Samstag, 9. April 2016

Kulturgeschichten 0184

Siegestaumel

Wer siegt kann dies laut feiern oder bescheiden genießen. Was dem Wesen mehr entspricht, ist wohl Typfrage und liegt jenseits aller moralischen Bewertung. Beim Sport, insbesondere beim Fußball liegen sich jubelnde Fans gern aller Welt ihr Glück verkündend selig in den Armen. Früher noch nahmen sich Sieger, was ihnen gefiel, es galt das Recht oder Unrecht des Krieges, was immer das des Stärkeren wa und es wurde nach gutdünken vergewaltigt, geraubt und gemordet.

Als die aufständischen Truppen des Kaisers Karl V., der in dessen Reich die Sonne nie unterging, weil es um die ganze Welt reichte, beim sacco di Roma die Kulturhauptstadt der damaligen Welt plünderten, zeigten sie keinerlei Respekt oder Ehrerbietung und tobten sich aus, weil sie es konnten und der Kaiser, der sich gerade mit dem Papst stritt, unternahm nicht viel dagegen.

Die Wehrmacht und die SS auf ihrer Spur mordeten östlich noch bestialischer als westlich ihrem rassistischen Denken entsprechend während im Gegenzug sich die Rote Armee gen Westen vergewaltigte, soweit sie kam, um diese bestialischen Deutschen zu erniedrigen und in die Schranken zu weisen, was keine der Taten legitim oder gut machte sondern beide als Verbrecher nur offenbarte, die sich an den Schwächsten vergehen.

Amerikanischen, britischen und französischen Truppen war solches Vorgehen nicht nur verboten, es wurde auch streng geahndet, kam darum nahezu nicht vor. Ob dies etwas über das Bild des Menschen in den jeweiligen Armeen aussagt, wäre der Frage wert, wichtiger aber noch könnte sein, zu fragen, was es über ein Volk aussagt, das eine Truppe von Vergewaltigern nie zur Verantwortung zog, sondern immer noch als Helden verehrt?

Gehört es zum Wesen der Kämpfer, dass sie ihre Siege und ihre Rache an den Schwächsten mit Gewalt ausleben, ertragen sie so die Gewalt, die ihr Beruf ist, wird das Töten so legitim?

Am 9. April 1241 gelang der Goldenen Horde in der Schlacht bei Wahlstatt ein vernichtender Sieg gegen ein deutsch-polnisches Ritterheer unter Heinrich dem Frommen, der in der Schlacht fiel. Doch trotz des Sieges, stießen die Mongolen nicht weiter nach Europa vor.

Eigentlich fand die Schlacht bei Liegnitz statt, doch um sie nicht mit der späteren Schlacht bei Liegnitz von 1760 zu verwechseln, in der Friedrich II. im siebenjährigen Krieg die Österreicher besiegte und Dank der Hilfe seines Bruders Heinrich der Umklammerung entkam, wird sie bei Wahlstatt genannt, auch wenn der Ort erst nach der Schlacht so  genannt wurde. So geht manchmal der Rang der Systematik vor dem der Wirklichkeit, dabei wäre es für den kritischen Geist vermutlich interessant, sich zu fragen, warum sich zwei zu verschiedenen Zeiten an nahezu genau dem gleichen Ort schlagen.

Die Ritter des Herzogs von Schlesien, eben jenem scheinbar frommen Heinrich, sahen sich als Verteidiger des Abendlandes gegen die Horden des Batu Khan, die nach der Eroberung von Kiew gen Westen aufgebrochen waren, um zu erobern. Heinrich war nebenbei auch noch Seniorherzog von Polen, wo die Mongolen auch wüteten und nach der Zerstörung von Krakau  lag nur noch das Herzogtum Schlesien zwischen Mitteleuropa und dem nördlichen Heer der Mongolen.

Heinrich, der nicht nur als fromm sondern auch als mutig und selbstbewusst galt, was im Kampf die wichtigeren Eigenschaften wohl sind, erkannte die Gefahr und versuchte, eine Armee aufzustellen, was jedoch sehr mühsam wurde, da Kaiser Friedrich II., der sonst die Welt staunen ließ, mal wieder in Italien im ewigen Streit mit dem Papst beschäftigt war, darum nicht helfen konnte, der König von Ungarn mit dem südlichen Flügel der Mongolen selbst zu kämpfen hatte, nur Wenzel von Böhmen Hilfe zusagte und so hätten Machtspiele des Papstes beinahe zum Untergang des Abendlandes geführt, was bezeichnend für eine Kirche ist, die noch nie die Zeichen der Zeit erkannt hat, immer noch mehr mit der möglichst dogmatischen Beengung der Lehre eines lange totn Rabbi beschäftigt ist als mit den ethischen Folgen dieser Lehre.

Wie groß diese Truppe war, wird noch bis heute gestritten, zeitgenössische Chronisten sprechen von maximal 40.000 Mann, heutige Historiker vermuten nur 4000, jedenfalls deutlich weniger als die Mongolen, bei denen die Angaben zwischen 100.000 Mann damals und 10.000 heute schwanken. Vor allem hatten die Mongolen viel mehr Reiter.

Heinrich hätte nach Süden ausweichen können, um sich mit dem zahlenmäßig  stärkeren Heer von Wenzel aus Böhmen zu vereinen, was er aber nicht tat, sondern stattdessen zum Kreuzzug aufrief und seine Männer Kreuze an ihrer Kleidung befestigen ließ. Heliger Hokuspokus opferbereiter Helden statt eine vernünftig kritische Abwägung sind selten zielführend gegen eine kampferprobte Truppe.

Auf der Wahlstatt, einer Anhöhe zwischen Katzbach und Liegnitz, stießen die beiden Heere zusammen. Das christliche Heer hatte sich in zwei Reihen aufgestellt. Vorne die Fußtruppen aus dem einfachen Volk, die von berittenen polnischen Reitern an den Seiten umrahmt und von der Schlesischen Ritterschaft, die noch von einigen deutschen, böhmischen und Odensrittern unterstützt wurden, von hinten in den Kampf getrieben wurde.

Heinrichs Heer wurde wie viele seiner Ritter in der Schlacht vernichtet und nach der Schlacht wurde Heinrichs Kopf auf einer Lanze als Trophäe vor die Stadtore von Liegnitz getragen. Diese heute außergewöhnliche Grausamkeit war damals noch normale Sitte, wie sie auch die katholischen Ritter Österreichs einige hundert Jahre später noch gegen die böhmischen Hussiten praktizierten, deren Köpfe vor den Toren Prags sogar für eine Ewigkeit angenagelt wurden.

Nachdem der Versuch auch Liegnitz zu erobern, gescheitert war, brach Baidar Khan den Marsch nach Westen ab und zog gen Süden, um sich mit dem ungarischen Heer zu vereinen. Entlang der Sudeten zogen die nun zurückgedrängten Mongolen gen Mähren - doch stand Böhmen den Mongolen nach dem Zerfall der Allianz infolge der Niederlage allein gegenüber.  Sie nahmen Ratibor und Troppau ein und verwüsteten die Hann-Ebene und nur Olmütz und Brünn konnnten der mongolischen Belagerung erfolgreich widerstehen.

In Ungarn vereinigten sie sich wieder mit Batu Khans Hauptheer, besiegten die Ungarn und zogen sich dennoch wieder weit nach Osten zurück, was bis heute nicht restlos aufgeklärt werden konnte. Vermutungen zufolge hing es damit zusammen, dass der Großkhan Ögedei Khan im Sterben lag und sie sich zur Trauerfeier und noch wichtiger der anstehenden Neuwahlen wegen zurückzogen, um erst wieder Stabilität in ihren Reihen herzustellen.

Die Vettern von Wahlstatt nannten sich nach der Schlacht sechs schlesische Adelsfamilien, von denen jeweils nur ein männliches Familienmitglied die Schlacht überlebt haben soll. Dies waren die Familien Rothkirch, Strachwitz, Nostitz, Seydlitz, Prittwitz und Zedlitz, die später nahezu alle noch berühmte preußische Offiziere oder Generäle stellten auch unter Friedrich dem Großen und bis heute treffen sich regelmäßig Mitglieder der Familien zum Gedenken an die Schlacht, die ihnen so viele Opfer abforderte. Welche bäuerlichen Familien es ausrottete, ist wie immer historisch nicht weiter bekannt.

In Wahlstatt gibt es seit 1961 ein Museum, das auf tschechisch an die Schlacht von Liegnitz erinnert.

Nicht jedes Gemetzel endet mit einer weitergehenden Rache, manche Heerführer setzen andere Prioritäten. So gab es bei den Amerikanern und Briten klare Anweisungen wie mit der Zivilbevölkerung nach dem Krieg umzugehen ist, an die sich die Soldaten auch zum allergrößten Teil hielten, um ihrer Ehre und der sonst drohenden Strafen wegen.

Die mongolischen Heere hausten teilweise brutal und schreckten auch vor sexuellem Mißbrauch wohl nicht zurück, wenn sich die Gelegenheit ergab - nach dem Gemetzel von Wahlstatt, war ihnen scheinbar weder danach, noch taten sie alles, um dies Ziel zu erreichen. Sie wüteten dann auf dem Zug nach Ungarn noch in Böhmen aber auch das hielt sich in überschaubaren Grenzen scheinbar und der Ehrgeiz war nicht so groß, dass jede Stadt fiel.

Durch den nahen Tod des Großkhans und die folgenden Wahlen, die das ganze mongolische Herrschaftssystem verändern konnten, befand sich das Heer in Unruhe, wollten die Offiziere zur Sicherung ihrer Karriere lieber vor Ort sein, statt weitere Gebiete im offen vor ihnen liegenden Europa zu erobern. Eine Kultur von Kriegern, die unter Dschingis Khan zur Großmacht aufstiegen und ihre Macht auf weite Teile der damaligen Welt ausdehnten, war nun weniger mit Eroberungen als der Stabilisierung der internen Macht und ihrer Verwaltung beschäftigt, die Positionen in der Herrschaft und ihre Sicherung wurden wichtiger als neue Eroberungen. So zerfiel die zeitweise Weltherrschaft, die von China bis nach Europa reichte langsam im Schatten interner Konkurrenzkämpfe, die Prioritäten jenseits der ursprünglichen Expansion des Reiches stellte.

Die Ordnung im Krieg, so pervers sie scheint, denn jeder Krieg bleibt mörderisch, unterscheidet die Herrschaft des Terrors vom ordentlich geführten Krieg, in dem um Sieg oder Niederlage nach bestimmten Bedingungen nur gekämpft wird. Es muss kein Krieg gut gehießen werden und es können durchaus mit Tucholsky alle Soldaten für Mörder gehalten werden, doch wird auch dann noch von genauen Beobachtern zwischen Kriegsverbrechern und eben Soldaten im Dienst unterschieden werden können, die ihre Pflicht tun, ohne Unbeteiligte mehr als nötig zu quälen.

Die Reichswehr wie die Rote Armee benahmen sich verbrecherisch im II. Weltkrieg. Keine Frage überwiegen die Verbrechen und die Zahl ziviler Opfer bei der teils rassistischen Kriegsführung durch die Reichswehr und die ihr anhängende SS, die auch neben und unabhängig von ihr agierte im mörderischen Treiben. Verbrechen von Armeen gehören verfolgt und bestraft und das gilt für die US-Army wie für die vorgeblich grandiose Rote Armee genauso wie es für die letzten noch lebenden Soldaten der Reichswehr gilt.

Kultiviert und zivil ist eine Gesellschaft erst, wenn die Herrschaft des Rechts und der Ethik, die  der Kanonen überwiegt, Täter zur Verantwortung gezogen werden, egal, ob sie Sieger oder Verlierer waren und die Vergewaltigung von Frauen kein Bagatelldelikt ist, sondern dem Mord gleich kommt, der an der Freiheit und Psyche der Betroffenen damit oft für ihr ganzes Leben begangen wird. Was ein Günter Grass in seiner Blechtrommel noch im Altherrenstil über die Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten in Danzig schrieb, die der Betroffenen nicht mal unangenehm war, ist eine Relativierung von Kriegsverbrechen, die auf einer Stufe mit der Holocaustleugnung steht und so gesehen hat sich Grass da ja in der Tradition seiner Jugend bewegt, auch wenn ihm diese glaunwürdig gänzlich fremd wurde und da  lohnt es sich Christa Wolf im Vergleich zu lesen, die sich in Kalifornien selbstkritisch mit der Verdrängung ihrer Stasi-Geschichte auseinandersetzte und damit viel über die Banalität des Bösen sagte, die schon Hannah Arendt so treffend auf den Punkt brachte.

So gesehen sind Russland und die USA zu großen Teilen noch völlig unkultiviert und es fragt sich wie diese beiden Supermächte, die große Teile des Globus einnehmen, der besiedelt ist, zum zivilisierten Umgang auch mit dem Krieg und seinen Folgen gebracht werden können. Braucht es erst einen Sieg über die Supermächte des Kalten Krieges, um sie zur Vernunft zu bringen und zu erkennen, dass die nötige Begrenzung der Macht und Freiheit des Militärs erst Freiheit bedeutet?

Was könnte die Erkenntnis fördern, dass die Welt nicht besser wird, solange einige für sich in Anspruch nehmen, die Regeln aller zu brechen, die wir sogar über geltendes Recht stellen, als quasi Naturrecht, um nach der Radbruchschen Formel auch die bestrafen zu können, deren Taten nach dem gerade staatlichen Recht legitim waren, die aber ganz offensichtlich gegen jedes Gefühl von Gerechtigkeit und Billigkeit verstoßen?

Welche Gültigkeit haben diese zur Bestrafung ohne Recht angewandten quasi naturrechtlichen Grundsätze, wenn sie nur einen Teil der Menschheit binden und welche Natur solle nur für einen Teil der Menschheit gültig sein, weil der andere Teil zu  mächtig ist, diskutieren zu müssen?

Dahingestellt, ob die Radbruchsche Formel nicht unsinning, systemwidrig und falsch ist, weil es nur um die Durchsetzung einer Moral im nachhinein geht, wir nicht anerkennen wollen, dass der Rechtsstaat immer nur beschränkte Gültigkeit hat, warum es einer andere Ebene der Verbindlichkeit endlich braucht als das nationale Recht oder die noch gewagtere des internationalen Strafrechts, fragt sich am Ende, was die Alternative gerade wäre.

Solange es nicht wirklich für alle gilt, bleibt alles internationale Strafrecht wie die infolge angeordneten Sanktionen eine zweifelhafte Maßnahme, doch galt dies auch lang für die constitutio criminalis carolina, der erst ihre immer konsequentere Anwendung auch gegen die Interessen des Adels oder des Klerus Gültigkeit verschaffte und gegen das Fehdeunwesen vorging, was nur das Recht des Stärkeren für gültig erklärte, ungerecht war und Gewalt statt Recht zur Herrschaft führte.

Fraglich bliebe am Ende, ob die Gefahr, die davon für die Freiheit des einzelnen ausgeht, größer ist als der Gewinn an Freiheit durch fehlende Regulierung. Weniger Recht heißt mehr Freiheit aber solange dafür das Recht des Stärkeren gilt, bedeutet es auch mehr Unsicherheit für den einzelnen, für den das Vorgehen der Mächtigen nicht kalkulierbar ist und also ist der anarchische Ansatz in einer Welt voller Waffen so lange absurd, bis Frieden hergestellt wurde und Sicherheit besteht, dass keiner seine Vorstellungen mit Gewalt nur durchsetzt.

Andererseits hat das Ermächtigungsgesetz oder das Berufsbeamtengesetz aus einem Rechtsstaat einen Terrorstaat ganz unauffällig gemacht, warum Mißtrauen stets angebracht ist, wenn unser Staat uns plötzlich haarklein überwacht durch ganz kleine Gesetze. Fraglich nur, was der Maßstab gerechten Rechts dann wäre, nach dem alle gleich berücksichtigt werden.

Die Herrschaft des Rechts bedeutet mehr Freiheit, sofern alle an sie gebunden sind und nicht einzelne Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen, vor allem, so es gelingt die lächerlichen Nationalstaaten zugunsten internationaler Institutionen zu entmachten, die Freiheit bewahren helfen ohne nationale Interessen zu verfolgen. So zeigen die USA in ihrem Verhalten als Supermacht, die nach eigenem Gutdünken mit Drohnen tötet, wie wenig wert sie auf die Herrschaft des Rechts legen, auch wenn sie sich gern als Rechtsstaat geben. Solange sie sich nicht internationalen Gerichten unterwerfen, stehen sie über dem Recht, das sie durchzusetzen vorgeben, dem sie sich aber nicht unterwerfen, warum sich fragt, mit welcher Gerechtigkeit, außer der eines Siegers, es für andere gelten soll.

So fragt sich, ob die Herrschaft des Rechts für einige nicht nur mehr Unfreiheit für alle bedeutet, weil sich nur ein Teil dem geltenden Recht unterwirft, das sie in ihrem Handeln beschränkt. Andererseits würde es ohne dies bisher nur teilweise geltende internationale Recht noch mehr Herrschaft der Gewalt geben, in der die Stärkeren einfach ihre Interessen durchsetzen. Darum ist die teilweise Herrschaft des Rechts zumindest für die Mehrheit gerechter, als es ohne sie wäre.

Fraglich bleibt am Ende nur, was die Alternativen sind, wenn bei den Stärksten die Herrschaft des Rechts, das für alle gelten soll, nur teilweise durchgesetzt werden kann. Vermutlich gibt es mit und ohne Recht keine Lösung, die alle zufrieden stellt, warum die Suche nach einer Lösung mit geringst möglichen Schaden für alle am besten scheint. Vielleicht sollten die Rechtsstaaten mehr auf die Durchsetzung des Rechts achten, damit die Gewalt nicht siegt und sich für friedliche Konfliktlösungen stärker einsetzen als die Gewaltanwendung derer weiter zu unterstützen, die sich nicht an das Recht gebunden fühlen. Wo es keine einfache und klare Lösung gibt, müssen die bestmöglichen Kompromisse gesucht werden, mehr zu wollen, wäre wohl noch vermessen.
jens tuengerthal 9.4.2016

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