Freitag, 8. April 2016

Kulturgeschichten 0182

Beamtenstatusquo

Der Staat ermittelt im Fall Böhmermann gegen einen Satiriker, der es wagte ein fremdes Staatsoberhaupt, das sich selbst schon lächerlich genug macht, noch völlig überzeichnet zu karikieren, dessen Wohlwollen die Kanzlerin aber braucht, um ihr Flüchtlingsproblem zu lösen, was sie nicht hätte, würde sie lieber konsequent integrieren, statt zu lange nichts zu tun und dann vor den Populisten zurückzuweichen von einer vorbildlich mutigen Position, als hätten diese immer Recht gehabt.

Warum kann sich die Kanzlerin als Staatschefin der Exekutive darauf verlassen, dass die Beamten schon in ihrem Sinne arbeiten werden?

Ist die Justiz unabhängig oder Weisungen unterworfen?

Beamte sind Diener des Staates. Sie stehen in einem besonderen Treue und Dienstverhätnis zu ihrem Staat, der sie weisen und einsetzen darf. Als unbestechlich geltende Beamte sorgen für Rechtssicherheit. Ein Beamtenstaat hat seinen Preis, warum spätestens seit der Ära Thatcher versucht wird, auch den öffentlichen Sektor nach teils amerikanischen Vorbild zu privatisieren, was bei Post und Eisenbahnen anfing und deren Kostüme und Schalterhallen je nach Vision der Marketinggurus neu einfärbte.

Ob dies ein Gewinn für die Gesellschaft war, deren Tafelsilber hier verscherbelt und privatisiert wurde, ohne sie am Gewinn zu beteiligen, der nur zur Tilgung neuer Kredite genutzt wurde, scheint fraglich, außer ich führe ein Beratungsinstitut, das die Privatisierung durchführte und daran verdient. Ob es ein Gewinn ist, dass in Berlin die Lehrer nicht mehr verbeamtet sind, fragt sich auch mancher nicht nur, wenn er sie streiken sieht, sondern mehr noch, wer mitbekommt, wie die besten in andere Länder abwandern, um der beamtischen Privilegierung nicht zu entgehen.

Was flucht mancher über Beamte, der strenge Formalien erledigen muss, sei es auf dem Finanzamt oder auf sonst einer Behörde - wünschte sich nicht jeder in diesen Momenten nicht schon einen effektiv und kundenfreundlich privatisierten Staat?

Schließt sich dies grundsätzlich aus oder nur im besonderen deutschen Fall der schon wesensmäßig der Beamtenform entspricht, weil alles seine Ordnung haben muss?

Wer je französiche Bahnbeamte erlebte, wird nie wieder über deutsches Beamtentum schimpfen, vermute ich mal, wenn sich die Welt seit damals nicht grundlegend geändert hat.

Doch jenseits regionaler Unterschiede der Mentalität, auch italienische Beamte haben die Entdeckung der Langsamkeit und zutiefst preußischen Formalismus oft verinnerlicht, fragt sich, ob ein neutrales weisungsunterworfenes Beamtentum eine sichere Burg für die  Demokratie ist, deren Ausverkauf mancher nicht ohne Grund fürchtet - wie gefährlich ist die Bindung an Weisungen von oben, wenn sich das oben von der Demokratie abwendet?

Ist ein gut funktionierender Beamten Apparat dann die Bedingung des realen Terrors, funktionierten NS-Staat und DDR-Diktatur solange so gut, weil gehorsame Beamte einfach ausführten?

Am 7. April 1933 wurde das unter Federführung von Reichsinnenminister Wilhelm Frick entstandene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beschlossen und eingeführt, was zur Entlassung aller politisch mißliebigen, nicht arischen Beamten führte. Es entstanden die sogenannten Arierparagraphen, die auch auf alle Rechtsanwälte angewendet wurden. Zweck dieses Gesetzes war die Durchsetzung der rassenpolitischen Ziele des NS-Staates und die völlige Gleichschaltung des öffentlichen Dienstes.

Nach § 4 konnten alle politischen Gegner in den Ruhestand versetzt werden, wofür die offene Formel genügte, alle Beamten, die keine Gewähr dafür böten, rückhaltlos für den nationalen Staat einzustehen, dürften entlassen werden und so verwandelte ein winziger Eingriff an einem Beamtengesetz einen demokratischen Staat in einen legitimen Terrorstaat mit übelster rassistischer und politischer Verfolgung.

Der Arierparagraph § 3 des fraglichen Gesetzes, ließ einen jüdischen Großelternteil genügen, um entlassen oder in den vorläufigen Ruhestand versetzt zu werden. Dabei galt eine Ausnahme für Altbeamte, also solche, die schon vor 1919 im Dienst waren und Frontkämpfer des 1. Weltkrieges, die beide Hindenburg ausdrücklich von Hitler gefordert hatte. Damit mussten alle Beamten den Ariernachweis bringen, wozu Geburts- und Taufurkunden der Eltern und Großeltern benötigt wurden. Für Zweifelsfälle wurde die Dienststelle des Sachverständigen für Rassenforschung beim Reichsinnenministerium zu Rate gezogen, um es entsprechend der irreal wahnsinnigen Rassenlehre der NS-Phantasie ohne reale Grundlage auszulegen.

Zunächst konnten noch fast die Hälfte der 5000 jüdischen Beamten dank der Frontkämpferregelung und des Altbeamtenprivilegs im Dienst bleiben, was sich jedoch mit der neuen deutschblütigen Reichsbürgerschaft ab 1935 vollkommen erledigte. Die schon in seinem Machwerk “Mein Kampf” vorgezeigte Tendenz zum brutal-primitiven Antisemitismus auf einer unsinnig rassistischen Grundlage wurde so schon in den ersten Monaten nach der Machtergreifung konkret, was jeder wissen und sehen konnte, der aufmerksam hinsah, warum die ewige Ausrede von Autobahnen und Arbeitsplätzen hätten es doch am Anfang alles gut aussehen lassen und erst im Krieg hätten sie gemerkt, wie schlimm es eigentlich war, nicht glaubwürdig ist. Die Nationalsozialisten haben sofort deutlich gemacht, wo es hingehen sollte und sind diesem Programm konsequent gefolgt.

Worte, wie ich sie auch von meiner Großmutter anfänglich hörte, es hätte ja keiner geahnt, was mit den Juden passierte, waren nicht glaubwürdig und später relativierte sie dies auch in Bezug auf ihren eigenen Vater, der verhaftet wurde, nachdem er seinen jüdischen Bankier, der von der SS abgeführt wurde, auf der Straße freundlich gegrüßt hatte, erzählte sogar dann die Geschichte von ihren Schwiegereltern, die in Bremen ein jüdisches Ehepaar über den Krieg versteckt hätten und wie sehr sie deren Mut bewunderte, für den diese angeblich sogar in Yad Vashem geehrt wurden. Habe das lieber nicht im Detail überprüft, nehme es aber als ein Zeichen für einen Bewusstseinswandel, von einer anfänglichen Rechtfertigung des Unrechtsregimes hin zu einer Bewunderung des Widerstandes, der diese Menschen zu Helden machte, womit im Laufe der Bundesrepublik, wie ich sie seit den 70ern kennenlernen durfte, ein echter Bewusstseinswandel zu bemerken ist, der auch dem unermüdlichen Wirken des Zentralverbandes der Juden und Publizisten wie Marion Dönhoff zu verdanken ist, die Widerständler zu  Helden schrieben und das Unrecht mehr ins Bewusstsein rückten.

Es ging ganz schnell, quasi nebenbei, durch kleine Gesetze wurde der Rechtsstaat Weimarer Republik zum Unrechtsstaat des NS-Regimes. Es mögen viele weggeschaut haben, weil sie sich nicht für Politik interessierten, sich freuten, dass die ewigen Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nazis ein Ende fanden, Ruhe und Ordnung herrschten, es aufwärts ging und die nach dem 1. Weltkrieg gebeutelte Nation plötzlich wieder stolz auf sich sein durfte, was viele genossen. Aber es hätte jeder sehen und wissen können. Es fand eine rassistische Politik der Ausgrenzung statt, die konsequent vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums über die Nürnberger Gesetze nach Ausschwitz führte und wer hinsah, konnte schon 1933 feststellen, wie viele Kommunisten und andere Gegner plötzlich in Lagern verschwanden.

Der Nationalsozialismus breitete sich, kaum an der Macht, blitzschnell, krakenartig aus. Beginnend mit dem Ermächtigungsgesetz hatte er schon seine konsequent rassistische Linie in dem heute besprochenen Gesetz gefunden, das nur zunächst durch Hindenburgs Intervention ein wenig abgemildert wurde. Es gab keine Überraschungen oder ein geheimes, verdecktes Vorgehen. Die Planung zur Vernichtung der Juden Osteuropas und auch Deutschlands wurde zwar erst später durch Heydrichs Pläne konkretisiert, aber angelegt war er schon in diesem Gesetz, wenige Monate nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler.

Was geschah, konnte jeder sehen und wer wegsah, muss sich dies zum Vorwurf machen lassen. Eine rassistische Regierung hatte die Macht ergriffen, höhlte die Demokratie und die Grundrechte aus, machte die Gleichberechtigung auch der Juden, die schon im Preußen des 19. Jahrhunderts galt, wieder rückkgängig. Die Mehrheit der Deutschen ist diesen Weg bewusst mitgegangen und hat sich dem nationalen Taumel ergeben, statt kritisch zu fragen, was dort geschah. Die meisten kritischen Geister wurden eingesperrt oder mit Gewalt oder der Drohung mit solcher zum Schweigen gebracht. Ansonsten lief der Übergang in den totalitären Staat sehr dezent und scheinbar rechtsstaatlich ab, war für jeden, der nicht genau hinschaute, auch zu übersehen, wenn wir von der teilweise Verdrängung der Juden aus öffentlichen Stellen einmal absahen, die durch Hindenburgs Intervention etwas gebremst war.

Erschreckend daran ist, wie unauffällig und klein die Hebel waren, die einen Rechtsstaat und eine Demokratie in ein dem Führer höriges Terrorregime verwandelten. Juristische Finessen genügten, auch wenn sie dem Kenner sofort den Wandel von der Demokratie zum Terrorregime verdeutlichten, konnte eine ganz große Mehrheit lange behaupten, nichts bemerkt zu haben und das vermutlich auch so gemeint haben, weil sie lieber wegsahen und ihre Ruhe haben wollten.

Widerstand wäre schon mit dem Ermächtigungsgesetz nach dem Reichstagsbrand dringend geboten wesen, warum er ausblieb und die Eliten schwiegen, ist Teil der deutschen historischen Verantwortung, die eben auch die Schuld am Holocaust begründet, der vorherehbar und sich in dem am 7. April 1933 erlassenen Gesetz schon ankündigte.

Die Bundesrepublik hatte daraus gelernt mit der Zeit. Die Lüge von der Ahungslosigkeit galt nicht mehr und erst seit der Wiedervereinigung haben die Relativierer wieder Konjunktur, dahingestellt, ob dies daran liegt, dass die DDR nie Verantwortung für das Dritte Reich übernahm. Es waren die wenigen Anhänger des Nationalismus alter Färbung und die immer noch Zweifler an Schuld und Verantwortung eine kleine Minderheit, die keine Gefahr darstellte für den Rechtsstaat. Beobachtet wurde, aber harmlos blieb, wenn auch die Beobachter, die neuen Geheimdienste ihr Personal zu großen Teilen aus ehemaligen teils führenden Nazis rekrutierte, war doch die Westbindung der Dienste so stark und klar, dass von ihnen keine Gefahr ausging.

Dies hat sich mit der Wende geändert. Nun spazieren in Dresden wieder Menschen, die sich für besorgte Bürger halten, offen mit rassistischen Parolen. Was in der alten BRD tabu war, wird von Osten wieder als normal dargestellt und nach dem friedlichen schwarzrotgoldenen Einheitstaumel bemächtigten sich die Rassisten und Nationalisten im Osten zu vieler Köpfe. Die Bundesrepublik ist nicht mehr sicher vor Extremisten und die Forderungen des AfD unterscheiden sich in manchem nur graduell von denen der NSDAP. Die neuen Juden sind die Moslems und der Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes lief über Jahre zumindest in engem Kontakt mit V-Männern der Geheimdienste weiter.

Gleichzeitig erließ die Bundesregierung als vorgeblichen Schutz vor dem Terror der Islamisten neue Ermächtigungsgesetze, die weiter gingen als jene, mit denen die Nationalsozialisten die Macht ergriffen und wir können froh sein, dass noch demokratische Merheiten bestehen, die den völligen Mißbrauch dieser Gesetze verhindern, der jederzeit in den Händen weniger demokratisch gesinnter Politiker mit totalitären Neigungen, die auch vor der Tötung vor Menschen, die sie als Bedrohung inszenieren, nicht zurückschrecken, in eine andere Richtung kippen könnte.

Scheinbare Rechtsstaatlichkeit eines Prozesses, der offen rassistisch ist, ändert nichts an dessen Charakter. Ist die Bundesrepublik sicher vor dem Rückfall in den Totalitarismus, wie er sich in dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zeigte?

Wer schützt uns vor den Übergriffen der rechen Populisten, die munter und ungestraft ihre rassistischen Lügen von den Krimigranten und Rapefugees im Netz offen verbreiten, ohne dafür belangt zu werden?

Sollen uns die Geheimdienste schützen, die den Terror  des Nationalsozialistischen Untergrundes, wo nicht deckten, so doch zumindest übersahen und die lange ehemalige Nazis in ihren Reihen schützten?

Die Antiterrorgesetze haben die Demokratie und den Rechtsstaat ausgehöhlt - sicher war eine entschlossene Reaktion auf den Terror des IS und die von ihm und zuvor Al Quaida ausgehende Gefahr nötig - nur, was bleibt uns und was verteidigen wir ohne Rechtsstaat?

Zeigen uns die autoritären Regime in Osteuropa wie es hier weitergeht oder besteht diese Gefahr im immer noch gespaltenen Land mehr im Osten?

Wer hat aufgeschrien, als zum Schutz vor Terror alle Grundrechte eingeschränkt wurden?

Warum sagt keiner etwas, wenn ein rechtsstaatlich äußerst fragwürdiger Geheimdienst, der nur bedingt vom Bundestag überhaupt kontrolliert wird, alle mobilen Telefonate in Deutschland mitschneiden darf, weil diese als Auslandstelefonate mit 0049 davor gewertet werden?

Wir unterliegen längst einer Überwachung, die weitergeht, als es sich die Stasi je träumte und auch wenn wir Merkel und ihrer Regierung noch nicht den Willen zeigt, die BRD in einen totalitären Staat zu verwandeln, sind die Anlagen dafür doch vorhanden. Sollte dieser Staat durch Wahlen oder sonst in die falschen Hände geraten, genügten wenige Gesetze, den Rechtsstaat auszuhebeln, so gut er noch geschützt und kontrolliert sein mag.

Aufhebung der Gewaltenteilung oder Eingriff der Regierung in andere Grundrechte sind ein Beispiel dafür, wie der Fall Böhmermann zeigt. Die Kanzlerin entschuldigt sich vorauseilend bei Erdogan und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen einer bewusst überzeichneten Satire, die zeigen sollte, was eben nicht geht und so verwandelt sich der tolerante Rechtsstaat ganz nebenbei in einem Terrorstaat, der vorgeblich sich nur für den Kampf gegen den Terror rüstete. Schon im Fall netzpolitik.org und den Ermittlungen des Generalbundesanwalts im Auftrag des BND hatte sich diese Gefahr gezeigt und wenn wir dabei bedenken, dass eben dieser BND all unsere mobilen Telefonate ohne einen richterlichen Beschluss als Auslandstelefonate getarnt ganz legitim mitschneidet, ist an dieser Stelle sehr wohl die Frage berechtigt, wie frei dieser Staat noch ist, in dem eine rechtspopulistische Partei trotz totalem Versagen ihrer Führung und ohne jede Perspektive in der konkreten Politik mittlerweile zur drittstärksten Kraft wurde nach Umfragen und was aus der Demokratie wird.

Wie schnell wird die BRD durch ein Gesetz zum Terrorstaat?
jens tuengerthal 7.4.2016

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