Dienstag, 5. April 2016

Kulturgeschichten 0180

Herrschergröße

Was macht einen Herrscher groß, wann stellen wir das fest und was bewirkt das Gegenteil?

Am 5. April 1355 wird Karl IV. in Rom zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Gleichzeitig erfolgt auch die Krönung seiner Frau Anna von Schweidnitz zur Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen. Karl IV.  gilt als einer der bedeutendsten Herrscher des ausgehenden Mittelalters und zählt zu den einflussreichsten europäischen Herrschern jener Zeit.

Als Königin oder Kaiserin Europas galt lange und gilt vielen immer noch Merkel, die still ihre Fäden zog, bevor sie im Glanz ihrer Macht auch so auftrat, eine Meinung vertrat, statt nur beamtisch das eben notwendige zu tun, ihr handeln bescheiden als alternativlos zu bezeichnen. Die Kanzlerin sieht sich derzeit, Angriffen von allen Seiten ausgesetzt.

Alte Feinde ihres schwäbischen Sparkurses freuen sich und suchen ihr vorige Machtpolitik heimzuzahlen, tragen stets den Dolch im Gewand, sie mit Gewalt natürlich nur von hinten zu stoppen. So wird eine Einladung des altersschwachen Helmut Kohl, ihres einstiegen Ziehvaters an den Ungarn Orban übermittelt, mit dem sich kein demokratischer Europäer noch gerne zeigt, der keine Lösung hat, aber Merkel schaden möchte, um seine nationalistische Politik durchzusetzen und so übt der Alte von Oggersheim aus Rache wie einst der raunende Bismarck aus dem Sachsenwald, nur dass es einfach offenbart, wie vorgestrig die Politik ihrer Gegner ist, die bereits senile weit über achtzigjährige als Fürsprecher braucht, um wahrgenommen zu werden.

Frühere politische Gegner sind verwirrt, weil sie ihr nichts entgegensetzen könnnen, sie verteidigen müssen, auch wenn ihnen manches sonst nicht passt, sie nicht wissen, was sie sagen sollen, wer gegen Merkel Partei ergreift, verteidigt ihre Gegner aus dem Lager der Rechtsradikalen und Feinde der Demokratie oder ist CSU Bayer, was beides aber nicht ganz und noch etwas anderes auch ist.

Politische Freunde sind auch verwirrt, wird doch die Kanzlerin in ihrer Politik für die Mitte derzeit verbal ständig rechts von peinlichen Sozialdemokraten überholt, die nicht mehr wissen, wie sie noch gute Menschen und dennoch eigenständig sein sollen, wirtschaftspolitisch ihr Klientel verraten und sich zugleich rechts von einer CDU Kanzlerin positionieren wollen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, logisch also an Schizophrenie leiden und entsprechend wenig von den Wählern geachtet werden.

Neue Feinde rechtsaußen, die sich vor Zuwanderung fürchten und innerlich noch den Rassenideen eines nationalsozialistischen Deutschland mit Blut und Boden anhängen, keifen laut und wollen die Kanzlerin am liebsten hängen sehen - der Ton gegen sie auch in der Partei wird giftiger und schärfer, wobei die Kanzlerpartei noch nicht genau weiß, was sie eigentlich will und wo es hingeht, während Merkel mit dem Autokraten Erdogan schlechte Deals aushandelt, um Zeit zu gewinnen für ihren richtigen und vernünftigen Kurs, wenn sie denn einen hat und nicht nur auf Notwendigkeiten alternativlos reagiert.

Ihre Größe wird daran gemessen werden, wie sie Europa zusammenhält und die Krisen überwindet - die verbalen Ausrutscher und der Hass ihrer Feinde stärken sie politisch nur, weil sich die Kanzlerpartei gegen Angriffe von außen noch immer eng zusammenschloss und die CSU dort keiner zu ernst nimmt, nur akzeptiert und toleriert. Sollte sie die Steuersümpfe trocken legen, die gerade wieder dank der Panama-Papers offenbar wurden, London zum Handeln in seinen Oasen zwingen, wenn es sich nicht aus dem Bündnis der Rechtsstaaten verabschieden will und wie lange noch die Briten dies mittragen, scheint mehr als fraglich.

So gesehen könnte die Könign Europas diese kleine Krise gelassen überstehen, auch wenn noch lästige Landtagswahlen anstehen und der hässliche Wurmfortsatz AfD dem Ansehen Deutschlands in der Welt schadet, wird er sie nicht stürzen, sondern nur stärken, weil sie noch alternativloser wird angesichts der peinlichen Populisten und ihres Narrenstadels zwischen Pegida, CSU und NPD, den Deutschland nicht braucht, der aber letztlich nur die Mitte stärken wird. Ein Urteil über ihre Herrschaft ergibt sich daraus aber noch nicht, sondern hängt an verschiedenen Faktoren, deren Wirkung sich erst langfristig zeigen werden.

Obama, der mit großer Bugwelle und Nobelpreis gestartet ist, landete hart auf dem Boden der Realität, in der sich die USA im System gegenseitiger Kontrolle nahezu überhaupt nicht bewegen können, was die Macht des Präsidenten sinnvoll beschränkt aber Entwicklung im reinen Mehrheitssystem auch dauerhaft ausbremst, Stagnation fördert. Aber hängt Größe von Herrschaft an den Veränderungen, mehr am Erhalt oder gar an etwas Drittem, das wir noch nicht benannten und was schwer zu fassen scheint?

Kohl, der vieles nur aussaß, galt nach der Einheit als Großer ohne welche ihn wohl ein Lafontaine weggefegt hätte, der mit später geringerer Bedeutung mangels äußerer Größe nie mehr klar kam und sie mit jüngeren Frauen kompensieren musste. Was macht davon Größe aus, außer aus dem kleinen Saarland zu kommen?

Was wird von einem Schröder bleiben, außer den Mut zur Hartz IV Reform gehabt zu haben? Wo hat er Größe bewiesen? Genügt ein Rilke Gedicht in Paris und Zigarren im Kanzleramt?

Wird Seehofer der Schreihals, der in all seinen Projekten und Forderungen lauthals versagte und nichts als Ärger erzeugte, als peinlichster Ministerpräsident in die peinliche Geschichte eingehen, woran bemisst sich im Land Größe?

Wird ein Klaus Wowereit am politischen Versagen beim BER gemessen, an mangelhafter Integrationspolitik bei hohen Schulden oder am schwulen Geständnis und fröhlicher Repräsentation auf den Partys der Hauptstadt?

Warum ist Elisabeth I. fraglos eine große Königin, während bei Elisabeth II., gegen die es nichts zu sagen gibt, mancher fragt, was ihre Größe für Britanien ausmachte als die Dauer der Zeit?

Was scheint uns über die Zeiten groß und welche nur Repräsentanten der Macht vergessen wir schnell wieder, kaum haben wir ihren Namen gehört?

Hinterlässt alter Adel und Familie mehr Spuren in der Politik oder gerade nicht mehr?

Karl IV. der, als er 1355 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, schon neun Jahre gewählter römisch-deutscher König war und acht Jahre zuvor zum König von Böhmen gekrönt wurde, war zumindest noch ganz frischer König von Italien und damit Träger der lombardischen Eisenkrone, als der Papst dem Luxemburger die heilige römisch deutsche Kaiserwürde verlieh, bekam nochmal zehn Jahre später 1365 auch noch die Krone von Burgund.

Getauft wurde Karl eigentlich Wenzel, womit seine Eltern dem Schwiegervater gedachten, Wenzel II., der noch vor Karls Vater, Johann von Luxemburg, der auch als Johann der Blinde bekannt wurde, in Böhmen und Ungarn König war. Karl wurde am Hof des französischen Königs Karl V. erzogen, der gute Kontakte zu den Luxemburgern unterhielt und dem jungen Prinzen eine umfassende Bildung zukommen ließ, was für sein späteres Wirken von Bedeutung sein sollte. Vater und Sohn waren dabei sehr unterschiedlich, während Johann als sehr verwegen und ritterlich galt, prompt auch im Kampf starb, war Karl Tunieren eher abgeneigt und galt als nachdenklich.

Nach seiner Autobiografie beherrschte Karl fünf Sprachen, Latein, Deutsch, Tschechisch, Italienisch und Französisch. Er war von seinem Erzieher am französischen Hof, dem dann Papst Klemens VI. bereits gegen Ludwig den Bayern gefördert worden und mit Unterstützung seines Onkels Balduin von Trier, einem dem mächtigsten Kurfürsten, zum Gegenkönig 1346 gewählt worden, und am falschen Ort in Bonn gekrönt worden, warum er sich 1349 noch einmal in Frankfurt wählen und in Aachen krönen ließ, was sich wegen einer Wallfahrt mit Geißlern gegen die überall Pest einige Tage verzögerte. Karl festigte seine Macht durch ein Heiratsbündnis mit den Pfalzgrafen und dem falschen Woldemar, der angeblich ein Nachkomme der Askanier war, später einigte er sich auch noch mit den Wittelsbachern und den Habsburgern, was seine Macht konsolidierte.

Während er seine Herrschaft festigte, wurde Europa von schweren Pestepidemien heimgesucht und die daraus von ungebildeter Bevölkerung folgenden Judenprogrome, da die Masse der Ungebildeten Schuldige suchte, wie heute in Sachsen und anderen Regionen vor allem Neufünflands. Dies tolerierte der Kaiser zwar nicht direkt, doch indem er der Stadt Frankfurt sein Judenregal verkaufte, das die Juden gegen Geldzahlung unter kaiserlichen Schutz stellte, leistete er der Verfolgung zumindest Vorschub und schritt nicht gegen sie ein. Karl schützte zwar die Juden in seinem Herrschaftsbereich sehr effektiv, jedoch reagierte er auf die Städte, in denen Progrome stattfanden eher pragmatisch und wurde so zum Mittäter am massenhaften Judenmord.

Die Kaiserkrönung in Rom wurde nicht von Papst Innozenz VI. selbst durchgeführt, da dieser, wie alle Päpste seit Clemens V. nur in Avignon residierte, sondern von einem beauftragten Kardinal. Sein Verhalten gegenüber dem Vatikan brachte ihm die Bezeichung Pfaffenkönig ein, was so wohl übertrieben scheint aus historischer Betrachtung, allerdings setzte er mehr auf ein Einvernehmen mit dem Papst als auf Konfrontation. Die Italienzüge des Kaisers erreichten eigentlich nichts, außer die Zahlung fälliger Tribute und die Anerkennung seiner Stellung als Kaiser auch durch Florenz und Mailand. So bezeichnete etwa der zeitgleich lebende Petrarca seine Politik als die eines Kaufmanns, was keine ritterliche Ehre war, aber pragmatisch effektiv schien und denken wir an unsere Zeit und überlegen, wer pragmatisch handelt, statt sich im dogmatischen Streit zu verlieren, wird offenbar, dass die Kanzlerin, dem Geschrei ihrer Gegner zum Trotz gerade vermutlich mehr an ihrer Größe arbeitet als ihre hysterischen Gegner, die ständig hyperventilierend vor Angst nach Luft schnappen aus Sorge ums Vaterland.

Mit Frankeich pflegte er weiter die freundlichen Kontakte aus Kinderzeiten und vermied jeden Konflikt, entließ Avignon aus der Lehensherrschaft seines Imperiums, gab die Stellung als Reichsverweser für Burgund, aus dem Erbe des Vaters seiner Frau, wieder auf, löste aber Genf und Savoyen aus dem Königreich Burgund und gliederte beide direkt ins Reich ein, was das Könirgreich in Italien räumllich einte.

Der wichtigste Beschluss, den Karl durchsetzte, war die Goldene Bulle, jene Verfassung des Reiches, die danach bis zu seiner Auflösung 1806 Gültigkeit hatte. Dabei ist strittig, ob die darin genau geregelten Bedingungen der Wahl eher ein Erfolg des Kaisers oder der Kurfürsten war. Bemerkenswert ist, dass die Bestätigung durch den Papst in der Goldenen Bulle nicht mehr als Notwendigkeit geregelt wurde, damit auch faktisch entbehrlich wurde. Bis zum Ende des Reiches über 400 Jahre später, wurde die dynastische Tradition der Luxemburger und der ihnen eng verwandten Habsburger nur noch durch zwei Wittelsbacher unterbrochen, Ruprecht von der Pfalz, wie Karl VII. von Bayern, der auf Maria-Theresias Vater folgte und eine Folge der pragmatischen Sanktion als Ausreißer nur war, die Rache der Kurfürsten für die Inthronisierung Maria-Theresias.

Karl wurde auf die Hanse aufmerksam und besuchte Lübeck, sein Versuch Tangermünde als neue Residenz und Hauptstadt in Brandenburg aufzubauen scheiterte jedoch und verlief sich unter den Nachfolgern, auch wenn die Hohenzollern dort zunächst anfingen, ließen sie das Nest doch lieber für die Spreeinsel, aus der das spätere Berlin erwuchs, im märkischen Sand versauern. Das ursprünglich schwäbische Geschlecht der Hohenzollern war als Burggrafen von Nürnberg unter Karl zu gewisser Bedeutung gelangt, die erst die spätere Karriere ermöglichte.

Karl starb 1378 in dem Jahr des abenländischen Schismas, an dem er nichts ändern konnte, bei dem der persönlich fromme Herrscher aber klar zum Papst hielt. Unter Karl war durch seine intensive Bautätigkeit Prag zur Goldenen Stadt geworden, so errichtete er die Karlsbrücke, die bis heute steht und eröffnete die dortige Universität. Er scheiterte mit seinem Versuch eines Landfriedens, gliederte jedoch Schlesien endgültig ins Reich ein, was sein Vater noch versucht hatte. Neben Schlesien hatte er noch durch den Vertrag von Fürstenwalde die Herrschaft in der Mark Brandenburg übernommen und damit die zweite Kurwürde gewonnen. Um seine Hausmacht, wo es ihm nötig schien, taktisch zu stärken, scheute er auch nicht davor, Reichsteile wie Burgund aufzugeben oder andere zeitweise zu verpfänden. Durch die hohen Kosten, die Bestechung und der Kauf von Stimmen verursachten, war Karl ständig am Rand der Pleite und sein dynastisches Erbe zerfiel finanziell schon unter seinem Sohn durch die in seinem Testament vorgesehenen Versorgungsregeln.

Karl war viermal machttaktisch sehr klug verheiratet und hinterließ 10 Kinder, die mit den wichtigsten Fürstenhäusern Europas verbunden waren. Durch diese Ehen wurde das Haus Habsburg nach dem Tod seines Sohnes langsam als nächste Verwandte direkt an die Kaiserwürde herangeführt.

Über seine Bewertung wird natürlich unter Historikern noch gestritten. Unstrittig ist jedoch, dass er die größte Herrscherpersönlichkeit des Spätmittelalters war zumindest im Heiligen Römischen Reich als dessen letzter mittelalterlicher Repräsentant er gilt. Kritisch wird seine Politik in Italien gesehen, insbesondere von Petrarca, der es auch überlieferte, weil es der Kaiser nicht schaffte, dort eine Ordnung nach seinen Vorstellungen herzustellen. Andererseits war einer der wenigen, der sich überhaupt mit den italienischen Städten friedlich einigte, seine päpstliche Krönung ohne großen Streit oder Waffengewalt erreichte, was kaum einem zuvor je gelang. Kritisch wird teilweise gesehen, dass er durch seine Verpfändungspolitik das Kaisertum zu einem reinen Hausmachtkönigtum entwickelte, was aber ja in seinem dynastischen Sinne war und sich bis 1806 als erfolgreich erwies. Auch seine Haltung gegenüber den Juden, die eigentlich seinem Schutz unterstanden, wofür sie teuer bezahlten, wird wie oben bereits erwähnt, heute bemängelt - er nutzte die Chance, auf sehr unfaire Weise einen Teil seiner Schulden auf Kosten einer Minderheit loszuwerden, die niemand mehr vertedigte und die zum Ziel von Volkes Zorn während der Pest missbraucht wurde.

Karl IV. ist weniger Menschen ein Begriff als der 200 Jahre später regierende Karl V., der Kaiser in dessen Reich die Sonne nie unterging, aber er wirkte nachhaltiger und findet sich in Brückennamen oder verbunden mit der Goldenen Bulle und der danach Hausmacht von Habsburg und Luxemburg als eine der wichtigsten Herrscherfiguren Europas und jedenfalls des Deutschen Reiches. Die Erinnerung an ihn ist teils gespalten und es gibt eben auch kritische Stimme, wie immer in der Politik eben, doch überwiegt klar die Anerkennung seiner Größe bis heute.

Wie wird der Nachruhm von Merkel im Vergleich zu anderen Zeitgenossen wie dem Präsident heute genannten König von Frankreich oder dem Herrscher der USA?

Wird sich diese Wahrnehmung nach der Machtergreifung von Hillary, die im nächsten Januar immer wahrscheinlicher wird, noch einmal verändern mit den beiden mächtigsten Frauen?

Was macht ihren Ruhm langfristig aus und wird ihre Flüchtlingspolitik historisch betrachtet sie eher angreifbar machen oder zur ruhmreichen Figur erheben, die über den Moment hinaus dachte?

Können wir über den gerade Moment aktueller politischer Befangenheit hinausdenken und Größe in politischen Prozessen und Verhandlungen erkennen?

Was macht Größe einer Herrscherin aus und steht Merkel inzwischen eher auf einer Ebene mit Katharina der Großen als mit Maggie Thatcher?

Wie wird Merkel Europa als ihr Vermächtnis gestalten wollen oder geht es ihr weniger um große symbolische Gesten als die Kunst des Machbaren?

Ähnelt Merkel in ihrem alternativlosen Pragmatismus mehr Karl IV., der eben Kompromisse irgendwie auch in Italien suchte oder Barbarossa, der sich zur Not mit den italienischen Städten und dem Papst schlug?

Was scheint uns wirklich groß und was übersehen wir im lauten Alltag gern?
jens tuengerthal 5.4.2016

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