Freitag, 15. April 2016

Kulturgeschichten 0190

Rechtsstaatsvertrauen

Ist es manchmal klüger, sich zu aktuellsten Themen alten Denkern zuzuwenden?

Bei der Lektüre der Entscheidung im Fall Böhmermann und dem kollektiven Aufschrei in der Republik, bei dem sich die SPD als Opposition in der Koalition zu profilieren versuchte, was nicht einer gewissen Feigheit enbehrt und eher an den Stil der Salonrevolutionäre als an freies Denken erinnert, dachte ich an den 1592 verstorbenen Michel de Montaigne, den ich sehr schätze und der sich aus dem politischen Leben als Bürgermeister oder Stadtrat, da sind sich nicht alle einig und, hierbei dagegen besteht Einigkeit, Berater des Königs Henry IV. in seinen Turm mit der Bibliothek zurückzog, auch um über die Welt nachzudenken und fragte mich, was er wohl zu den aktuellen Fragen meinte und kam zu einem erstaunlichen Urteil und frage mich, wer wohl die Kanzlerin hier beraten haben mag.

Was begründet das Vertrauen in den Rechtsstaat?

Kanzlerin Merkel hat heute das Verfahren nach § 103 StGB gegen Jan Böhmermann genehmigt. Hierbei war die Bundesregierung als Koalition nicht einer Meinung, da die SPD eine Verweigerung der Genehmigung wünschte, die alte Majestätsbeleidigung auf die sich Sultan Erdogan berufe, sei entbehrlich, gehöre abgeschafft und ein Verfahren danach, dürfe im Namen der Kunstfreiheit nicht genehmigt werden. Hinsichtlich der künftigen Abschaffung waren sich dagegen alle einig und beschlossen zumindest dies einstimmig.

Geht es um die Kunstfreiheit und wollte diese überhaupt jemand begrenzen?

Schon immer findet die Kunstfreiheit ihre Grenzen im § 185 StGB, der Beleidigung, wenn Kunst einen anderen beleidigt und diese die Tatbestandsmerkmale des entsprechenden Paragraphen erfüllt, konnten der Kunst Grenzen gezogen werden. Jedoch stellte sich die Frage nach dem Antrag des türkischen Staatspräsidenten nach § 103 nicht mehr, es ging nun nur noch darum, ob die Bundesregierung ein rechtsstaatliches Verfahren nach § 104a genehmigt, was sie muss, wenn die beleidigte ausländische Majestät gegen deutsche Staatsbürger klagen will.

Solche Fälle gab es früher schon, im Fall des persischen Shah und seiner Regierung sowie der Schweizer Ministerpräsidenten und andere weniger wichtige Fälle der Majestätsbeleidigung, die nicht in eine Demokratie logisch passt, was aber auch die zuständigen Richter wissen, die vor allem auch die weite Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kunstbegriff und zum grundsätzlichen Vorrang der Kunstfreiheit kennen.

Es ging nicht darum ein Urteil über den Fall zu fällen, dafür sind im Rechtsstaat Richter zuständig, sondern, ob die Bundesregierung dem formell notwendigen Antrag des türkischen Präsidenten nachgeben muss, weil die formellen Anforderungen der Genehmigung vorliegen, damit dieser sich vor deutschen Gerichten weiter blamieren darf. Wer aus inhaltlichen Gründen meint, dem bösen Erdogan dürfe dies nicht genehmigt werden, weil er auf Kurden schießt oder Journalisten einsperrt, hat scheinbar den Rechtsstaat nicht ganz verstanden.

Schadet es der Kunstfreiheit, wenn ein deutsches Gericht über die Klage eines zumindest zweifelhaften türkischen Politikers entscheidet, der selbst die Freiheit unterdrückt?

Ist es nicht im Gegenteil, Zeichen für einen funktionierenden Rechtsstaat, wenn die Regierung nicht in juristische Verfahren eingreift?

Was wäre von einer Regierung zu halten, die aus Gründen politischer Oportunität auf den rechtsstaatlichen Weg verzichtet und die Genehmigung eines Verfahrens verweigert, dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen könnten?

Ist es Aufgabe der Bundesregierung über juristische Fälle zu entscheiden oder wäre das, was die SPD in peinlich populistischer Anbiederei fordert, nicht ein verwerflicher Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung?

Darf ein Herr Erdogan, wenn er sich beleidigt fühlt, nicht die gleichen Rechte wahrnehmen, wie jedes andere Staatsoberhaupt mit dem diplomatische Verbindungen und ein vertrauensvoller Kontakt bestehen?

Wovor sorgt sich, wer dies Verfahren einen Skandal nennt?

Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand, hieß es früher einmal, doch dieser dumme Spruch aus vorrechtsstaatlicher Zeit gilt auf See sowenig wie vor Gericht. Es werden Urteile nach geltendem Recht gesprochen. Schon der Tatbestand der Beleidigung oder Herabwürdigung scheint fraglich, hinsichtlich der Intention von Böhmermann, der nicht beleidigen sondern aufklären wollte, was genau nicht geht und als Beleidigung unzulässig wäre, warum es ihm vom Willen her nicht um die Beleidigung von Erdogan ging, sondern um die Vorführung des deutschen Staates und seiner normativen Grenzen.

Das Gedicht ist sexuell beleidigend, schürt dumme, rassistische Vorurteile und findet darum soviel Zustimmung von Rechtsradikalen, die den Satiriker, der auch sie aufs Korn nahm, sonst eher nicht mögen, es gäbe wenig Gründe dies als Kunst zu schützen, stünde es solitär.

Von türkischer Seite wird teilweise vorgebracht, ginge das Gedicht gegen einen israelischen Politiker, wäre es längst verboten und berufen sich dabei auf die Paragrafen, die das Leugnen des Holocaust unter Strafe stellen und ähnliche Regelungen. Doch diese griffen hier nicht. Es könnte auch der israelische Ministerpräsident ein solches Verfahren verlangen und würde an den gleichen Punkten mit Sicherheit scheitern wie Erdogan.

Warum sollte Merkel einen politischen Streit mit einer politischen Entscheidung in einer nur Rechtsfrage provozieren?

Die Türkei  wird als Partner gerade benötigt, es liegt nicht im Interesse der Bundesrepublik diesen Partner mit einer zweifelhaften politischen Entscheidung vor den Kopf zu stoßen. Wenn dieser Partner nicht versteht, um was es geht und es deutsche Gerichte braucht, ihm dies zu erklären, ist das besser, als wenn die Regierung dies täte. Dies bewiese Erdogan zum einen, in Deutschland gibt es einen Rechtsstaat, in dem die Politik keine Urteile auch in politisch mit kritischen Fragen fällt, sondern dies vertrauensvoll den Gerichten überlässt, zum anderen wie absurd sein autoritäres Ansinnen sich aufzuführen wie bei sich unten in der Türkei, rechtlich zu beurteilen ist.

Was hätte Merkel klügeres in dieser Situation tun können, als die Sache den Gerichten zu übergeben und sich des Urteils zu enthalten?

Hier kommt nun wieder der von mir sehr geschätzte Michel de Montaigne zu Wort, der auf einem der Balken an der Decke seiner Turmbibliohtek folgendes Zitat von Sextus Empiricus verewigen ließ, das sein Denken sehr treffend bezeichnet:

“Ich bestimme nichts (setze nichts fest). Ich verstehe nicht. Ich enthalte mich des Urteils. Ich erwäge.”

Wie an einem anderen Balken, an dem er Plinius zitiert:

“Nichts ist gewiss als allein das Ungewisse, und nichts elender und aufgeblasener als der Mensch.”

Wenn sich ein Politiker weise des Urteils enthält, verurteilen wir ihn, weil wir Entschiedenheit wünschen, auch wo es nicht seine Kommpetenz ist, dagegen loben wir gern alle, die ganz entschieden gerade populäre Positionen vertreten, weil sie mit der Mehrheit am ehesten kompatibel sind, egal wie unsinnig sie auch sind.

Weiß nicht, was in diesem Fall richtig ist und enthalte mich darum jeden Urteils zum Fall, über den Richter entscheiden werden, die eine gute Ausbildung haben und auf einer relativ guten rechtsstaatlichen Ordnung stehen, die zumindest zu den besten gehört, die wir haben weltweit. Es gibt keine Gründe, daran zu zweifeln und eher versuchte schon die Politik die Freiheit der Kunst und des Journalismus zu beschränken, als das Richter dies zuließen, auch insofern bin ich sehr beruhigt angesichts dieses Verfahrens, das die heutigen Schlagzeilen bestimmt, ein kulturelles Ereignis eigener Art wird und zu dem ich, statt meine Meinung zum besten zu geben, die vermutlich nicht mehr taugt als die aller anderen, lieber noch einmal den schon über 420 Jahre toten Montaigne zitiere als bestehendes Kulturgut, das uns mehr Weisheit in der Sache und beim Blick auf die womöglich weise und rechtsstaatliche Entscheidung der Kanzlerin geben könnte.

“Was weiß ich schon?”

So fragt Montaigne vor seinen klugen Essais und stellt sein weniges Wissen immer wieder infrage, überprüft sich und liefert Anregungen, die mir in aufgewühlten Zeiten, besser zu passen scheinen, als noch eine Meinung im Chor.

"Am jetzigen Verfall hat jeder von uns seinen eigenen Anteil."

"Anmaßung ist unsere eigentliche angeborene Krankheit."

"Die tödliche Krankheit des Menschen ist seine Meinung, er wisse."

“Man muß uns, glaube ich, nie so viel Verachtung zeigen, wie wir verdienen.“

“Wir werden viel weniger durch das verletzt, was uns geschieht als durch unsere Meinung darüber.“

Und so möchte ich mich des Urteil enthalten, im Vertrauen darauf, in einem Rechtsstat zu leben, der ein Urteil nun besser fällen soll als die Politik, deren Aufgabe es nicht ist, Urteile zu fällen und so nenne ich nur die weise, die sich dessen zu enthalten wissen, was nicht ihre  Aufgabe ist und von dem sie nichts verstehen und lasse Montaigne so stehen, denn letztlich geht es doch nur um eines, wie Montaigne es so treffend sagte:

„Auf den Tod sinnen heißt auf Freiheit sinnen. Wer sterben gelernt hat, versteht das Dienen nicht mehr. Wer die Menschen sterben lehrt, lehrt sie leben.“
jens tuengerthal 15.4.2016

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