Das Haus Habsburg, das auch zu lange im Heiligen Römischen Reich regierte, ist spätestens seit Karl V. mit dieser bigotten Tradition der Scheinheiligkeit aus rassistischen Motiven aufs engste verknüpft, eigentlich schon seit der Hochzeit seines Vaters mit Johanna der Wahnsinnigen. Was sie auf dem Balkan hinterließen, wird Europa noch viele Jahre beschäftigen. Für Spanien gaben sie die Verantwortung zwangsweise ab, nachdem zu lange Inzucht jede Entwicklung lähmte. Auch die Bourbonen brauchten bis in unsere Zeit, sich vom Rassismus der Vorgänger zumindest formal zu distanzieren. Was die Inquisition in Spanien und den Kolonien anrichtete, hat eine Kultur gelähmt und viele zerstört und auch wenn es mangels industrieller Präzision und Zuverlässigkeit nicht so effektiv vernichtete wie Deutschland es unter Hitler tat, starben doch im Verhältnis genug und die Vertreibung von ⅓ der Bevölkerung hat aus der iberischen Halbinsel über lange Zeit einen Sozialfall gemacht. Ein fehlender Mittelstand, eine in Unfreiheit beschränkte Bevölkerung, die einer autoritären Sekte hörig gemacht wurde, welche sich nicht davor scheute, öffentlich zu töten, um dies als Kult zu zelebrieren, haben echte kulturelle Entwicklung und geistige Innovation lange verhindert.

Im spanischen Bürgerkrieg flammte ein wenig der Hoffnung auf, Spanien hätte den totalitären Staat überwunden und sich von seinen üblen Wurzeln getrennt. Ferdinand und Isabella, die Großeltern des für Europa so wichtigen Karl V., haben mit dem Alhambra Edikt der Intoleranz einen Staat gegeben, der bis heute mit den Folgen zu kämpfen hat. Die Kolonialisierung Amerikas und die Vernichtung der dortigen Kulturen zeugt auch bis heute vom Geist der Intoleranz, der keinen Frieden findet und noch immer wirken die alten rassistischen Eliten in den ehemaligen Kolonien weiter.

Ob die kurzzeitige Kolonialisierung des FC Bayern unter spanischem Zepter mit gravierenden Folgen ohne positives Ergebnis außer dem für diese Kicker gewöhnlichen auch für die fortbestehende spanische Intoleranz zeugt, die nichts neben sich gelten lässt und die nur erfolgreich in starren Sytemen wie dem spanischen Hofzeremoniell ist, mag dahinstehen, zumal der fragliche Pep Guardiola sich lieber nicht als Spanier sieht, sie ist jedenfalls weniger Zeichen von Innovation und Freude als von langweilig ewiger Zuspielerei ohne die wilde Lust, die es beim Fußball auch braucht. So gesehen erstarrte die Leidenschaft der Bayern im spanischen Hofzeremoniell und es ist wohl gut, davon endlich Abstand zu finden, um der Leidenschaft ihren natürlichen Raum zu geben, warum vielleicht wirklich ein Jürgen Klopp besser nach München passt als der formale eben doch spanische Perfektionist Pep, auch wenn er sich gern als baskischer Seperatist präsentiert. Der Geist der Inquisition, von Kontrolle und Misstrauen greift tiefer ins Wesen als es auf den ersten Blick möglich schien und wirkt so länger, als je geahnt.

Die Reconquista und ihr krönender Abschluss das Alhambra-Edikt im Rahmen der geltenden Statuten zur Blutreinheit ist kein Vorbild für Europa und seine Befreiung vom Islam, wie es manche AfD nahe Leitartikler der FAZ uns nahelegen wollten, die dümmlich historisch verfehlt von der Verteidigung Europas tönten, sie ist eine üble rassistische Bewegung gewesen, für die sich Spanien und Europa ähnlich schämen sollte wie für den Holocaust. Die Inquisition war eine Gestapo und Stasi vergleichbare totalitäre Organisation, die bis in das Denken der Menschen greifen wollte und dabei vor Mord im Namen Gottes nicht zurückschreckte.

Ist dies das Abendland, das es vor muslimischen Flüchtlingen, die hier Schutz suchen, zu verteidigen gilt?

Die Nürnberger-Gesetze Spaniens verdienen so genannt zu werden, nur dauerte der Gesinnungsterror in Spanien nicht nur 12 Jahre wie in Deutschland sondern 500 Jahre bis zur endlich Aufhebung, doch noch ohne den nötigen radikalen Bruch mit einer beschämenden Vergangenheit, auf die es keinen Grund gibt stolz zu sein.

Zumindest das hatte der größte Teil der Westdeutschen bis 1990 verstanden gehabt, in der DDR war ja dank des formalen Antifaschismus, niemand verantwortlich und die untergegangene totalitäre Diktatur der Spießer beruft sich gerne noch in ihrer Nachfolgeorganisation, die immer noch parlamentarisch ist, auf diese Tradition als Entschuldigung für alles und Rechtfertigung dafür den Staat Israel zumindest verbal anzugreifen. Bis zur Einheit hätte ich gesagt, wir können den Spaniern zeigen, wie sie sich ihrer Geschichte selbstkritisch stellen, denn Grund stolz zu sein auf diese 500 Jahre haben sie so wenig wie wir auf deren 12. Heute, wo Populisten ohne Ziel und Verstand mit rassistischer Angst wieder zu viele Stimmmen ergaunern können, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Mit dem totalitär aufgewachsenen Teil der Deutschen haben wir auch die Sehnsucht nach einfachen Antworten wieder gewonnen, die noch nicht in der Demokratie ankamen.

Können Völker diese Neigung zum Totalitären je überwinden?

Was kann kritisches Denken wecken, dass die Formeln der Propaganda durchschaut?

Wie schnell ertönt nach den nächsten Attentaten der Islamisten wieder den Ruf nach dem starken Staat, der sich auch totalitär zu Wehr setzt?

War nicht bekannt, dass alle bisher bekannten islamistischen Attentäter vorher polizeibekannt waren?

Von allen 16 islamistischen Attentätern sind 14 Täter vorher bekannt und überwacht gewesen, die meisten sind tot, die übrigen lebten in einem Millieu, das geheimdienstlich ohne Wirkung bewacht wird, wie wir es von den Diensten, diesen teuren Versagern, kennen. Eine relativ überschaubare islamistische Szene könnte, so der Wille dazu vorhanden wäre, leicht polizeilich überwacht werden. Wer Attentate verhindern möchte, statt die Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen, muss hier zugreifen und konsequent ermitteln und handeln.

Wir leben wieder in einer Welt der Überwachung und des Misstrauens wieder. Schlimmer und weiter noch als die Stasi überwachen BND und andere Dienste uns alle längst. Das Netzt wird gefiltert, alle mobilen Telefonate werden via 0049 Vorwahl als Auslandstelefonate deklariert und dürfen damit ganz legal mitgeschnitten werden von unserem Auslandsgeheimmdienst.

Hat die Überwachung und das Misstrauen gegen alle Bürger auch nur eine Tat verhindert?

Wurde durch Vorratsdatenspeicherung irgendein Islamist überführt?

Spanien hat uns wie der Nationalsozialismus und die DDR gezeigt, totalitäre Diktaturen lassen die Menschen in ihnen verblöden. Keines der Systeme hat mit der Überwachung sein Ziel erreicht. Spanien hat sich über 500 Jahre damit geschadet. Deutschland ging nach 12 Jahren unter, zerbrach und wurde mancher seiner Teile beraubt beim großen Landtausch. Die DDR ging unter, weil die UDSSR sie fallen gelassen hat, weil sie zu keiner Innovation mehr fähig war, weil, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt hat zwar auch nur den halben Spaß, aber darum geht es hier ja nicht.

Ein toalitär verwaltetes Volk, das sich von Propaganda verführen lässt und lieber mehr Überwachung hätte für eine Sicherheit, die es nie geben kann, ist bereits zu verblödet, sich selbst zu befreien, fürchte ich fast. Nur was bleibt uns dann noch als Alternative?

Aufklärung und Freiheit sind der Schlüssel zur Verantwortung, nehmen wir ihn endlich wieder so in die Hand, wie es einem Kant würdig wäre. Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit heißt, erkennen, wann wir entmündigt werden, wo die staatliche Kontrolle ins totalitäre kippt, dies scheint mir dringender als je - nie waren wir so gut überwacht, nie kümmerten wir uns so wenig darum, was uns an Freiheit bleibt aus Angst.

Das Abendland, welches Spanien autoritär rassisitisch gegen den Islam verteidigte ist der Erhaltung nicht wert. Es ist ein stumpfsinniges, selbstbezügliches System und es ist dabei egal, wie dumm ich den Islam finde, wir fremd mir jeder Aberglaube ist. Der Rechtsstaat hat und braucht keine Götter. Er hat Normen und ordnet das Zusammenleben. Jeder Hokuspokus ist ihm fremd. Das Abendland der Aufklärung, der Renaissance und der Menschenrechte, wäre es wert gegen diese mittelalterliche Sekte verteidigt zu werden nur nie mit den Methoden der Reconquista sondern allein in Freiheit oder nie.
jens tuengerthal 31.3.16

Kulturgeschichten 0174

Aufstandsvertreibung

In der Ukraine wie in Syrien beobachten wir gerade Flucht und Vertreibung und der türkische Sultan hat es geschickt verstanden, den Strom der Flüchtlinge nach Europa vor allem nach Deutschland weiter zu leiten, um sich dessen wieder Ende teuer bezahlen zu lassen, sagen nüchterne Betrachter von außen.

Anders klingen die Berichte derer, die mit Syrern sprachen und über ihre Hoffnung auf Rettung nach dem Bürgerkrieg, ihre Sehnsucht nach Frieden und ihre große Dankbarkeit. Die hoffen hier eine neue Heimat zu finden, mithelfen wollen Deutschland erfolgreich zu machen und daran fleißig teilnehmen wollen.

In der Ukraine kümmerte sich Rußlands Präsident Putin mit sehr handfesten militärischen Argumenten um seine Landsleute dort nachdem die rußlandfreundliche eine oligarchische Regierung durche eine amerikafreundliche und finanzierte Gruppe durch den inszenierten Volksaufstand am Maidan vertrieben wurde.

Hier unterscheiden sich die Berichte beider Seiten über das, was tatsächlich im Krieg geschah, wer kämpfte und ob es ein Bürgerkrieg war oder ein kolonialer Kampf eher, bei dem sich Russland und die USA mehr gegenüberstanden als die Ukrainer, die dort aufeinander einschlugen blind vor Nationalismus in einer lächerlichen Angelegenheit, getrieben von der jeweils Angst vor Vernichtung, zum einen durch Julia Timoschenko, die dies sogar wörtlich ankündigte, zum anderen durch den Kreml, der mehr oder weniger verdeckt seine Elitetruppen dort agieren ließ, die Krim bereits annektiert hatte.

In Syrien wehren sich verschiedene Revolutionstruppen gemeinsam mit dem IS, mit dem keiner etwas gemeinsam mehr haben möchte, gegen Assad, der mit Russland gegen den IS und die Revolutionstruppen uneiniger Provinienz kämpft. Wohin wendet sich das syrische Volk, wenn es Frieden will, genug hat von Krieg und Besetzung und nicht in Lagern oder im rettenden Norden längst lebt?

Wann steht ein Volk auf und wehrt sich, was löst dies aus?

Am 30. März 1282 brach in Palermo zu Beginn der Vesper am zweiten Osterfeiertag der Aufstand gegen die Herrschaft von Karl I. von Anjou aus. Die sogenannte sizilianische Vesper führt in den folgenden Tagen zum Tod aller 8000 Franzosen auf der Insel und zur Vertreibung aller übrigen. Als König wird infolge Peter III. von Aragon eingesetzt, der sich mit der Zeit auch auf dem ländlichen Teil Siziliens um Neapel durchsetzt, das damit spanisch regiert wird.

Wie kam es zu diesem Volksaufstand?

Die Franzosen waren bei den stolzen Sizilianern verhasste Besatzer nach den sehr geschätzten Staufern, die als Erben der Normannen galten, die anerkannt waren, weil sie als mutige Krieger siegten. Die südliche Insel war schon immer eigen. Hier trafen Griechen auf Römer und Afrikaner, Muselmanen lebten neben Christen und unter den Staufern in einem Geist relativer Toleranz zusammen. Dem Papst hatte schon das Erbe Siziliens durch Konrad nicht gepasst gehabt, den Vater Friedrich II., der die Tochter des Normannenkönigs Roger geheiratet hatte, weil sich der Vatikan plötzlich in seinen Besitzungen und seiner weltlichen Herrschaft, die nur durch eine gefälschte Urkunde und viele Lügen garantiert war, durch die Herrschaft der deutschen Kaiser umfasst sah und fürchtete von diesen im Falle eines Streits einfach besetzt zu werden.

So hatte der Papst die Pläne des Bruders des französischen Königs, eben jenem Karl, unterstützt gehabt König von Sizilien statt Konradin des Erben von Friedrich II. zu werden, den dieser eingesetzt hatte. Dazu gab es Streit und doch hatte sich Karl auch mit militärischer Kraft durchgesetzt und später sogar den anderen Sohn Friedrichs II. Maximilian verdrängt und geschlagen, der für Konradin den italienischen Besitz als Vizekönig verwalten sollte. Doch beliebt war der Franzose und seine Ritter, die sich auf das päpstliche Lehen beriefen, nicht bei der Bevölkerung. Im Gegenteil, ein neues Steuersystem, eine scheinbar effektive Verwaltung und das herrscherliche Gebaren der französischen Ritter und Truppen auf der Insel machte sie unbeliebt.

Als ein französischer Offizier die Frau eines Sizilianers auf dem Platz vor der Kirche in Palermo anmachte, wo die Menge auf die Vesper wartete, brach schnell ein Streit aus und der Franzose hatte ein sizilianisches Messer schneller im Rücken als er laufen konnte und diejenigen, die ihm helfen wollten, wurden gleich mit umgebracht. 8000 tote Franzosen in wenigen Tagen, zeugen von der angestauten Wut der stolzen Sizilianer, die ihren Kaiser Friedrich II. geliebt hatten und die Schwaben lieber wollten, als die päpstlichen Franzosen.

War es wirklich nur Volkes Wut oder viel mehr gelenkt?

Lassen wir uns nicht täuschen, es war dies nicht einfach ein zufälliger Volksaufstand, in dem sich sizilianischer Männerstolz entlud, auch wenn es, dem, der die Insel und ihre Bewohner kennt, oder Thomasi de Lampedusas großartigen Leoparden las nicht wundern würde, wenn es so wäre, war dies ein von langer Hand aus Byzanz und Spanien inszenierter Aufstand, bei dem es um viel mehr ging als nur die Krone Siziliens.

Karl von Anjou hatte große Pläne im Mittelmeer, wollte als König von Jerusalem auch Konstantinopel erobern, die Kirche unter katholischem Banner einen, das Haus Anjou zum Herrscher über den ganzen Mittelmeerraum machen, in dem er schon einige selbst hatte von Tunis bis ins Heilige Land. Dies geschah noch in Übereinstimmung mit dem Papst, zumindest mit dem gerade Papst Martin, dessen Nachfolger sahen es schon wieder kritischer und nachdem Peter III. von Aragon auch die Flotte Karls versenken ließ, konnte dieser seinen Nachfolger in Sizilien nicht mehr daran hindern, das Königreich Neapel zu erobern und damit König beider Sizilien zu werden. Der als künftiger römischer Kaiser angetretene Karl war gescheitert und fiel schließlich im Kampf. Sizilien blieb spanisch bis 1703, als es infolge der Regelungen nach dem spanischen Erbfolgekrieg, der das Haus Bourbon auf den spanischen Thron brachte, wo es heute noch sitzt als letzte Herrschaft der Franzosen, sehen wir von schwedischer Verwandtschaft ab, als das Haus Anjou bereits lange in männlicher Linie ausgestorben war und auch in England nicht mehr herrschte.

Der vermeintliche Volksaufstand stolzer sizilianischer Männer, die ihr Frauen gegen die Anmache der Franzosen verteidigten, war nur das vorgeschobene Mittel eines von langer Hand aus Spanien und Byzanz organisierten und finanzierten Aufstands, der das gewünschte Ergebnis hatte, den Franzosen abzusetzen und dessen Pläne im Mittelmeer zu vereiteln.

Was sizilianische Vesper noch heute heißt, war also vermutlich eher ein gesteuertes Gemetzel konkurrierender Herrscher, bei dem nur die Gelegenheit genutzt wurde. Mangels bekannter Pläne dieser geheimen Aktion von Peter III. und seinem Kollegen in Byzanz, kann nicht genau rekonstruiert werden, ob der Aufstand nach der angeblichen Belästigung durch den Franzosen in Palermo, wie geplant verlief oder doch zu früh ausbrach, echter Volkszorn nur genutzt und kanalisiert wurde. Jedenfalls lief es so geordnet und geplant ab, dass die Spanier zumindest geschickt die Situation zu nutzen wussten, die Provokationen über Monate vorab sofortige Wirkung zeigten.

Betrachten wir, dass nach dem spanischen Erbfolgekrieg Habsburg Sizilien erbte, zeigte sich eine fortgesetzte Kontinuität mit den Erben der Schwaben, die als Staufer dort den Normannen gefolgt waren, denn Peter von Aragon war mit Konstanze der Tochter Manfreds von Sizilien verheiratet, den sein Vater Friedich II. noch auf dem Sterbebett legitimiert und anerkannt hatte. Die spanische Krone war später aus der Vereinigung der Häuser Aragon und Kastilien entstanden, unter Ferdinand und Isabella, deren Tochter Johanna, die angeblich Wahnsinige, dann Philipp den Schönen heiratete, den Sohn von Kaiser Maiximilian I., dem letzten Ritter, womit sich der Kreis von den Staufern zum Haus Habsburg schließt, das dann erst im Risorgimento vertrieben wurden, auch wenn sich sogar damit in Sizilien nicht viel änderte. Wie es bei Lampedusa der alte Leopard von seinem jungen Neffen Tancredi hören muss, der bei den Revolutionären mitwirkt, die sich wieder auf die 600 Jahre frühere Sizilianische Vesper zu  Unrecht beriefen, die nur einen Fremdherrscher durch einen anderen von außen gesteurt ersetzte: “Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.” Manche sagen. so verhielte es sich in Sizilien bis heute und es fragt sich nur, wer wen heute für was umbringen würde. In der berühmten Verfilmung Viscontis spielt übrigens Burt Lancaster den alten Leoparden während der ganz junge und schlanke Alain Delon den revolutionären Neffen gibt in diesem wunderbaren Sittenbild Siziliens, das die sizilianische Vesper erst verständlich macht bis heute.

Jenseits von Sizilien und der dortigen inszenierten Revolution, die nur fernen Beobachtern noch wie ein Ausbruch des Volkszorns stolzer Sizilianer erscheint, sehen wir die inszenierte Revolution auf dem Maidan, die von der CIA gesteuert und finanziert wurde, während Russland die Gegenseite unterstützte und über den Gashahn noch die Macht im Lande hatte, auch ohne die Krim. Bei beiden Aufständen ging es um Macht und viel Geld, die Weltherrschaftspläne eines Karl von Anjou sind denen mancher amerikanischer Präsidenten nicht unähnlich und auch die feuchten Träume des kleinen KGB Manns Putin, der groß wurde, von russischer Größe wachsen auf dem selben Mist, der nichts mit den vorgegebenen Gründen der je Aufstände zu tun hat. Es geht um viel Geld bei der Gasrechnung, enttäuschte Freundschaften und letztlich Macht über einen Raum, in dem die agierenden nur Schauspieler sind, die sich eben totschießen oder abstechen, wenn es der Sache dient.

Vieles hat sich in den letzten 800 Jahren nicht geändert beim Kampf um Macht und Vorherrschaft. Die Demokratie, die als Herrschaft der Parteien, die der Familien abgelöst hat, ändert nur vorgeblich etwas, an den Strukturen in denen Herrschaft wirkt und agiert. Ein wenig änderte sich durch die Teilhabe von Frauen an der Herrschaft, doch sollten wir auch dies nicht überbewerten, denn sogar solch legendäre Königinnen wie Elisabeth I. oder Victoria bewegten nicht wirklich etwas, was die Bedingungen von Macht und Herrschaft betraf, sondern machten wie Merkel auch nahezu das gleiche wie die Männer vor ihnen, was auch für eine Hillary in den USA gelten wird.

Der Blick auf die sizilianische Vesper zeigt wie Gerüchte wirken können und sich die geschicktesten Spieler der Macht hinter Volksaufständen verstecken, von denen sie sich an die Macht tragen lassen, als seien sie irgend Erlöser. Wie es Tancredi Falconieri zum Leoparden sagte, “Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.”

Hoffen wir, dass während dieses Prozesses der Veränderung in Osteuropa und im arabischen Frühling nicht mehr so viele Menschen sterben müssen, damit alles bleibt, wie es ist im Schatten der scheinbaren Veränderungen. So fragt sich, ob der überzeugte Reaktionär Davila, den Martin Mosebach so kongenial in der Anderen Bibliothek übersetzte, nicht manchmal weiser ist mit seinen Aphorismen als manche heutige Revolutionäre, die meinen die Welt und ihren Lauf erkannt zu haben.

Weiß es nicht, wie ich überhaupt sehr wenig weiß, ehrlich gesagt, doch scheint mir beim Blick in die Geschichte manche Konstellation und Methode eher für Kontinuität als für  Überraschungen zu sprechen, warum wir uns in Europa langsam ernsthaft fagen sollten, was wir alles neu machen müssen, damit alles bleibt, wie es ist, denn wer sollte schon etwas ändern wollen in der eigentlich bisher besten aller Welten?
jens tuengerthal 30.3.16

Dienstag, 29. März 2016

Kulturgeschichten 0173



Nibelungenherzig

Treue und Zuverlässigkeit sind wichtige Faktoren in der Bündnispolitik, auch wenn diese nach gusto immer wieder ausgelegt wurde, die Erbfeindschaft zur Erbfreundschaft wurde, während treueste Partner zu bösesten Gegnern plötzlich werden, gilt doch, eine Regierung kann nur solange erfolgreich sein, wie sie die für ihre Macht Verantwortlichen davon überzeugen, dass sie sich selbst treu und zuverlässig ist.

Solange diese nur sich selbst oder einem sie einsetzenden Monarchen verantwortlich war, konnte sich da noch erfolgreicher belogen werden, als in einer offenen Demokratie mit freien Medien als vierter Gewalt. Staaten, die Medien kontrollieren wollen und totalitäre Macht ausüben, scheitern meist schnell spätestens an der Eitelkeit und Dummheit ihrer Machthaber. Schade ist es nur um die, die es auf dem Weg erwischt.

Ein lächerlicher Sultan vom Bosporus, der meint sich wie ein türkischer Großonkel  aufspielen zu dürfen, mit seinen vorgestrigen Vorstellungen von Demokratie und seinem mittelalterlichen vom islamischen Aberglauben geprägten Frauenbild, macht sich mit seiner Einbestellung der Botschafter nur lächerlich. Er hat es nicht verstanden und wird über kurz oder lang über die sich selbst gestellten Fallen der Untreue wohl stolpern, sobald ihm die hysterische Kontrolle entgleitet, er nicht mehr als Flüchtlingsauffangbecken noch ein wenig gebraucht wird. Noch jubeln ihm konservative Türken zu, die nicht verstanden haben, dass die Zeiten sich änderten und denken das neue Chauvitum aus Ankara sei ein Erfolgskurs, doch macht sie das auf Dauer nur noch lächerlicher und auch 5000 seit dem Sommer getötete Kurden weisen nur auf die fehlende Kultur dieses geistig provinziellen Anatolen hin. Die Türkei beweist jeden Tag aufs neue, dass sie nicht nach Europa gehört, der erdogansche Islam mittelalterlich blieb und nicht integrierbar ist, was gut so ist und zumindest die Verhältnisse klärt, auch wenn wir ihn gerade ein wenig bezahlen, um nicht die rechten Populisten in Europa weiter zu stärken, die sonst Putin mit russischem Öl finanziert.

Wer sich aufspielt, weil er sich mächtig und gebraucht fühlt, ohne die Spielregeln der Demokratie verstanden zu haben, wird vor ihren Toren verhungern, wenn es um seine Existenz geht. Ankara drängt nach Europa und fordert Treueeide der NATO im Kampf gegen die Kurden und doch bekommt der nach Bedeutung so gierige, seinem Wesen nach nur noch lächerliche, türkische Pascha, wenn es irgend geht, eine Abfuhr nach der anderen, weil sich keiner, wenn er es vermeiden kann, mit diesem hässlichen Schmuddelkind zeigen will. Obama empfängt ihn nicht, Merkels Kurs zur Türkei ist bekannt und daran werde auch kruzfristige Zugeständnisse zur Krisenbewältigung nichts ändern.

Ankara hat keine treuen Freunde in der NATO und nicht in der EU, nur skeptische Beobachter, die es sich selbst lächerlich machen lassen, um unnötiger diplomatischer Verwicklung zu entgehen. Es hat auch keine Freunde in der arabischen Welt, hat Israel vergrault, die Kurden sich zu ewigen Feinden gemacht wie die Versöhnung mit den Armeniern immer wieder verhindert. Dies kleine Turkvolk ist isoliert mit vorgestrigen Anschauungen nicht zukunftsfähig, hat auch noch Streit mit dem russischen Potentaten angefangen und kann mit keinem Zuspruch mehr rechnen, vielmehr fragen sich eher alle, wann er endlich fällt, der lächerliche Sultan.

Wenn Treue ewig sein soll sprechen wir gern von der Nibelungentreue, oft  ohne zu wissen, was es damit auf sich hat. Am 29. März 1909 verlas der deutsche Reichskanzler Bernhard von Bülow eine Rede vor dem Reichstag, in der sich das Deutsche Reich demonstrativ hinter die umstrittene Annexion von Bosnien-Herzegovina durch Österreich stellt. Damit wird zunächst die bosnische Annexionskrise außenpolitisch beigelegt, jedoch verärgerte die Rede Rußland und England sehr, die diese Aneignung nicht anerkennen wollten, während Bülow zum ersten mal den Begriff Nibelungentreue gebraucht.

Bis zur formellen Annexion hatte Bosnien-Herzegovina noch zum osmanischen Reich gehört, dessen Macht aber schon seit 1683 immer mehr schwand, entscheidend durch die militärischen Siege von Prinz Eugen. Später folgten darauf die Unabhängigkeitsbestrebungen der europäischen Völker. Das längst unbedeutend gewordene und dem Untergang geweihte osmanische Reich konnte überhaupt nur nochh eine gewisse Zeit Besitz in Europa behaupten, weil sich Österreich und Rußland uneinig waren, wem der osmanische Besitz zufallen sollte. Dabei spielte auch die Politik der übrigen europäischen Mächte eine Rolle, die unbedingt eine Ausdehnung des russischen Einflusses in Richtung Daradanellen und Bosporus verhindern wollte. Dieser war nach dem Sieg im Russisch-Osmanischen Krieg enorm gewachsen, warum die übrigen europäischen Mächte zum Mißfallen Rußlands die osmanischen Gebiete neu aufteilten. So blieb Bosnien-Herzegovina nach dem Berliner Kongress zwar osmanisch wurde aber österreichisch verwaltet und unterstand dem kuk-Finanzministerium.

Bereits im September 1908 hatten der russische und der österreichische Außenminister vereinbart, dass Österreich Bosnien und die Herzegovina erhalten sollte, während  Russland dafür im Gegenzug mit einer Unterstützung Österreichs für die exklusiven Durchfahrtsrechte am Bosporus und an den Dardanellen rechnen konnte. 1908 war das richtige Jahr für die  Annektierung da auch der dreißigjährige Verwaltungsvertrag mit dem osmanischen Reich von 1878 in diesem Jahr auslief. Die Schwäche des osmanischen Reichs durch die Revolution der Jungtürken nutzten auch Kreta, Rumänien und Griechenland. Als die Jungtürken auch bosnische Abgeordnete ins neue Parlament entsenden lassen wollten, obwohl es seit 30 Jahren von Österreich verwaltet wurde und dieses viel in den Aufbau dort investiert hatte, schritt der Kaiser ein und annektierte per Federstrich. Dabei gab es Pläne auch noch Serbien zu erobern und alle Slawen unter der Krone Österreichs zu einen, das dann zu einer Art monarchischem Jugoslawien geworden wäre und dem Balkan vielleicht viel erspart hätte wie Europa einen 1. Weltkrieg, der mit dem Mord an Thronfolger Franz-Ferdinand in Sarajevo seinen Ausgang nahm.

Beinahe wäres es über diese Annexion schon zum erst 6 Jahre später ausbrechenden Krieg gekommen, da in Russland sich die Panslawisten wehrten und diese sich betrogen fühlten, da Großbritannien die Einhaltung des mit Österreich geschlossenen Vertrages zu den Seerechten verhinderte, was jedem absehbar gewesen wäre, der britische Politik des Gleichgewichts kannte. Die Osmanen reagierten mit dem Boykott österreichischer Waren, der viele Händler der Region schwer schädigte. Den Krieg verhinderte nur die Schwächung Rußlands durch den vorher Krieg mit Japan und die nicht bedingungslose Solidarität Frankreichs. Dagegen hatte Bülows Rede von der Nibelungentreue diese Gefahr eher erhöht.

Österreich-Ungarn hatte der mit der Annektierung zunächst nur Ärger und ständig neue Probleme, die schwer zu  lösen waren. Zunächst wurde darüber gestritten, ob es eher zu Ungarn oder zu Österreich gehören sollte und sich schließlich darauf geeinigt, es gemeinsam zu verwalten. Es kam auch zu Aufständen in anderen Teilen des Reiches, plötzlich forderten auch die Kroaten einen Teil und wollte kuk in einen neuen slawisch geprägten Dreiklang verwandeln, wovor es Wien logisch gruselte. Das Risiko und die Folgen waren sicher höher als der Gewinn, was auch das Attentat von Sarajewo 6 Jahre später betätigte. So war innenpolitisch durch die Annexion mehr Unfriede entstanden und der pathologische Nationalismus auf dem Balkan noch verstärkt worden, der dort schon vorher nahezu alle Vernunft leicht ersetzte.

Eine Lösung fand sich schließlich auf dem Verhandlungswege indem Österreich 50 Millionen an das osmanische Jungtürkenreich zahlte und sich für die Aufhebung der Handelssperren gegen diese einsetzte. Die Annexionskrise konnte so gerade noch friedlich beigelegt werden, ein Balkankrieg wurde noch verhindert, der 1912 ausbrach und mit dem 1914 auch der 1. Weltkrieg seinen Anfang nahm. Die Situation dort war explosiv und es galt, sich vorsichtig um einen Kompromiss zu bemühen.

Damals zeigte sich bereits, wie sehr Österreich-Ungarn in allen außenpolitischen Fragen auch auf die Hilfe des Deutschen Reiches angewiesen war, warum der beschworenen Nibelungentreue solche Bedeutung zukam und warum sie sechs Jahre später schnell in den Weltkrieg führte, so wenig reflektiert oder sinnvoll sie war, da keine deutschen Interessen dort verfolgt wurden oder gefährdet waren.

Nibelungentreue meinte eine bedingungslose, hoch emotionale und meist verhängnisvolle Treue, die auf den mittelhochdeutschen Begriff der triuwe zurückgeht und damit die persönliche Bindung der Beteiligten im mittelalterlichen Lehensystem beschreibt.

Bezugspunkt zum mittelalterlichen Epos des Nibenlungenliedes ist, dass die Treue stets als Quintessenz des Nibelungenliedes angesehen wurde. So hat sich dem Epos nach Hagen von Tronje des Mordes an Siegfried schuldig gemacht, den Gemahl Kriemhilds, die darauf Rache fordert. Kriemhilds Brüder die Burgunderkönige Gunter, Gernot und Giselher sind irgendwie auch beteiligt, wobei unklar ist wie schwer ihr Tatbeitrag wog, jedoch wäre Kriemhild bereit, ihnen zu verzeihen, sofern sie ihnen Hagen ausliefern, was diese unter Berufung auf Freundestreue verweigern.

Warum Bülow diese seltsame Treue jenseits aller Vernunft beschwor, ist bis heute nicht klar, vermutlich leiteten die deutsche Politik zu diesem Zeipunkt noch hehre Ideale, die an mittelalterliche Traditionen anknüpften. Dabei war seit 1904 bekannt, dass Frankreich und England eine Entente cordiale bildeten, die gemeinsam mit dem Bündnis mit Rußland die Mittelnächte in der Krise vollkommen isolierte. Vielleicht ist darum der Begriff der Nibelungentreue so passend, der nicht politisch pragmatisch oder irgend vernünftig ist, sondern an Sagenwelten anknüpft und mit mittelalterlichen politischen Bildern arbeitet.

Stärker noch kam der Begriff in der NS-Zeit in Aufschwung. So war der Wahlspruch der SS “Meine Ehre heißt Treue” und Hitler erwartete eine durch Eid zu bekräftigende persönliche Treue, die kultisch aufgeladen wurde und heute albern erschiene, wären seine Wirkungen nicht so grausam gewesen. Dadurch sollten Volk und Führer zu einem Volkskörper zusammenwachsen und die Treue wurde zur Leitidee des diktatorischen Systems in seiner ganzen sonst Lächerlichkeit mit kultischem Status über die heutige Politik sich nur noch wundern kann. Neben den innenpolitischen Eiden arbeitete Hitler als Diktator auch außenpolitisch mit höchstem Risiko, um gegebenenfalls sein ganzes Volk mit in den Untergang zu reißen, seiner gestörten Rasseidee aus  wahnhaften Vorstellungen entsprechend, die heute nur noch als pathologisch bezeichnet werden können.

Ähnliche Verhaltensweisen sind teilweise auch beim türkischen Sultan zu beobachen, der seine diktatorischen Ideen und wahnhaften Anwandlungen gegen Journalisten und soziale Netzwerke vom Verfolgungswahn getrieben immer weiter treibt und es fragt sich nur, warum ihm noch so viele sonst vernünftige Menschen folgen, da auch sein scheinbarer ökonomischer Erfolg auf tönernen Füßen in einem System der Vetternwirtschaft steht, die in einer globalen Wirtschaft keine dauerhafte Sicherheit mehr bietet, ihn nur aufgrund der gerade politischen Krise in der Region noch im Amt stabilisiert. Schwierig ist nur, dass es auch sonst an zuverlässigen Partnern in der Region eher mangelt und deren demokratische Legitimation mindestens fragwürdig ist.

Merkel wird, ihrer bisherigen Linie folgend der Türkei nur die gerade notwendigen Zugeständnisse gewähren ansonsten aber den Sultan und sein Land auf Distanz halten. Von Nibelungentreue spricht hier niemand mehr und in freien Ländern wird diese Politik kritisch diskutiert.

Ob sie sich mit ihrer fast Nibelungentreue zu den USA gegenüber Rußland immer klug verhielt, scheint der Diskussion eher wert. Auch angesichts fraglicher Alternativen und totalitärer Neigungen des russischen Präsidenten Putin, der russisches Volk auch außerhalb seiner Landesgrenzen meint verteidigen zu dürfen und russische Interessen etwa auf der Krim zur Not wieder mit Gewalt durchsetzt, was aber so voraussehbar wie berechenbar war. Auch das Eingreifen nach dem vom Westen unterstützten Putsch in der Ukraine war absehbar und berechenbar, da Rußland nicht genug als Partner an die NATO gebunden worden war, seit Ende des Kalten Krieges, warum hier eine mehr Pendeldiplomatie womöglich für Europa sinnvollere Ergebnisse gezeitigt hätte als die gewohnt kurzsichtige Machtpolitik der imperial agierenden USA, die ihren Einflussradius erweitern und Rußland ärgern wollten.

Ansonsten ist der Pragmatismus einer Merkel, die behauptet nur zu tun, was sie als alternativlos ansieht, sinnvoller als der Dogmatismus, der in der sagenhaften Nibelungentreue steckt, die keinen Wert an sich verkörpert, sondern nur ein überhöhtes Zusammenhängen auf Gedeih und Verderb erklärt. Einen Krieg um jeden Preis zu vermeiden ist sicher klüger, als ihn durch sagenhafte Begriffe zu provozieren. So scheint auch gegenüber Erdogan eine Diplomatie, die ihn sich lächerlich machen lässt in seinem Sultanspalast vermutlich nachhaltiger als eine neue Boykottpolitik, welche die Situation weiter eskalieren ließe und damit möglicherweise den politischen Handlungsspielraum unnötig einschränkte. Der türkische Clown in Ankara, mag sich ruhig weiter zur Witzfigur machen, während er meint, den starken Mann zu spielen, es wird ihn sicher nicht weiter nach Europa führen, sondern die Tore fest verschließen und Europas interne Solidarität erhöhen. Dazu vorher gewisse Kompromisse einzugehen, um handlungsfähig zu bleiben und nicht von Putin und seinen hier agierenden Medien von rechts her getrieben zu werden, scheint politisch klug.

Ob es dennoch klüger wäre, die Konfrontation mit Russland zu beenden und diese gemeinsam mit der Ukraine stärker in die NATO einzubinden, scheint eher eine strategische Frage, in der sich europäische Freiheit auch gegenüber den USA besser bewähren könnte als in einer weiteren Konfrontation, in der Europa nur verlieren kann. Um für den Konflikt mit dem IS den Rücken frei zu haben, ist ein Bündnis mit Russland wohl weiser als die untaugliche Nibelungentreue, die zu nichts als hehren Versprechen führt, bei denen aber die Vernunft zu schnell aussetzt.

Nibelungentreue ist heute ein untauglicher Begriff. Politik soll lieber pragmatisch handeln und dabei auch lieber nicht behaupten, sie sei alternativlos. Dann finden sich in offenen Demokratien unter den Zwängen der globalen Wirtschaft die vernünftigsten Lösungen. Wohin sie uns im 20. Jahrhundert zweimal führte, sollte Lehre genug sein, künftig lieber auf undogmatischen Pragmatismus zu setzen.
jens tuengerthal 29.3.2016

Kulturgeschichten 0172

Löwenherzlos

Politik gilt vielen als schmutziges Geschäft, weil um Vereinbarungen gepokert wird und jeder versucht, das für sich beste Ergebnis zu erreichen. Was wir bei Geschäftsleuten bewundern, halten wir bei denen, die unsere Staaten managen für kritikwürdig und peinlich, unehrenhaft zumeist. So wird in der Politik mehr Wert auf die Ehre gelegt, zumindest nach außen hin und einer, der sie verliert, gilt oft als gescheitert, warum Gegner gerne versuchen, den anderen dort zu treffen. Besonders diejenigen, die sich gern moralisch geben, werden an ihren Maßstäben gemessen und es fragt sich, ob dies für gute Politik taugt.

Erdogan hat in der Flüchtlingspolitik einen für sein Land auch vorteilhaften Abschluss erreicht, weil Europa ihn braucht. Diese Erpressung lässt sich die EU etwas kosten, auch wenn es gerade viel Grund gäbe, den Sultan zu isolieren, angesichts seiner Politik gegen Minderheiten und seiner unklaren Position gegenüber den Islamisten. Ist darum eine Einigung schlecht, wenn einer der Partner auch fragwürdig ist?

Ist Erpressung eine neue Methode der Politik oder alt und bewährt?

Am 28. März 1193 übergab der österreichische Herzog Leopold V. in Speyer den vorher entführten Richard Löwenherz an Kaiser Heinrich VI. , der sich verpflichtet hatte, Richard nur gegen Zahlung eines enormen Lösegeldes und unter Erfüllung anderer Bedingungen wieder freizulassen und Heinrich lässt Richard auf Burg Trifels in der Pfalz gefangensetzen. Dem Staufer Heinrich, dem zweiten Sohn Kaiser Barbarossas aus seiner Ehe mit Beatrix von Burgund, passte diese Entführung, das mit ihr erpresste Geld und der Lehnseid, den Richard ihm schwören musste, politische gerade sehr gut.

So konnte Heinrich eine Fürstenverschwörung um die Besetzung des Bistums Lüttich beilegen, sich mit finanzieller und militärischer Unterstützung aus England um das sizilianische Erbe seiner Frau Konstanze kümmern und zugleich sein Bestreben verstärken, einen Kreuzzug zu starten, der sicher auf das Königtum in Jerusalem zielte, womöglich auch Byzanz für das Reich zurückerobern wollte, um das römische Reich unter einer Krone wieder zu einen. Konstanze war die Tochter und Erbin des Normannenkönigs Roger II. und hatte damit die Position der Staufer ermöglicht, die seinem Sohn Friedrich II. später noch viel Ärger mit Rom bescheren sollte, das sich nicht von den Staufern und damit deutschen Kaisern eingeschlossen sehen wollte. Auch die deutschen Fürsten wehrten Heinrichs Versuch ab eine Erbmonarchie zu errichten, da sie um ihren Einfluß fürchten und so ist die  Bundesrepublik so föderal wie eh und je und eine Merkel muss sich heute noch mit einem unqualifizierten Seehofer streiten, wie Heinrich und sein Vater sich mit Heinrich dem Löwen im Reich bis 1194, auch wenn Heinrich der Löwe und seine Erben immer wieder das Nachsehen hatten.

Richard Löwenherz hieß eigentlich Plantagenet, stammte also aus dem französichen Adelsgeschlecht derer von Anjou-Plantagenet, einem der bedeutendsten Geschlechter des Mittelalters neben den Ottonen, Saliern und Staufern, und war von 1189 bis zu seinem Tode 1199 König von England. Die drei Löwen im englischen Wappen sind das Wappen seiner Familie, wobei  manches unklar ist, ob einer der drei Löwen für Aquitanien steht, sicher ist nur, es war zunächst Richards persönliches Wappen und ziert die Trikots der dortigen Nationalmannschaft bis heute, wenn sie etwa Deutschland in Berlin schlagen.

Richard hatte mit Unterstützung des Königs von Frankreich Ludwig VII. seinen Vater als König von England abgesetzt, war König an dessen Stelle geworden und seine Einsetzung als Herzog der Normandie und Graf von Anjou durchgesetzt. Damit war er der mächtigste Herrscher Europas neben Kaiser Barbarossa und mit entsprechendem Pomp war seine Krönung zelebriert worden.

Einem Gelübde folgend war er mit Philipp II, zum 3. Kreuzzug aufgebrochen, der Jerusalem von Saladin zurückerobern wollte aber in wichtigen Teilen erfolglos blieb. Auf dem Weg nach Jerusalem pausierten sie in Messina auf Sizilien, wo Richards Schwester Johanna, die Witwe des zuvor gestorbenen Königs Wilhelm II. von Sizilien gefangen gehalten wurde. Sofort verlangte Richard ihre Freilassung, was er auch tatsächlich in wenigen Tagen erreichte, doch stichelten die Sizilianer mit ständigen Gefechten weiter, da Richard dort wie ein Eroberer aufgetreten war. Nachdem einige Bewohner Messinas den Ausfall wagten, reichte es dem Kreuzfahrer und er ließ die Stadt unter stundenlangem Rauben, Morden und Plündern unter seiner Führung erobern, bis er schließlich persönlich seinen Truppen Einhalt gebot. Ab diesem Zeitpunkt wagten die Sizilianer und ihre gerade König Tankred nicht mehr Richard zu trotzen, sie gaben ihm sogar den Spitznamen der Löwe oder der mit dem Löwenherz.

Nachdem er als dann Sieger noch bessere Bedingungen für seine Schwester ausgehandelt hatte eroberte er auf dem weiteren Weg ins Heilige Land noch Zypern, setzte den dort Kaiser ab und dafür den gerade von Saladin vertriebenen König von Jerusalem Guido von Luisignan ein, dem er die Insel teuer verkaufte.

Noch unterwegs heiratete Richard Berengaria von Navarra, um seine französischen Reichsteile zu sichern. Diese war die Tochter des baskischen Köngis von Navara Sancho VI. dem er gemeinsam mit seiner Mutter, Eleonore von Aquitanien die Verwaltung seiner französischen Reichsteile übertrug. Verlobt hatte er sich mit Berengaria noch in Sizilien, was Philipp II. von Frankreich maßlos ärgerte, weil dafür die Verlobung mit seiner Schwester Alix aufgelöst wurde, der noch dazu in Frankreich sein Lehnsherr eigentlich war.

Richard zeigte sich während des ganzen Kreuzzuges voller Selbstbewusstsein und sehr mutig aber vollständig undiplomatisch und stieß dabei sowohl Leopold V. von Österreich wie Philipp II. mehrfach deutlich vor den Kopf, was ihn teuer zu stehen kommen sollte.

England wurde in dieser Zeit von Richards Bruder Johann Ohneland verwaltet, der mit Phillipp II. der brüskiert vom Kreuzzug zurückgekehrt war, einige geheime Verträge schloss, um Richard zu schwächen. Es ist die die Zeit in der die Sage um Robin Hood spielt, der den abwesenden mutigen König verteidigen will gegen den intriganten Bruder. Dem letzten der vier verschworenen Bruder gegen Vater Heinrich II. von England.

Richard Löwenherz hatte inzwischen im Heiligen Land mehrere glänzende Siege gegen Saladin errungen, ohne aber Jerusalem erobern zu können, hatte er die Küste von Akkon bis Askalon eingenommen. Als er aus der Heimat erfuhr, was sein Bruder gegen seinen Willen anstellte, ihn also die Neuigkeiten aus England und Frankreich, wo Johann und Philipp gegen ihn intrigierten, erreichten, schloss er einen Waffenstillstand mit Saladin und machte sich im  Oktober 1192 auf den Rückweg in die Heimat, ohne viel  erreicht zu haben.

Am 30. Oktober brach er im Heiligen Land auf, was angesichts der zu erwartenden Winterstürme auf dem Mittelmeer als extrem spät galt. Als er südlich von Sizilien erfuhr, dass Philipp die französischen Häfen für ihn hatte sperren lassen, machte er sich über die Adria auf den Weg nach Norden. Dort kam es der Legende nach zu einem Überfall durch ein Piratenschiff, jedoch seien der Kapitän des Piratenschiffs und der Schiffskoch Richards verbrüdert gewesen, warum es überraschend zu keinem Angriff sondern zu einem Pakt kam, demzufolge die Piraten Richard verkleidet an Land gelangen ließen.

Danach wird er erst wieder in Kärnten bemerkt, wo er als Fürst erkannt wurde, der sich nur als Pilgerer ausgab, aber durch höfisches Benehmen auffiel. Er wollte sich zu seinem welfischen Schwager Heinrich dem Löwen nach Bayern durchschlagen. Leopold von Österreich ließ ihn jagen. Dies nicht ahnend hatte sich Richard gegen eine Überquerung der Alpenpässe entschieden und zog lieber als Pilger getarnt an Wien vorbei Richtung Bayern. Dort fiel auf, dass ein vorgeblich einfacher Mann mit großen Mengen morgenländischen Geld bezahlte, daraufhin wurden die Pilger verfolgt und Richard in einem kleinen Gasthof am 21. Dezember 1192 gefangen genommen. Noch am 27. Dezember hatte Leopold darüber Kaiser Heinrich VI. informiert, der vermutlich vor Begeisterung jubiliert haben dürfte.

Die Festsetzung Richards hatte eine Summe von Gründen. Zun Anfang stand der Streit mit Philipp August von Frankreich über die Entlobung mit dessen Schwester Alix. Sein ständiger Ungehorsam als Lehnsmann des französischen Königs und Herzog mehrerer französischer Herzogtümer im sogenannten Angevinischen Reich. Die massive Unterstützung seines Schwagers Heinrich des Löwen im Rahmen der welfischen Fürstenverschwörung gegen Kaiser Heinrich VI. im deutschen Reichsgebiet. Die Unterstützung von Tankred von Lecce gegen Kaiser Heinrich VI. und damit der normannischen Verschwörung gegen Heinrichs sizilianisches Königtum. Die Brüskierung von Leopold von Österreich bei der Eroberung von Akkon 1191, als er dessen Standarte in den Burggraben werfen ließ und damit dessen Beuteanspruch zunichte machte und ihn blamierte. Die Affäre um die Ermordung des Königs von Jerusalem sowie in diesem Zusammenhang die Gefangennahme des Kaisers von Zypern und die Besetzung von dessen Thron. Er hatte sich also viele Feinde gemacht in seinem Wagemut, was seine Ehre mehrte, ihn aber nun in Gefangenschaft brachte und sehr viel kostete.

Leopold und Heinrich handelten vor der Übergabe deren Bedingungen aus. Danach waren 23 Tonnen Silber oder 100.000 Mark in Silber zu zahlen, was den doppelten Jahreseinkünften der englischen Krone entsprach und wovon die Hälfte an Leopold gehen sollte. Richard sollte Heinrich Waffenhilfe in Sizilien leisten. Isaak Kemonos auf Zypern und seine Tochter waren freizulassen. Richard sollte sich beim Papst dafür einsetzen, dass Leopold nicht exkommuniziert würde, da die Gefangennahme eines Mannes, der das Kreuz genommen hatte gegen den Kreuzzugsgedanken verstieß und eine schwere Sünde war.

Nach diesem Vertrag kam es zur Überstellung Richards an Heinrich am 28. März 1193 in Speyer und dessen Gefangensetzung in Speyer. Richard lehnte als Heinrich ihm den Vertrag vorlegte zunächst alles ab und spielte auf Zeit, da Papst Coelestin III. ihn unterstützte und allen Beteiligten mit der Exkommmunikation drohte. Leopold wurde dann tatsächlich exkommuniziert und Heinrich VI. konnte dies nur mit viel Aufwand noch vermeiden. Heinrich führte daraufhin einen Prozess mit den oben genannten Anklagepunkten gegen Richard als sich Philipp II. wieder einmischte und versprach alle Forderungen einzulösen, sofern ihm Richard ausgeliert würde. In Anbetracht dieser Drohung stimmte Richard allen Forderungen zu, da er fürchtete sonst das angevinische Reich vollständig an Philipp zu verlieren. Daraufhin in der Oberhand erpresste Heinrich noch zusätzliche 50.000 Mark oder 12 Tonnen Silber für den Fall eines nicht einlösbaren Versprechens der Welfen, das nicht erfüllt wurde und so die Summe noch erhöhte. Bis zur vollständigen Bezahlung stellte England noch 200 Adelige als Geiseln.

Johann ohne Land versuchte die Zahlung zunächst zu verhindern, um König zu bleiben, Richards Mutter brachte die Summe auf. Die Unruhen, die auf diesen ungeheuren Aderlaß in England folgten, spiegeln sich im Robin Hood Mythos wieder. Auf Drängen des Papstes war dann das Lösegeld wieder zurückzugeben, Heinrichs Hälfte jedoch war bereits für die Eroberung Siziliens verbraucht und Leopold und sein Sohn schworen auf Leopolds Sterbebett, es zurückzuzahen, wollten, was übrig war, den englischen Geiseln schon wieder mitgeben, was diese aus Angst unterwegs überfallen zu werden, verweigerten, warum sie ohne das Geld zurück nach England kehrten und über einen weiteren Versuch das Geld zurück zu erlangen ist nichts bekannt. So gesehen war die Erpressung ziemlich erfolgreich. Leopolds Exkommunizierung wurde sogar noch auf dem Sterbebett zurückgenommen.

Die Gefangenschaft Richards endete auf dem Mainzer Reichstag vom Februar 1194, auf dem er den Lehenseid auf Heinrich leistete. Danach reiste Richard noch durch Deutschland und baute neue Kontakte zu deutschen Fürsten auf. Richard gelang es zurück in England nach der Versöhnung mit seinem Bruder Johann einen großen Teil der französichen Besitzungen zurück zu erobern. Jedoch begann damit die Schrumpfung des angevinischen Reiches, das im hundertjährigen Krieg und den Siegen Frankreichs dort seinen Höhepunkt fand. In der englischen Geschichtsschreibung wird Richard glorifiziert, wozu der Robin Hood Mythos zusätzlich beitrug.

Richard setzte sich, obwohl selbst normannischer Herkunft dafür ein, dass in England nicht mehr zwischen normannischem und englischen Adel unterschieden wurde. Er befriedete England dadurch weiter, sorgte für eine gemeinsame Identität und machte sich selbst als Mann klarer Entscheidungen zur Integrationsfigur. Mit 1.86m war er für die damalige Zeit sehr groß und kämpfte wohl mit großem Mut, auch wenn viele der Geschichten eher in den Bereich der Sagen gehören. Als Saladin nach der Eroberung von Akkon nicht schnell genug mit dem Lösegeld zur Stelle war, ließ der grausame Richard, den es auch gab, mal eben 2700 muslimische Geiseln ermorden. Wie viele der frühen normannischen Könige galt Richard als sehr gebildet und belesen, war zumindest des lateinischen sehr gut  mächtig, allerdings ist seine angebliche Liebe zu England eine bloße Legende. In den zehn Jahren seiner Herrschaft, war er nur zehn Monate insgesamt dort und vermutlich sah er sich eher als Aquitanier, was aber der Legendenbildung in Englands Klöstern nicht schadete. Auch die Legende um seinen Tod verstärkte das Bild seiner Ritterlichkeit. So soll er von einem Armbrustbolzen getroffen am Wundbrand gestorben sein aber zuvor noch den Schützen zum Ritter geschlagen haben mit den Worten, wer fähig ist, den König zu töten, ist es wert ein Ritter zu sein. Gegen die Wahrheit dieser Legende spricht aber, dass der französische Schütze nach Richads Tod von dessen Verwandten gefangen, gehäutet und zu Tode gefoltert worden sei. Das Herz von Löwenherz wurde in der Kathedrale von Rouen beigesetzt, sein Körper in der Abtei Fontevrault in Anjou.

Die Erpressung und Erpressbarkeit ändern also nichts am historischen Bild eines Herrschers. Der Erfolg dabei sagt nichts über das Bild, das die Nachwelt von ihm hat und in diesem wirken literarische Denkmäler oft stärker als die historischen Fakten. So verklärte der Robin Hood Mythos und der Spitzname Löwenherz einen auch brutal grausamen Herrscher zum Helden Englands, auch wenn er sein Vaterland hasste und ihm Frankreich viel näher lag. Seine Entführung galt lange Zeit als unmoralisches Verbrechen, während seine vorigen intriganten Bestrebungen wie sein undiplomatisches Verhalten schlicht übersehen wurde. Seinen Spitznamen verdankt er einem sizilianischen Gemetzel bei dem angebliche Kreuzritter aus Rache eine christliche Stadt brandschatzten.

Betrachte ich die heutige Politik, frage ich mich manchmal, wie weit wir uns wirklich seit dem Hochmittelalter entwickelt haben, ob wir uns nicht auf dem gleichen Niveau noch quälen, es nur geschickter tarnen, um vorgeblich der Herrschaft des Rechtes genug Raum zu geben. Es ist das alte Spiel um Macht, das in der Nachwelt noch gern um Sagen ergänzt und verklärt wird, das den einen zum Helden, den anderen zum Bösewicht schlicht macht.

Schlichte Bilder waren jedoch damals so unzutreffend wie sie es heute sind. Merkels Wandlung vom Asyl Saulus, der ein Flüchtlingsmädchen über den Kopf streichelt, hin zur Mutter Theresa der Syrer ist nur medial  interessant, inhaltlich ist es relativ unwichtig, da es nichts am langfristigen Kurs Europas in dieser Frage ändert oder ihrer Auffassung, dass die Türkei in Euroopa nichts verloren hat, erst recht nicht unter Erdogan. Nur wird sie angesichts eines mit undemokratischem, grundgesetzwidrigem Populismus erstarkenden AfD, drohendem Unfrieden in ihrer Partei und der Sorge um sozialen Frieden und Wählerstimmmen lieber der Erpressung zustimmen, in der Hoffnung als moralische Siegerin an der politischen Macht vom Platz zu gehen. Wie im Falle Richards wird es beim historischen Urteil über ihr Wirken in Europa weniger um ihre tatsächlichen Taten gehen als die Stimmung, die sie hinterlässt und also nicht um das, was sie bewegte, sondern allein darum, wie sich die Beteiligten dabei fühlten. Im Gegensatz zu Richard bemüht sich die Kanzlerin um Verbündete und geht ruhig und unbeirrt ihren Weg. Richard wurde seine Arroganz der Macht zum Verhängnis, dagegen könnte Merkel durch ihre gelassene Bescheidenheit gewinnen, was dieser zu leicht verlor, europäische Einigkeit, auch wenn wieder ein Bayer sie ständig unsinnig stört - doch wie der Putschversuch der Welfen dürfte auch Seehofers dummdreiste Provokationen auf die Dauer nur ihn von der Macht fernhalten und so gesehen läßt  sich die Demontage des kurzsichtigen Narren milde belächeln.
jens tuengerthal 28.3.2016

Montag, 28. März 2016

Ablenkungsmanöver

Möchte dich gern ablenken
Zumindest ein wenig verwirren
Wenn ich dir schreibe wie
Meine Zunge nun deinen Rücken
Hinab wandert während meine
Hände deine Brüste streicheln
Wie sie tief am Ende wo sich
Dein Rücken teilt eintaucht
In deine Rückseite um sie so
Nass zu lecken wie deine Mitte
Längst erwartungsfroh sich mir
Geöffnet hat um einzutauchen
Ineinander verschlungen lustvoll
Sich im gefundenen Rhythmus
Miteinander bewegend immer
Schneller bis wir am Gipfel dann
Stillstehen vor Glück uns einfach
Überschwemmen im versinken
Sind wir zwei ganz eins in den
Sphärenharmonien unserer Lust
Sterben werden wir irgendwann
Von ganz alleine aber vorher sich
Noch in kleine Tode miteinander
Zu träumen ist Glück genug mir
Vielleicht ist Sein nie mehr
jens tuengerthal 28.3.2016

Sonntag, 27. März 2016

Kulturgeschichten 0171

Verfassungsvorbild

Nach der Weimarer Verfassung gilt das Grundgesetz als  zweite demokratische Verfassung in Deutschland und als erste, die mit Erfolg bestand. Manche Verschwörungstheoretiker und wahnhafte Reichsbürger halten die beste Verfassung dennoch für eine nur relativ gültige  Vorläufigkeit, da sie das bisher beste nicht zu würdigen wissen, sich verfolgt und gefangen fühlen im bisher freiesten Deutschland aller Zeiten.

Sie ähneln darin den Pegiden, die Lügenpresse skandieren und ihre wahren Informationen aus der russischen Propagandapresse zu beziehen meinen, sich als wahre Demokraten fühlen, weil sie gegen die Meinung der engagierten Mehrheit eine rassistische Politik der Ausgrenzung durchsetzen wollen, dabei sind die Islamhasser schon prozentual deutlich weniger als Muslime in Deutschland leben, warum ihre Reaktion so unlogisch und falsch ist wie der Verfolgungswahn der Reichsbürger, die eine demokratische Verfassung, die Grundreche garantiert als ein vorläufig ungültiges Provisorium bezeichnen, auch wenn dessen Werte wie Schutz der Menschenwürde und Demokratieprinzip längst eine Ewigkeitsgarantie haben. Dies gilt auch, wenn in Sachsen, wo im Durchschnitt deutlich weniger Muslime leben als im Rest Mitteleuropas, dafür umgekehrt der Anteil derer, die eine Überfremdung fürchten, überproportional hoch ist.

Dabei geht es nicht um die Frage, ob es an der Politik der Kanzlerin oder welcher Bundesregierung politisch etwas auszusetzen gäbe, Europa oder die Politik der Verbündeten auch kritisch gesehen werden können, wofür es viele gute Gründe gibt, auch nicht um die Frage, ob Hart IV asozial ist oder es ein Grundeinkommen dringend bräuchte und ähnliches mehr, was im politischen Diskurs mit guten Argumenten dringend zu diskutieren ist. Fraglich ist hier allein, ob wir eine Verfassung und eine Demokratie  grundsätzlich in Frage stellen, weil uns ein gerade Kurs nicht passt oder uns um den politischen Diskurs und die nötige Mehrheit bemühen, wenn uns etwas nicht passt.

Gleich trotzigen Kindern aber, verhalten sich Pegiden und Reichsbürger, die wahnhaft das ganze System infrage stellen, das sie scheinbar nicht verstanden haben und sich dafür lautstark von Ängsten jenseits aller Vernunft leiten lassen. Mit diesem Trotz einer undemokratischen Minderheit macht derzeit der AfD Politik und fängt asozial Wählerstimmen, womit auch sie eine Gefahr für die Verfassung darstellen.

Leichter ist es, die Systemfrage zu stellen, über die Politik und die Demokratie als Ganzes zu schimpfen, als sich sachlich mit ihr auseinanderzusetzen, um zu zeigen, wo das System falsch ist, welche Lösung im einzelnen konkret vorgeschlagen wird, um anstehende Probleme zu lösen, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Es ist nicht nur leichter, es ist auch billig und naiv dumm, führt zu keiner Klärung von Konflikten sondern nur zu deren Verlagerung und Steigerung in einem Gebiet, in dem es eigentlich keine Probleme gab. Es dient dies nur dazu politische Macht auf dem Wege der Provokation zu erringen, auch wenn es keine echten Alternativen zum nötigen Verhalten gibt.

Bereits einmal lehnten Preußen und Österreich die freieste deutsche Verfassung ab, die es bis dahin überhaupt gegeben hatte. Eine Reichsverfassung, die alles an demokratischen Rechten und Prinzipien der Freiheit übertraf, als es sie, egal wo, bereits gegeben hatte. Es war damals ihre Reaktion auf die Revolution von 1848, die sieh ablehnten und durch die sie ihre Macht gefährdet sahen. Sie wollte den Weg der Karlsbader Beschlüsse und des Wiener Kongresses im traditionell monarchischen System ohne verfassungsmäßige Rechtfertigung fortsetzen.

Am 27.3.1849 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung während der Deutschen Revolution die Paulskirchenverfassung und damit die erste demokratische Verfassung, die es in Deutschland je gab. Sie trat mit der Verkündung am nächsten Tag in den beteiligten 28 Ländern, die bis auf Preußen und Österreich nahezu alle kleineren waren, in Kraft.

Die größten deutschen Staaten allerdings erkannten die Verfassung nie an und bekämpften sie stattdessen lieber aktiv. Hierbei spielte auch der Machtkampf zwischen Preußen und Österreich eine Rolle, da gerade die neuen süddeutschen Königreiche einen losen Staatenbund unter Einschluß Österreichs bevorzugten.

Die Reichsverfassung sah eine konstitutionelle Monarchie mit erblichem Kaiser vor, der selbst als unverletzlich galt aber verantwortliche Reichsminister ernannte. Hauptsächliches Gesetzgebungsorgan sollte der Reichstag mit seinen zwei Kammern sein, von denen die eine, das Volkshaus, im freien Männerwahlrecht gewählt wurde, während die andere, das Staatenhaus, jeweils  zur Hälfte aus Mitgliedern der Landesregierungen und der Landesparlamente nach dortigem Recht zu besetzen waren. Die Grundrechte des deutschen Volkes, die es so erstmals gab, konnten von jedem Büger vor dem Reichsgericht eingeklagt werden.

Damit war die Frankfurter Reichsverfassung oder FRV die erste gesamtdeutsche und demokratische Verfassung in Deutschland. Sie wurde jedoch nie wirksam, da die größten und stärksten Staaten sich dagegen stellten und auch ihr konservativerer Reformentwurf, die Erfurter Unionsverfassung wurde nie Realtität. In den Grundrechten garantierte sie neben der Pressefreiheit und der Abschaffung der Zensur auch die Freizügigkeit, die Vereins- und Versammlungsfreiheit, die Glaubensfreiheit bei Gleichberechtigung aller Konfessionen, was die wahnhaften Pegiden bis heute nicht verstanden haben, warum es nicht um Verständnis für diese Narren geht, sondern deren aktive Bekämpfung. Die Todesstrafe wurde weitgehend verboten, genau wie Folter und der Pranger, was mehr ist als ein politischer Clown wie Trump heute wieder fordert.

Inwieweit die FRV je rechtlich wirksam wurde ist strittig. Einige bestreiten ihre Wirksamkeit überhaupt, weil nicht alle sie annahmen und einige die Zuständigkeit und Zulässigkeit bezweifelten, andere stritten sich darüber, wann sie in Kraft trat, ob mit Verkündung am 28.3.1848, mit Veröffentlichung einen Monat später oder schon mit Beschluß am 27.3.1848. Das Bundesverfassungsgericht, das sich in mehreren Entscheidungen auf die Verfassung bezieht und sie anerkennt geht vom 28. März 1848 aus und erkennt damit jedenfalls deren Gültigkeit  juristisch an.

Leider steht die heutige Sicht im Gegensatz zur damaligen Durchsetzbarkeit, die faktisch nicht geschah, da die sich widersetzenden Einzelstaaten schlicht die militärische Übermacht im Reich besaßen. In Preußen etwa stimmten Kabinett und Nationalversammlung der neuen Verfassung zu oder schlugen die Zustimmung vor, die König Friedrich Wilhem IV. aber verweigerte. Dadurch wurden die Vorschriften der Verfassung nie mit dem Leben gefüllt, das in ihr lag, es fanden nie die vorgesehenen Wahlen statt und der preußische König verweigerte die ihm nahe gelegte Kaiserwürde, da die Krone mit dem Sudelgeruch der Revolution beschmutzt sei, ihm keine Ehre wäre. Dabei war diese Verfassung ein geschlossener und praktikabler Entwurf, den wir heute noch gut nennen können und der Deutschland viele der folgenden Katastrophen vermutlich hätte ersparen können, die aus totalitärer herscherlicher Anmaßung resultierten, gegen die es damals kein wirksames Mittel gab. Sie war auch eine Verfassung hinter der große Teile der Bevölkerung standen und für die sie 1848 gekämpft hatten. Doch die mächtigen Staaten in Deutschland waren noch zu sehr absolutistischem Denken verhaftet, erkannten nicht die Notwendigkeit einer liberalen Reform auf dem Weg zu mehr Demokratie  und Mitbestimmung, um die Zukunft gestalten zu können.

Leider erkennen manche der Pegiden und Reichsbürger den Wert des Grundgesetzes und seiner Werte, die sie teilweise bekämpfen auch nicht und führen eine gefährliche Diskussion zu einer Zeit in der es darum gehen muss, Lösungen zu erarbeiten für eine gemeinsame Zukunft in Europa und wir froh sein sollten über die Verfassung und das Grundgesetz mit seinen hohen Werten, die wir haben. Wenn mir etwas wertvoll ist, möchte ich es verteidigen und mich für seinen dauerhaften Erhalt einsetzen. In Deutschland ist derzeit weniger das Abendland als abstrakte religiöse Gemeinschaft im Geist des Mittelalters gefährdet. Dieses gibt es nicht mehr und es braucht auch keiner, um friedlich zusammenzuleben. Dagegen sind die Freiheit und die Werte des Grundgesetzes massiv gefährdet durch Menschen, die russischer Propaganda hörig diese öffentlich infrage stellen und damit zu geistigen Brandstiftern längst wurden, denen zu viele reale bereits folgten.

Europa und Deutschland verteidigen heißt seine Verfassungen zu verteidigen mit ihren Werten, zu denen Freiheit und Toleranz untrennbar gehören. Es ist Zeit dafür aufzustehen, statt Verständnis für die Feinde des offenen Europas zu zeigen. Für diese ist hier kein Raum, sie passen sich an oder können auswandern.
jens tuengerthal 27.3.16

Samstag, 26. März 2016

Kulturgeschichten 0170

Kaiserwürdigung

Wie betrachten wir einen Herrscher vergangener Zeit und was hat es mit unserem Bild auf Herrschaft überhaupt zu tun?

Geht es um historische Fakten eher oder ein Gefühl für die Zeit?

Was kann ich von einem mittelalterlichen Kaiser noch lernen und warum ist die Beschäftigung mit ihm nicht nur kulturhistorisch wichtig?

Am 26. März 1027 krönte Papst Johannes XIX. Konrad II. und seine Gattin Gisela von Schwaben zu Kaiser und Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs. Damit bestieg ein neues Geschlecht den deutschen Thron, die in den folgenden Generationen viel Bewegung in die Rolle des Kaisers und sein Verhältnis zur Kirche bringen sollten. Dies waren die Salier.

Konrad war auf den kinderlosen letzten Ottonen Heinrich II. gefolgt und tat alles seine Herrschaft noch über Verwandtschaft mit Otto dem Großen weiter zu legitimieren, war doch Herkunft und Tradition im mittelaltelichen Denken wichtiger als Innovation und Ideen.

Dabei half ihm auch seine Ehe mit Gisela, deren schwäbisches Geschlecht sich bis auf Karl den Großen zurückführen konnte, dem Ideal aller mittelalterlichen Könige, was eine höhere Legitimation darstellte als jede gewonnene Schlacht oder innovative Verwaltung. Das mittelalterliche Denken war stärker auf sich bezüglich als innovativ, mehr in Traditionen verhaftet als einer Entwicklung unterworfen.

Als legitimer oder doch zumindest faktischer Erbe Heinrichs II. erhob er auch Anspruch auf Burgund als dieses vakant wurde, was Heinrich wiederum durch seine Frau Adelheid sich erheiratet hatte. Wie erbrechtlich begründet dieser Anspruch auch immer war, gliederte er zumindest Burgund erfolgreich ins Reich ein und so huldigte ihm bei seiner Kaiserkrönung auch der Bischof von Cluny, der bis dahin größten Kirche der Christenheit.

Konrad legte aber mit dem Speyrer Dom den Grundstein einer noch größeren Kirche, die mit 134m Länge alles bisher dagewesene übertreffen sollte, bis heute weithin jedem sichtbar ist, der sich Speyer vom Rhein aus nähert. Damit schuf sich Konrad ein Denkmal, auch wenn zu seinen Lebzeiten wohl erst die Absis vollendet wurde, in der dieser erste Salier auch beerdigt wurde und erst sein Sohn Heinrich III. die Vollendung des Langhauses und der Grablege der Salier erleben durfte.

Ob der erste Salier sonderlich gebildet war, ist zumindest umstritten. Viele Chronisten bezeichnen ihn eher als ungebildeten Tölpel und Analphabeten, wobei unklar ist, aus welcher politischen Motivation sie dies taten. So ist über die Bewertung Heinrichs eine lange Diskussion ausgebrochen, die immer dem Geist der jeweiligen Zeit und ihrer Instrumentalisierung seiner Rolle entsprach. Während das 19. Jahrhundert sich verstärkt um die Tradition des neuen Kaisertums mit dem alten bemühte, wurde nach dem 2. Weltkrieg ein gänzlich anderes Bild des Kaisers gezeichnet, das ihn auch als Kirchengegner und im Konflikt mit Rom sieht. Unklar ist dabei inwieweit es eine den Saliern generell unterstellte Haltung ist, um damit den Investiturstreit und seinen Gipfel, den Gang nach Canossa des Saliers Heinrich IV. zu betonen.

Es gibt beide Elemente in Konrads Herrschaft. Das des Konfliktes mit der Kirche und das des weisen Respektes gegenüber ihr, wie seine fast salomonische Zurückhaltung in dem Streit der Bischöfe von Mainz und Hildesheim um die Zugehörigkeit einer Abtei zeigte. Vielleicht ist die Vielschichtigkeit es, die für manche die Versuchung einfacher Schubladen erhöht. Auch das Gerücht des ungebildeten Analphabeten scheint angesichts seiner strategisch klugen Politik gerade auch um Burgund fragwürdig. Seine Traditionslinie mit seinem Vorgänger Heinrich II., dem Ottonen und Karl dem Großen, zeigten den großen Anspruch des Saliers für sein Haus, das sich in die große kaiserliche Linie damit stellt.

Herrschaft in Monarchien war noch stärker von Traditionen abhängig als heute in der wechselhaften Demokratie, die aber auch ihre eigenen Traditionen kennt und damit Amtsinhabern oft einen gewissen Vorteil gibt, auch wenn die derzeitige Amtsinhaberin gerade für eine mutige, menschliche und weitsichtige Politik von kurzsichtigen, ängstlichen Menschen stark angegriffen wird, weil sie in einer Krisensituation politische Verantwortung übernommen hat, auch wenn ihre Gegner keine wirklichen Alternativen benennen können zum aus der Not notwendigen Verhalten.

Heutige Herrscher in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik sind immer nur auf Zeit gewählt und arbeiten darum anders als die in manchem Monarchen gleichenden Präsidenten Frankreichs weniger an ihrem historischen Erbe, als es früher üblich war. Das hat den Vorteil, dass es mehr um korrekte Amtserfüllung geht als um bloße Prachtentfaltung, aber dafür den Nachteil, dass weniger langfristig über das Erbe der eigenen Politik nachgedacht wird und darum auch nur kurzfristig wirksame Maßnahmen, die dem Volk  gefallen könnten, verfolgt werden. Das Problem der Wahlgeschenke und ähnlich seltsamer Maßnahmen, auch wenn Merkels Politik, die eine Entschuldung unter dem Stichwort schwarze Null erstrebt, dabei weniger gefährdet erscheint und die nüchterne Kanzlerin auch weniger anfällig für monarchische Symbolpolitik scheint.

Erstaunlich ist, wie sehr sich Teile der Bevölkerung über die verhältnismäßig geringen Kosten der Flüchtlingskrise erregen, die bei den wesentlich höheren der Bankenrettung schwiegen, weil sie den Umfang nicht verstanden haben. So zeigt sich, dass es weniger auf die Realität und tatsächliche Zahlen oder Fakten ankommt als auf die Nutzung von Stimmmungen. Erstaunlich wie gespalten hier die Bevölkerung reagiert hat, als die Kanzlerin eine Politik im Sinne der Mitte machte, die von einer asozialen Minderheit dafür in einer Weise angegriffen wird, die den Rahmen des politischen Diskurses verließ und mit radikalsten Forderungen, bis zum Galgen für die Kanzlerin von Pegiden, eine Stimmung im Land verbreiteten, als stünden wir in einer realen Krise und nicht nur vor einer kleinen Herausforderung.

Hier stellt sich die Frage, ob die Kanzlerin hätte anders reagieren können oder Opfer einer von Russland finanzierten Propaganda wurde, die um ihren Wohlstand fürchtende Ossis naiv nachplapperten. Merkel hätte sicher schneller und europäisch besser koordiniert reagieren können. Dabei fielen ihr insbesondere Polen und Ungarn in Europa in den Rücken wie Bayern im eigenen Land, in dem ein wild gewordener Versager Seehofer stets neue Orte der Profilierung sucht, nachdem er mit all seinen im übrigen unerwünschten Projekten völlig versagte und die Kanzlerin ihn vor die Wand laufen ließ, die er selbst errichtete.

Der Einfluss Putins, der alles bisher tat, Merkel bloßzustellen oder zu blamieren, einen persönlichen Rachefeldzug auch in der Ukraine führte, ist sicher nicht zu unterschätzen, doch kann sich das nur noch durch Rohstoffe reiche Russland eine solch kurzsichtige Politik langfristig nicht mehr leisten, warum manche von Putins Aktionen wie Seehofers Pfauenpolitik im Nichts nur lauter Politik enden werden. Leider denken immer noch viele Wähler nicht kritisch reflektiert und betrachten die Politik nicht in einem Gesamtzusammenhang von Abhängigkeiten mit beschränktem Handlungsspielraum sondern lassen sich von Zeichen und Symbolen leiten.

Viele der Verlierer, die heute AfD wählen oder mit den Pegiden spazieren, reflektieren nicht das Programm ihrer Protestwahl gegen ein Establishment, was sie zu sehen meinen, das aber so gar nicht existiert. Die Programme dieser Partei spiegeln nicht das Interesse ihrer Wähler wieder, dennoch genügt die Stimmungsmache in eine Richtung, Wähler zu verführen, die eine diffuse Angst verspüren. Hier bräuchte es eine konstruktive Führung, die Ideale verkündet, hinter der sich Menschen sammeln, um auch mögliche Entbehrungen gern zu ertragen.

Eine solche symbolische Politik bringt praktisch meist nichts und liegt der pragmatischen Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt weniger und dabei ist egal in welche Richtung ihre Politik letztlich zielt. Sie müsste die Menschen abholen, um mit ihnen gemeinsam die anstehenden Aufgaben anzugehen. Das liegt der Pragmatikerin leider weniger als in Hinterzimmern Verhandlungslösungen zu erringen. Es wird sich in einigen Jahren oder Jahrzehnten zeigen wie richtig und weitsichtig ihre Politik war, ob sie darum auch entsprechend gewürdigt wird, ist noch unklar.

Hier sehen wir die Gefahr der Demokratie und der Mediengesellschaft, die im Netz jedem Trend hinterherrennt, statt in Ruhe zu reflektieren. AfD und Pegida werden sich bald erledigen, wenn die Menschen merken, dass sie außer Phrasen keine Lösungen bieten, ihre geselschaftlichen Ideen nicht nur vorgestrig sind sondern im höchsten Maße asozial auch und gerade zu Lasten ihrer Klientel, die nur ihren Trotz ausdrücken wollten. Gefährlich ist ihre Finanzierung durch Russland und deren massive mediale Unterstützung durch Propagandaorgane, welche von denen, die gerne Lügenpresse skandieren für glaubwürdig gehalten werden.

Fraglich nur wohin sich diese Frustrierten wenden werden, wenn sie feststellen, dass die, von denen sie sich Gerechtigkeit erhofften, auch keine anderen Antworten oder Lösungen praktish bieten können, was ihre Helden versprachen nur Luftblasen ohne Perspektive waren. Solche Bewegungen kommen und gehen in Demokratien - die USA haben sie derzeit  mit dem Provokateur Trump, der auch nichts von seinen Sprüchen wird umsetzen können, auch wenn manche längst vermuten, Trump veranstalte die Show nur, um seiner alten Freundin Hilary auch die Stimmen der gemäßigten Republikaner zu sichern, die ihn nie wählen werden aus Sorge um ihr Land, das eine seriöse Politik braucht.

Auch die lautstarken Proteste gegen Merkel zeugen nicht von Verantwortung sondern allein von Trotz und Angst. Sie suchen keine Lösung sondern, wollen provozieren. Es wird sich nach einigen Wogen die Mehrheit durchsetzen, die in Ruhe regiert werden will und eine zuverlässig kalkulierbare Politik wünscht, insoweit könnnen wir beruhigt sein. Fraglich nur, ob wir bis dahin weiter die Populisten des AfD für die Naivität von Teilen der Bevölkerung bezahlen müssen. Das ist zwar ärgerlich aber vermutlich ein zu vernachlässigender Betrag für die Funktion der Demokratie. Auch wenn vermutlich Teile dieser Partei verboten werden könnte und wie zahlreiche Pegida Anhänger wegen Volksverhetzung angeklagt werden könnten, scheint dies als Preis für eine funktionierende Demokratie nicht zu hoch.

So  gesehen sind AfD und Pegida Selbsterfahrungsgruppen für frustrierte Ossis und sich benachteiligt fühlende Protestwähler, die eben selbst feststellen müssen, wie Demokratie funktioniert und warum dies Verschenken der Stimme nur überflüssige Kosten verursacht, ohne politisch etwas zu ändern oder zu bewegen.

Über Konrad wurde von den Chronisten direkt nach ihm und zur Zeit der Staufer gehetzt, weil es in deren Interesse gerade war. Ähnlich betrachtet der kritische Denker die derzeit Hetze gegen Merkels schlicht vernünftige Politik. Vielleicht wäre es wünschenswert und leichter, würde weniger Kosten verursachen, wenn sie Menschen für ihre Politik begeistern könnnte - angesichts der Macht der Kanzlerin ist es nicht schlecht eine bloß nüchterne Pragmatikerin im Amt zu haben, die keinerlei Bedürfnis zur imperialen Repräsentation verspürt. Ob sie noch einen Friedensnobelpreis anstrebt, um sich ein Denkmal zu setzen  oder lieber weiter nur pragmatisch Probleme löst und Aufgaben abarbeitet, ist nicht entscheidend, wichtiger ist, solange das Vertrauen einer Mehrheit in die Pragmatikerin im Hintergrund besteht, wird sie die  Idealbesetzung bleiben, solange sie das will und die momentanen kleinen Gefechte mit großen Worten offenbaren nur die Lächerlichkeit ihrer Ankläger. Darum sollte eine gewachsene Demokratie dieses unangenehm hässliche Geschwür, das AfD und Pegida derzeit bilden, ertragen können und gestärkt aus dieser kleinen Krise der Demokratie herausgehen. Sowenig wie Trump Präsident wir, sowenig wird der AfD gegen Merkel je die Macht erringen und was uns dieser überflüssige Protest kostet, ist egal, wenn er genutzt wird, künftig mehr an der Integration der Feinde der zu arbeiten.
jens tuengerthal 26.3.2016

Freitag, 25. März 2016

Kulturgeschichten 0169

Freitagsverbote

Am Karfreitag ist das Tanzen verboten und Witze, auch 700 Filme setzte die FSK auf eine Liste, die deren Vorführung am Karfreitag verbietet, dazu gehören, Das Leben des Brian, Harold und Maude, Meisterdetektiv Blomquist oder Heidi in den Bergen. Wer nun den Kopf schüttelt, ist sicher nicht allein, aber sich über das Absurde und die Toleranz Gedanken zu machen, kann gut tun und den Horizont erweitern.

Es soll ein stiller Tag der Trauer sein und in Berlin hielt sich zumindest der Himmel daran, der seit 6h am morgen pausenlos heulte, den grauen Dauerregen nicht unterbrach, für die richtige Stimmung sorgte. Auch in Berlin ist Comedy und sind Tanzveranstaltungen verboten, nur kümmert sich keiner darum und die Polizei ist angewiesen das formelle Verbot nicht durchzusetzen.

Ist es nur noch ein absurder Schatten der Geschichte ohne Bezug zur Lebensrealität oder ist die Berliner Lösung einfach gesunder Pragmatismus?

Karfreitag  kommt vom althochdeutschen Kara, was Klage, Kummer, Trauer heißt und Christen gedenken an diesem Freitag vor Ostern dem Kreuztod Christi, für Katholiken ist es ein strenger Fasten- und Abstinenztag, er steht fest in der Tradition des christlichen Aberglaubens. Er ist der erste Tag der österlichen Dreitagesfeier, die in ihrer Gesamtheit das höchste Fest des Kirchenjahres in allen christlichen Konfessionen sind.

Die Kirche gedenkt der Kreuzigung Christi in Erwartung seiner Auferstehung. Nach deren Glauben litt und starb Jesus als Gottesknecht und nahm im Kreuztod freiwiillig alle Sünden und alle Schuld der Menschheit auf sich. Durch den Tod und die Auferstehung Jesu wird nach christlichem Aberglauben allen Menschen die Sündenvergebung zuteil und damit Erretung aus dem Tod und künftig ewiges Leben. Dennoch sterben Christen wie alle anderen Menschen, glauben nur danach wäre noch etwas, was mehr wert wäre, als was bisher ist.

Die Kreuzigung soll dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht im Pascha-Mysterium in einer Reihe mit Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Danach soll nicht allein das Opfer Jesu das Große sein, sondern der Sieg über Hölle, Tod und Grab, was den Epikuräer aber nur insoweit tangieren könnte, als er Lust hat, daran zu glauben, wofür mir bisher wenig Gründe ersichtlich waren. Weder leuchtet mir der Erlösungsaberglauben ein, ich finde das Leben schön und möchte nicht davon erlöst werden, eine völlig falsche Sicht auf das Leben, wie ich finde, noch fürchte ich den Tod, der mich mit Lukrez nichts angeht, da er nie da ist, wenn ich da bin und sollte er da sein, ich es nicht mehr bin, warum ich mich nicht weiter um ihn kümmern muss, er ist schlicht egal und der verbundene Aberglaube kommt mir logisch eher albern vor, auch wenn er eine alte sehr ernsthafte Tradition hat.

Nicht ganz klar ist mir, ob die Angst vor dem Tod zuerst war und wir uns ihretwegen die Religionen so oft ausdachten oder die Religion diese Angst schuf, um uns religiös zu machen. Kreuztod ist keine schöne Vorstellung, oder doch wieder, weil es die vorher Qualen beendet. Insofern Christen durch ihren Messias erlöst wurden, müssen sie dies nicht mehr selbst durchleiden, manche tun es dennoch, andere fügten es sehr lange anderen gerne zu. Nach Logik  im Glauben zu fragen, ist oft gefährlich, meist jedoch nicht zieführend.

Jedenfalls ist dieser Tag ein Freitag, an dem sich die Menschheit soweit christlich beeinflusst schon ziemlich lange mit dem Tod auseinandersetzt und dem damit verbundenen Leiden, an das sie denken, weil es als Erlösung für sie versprochen wird. Welcher persönliche Gewinn darin liegt, ist mir nicht ersichtlich, als eine Art Deantwortung für die eigenen Sünde, die der Sohn des erdachten Gottes ja schon auf seine Schultern nahm, die aber auch nur als solche existiert, wenn wir uns sie ausdenken, also an sie glauben.

Ich kenne keine Sünde, sündige nie und gönne mir, was mir gefällt und gut tut, weil es meiner Natur entspricht, die keine höheren Wesen kennt.

Warum der arme Typ, nachdem er schon gekreuzigt wurde, für die Menschheit leiden musste, nicht endlich seine Ruhe haben kann, sondern auch noch wieder auferstehen muss, um irgendwann gen Himmel zu fahren und sich noch mit erfundenen Gespenstern zu vereinen, leuchtet mir nicht ein. Was für ein Gewinn liegt in dieser Vorstellung und warum halten sich viele aus Angst an diesem Glauben fest, der in der Natur keinerlei Beleg hat?

Eher schon leuchtet mir ein, warum an diesem Tag logisch Tanzen und Partys verboten wurden, um dafür lieber im ehrwürdigen Gedenken in sich zu gehen. Warum das alle tun müssen, egal welchem Aberglauben sie anhängen oder nicht, verstehe ich nicht, sehe es aber als ein Produkt einer lange herrschenden Meinung, die gerne das Leben der anderen dominiert.

Ob es mich stören würde, wäre ich christlich, wenn andere feierten und Spaß hätten, bin ich nicht sicher. Dächte ich diesen Aberglauben konsequent, müsste ich dies höchste Opfer meines dann Herrn äußerst ernst nehmen und könnte Ignoranten kaum verstehen, für die dieser ja auch gestorben ist, für die Vergbung ihrer Sünden. Andererseits könnte mich dieser vollständige Sündenerlass und der Gedanke der christlichen Liebe, wie er etwa in der Bergpredigt zum Ausdruck kommt, auch großzügig machen.

Großzügigkeit und Wahrheitsbesitz aber gehen leider selten Hand in Hand, vielmehr engt die Überzeugung, den richtigen Weg zu kennen, häufig das Denken ein, zumal, wenn es sich um einen höheren Weg zum ewigen Glück handeln soll. Dies auch, wenn die anderen an ein solches Glück weder glauben wollen, noch die kontrapunktisch erfundene Hölle fürchten und gut handeln, weil sie es gut finden, ohne höheren Geboten dabei folgen zu wollen.

Letzter Halbsatz gäbe jetzt eine schöne Möglichkeit einen Ausflug zu machen, warum der kategorische Imperativ systemlogisch alle religiöse Ethik eigentlich für wertlos erklärt, weil ihr kein moralisches Handeln sondern bloßer Gehorsam zugrundeliegt, aber das führte vielleicht auch etwas zu weit in diesem kleinen Karftreitagsessay.

Andererseits ist die praktische ethische Anwendung der Prinzipien vielleicht der beste Maßstab die Tauglichkeit eines Wertsystems zu prüfen. Nähmen wir an, wir folgten göttlichen Geboten auf dem Weg durch die Welt, könnte höchstens noch die Konstruktion der kritischen Prüfung und Annahme dieser Gebote ein ethisches und moralisches Handeln im Sinne des kategorischen Imperativs ermöglichen, alles andere wäre nicht moralisch, sondern stupider Gehorsam, der ethisch ohne Wert wäre. Leider nur, ist die kritische Reflektion göttlicher Gebote, wenn wir sie denn annehmen, eine contra dictio zum Begriff Gottes. Aber auch wenn wir sie reflektieren könnten, wie es die evangelische Theologie seit Bonhoeffer zu erklären versuchte, bliebe das göttliche göttlich und die Moral wäre also nicht menschlich aus dem Akt der Reflexion mit sich entstanden, sondern nur als Auseinandersetzung mit den Geboten des höheren Wesens.

Doch will ich mich in diese abstrakte Betrachtung nicht zu weit vertiefen, während ich eigentlich über Sinn oder Unsinn des Tanzverbotes und ählicher alter Sitten reflektieren wollte. Wenn Menschen menschlich handeln und meinen, sie tun dies, weil es ihnen ein Gott gebiete, ist es besser, als wenn sie aus den gleichen Gründen unmenschlich handeln, auch wenn es nur einen Gott geben sollte, wie beide oft meinen.

Leider wird das ethische Handeln all derer, die sich der Krücke eines Gottes bedienen, immer nur ein Reflex sein, auf das von Gott gebotene Handeln, kein Entschluss zu gutem Handeln nach dem kategorischen Imperativ, der logisch keinen Gott kennt und bleibt also ethisch moralisch eigentlich wertlos im kantschen Sinne. Mit den Jahren pragmatisch genug geworden, freue ich mich schon darüber, wenn Menschen überhaupt gut handeln wollen und hinterfrage es dann aus praktischen Gründen nicht, um ihnen nur zu beweisen, zu Ende gedacht ist, was ihr tut, nicht gut sondern nur nachgemacht, nicht moralisch sondern nur gehorsam, denn wer wäre ich, zu behaupten, es immer besser zu  machen, nicht oft auch nur Geboten zu folgen, weil sie eben da sind oder gerade nicht, wie es der Alltag praktisch erscheinen lässt oder ich zu träge und faul bin selbst zu denken, wie es vermutlich vielen Gläubigen von vornherein ähnlich geht, wenn sie mit der Taufe das all-inclusive-Paket erworben haben, sollen sie doch ihren Cluburlaub genießen, solange ich es nicht gut heißen muss.

Aber vielleicht ist die von mir unterstellte Unmoral aus dem Geist der christlichen Entmündigung auch dadurch geprägt, dass mir schon der zentrale  christliche Gedanke der Auferstehung von den Toten und der Erlösung so fremd und absurd vorkommt, es für mich nichts als die Natur gibt und nichts über sie hinaus, meine Existenz glücklich endlich ist und ich den Tod weder fürchte, noch er mich irgend interessiert, weil er ohnehin nicht davon abhängt, was ich darüber denke. Sondern der Überzeugung bin, dass ich mir mit einem erfundenen Himmelreich und einer phantasierten Hölle nur Probleme schaffe, die kein Mensch seiner Natur nach bräuchte, die mich schlicht nichts angehen. Anderen mag das anders gehen, verstehen muss ich es nicht.

Tolerieren aber kann ich es und versuchen, sie auf ihre Fasson selig werden zu lassen und wenn sie meinen, es sei gut, an diesem Tag nicht zu tanzen, wird die Welt davon nicht untergehen, denke ich inzwischen, der ich aber auch nicht mehr fürchte dadurch etwas zu verpassen. Einen Tag mit oder ohne Gott zum kritischen Denken zu nutzen, sei es auch nur über den christlichen Aberglauben oder die Tendenz in unserer Gesellschaft politischen Heilslehren hinterher zu laufen, scheint mir gut und wie wir diesen nennen, ist mir dabei relativ egal.

Muss ich, der ich die Freiheit besitze, mir selbst eine Meinung zu bilden, keinen Geboten folge als meinem Gewissen, wie es der kategorische Imperativ mir freistellt, über die urteilen, die nicht so frei sind und sich dem Urteil eines erfundenen Gottes unterwerfen?

Nach meinem Gefühl, habe ich soviel Freiheit, diesen ihre beschränkte Welt zu lassen, ohne sie belehren zu müssen oder von ihnen zu verlangen, dass sie meine Freiheit und mein Denken verstehen könnten. Wie sollten sie es denn in einer Welt, in der es Götter gibt und der höhere Wille bestimmt?

Also lasse ich sie in Ruhe ihren Frieden haben und denke weiter, was mir gefällt. Darum respektiere ich sie als Menschen, wie jeden anderen auch und solange sie eine Mehrheit und eine Lobby haben, die Regeln für Feiertage durchsetzt, spielen sie wohl noch eine so große Rolle in unserem Staat, dass sie für andere nicht so unwichtig sind wie für mich. Darum fällt es mir in der Freiheit leichter ihre Intoleranz zu tolerieren und für mich pragmatische Wege des größtmöglichen Lustgewinns zu finden.

Wäre es mir wichtig immer am Karfreitag tanzen zu gehen, würde ich diesen Tag eher in Berlin als in München verbringen, wo es nur verboten ist, trotzdem gemacht wird und sich keiner um das alte Verbot mehr kümmmert. Zum Glück lebe ich in Berlin und nicht in München und kann mir also aussuchen, ob ich am Karfreitag tanzen gehen will oder nicht. Da dies meist nicht der Fall ist, könnte ich wohl auch in München leben, wogegen der anderen Gründe genug sprechen.

Wen ein Tanzverbot empört, der sollte nach Berlin ziehen, wenn er tanzen möchte, ansonsten fände ich es wichtiger über die Gründe des Verbots im Hintergrund dieses Tages in Ruhe nachzudenken und den Aberglauben für sich zu hinterfragen, um sich nach dem eigenen Weg zum Glück zu fragen und wenn der mit Gott sein sollte, wird sich wohl auch mit dem Tanzverbot leben lassen, was meist nur viel Lärm um nichts ist, aber um so mehr Raum zum Nachdenken gibt, auch ohne tanzen zu gehen.
jens tuengerthal 25.3.2016

Kulturgeschichten 0168

Mördertarnung

Ist Mord gleich Mord oder werden manche Morde anders behandelt, je nach Abstammung oder Gesinnung der Täter?

Was sagt es über einen Staat aus, der die einen Mörder verurteilt und lebenslänglich einsperrt, während andere für die gleiche Tat freigesprochen werden?

Kann der Rechtsstaat Mörder und Mörder unterschiedlich behandeln oder muss er es sogar?

Was bleibt von der Freiheit, wenn der Rechtsstaat untergeht?

Am 25. März 1920 ermordeten Studenten aus Marburg in der Nähe des thüringischen Mechterstädt 15 Arbeiter, die sie zuvor als selbsternannte Hilfstruppe wegen Widerstandes gegen den bald scheiternden Kapp-Putsch verhaftet hatten. Die Täter, unter denen sich viele adelige Korpsstudenten befanden wurden ein Jahr später freigesprochen,  auch wenn alle  Indizien gegen sie sprachen.

Bereits seit Mitte März hatte der Kapp-Putsch, der eigentlich vielmehr ein Lüttwitz-Ludendorff Putsch war, aber nicht alle Namen in der Geschichte spiegeln Bedeutung wieder,  auch in der Region Gotha und Eisenach zu Unruhen und Streiks geführt. Nach einer Überreaktion der Eisenacher Militärkommmandantur hatten bereits fünf Bürger in Eisenach bei Unruhen den Tod gefunden, dahingestellt ob es sprachlich sinnvoller wäre, den Tod sie finden zu lassen, waren sie jedenfalls gestorben, damit nicht mehr und Grund zu weiterer Unruhe.

In Marburg, wo es unter den Studenten viele Korporierte gab, bildete sich auf Betreiben der Kasseler Reichswehrleitung das Studentenkorps Marburg. Schon Wochen vorher waren Korpsstudenten von der Reichswehr mit Waffen ausgestattet worden, da ein kommunisticher Angriff gefürchtet wurde und die Korpsstudenten dessen völlig unverdächtig waren.

Bogislaw von Selchow war zum Anführer der Studentenkorps gewählt worden. Unter dessen Führung hatten sich zuvor einige der Marburger Korperationen hinter die Putschisten um Kapp in Berlin gestellt, also eigentlich der Freikorps der ehemaligen Generäe Lüttwitz und Ludendorff, die um ihre Bedeutung fürchteten, die nach den Auflagen der Verträge von Verduns schrumpfen würde.

Der Putsch aus den Reihen der ehemaligen Wehrmachtselite auch um die DNVP bestand nicht einmal 100 Stunden und wurde mit einem Generalstreik, dem ersten der deutschen Geschichte und durch den entschiedenen Widerstand der Arbeiter gestoppt. Bereits wenige Tage nach Beginn dieses Aufstandes der überflüssig gewordenen Militärs, deren Freikorps lange zur Machterhaltung auch von Seiten der Sozialdemokraten benutzt worden waren, floh Kapp am 17.  März nach Schweden. Der verbliebene v. Lüttwitz übernahm das Kommando, nahm jedoch bereits am selben Tag Verhandlungen mit dem Justizministerium zur unblutigen Beendigung des Putsches auf.

Als die Marburger gen Thüringen marschierten war also der Putsch, den sie untertützen wollten, längst gescheitert, die dem angeblich widerstrebenden Arbeiter, die dem Aufruf der Reichsregierung zum Generalstreik folgten, handelten daher legitim, das Marburger Studentenkorps ohne jede Rechtsgrundlage verbrecherisch.

Obiger Selchow war denn auch nach dem Scheitern des Putsches in Berlin am 19. März zurückgetreten. Doch nur wenige Stunden später ließ der Marbuger Ortskommandant einen Aufruf plakatieren, wonach in Thüringen Aufstand sei und bewaffnete Banden raubend und mordend durch das Land zögen. Das Studentenkorps Marburg wurde noch am selben Tag aufgestellt und 2000 stellten sich umgehend für die Aktion in Thüringen zur Verfügung.

In der zu Gotha gehörigen Ortschaft Thal wurden aufständische Arbeiter gemeldet, die gegen den Kapp-Putsch protestierten. Dabei berichtete der Thaler Schultheiß schon von der Bildung Roter Brigaden, die Schusswaffen beschlagnahmten und Lebensmittel konfiszierten. Von den dabei 40 Verfächtigen wurden von den inzwischen in Thale eingetroffenen Mitgliedern des Marburger Studentenkorps 15 aussortiert, darunter waren allein 6 Thaler Gemeinderäte.

Den Verhafteten wurde vorgeworfen, sie seien rote Aufständische gegen die nach dem Kapp-Putsch sukzessive wiederhegestellte staatliche Ordnung. Nach Aussage eines Mitglieds des Korps hätte dieses die Arbeiter vor einer wütenden Menge aus Einwohnern und Reichswehrsoldaten geschützt.  Die so Verhafteten sollten vom Korps nach Gotha zum Verhör gebracht werden. Dabei wurde ihnen bereits die sofortige Erschießung für den Fall des Fluchtversuchs angedroht. Die Wachmannschaft bestand aus neun Koprsstudenten und vier Burschenschaftlern.

Im dichten Nebel, der sich auch auf die folgenden Ermittlungen und die Hirne der Richter wohl legte, fielen auf diesem Transport nach Gotha 15 Schüsse. Nach Darstellung der Angeklagten Korpswächter versuchten die Gefangenen zu fliehen und seien dabei erschossen worden. Das ganze ging fünmal so bis zur erneuten Warnung durch den korperierten Kommandanten der Wachmannschaft. Daraufhin seien die übrigen auch geflohen und dabei leider erschossen worden. Ein beteiligter Student begründete diese unsinnig panische Flucht damit, dass es Gerüchte gegeben hätte unter den Arbeitern, dass die Studenten sie ohnehin erschießen würden, sie also sich nur noch so retten könnten, was nicht gelang.

Nach Ansicht der Arbeiter und ihrer Vertreter wurden die Gefangenen hier grundlos erschossen, wenn nicht sogar hingerichtet. Rechtsmediziner stellten fest, dass ihnen aus nächster Nähe frontal in den Kopf geschossen wurde, was eine Flucht oder deren Versuch unwahrscheinlich macht, flöhe doch keiner in Richtung der gegen ihn gerichteten Gewehrläufe mit dem Gesicht nach vorne.

Der Vorfall sorgte für reichsweite Diskussionen. Teile der Medien empörten sich über den Skandal - während sich Universitäten und Studenten geschlossen hinter die opferwilligen Studenten stellte, die im Dienst des Vaterlandes standen. Im folgenden Prozeß wurden alle Angeklagten frei gesprochen. Nachdem der Kultusminister Haenisch von der SPD vom feigen Meuchelmord der Marburger Buben sprach, empörte sich die gesamte Studentenschaft wie die Universtität und forderte eine schriftliche Entschuldigung, die sie nach dem offiziiellen Freispruch auch bekam. Carl von Ossietzky erkannte die Tragweite der Morde sofort und warnte vor einer Balkanisierung Deutschlands.

Heute gelten die Taten außer in Kreisen der Korpstudenten und der von ihnen bezahlten Historiker unstrittig als feiger Mord. Die DDR hatte den Opfern noch mit einem Feiertag am 25. März gedacht. Die BRD hat zumindest Gedenksteine an der Straße errichtet und einmal 2010 der Opfer gedacht.

In der Weimarer Republik war also auch hier wieder Mord nicht gleich Mord und ohne nun die alte Geschichte von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wieder aufwärmen zu wollen, ist es doch wichtig, jenseits linker Heiligenanbetung, die Täter Täter und die Brandstifter Brandstifter zu nennen und auch wenn die Korpsstudenten womöglich wirklich nur helfen wollten, war ihr Hass gegen alle Linken und ihre Wut auf diese groß genug, dass sie nie von der Reichswehr hätten bewaffnet werden dürfen.

Die Zuverlässigkeit in Fragen der staatlichen Treue und Verfassungsmäßigkeit ist wichtig und wenn deutlich wird, dass Betreiber eines Flüchtlingsheims oder zur Neutralität verpflichtete Polizisten oder andere Staatsdiener etwa in den Geheimdiensten geistig in der Nähe von Pegida und AfD stehen, muss dagegen entschlossen vorgegangen werden, sind sie nicht für ein solches Amt befähigt und müssen beurlaubt oder entlassen werden. Bestimmte Anschauungen sind mit der Beschäftigung im öffentlichen Dienst und der dortigen Neutralitätsverpflichtung nicht zu vereinbaren.

Wie schnell der feige Mord an 15 Arbeitern unauffällig versteckt wurde, ohne dass einer der Täter dafür belangt wurde, ist erschreckend. Doch wie weit sind wir von solchen Verhältnissen in Sachsen entfernt, wo Rechte ungestört agieren können und deren Propaganda noch staatliche Unterstützung bekommt?

Sind wir nicht wieder sehr schnell im militanten Bereich, wenn Pegiden fordern die Kanzlerin und ihren Stellverteter zu hängen - auch ohne Gabriel zu schätzen, muss sich über diese Verrohung, die aus dem Osten kommt, jeder Demokrat empören. Was Pegida verkündet ist nicht normal und darf es nicht werden. Dagegen müssen wir uns noch lauter und deutlicher wehren. Diese rechtsradikale Randgruppe muss ausgegrenzt und als nicht tragbar stigmatisiert werden, sie schaden dem Ansehen dieses Landes und zerstören nachhaltig den inneren Frieden.

Wer sich auf dem rechten Auge weiter kurzsichtig bis blind zeigt, wie wir es in Sachsen teilweise täglich sehen müssen, aber in Neufünfland überhaupt erschreckend oft, muss sich nicht wundern, wenn Populisten Wahlen gewinnen. Die BRD hatte ihre Lehren aus der Zeit von 1933-45 gezogen und Verantwortung übernommen, die DDR nie, warum es so wichtig ist, die naive Dummheit vieler Menschen dort im größeren Kontext zu sehen. Es ist nicht nur ein höheres Maß an Verblödung und Rücksichtslosigkeit, es ist auch ein Mangel an politischer Bildung und historischer Verantwortung wie wir ihn derzeit auch etwa in Polen und Ungarn beobachten können, die sichtbar inhaltlich noch nicht in Europa ankamen und sich in nationaler Nabelschau versuchen, die der Westen bis zum Fall des eisernen Vorhangs glücklich überwand, warum sich mancher nicht ohne Grund diesen manchmal zurück wünscht.

Doch ist es unsinnig das eine Unglück durch das andere der Unfreiheit bekämpfen zu wollen, warum es deutlich mehr Aufklärung und Bildung braucht für all die Pegidioten, die von Lügenpresse schwadronieren und russischen Propagandamedien zur Meinungsbildung lauschen, Verschwörungstheorien ihrer Unterdrückung hinterher hecheln, weil sie sich ständig benachteiligt fühlen, ohne es je zu sein. Es könnte dieser Landesteil auch an Polen abgetreten werden ohne dramatische Verluste sehen wir von den historischen ab oder vielleicht gegen das ehemalige Königsberg getauscht werden. Doch jenseits aller Ironie können wir nicht wirklich alle 25% Idioten in Sachsen-Anhalt abschieben oder in eine Besserungsanstalt sperren, weil sie die Demokratie nicht verstanden haben, auch wenn es angemessen wäre. Nur nichts tun dürfen wir noch weniger.

Wer diese auch verbale Gewalt in Ostelbien und seinen Provinzen weiter toleriert, schreibt diese dauerhaft ab. Es gab auch in der BRD nach dem Krieg noch deutlich mehr Nazis und politisch Verwirrte, die auch im Rahmen der Studentenproteste zur Integration gezwungen wurden. Es geht nicht um Verständnis und Diskurs sondern um Standhaftigkeit und Unnachgiebigkeit  in den Grundwerten, damit sich diejenigen ausgrenzen, die nicht in der Demokratie ankamen. Pegida diese widerliche Vereinigung eines kriminellen Betrügers muss als der Abschaum behandelt werden, der sie ist. Kein weiterer Diskurs erforderlich, so wenig wie es eine Legitimation für die Mörder von Thal gab, die auf der Flucht von vorne in den Schädel geschossen haben wollen.

Die AfD Führungsweiber, die auf Flüchtlinge schießen lassen wollen, stehen in Reih und Glied mit den Pegiden, sie stehen in der Tradition des Marburger Korps und sind sowenig in der Demokratie angekommen wie viele ihrer Anhänger. Diese müssen dauerhaft gebildet, aufgeklärt und zur Umkehr gezwungen werden. Wer keinen Kapp-Putsch will und politisch gewollte Morde, die juristisch vertuscht werden, der muss jetzt aufstehen und gegen diese Populisten kämpfen, um der Freiheit willen.
jens tuengerthal 25.3.2016