Dienstag, 26. April 2016

Kulturgeschichten 0202

KataStrophen

Warum machen Menschen Dinge, die anderen schaden?

Lernt die Menschheit  aus selbstverursachten Katastrophen je?

Wohin zielt, wer Vernichtung will oder riskiert?

Welches Glück liegt in der Katastrophe?

Wenn Gernika  und Tschernobyl zusammenfallen, was sie nun seit 30 Jahren tun, fragt sich, welche Katastrophe wir angemessen würdigen, ob es eine Verbindung zwischen beiden gibt, außer Tod und Zerstörung.

Das eine absehbare Katastrophe als Folge der Verwendung nur begrenzt beherrschbarer Technik in unbeherrschbarer Natur, das andere die gewollte Zerstörung aus ideologischer Wut und Rache.

Das eine verheerte eine ganze Region bis heute und immer noch leiden die Menschen an den Folgen. Das andere ist als Teil des spanischen Bürgerkriegs Geschichte und Spanien unter den Bourbonen wieder zur Demokratie zurückgekehrt.

Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika im spanischen Bürgerkrieg bei einem Angriff durch die deutsche Legion Condor unter Wolfram von Richthofen und die italienische Corpo  Truppe  Volontarie völlig zerstört. Das angebliche militärische Ziel, die Renteria-Brücke, blieb dabei jedoch unbeschädigt. Die verbündeten Faschisten wollten Franco gegen die aufständischen Basken unterstützen und deren Widerstand endgültig brechen. Dieses Kriegsverbrechen inspirierte Pablo Picasso zu seinem Monumentalgemälde Guernica. Bei dem folgenden Großfeuer kamen hunderte von Menschen ums Leben. Es war der Bombenterror faschistischer Mächte zugunsten einer Bürgekriegspartei, die den Widerstand der stolzen Basken brechen sollte, in dem es ihre Freiheit ignorierte und einfach zerstörte.

Am 26. April 1986 kam es in Block 4 des Kernkraftwerks zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat. Diese nur 4km vom Reaktor gelegene Stadt hatte zum Zeitpunkt der Katastrophe fast 50.000 Einwohner und ist, da in der 30km unbewohnbaren Sperrzone gelegen, heute eine Geisterstadt und wird mindestens die nächsten 300 Jahre unbewohnbar bleiben. Dennoch gibt es inzwischen wieder starken Tourismus zu diesem Mahnmal der Anti-AKW-Bewegung, bei dem die UN überlegt, es zum Weltkulturerbe zu machen.

Auf der internationalen Skala zur Bewertung von nuklearen Ereignissen wurde Tschernobyl als katastrophaler Unfall kategorisiert. Bei der bloßen Simulation eines Stromausfalls kam es, aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften, zu einem unkontrollierten Leistungsanstieg und der anschließenden Explosion des Reaktors, bei der das als Moderator verwendete Graphit in Brand geriet. Innerhalb der ersten zehn Tage nach der Explosion wurde eine Aktivität von mehreren Trillionen Bequerel freigesetzt. Die dadurch in die Erdatmosphäre gelangten radioaktiven Stoffe kontaminierten zunächst die Region nördlich des Kraftwerks und sodann viele Länder Europas durch radioaktiven Niederschlag.

Nach der Katastrophe begannen die Liquidatoren mit der Dekontimination der betroffenen Gebiete. So wurde ein aus Stahlbeton bestehender Schutzmantel errichtet, der meist als Sarkophag bezeichnet wird. Über die weltweiten gesundheitlichen Langzeitfolgen wird seit Jahren gestritten. Die WHO geht von 8000 Todesopfern aus, davon sind 4000 direkt zuzuordnen und weitere 4000 später an den Folgen verstorben. Nach dem später in Auftrag gegebenen The Other Report On Tschernobyl, einer Studie im Auftrag der Grünen Europa Abgeordneten Rebecca Harms, ist bis zum Jahr 2056 von einer Zahl von bis zu 60.000 Toten infolge der Reaktorkatastrophe auszugehen. Diese Studie behauptet jede Strahlung wirke linear unabhängig von der akuten Menge, dafür gibt es jedoch keine Belege, im Gegenteil zeigt die Natur, wie Organismen sehr gut kleine Mengen an Strahlung verarbeiten können - die Studie heizte jedoch die Debatte um die Nutzung der Kernkraft stark an, verbreitete massiv Angst.

Infolge der Katastrophe wurden insgesamt 326.000 Menschen umgesiedelt innerhalb der ersten vier Jahre. Bis zum 4. Mai 1986 waren bereits 116.000 Menschen evakuiert worden aus der erst nur 10km Sperrzone. Bis heute ist ein Gebiet von 4300km² vollständige gesperrt. In diesem Kreis von etwa 37km Durchmesser ist auf Dauer kein Leben möglich. Die staatlichen sowjetischen Organe reagierten zunächst mit Desinformation und einer Unterschätzung der Lage. Parteichef Gorbatschow berief erst, nachdem am nächsten Tag gefährlich hohe Strahlenbelastungen in der Umgebung gemessen wurde, überhaupt einen Katastrophenstab ein und schickte Experten an den Unglücksort. Die Bevölkerung außerhalb der Evakuierungszonen wurde noch nicht informiert, um eine Panik zu vermeiden. So befanden sich während der bald Maifeiern viele Menschen im Freien und wurden einer lebensgefährlichen Belastung ausgesetzt. Insgesamt wurden in Europa 3.900.000km², also etwa 40% der Gesamtfläche durch Regen und anderes radioaktiv belastet, was bis heute eine Nutzung der landwirtschaftlichen Produkte einschränkt. Am stärksten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion waren Österreich und Teile Süddeutschlands betroffen. In Teilen Süddeutschlands ist die Kontamination von Wild, Waldprodukten und Beeren noch rund zehnmal höher als im Norden Deutschlands und überschreitet auch die zulässigen Grenzwerte immer noch um das zehnfache.

Während in der Bundesrepublik infolge die Grünen und die Anti-AKW-Bewegung stärker wurden, verschwieg die DDR ihren Bürgern offiziell weitgehend die Gefahren. Erhöhte Messwerte wie etwa in Magdeburg wurden unterschlagen. Die Bürger der DDR freuten sich an dem plötzlich reichhaltigen Angebot an Obst und Gemüse aus  Sowjetrepubliken, das auf westlichen Märkten nicht mehr absetzbar war. Bis heute firmieren Pfifferlinge aus Weißrussland, die noch lange zu hoch belastet sind, unter Litauen oder Ungarn. Zur Umgehung der Grenzwerte werden belastete und unbelastete Mengen gemischt, um die Zahlen zu drücken. Wer Pfifferlinge aus Osteuropa kauft, muss mit einer deutlich erhöhten Dosis rechnen, wie schädlich diese ist, ob überhaupt und woran das liegt, ist äußerst umstritten.

Die Angst vor Verstrahlung, die teils hysterische Züge annahm, ist in manchem der vor Überfremdung bei den Anhängern der Pegida Bewegung vergleichbar. So war die Bereitschaft zur Gewalt im Rahmen dieser Bewegung um Wackersdorf oder das mögliche Endlager im Wendland deutlich erhöht, der zivile Ungehorsam, der teils terroristische Ausmaße annahm, wurde als eine Art Lebensrettung gesehen, der vieles verziehen wurde, was ähnlich paradox anmutet, rechtstaatlich betrachtet wie die Argumente von Pegida-Anhängern zum Grenzschutz. Menschen, die sich aus dem Gefühl heraus von einer unsichtbaren Gefahr bedroht sehen, sind selten vernünftigen Argumenten zugänglich und gleiten teilweise in eine hysterisch bis panische Stimmung ab. Argumente werden durch Glauben ersetzt und Gegner sind Feinde, die es zu bekämpfen gilt.

Auch wenn die Atomkraft gefährlich ist, keine Zukunft hat, ihre Entsorgung ungesichert bis heute ist, fragt sich weiterhin, ob die stark emotionale Beteiligung dabei nicht heute ihre Fortsetzung in der Pegida-Bewegung findet und unter den naiven AfD Anhängern, die gerade die Grünen als linksgrünversifft und gefährlich bezeichnen, was an die Äußerungen voller Hass aus Teilen der linken Szene der 80er erinnert, nur eben auf der anderen Seite.

Aus Tschernobyl wurde von der deutschen Regierung unter Helmut Kohl, der noch bis 1989 weitere Atomkraftwerke bauen ließ, wenig gelernt. Einzig der Testreaktor in Jülich, der ebenfalls mit dem brennbaren Graphit betrieben worden war, wurde abgeschaltet, da eine der Hauptursachen in Tschernobyl eben dieser Reaktor war.

Außer Deutschland zeigt sich bisher kein Land zum radikalen Atomausstieg entschlossen, den die Kanzlerin nach der Katastrophe von Fukushima erstmals auch für die CDU bestätigte, nachdem Grüne und SPD ihn zuvor unwiderruflich beschlossen hatten, dahingestellt, ob die Physikerin dies aus Überzeugung tat oder Gründen des Opportunismus entsprechend.

Es gibt sicher mehr Gründe, die gegen die Nutzung der Kernenergie sprechen, als je dafür gefunden werden, warum in Summa das Ende gut so ist, zumal es kein Staat, wie sich zeigte, für sich entscheiden oder alleine verantworten kann. Um Fukushima gibt es Gebiete, die mindestens 10.000 Jahre zu verstrahlt sind, um menschliches Leben dort zu ermöglichen.

Wer kann die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen, die das Leben der Menschen die nächsten 100.000 Jahre betreffen kann, wenn wir sehen, wie lange Plutonium gefährlich strahlt?

Wir haben über tausende von Jahren Europa kultiviert und dann machen wir es für die nächsten hunderttausend Jahre unbetretbar, für ein wenig Energie, die uns günstig schien, weil keiner die Folgekosten kalkulierte?

Auf 9,2 Milliarden Rubel, was damals 12,6 Milliarden Dollar waren, summierten sich die Kosten und Folgekosten, die immer noch jährlich 5-7% des ukrainischen Staatshaushaltes ausmachen. Dabei nicht mitberechnet sind die gesundheitlichen Schäden in Ländern, die nicht zur Sowjetunion gehörten. Bei Fukushima hat schon allein der Betreiber Tepco sehr vorsichtig und zurückhaltend die Kosten auf 100 Milliarden geschätzt.

Jenseits der moralischen Perspektive gibt es wenig vernünftige, ökonomische Gründe solch ein Risiko einzugehen, müsste es privat finanziert und versichert werden und wären nicht die dafür gebildeten Rücklagen staatlich abgesichert worden. In der UDSSR, die keine Privatwirtschaft offiziell hatte, ohnehin nicht, aber auch auf dem freien Markt schiene ein solches Verhalten eher absurd, wäre da nicht das verbotene aber hoch lukrative Geschäft mit dem hochangereicherten Uran, mit dem sich kleine Diktatoren gerne in die Reihe der Supermächte katapultieren wollen.

Kurz gesagt, Atomkraft ist unsinnig, hätten wir nicht schon die Kraftwerke, weil sie halt eine Bombensache sind und solange nichts passiert und die laufen, wird sich wohl kaum etwas ändern. Ob die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen in Kohlekraftwerken so viel sinnvoller ist, fragen viele schon lange, nur da scheinen die Kosten kalkulierbarer, sehen wir vom Klimawandel ab, von dem wir immer noch viel mutmaßen und wenig wissen und der uns womöglich viel teurer zu stehen kommt als alle bisher atomaren Katastrophen.

So fragt sich, wie wir der ewigen Energieschleife entkommen könnten, um selbst unseren Teil dazu beizutragen. Sollten wir unseren Frühsport zur Energieproduktion nutzen auf dem Trimmrad, das ans Netz angeschlossen wird - was ergäbe das wohl in Summa?

Ist es normal, in den Urlaub zu fliegen, im Winter Erdbeeren zu essen, Weltenbummler zu sein oder sind das eigentlich diejenigen, die zerstören, was sie zu bewundern vorgeben?

Wird etwas besser oder richtiger, weil alle es tun?

Was wäre eine Alternative aus der tödlichen Schleife?

Ist die Entdeckung der Langsamkeit eine Möglichkeit nachhaltig glücklich zu werden?

Bevor Gernica ganz vergessen wird auf der Umweltschiene, ein früherer Bürgermeister sagte dazu, die Stadt sei nicht berühmt geworden, weil sie bombadiert wurde, sondern wurde bombadiert, weil sie berühmt war. Rousseau meinte dagegen, “in Guernica leben die glücklichsten Menschen, ihre Angelegenheiten regeln sie durch eine Körperschaft von Bauern unter einer Eiche und stets verhalten sie sich klug”. Berühmt aus dieser Stadt wurden nur ein Fußballer und sechs Radfahrer, ansonsten spricht mehr für Rousseau als für den Bürgermeister. Gernica wurde bombadiert, weil dort glückliche Menschen lebten, die mit diesem Leben zufrieden sind, freie und glückliche Menschen sind von Faschisten nicht ansprechbar und bedeuten eine Gefahr für alle Ideologen, denen die Energie verkaufen wollen, wie denen, die das Leben auf globalen Märkten einfach verwaltbar machen wollen, damit die Gobal Player überall ihre eigentlich überflüssigen Produkte mit immer mehr Energieverbrauch einem gierigen Publikum vorwerfen können.

Die Ersatzreligion Apple ist ein Beispiel dafür wie mit hohem ständigen Enegieaufwand in jährlichen Zyklen eigentlich überflüssige Dinge auf den Markt geworfen werden, die von den Nutzern kultisch verehrt werden, gerade aufgrund ihrer scheinbaren Lebendigkeit, wie sie etwa Siri demonstriert. So wurde eine Klitsche für Rechenmaschinen zum Kultobjekt und macht Nutzer freiwillig ständig durchsichtig, was nun ein Schattengefecht mit einer Staatsanwaltschaft tarnen sollte, als hätten sie nicht längst all unsere Daten an entscheidendere Institutionen im Geheimen verkauft und dies Misstrauen gegenüber rechtsstaatlich agierenden Gerichten scheint dagegen eine verlogene Marketingstrategie, der sie nur aus Sicht der Gläubigen zu wieder Kultfiguren machen soll, weil Gläubige eben sehr selten kritisch denken.

Fragen wir uns wirklich oft genug, worauf es ankommt und was zählt?

Was macht Glück gerade auch im Schatten zweier Unglücke aus?

Warum lassen wir uns lieber am Markt instrumentalisieren, statt in uns zu gehen und uns Zeit zu nehmen, herauszufinden, was uns glücklich macht?

Wer nach dem Glück sucht und zu genießen versucht, was ist, wird eher Katastrophen vermeiden. Epikur formulierte schon 300 vor Christus, auf was es ankommt, wenn wir das Glück finden wollen Lukrez hat es genial in Verse gefasst. Einen Garten mit Freunden, ein Brot, ein wenig Käse und einen Wein, mehr braucht es nicht, um mit dem Streben nach Lust glücklich zu  werden.

Lust heißt Unlust und also auch Katastrophen vermeiden meinte Epikur, um sich bescheiden in eine kleine Welt zu fügen, die wir so groß denken, wie es uns gefällt - genießen können, was ist und dies voller Lust tun, wie ich dankbar in einen Apfel beiße, seine frische Säure genieße, dazu einen Butterkeks esse, als Gegenstück zur Säure und für das Gleichgewicht und einen Tee trinke, der mit Ruhe bereitet, sich groberen Dingen unterordnet, um fein zu bleiben - lustvoller Genuß, liegt in Kleinigkeiten, die wir zu  würdigen wissen als das Glück des Lebens, um zufrieden zu genießen, scheint es mir.

Lustvoll bescheiden verbraucht wenig Energie und könnte um so mehr Glück bergen, wenn ich es wage, zu genießen, was ist. Wie die Epikuräer als erste und lange einzige Schule überhaupt Frauen zuließen als Mitglieder ihres Kreises, zeigen sie, auf was es ankommt und warum die im Glück zufriedenen allen Ideologen und Extremisten ein Dorn im Auge sind.

Was wessen Lust befriedigt und wie es sich wer gutgehen lässt, ist dabei weniger wichtig, als der Gedanke der Reduktion bei der Suche. Das weniger mehr sei, ist nur das eine Element, nicht umsonst lehnten die Stoiker, diese doppelmoralischen, gern tugendhaften Lustfeinde die Epikuräer ab, diskriminierten sie als wollüstig und nur der Lust zugewandt, womit sie sicher auch Recht haben, fraglich nur, was daran schlecht oder unmenschlich sein soll und auf was sonst es im Leben ankommt.

Neulich sprach ich mit einer lieben Freundin, einer gutaussehende Ärztin, die tut, was sie immer wollte, ein gesundes Kind und einen Garten hat und dennoch gern hadert und sich zugleich fragte, warum eigentlich, wo sie doch eigentlich alles hat, wovon andere sonst träumen. Keine Geldsorgen, ab und an schönen Sex, eigentlich könnte sie zufrieden sein, meinte sie, eigentlich und vielleicht ist es dieses eigentlich, was den Schlüssel von der Katastrophe zum Glück enthält habe ich mich danach gefragt.

Von der Katastrophe zum Streben nach Glück scheint manchen sehr fern liegend, nichts scheint mir naheliegender. Wenn ich sehe, etwas funktioniert nicht oder ist in einer Bewegung, die sich schadet, wie die Menschheit in ihrem Wahn nach Energie, der eben Katastrophen auslöst, und immer mehr Tempo bei der Überwindung von Distanzen, der schon katastrophal an sich ist, frage ich mich, was macht glücklicher, wie ginge es besser und überlege, wie könnte ich leben, um glücklich zu sein.

Weniger Bewegung und mehr Genuss am Ort, an dem ich mich befinde, statt Beschleunigung und Gewinnmaximierung. Brauche nichts und will immer weniger und bin damit immer zufriedener, denke ich gerade, statt mich zu fragen, wieviel schöner es so oder so doch sein könnte, tue ich so, als sei dies einfach alles Glück der Welt mit dem Apfel, dem Butterkeks, meinem Tee und einem guten Buch vielleicht. Was sollte ich noch erwarten?
jens tuengerthal 26.4.2016

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