Freitag, 29. April 2016

Kulturgeschichten 0205

Aufklärungstod

Das Aufklärung die Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist, hat uns Kant bereits im Dezember 1784 verkündet, viereinhalb Jahre bevor in Frankreich der Geist der Aufklärung zur Revolution führte, die später ihren Geist vergaß und wieder totalitär wurde. Selbstverschuldet ist diese, wenn sie nicht an der Dummheit des anderen scheitert, sondern am fehlenden Mut, wie Kant es sagte, heute würden wir vielleicht von Faulheit sprechen. Daraus wuchs für ihn logisch das Motto der Aufklärung, Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist also das Motto der Aufklärung.

Kant hadert dann mit der Faulheit und Feigheit der Menschen, die es so bequem machen, unmündig zu sein und sich nicht seiner Verantwortung zu stellen.  Wir hätten Bücher, die für uns Verstand hätten, heute sind es unsere Telefone oder Rechner, einen Seelsorger, der für das Gewissen sorgt, einen Arzt, der sich um die Gesundheit oder wie Kant sagt die Diäten kümmert und so müssen wir uns um nichts sorgen, sind rund um versorgt. Heute sorgt auch noch ein vollständig vernetzter Geheimdienst für unsere Sicherheit und erinnert uns sogar daran, wenn wir zufällig vergessen sollten, unsere Gelder in der Schweiz zu versteuern, indem entsprechende Daten der Banken dort großzügig gekauft werden. Ob uns das gefällt, ist keine Frage mehr, das staatliche Handeln hat sich angewöhnt, alternativlos zu sein.

Können wir unter Überwachung noch frei und also aufgeklärt handeln oder sind wir im Land des BND nur noch Vollzugsorgane staatlich gewünscht angepassten Verhaltens?

Ändert es an der faktischen Regierung desjenigen etwas, der die Daten hält, wenn der Kopf ausgetauscht wird?

Wie aufgeklärt kann die überwachte Republik noch sein?

Kann eine Demokratie aufgeklärt werden oder muss sie es sein?

Merkel hat eine aufgeklärte Fürstin als Vorbild auf ihrem Schreibtisch, Katharina die Große - zeigt sie sich damit als eine Freundin der Aufklärung und der Freiheit oder des fürstlichen Absolutismus, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, wenn es um die Macht geht?

Leben 232 Jahre nach Kants Antwort auf die Frage der Akademie die Aufklärung und ihre Ideale noch oder ist sie längst tot?

Starb sie schon, während sie noch regierte an der Trägheit der Systeme?

Am 28. April 1772 wurde Johann Friedrich Struensee wegen einer angeblichen Affäre mit Königin Caroline Mathilde hingerichtet. Er war bis dahin der Geheime Kabinettsminister des dänischen Königs Christian VII. gewesen und zuvor der behandelnde Arzt des psychisch kranken Königs. Die Hinrichtung hatte sich einige Tage verzögert, weil sich die Kopenhagener Handwerker geweigert hatten ein Schafott für die Hinrichtung des beliebten Aufklärers zu bauen und sich überhaupt erst welche unter Androhung von Folter dazu bereitfanden.

Struensee war als Sohn des Generalsuperintendenten der Hezogtümer Schleswig und Holstein bereits mit 20 Jahren Armenarzt in Altona geworden. Dort machte er sich bereits durch neue Therapieformen einen Namen. Als angesehener Arzt im dänischen Herrschaftsgebiet, zu dem Altona damals gehörte, hatte er den geisteskranken König auf seinen Reisen durch Europa begleitet und war nach seiner Rückkehr sehr schnell zum Leibarzt aufgestiegen und bald der mächtigste Mann im Staate Dänemark. Mit einer Generalvollmacht des Königs versehen, versuchte der freie Denker und Arzt bald Dänemark als Staat im Sinne der Aufklärung umzuwandeln.

Durch eine rigorose Spar- und Personalpolitik machte er sich schnell Feinde am Hof. Bereits zwei Jahre nach Beginn der für das Volk sehr positiv wirksamen Politik der Aufklärung wurde er 1772 vom konservativ christlichen Adel gestürzt. Jedoch blieb ein Teil seiner Reformen wie die damals vorbildliche Pressefreiheit auch nach seinem Sturz bestehen.

Zum Verhängnis wurde ihm wohl sein Verhältnis mit der Königin Caroline Mathilde, das in der damaligen Zeit für einen bürgerlich geborenen und so offen gelebt ein Skandal war. Als behandelnder Arzt der Königin und ihres Mannes war er an dessen Stelle auch in ihrem Bett getreten. Er wurde Privatsekretär der Königin, ließ den Ehebruch in Dänemark per Dekret straffrei werden und behandelte die Depressionen der englischen Prinzessin am dänischen Hof zwar sehr erfolgreich aber mit etwas unkonventionellen Methoden und hatte am Ende eigene Räume im Schloss der jungen Königin, sorgte sogar für die einfache bürgerliche Erziehung des jungen Kronprinzen nach den Ideen von Rousseau. Dies zwar mit Einverständnis des nicht an diesen Dingen interessierten Königs, was aber in der Sache nicht half. Dies galt insbesondere da Struensee erst vom König gegraft worden war, als nicht von Familie galt und so war die ihm zugerechnete Tochter der Köngin Prinzessin Louise Auguste von Dänemark dem konservativ-chrislichen dänischenAdel noch mehr ein Dorn im Auge, der seine herausgehobene Stellung durch den Aufsteiger gefährdet sah, der ihre Vorrechte radikal beschnitt. Die letzte deutsche Kaiserin war damit vermutlich Struensees Nachfahrin.

Die Geschichte des Leibarzts der Königin ist in Büchern unter anderem von Per Olov Enquist beschrieben und vielfach verfilmt worden. Es ist die Geschichte eines überzeugten Aufklärers, der die Ideen der Aufklärung konnsequent lebte. Er war dabei nicht unbedingt ein Demokrat, da er ahnte, dass seine neuen Ideen auf Widerstand stoßen würden, setzte er viele seiner Beschlüsse auch mit der autoritären Gewalt seiner Generalvollmacht des Königs durch. Ob in diesen in vieler Hinsicht positiven Beschlüssen, von der Abschaffung der Folter, bis zur Aufhebung der Strafen bei Ehebruch oder der Leistungsüberprüfung adeliger Amtsinhaber auch die Gefahr einer dänischen Diktatur unter Struensee lag, er nach der Geburt mutmaßlich seines Kindes zur mächtigen Gefahr im Staate Dänemark wurde, ist vermutlich mehr aus heutiger Sicht gefragt, die das Prinzip der Gewaltenteilung verinnerlicht hatte.

Wie außer über das Vertrauen des absolutistischen Herrschers sollte in einem solchen Staat Veränderung bewirkt und Umbau begonnen werden?

Dennoch bleibt die Frage, ob er nicht auch mit der raschen teils diktatorischen Durchsetzung seiner politischen Ziele nicht auch selbst sein Grab schaufelte. Er sah sein Handeln als alternativlos und hatte aus heutiger Sicht in vieler Hinsicht richtig gehandelt und vorbildliches angestoßen. Doch suchte er sich keine Verbündeten im Land außerhalb der ihm auch emotional zu eng verbundenen engsten Königsfamilie. Der dänische Adel musste sich durch diesen mächtigen Aufsteiger, der alles veränderte, ihre Arbeit völlig infrage stellte, sie teilweise ihrer Ämter enthob, bedroht sehen. Die Mutter des geisteskranken Königs war brüskiert worden und die christlichen Überzeugungen nach denen viele Bürger noch lebten wurden durch die kaum verheimlichte Liaison des Ministers mit der Königin verletzt. Wer aber die moralische Autorität und die damit verbundene Begründung einer gottgewollten Herrschaft infrage stellte, wurde zur Gefahr.

Sich in der Sicherheit seiner Generalvollmacht wähnend, fand Struensee auf diese Sorgen keine angemessene und beruhigende Antwort und lag zwar mit dem, was er wollte, richtig, auch seinen freiheitlichen Reformen für Norwegen, doch ließ sich ohne Bündnisse keine Politik langfristig machen.

Eine ähnliche Situation sehen wir gerade bei Merkel, der Anhängerin der aufgeklärten Absolutistin, die es versäumte ihre Politik über ein “Wir schaffen das” hinaus zu kommunizieren und Anhänger zu sammeln, warum sich immer mehr Menschen, denen dieser Weg nicht gefiel, die Angst oder Sorge hatten im Lager der Populisten wiederfanden und damit als rechtsradikal stigmatisiert wurden, was den politischen Diskurs nicht leichter machte. Auch angenommen Merkel hätte hinsichtlich der Alternativlosigkeit ihres Verhaltens Recht, fragt sich doch, wie ihre Gegner aufgeklärt und mitgenommen werden sollen, wenn es als Erklärung bei einem schlichten “Wir schaffen das” bleibt.

So positiv sich die Offenheit für die Not anderer Menschen auf das internationale Bild Deutschlands auswirkte, so sehr schadete es ihr aus Sicht eines Teils der deutschen Bevölkerung, die dies nicht alternativlos fand, aber auch nicht weiter aus ihrer nationalen Unmündigkeit befreit wurden.

Umgekehrt verhielt es sich bei ihrer auch teils mangelhaft kommunizierten Sparpolitik, bei der sie sich von Linken hat treiben lassen, statt konstruktiv zu agieren, ihren Kampf für die Freiheit auch so zu nennen. Hierfür wurde sie von Konservativen in Deutschland als Eiserne Kanzlerin geliebt, während Linke sie als unflexibel und antieuropäisch beschimpften.

Wann wurde kommuniziert, dass die Freiheit von Schulden auch Handlungsfreiheit ist, sich ein rigider Sparkurs also auch für die griechische Freiheit einsetzt?

Es wurde nicht kommuniziert, sondern einfach gewartet und dann gegen zunächst großen Widerstand das eben notwendige durchgesetzt. Struensee ist seiner mangelnden Kommunikation und fehlender Bündnisse mit seinen Gegnern zum Opfer gefallen. Es bleibt zu hoffen, dass Merkel nicht zum Opfer der Populisten des AfD oder eines Sarrazin wird, die ausschließlich Eigenvermarktung auf Kosten der Gesellschaft betreiben und dieser damit schaden. Aufklärung bedeutet eigene Aktivität und Vermittlung der eigenen Überzeugungen. Sie erfordert das selbst denken der Beteiligten, was es besonders schwer macht, zu guten Ergebnissen zu kommen.

Aufklärung heißt selber denken und auch wenn einem bei den Parolen des AfD oder Pegida Zweifel kommen, ob diese selbiges tun oder können, darf der Grundsatz nicht aufgegeben werden. Selbst denken und zum nachdenken auffordern ist so wichtig, wie zu erklären, was wir tun. Struensee tat es nicht und es kostete ihn den Kopf. Hoffe sehr Merkel tut es noch, um den ihren zu behalten und eine eigentlich richtige und weitsichtige Politik vernüftig weiter zu erklären.

Es ist zwar logisch und sinnvoll, was sie tut, doch hat Politik nichts damit zu tun, was einzig vernünftig ist, sondern eben auch viel mit Ängsten und Gefühlen und also muss erklärt werden, damit verstanden wird und so Aufklärung fruchtet.
jens tuengerthal 28.4.2016

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