Samstag, 30. April 2016

Kulturgeschichten 0207

Hauserkasperei

Braucht es ein Verbrechen am Seelenleben als Tatbestand?

Wird die Psyche im deutschen Recht genug geschützt?

Verbietet sich ein psychologischer Tatbestand mangels Bestimmtheit?

Am 30. April 1812 wurde angeblich der rätselhafte Findling Kaspar Hauser geboren, der erstmals am 26. Mai 1828 in Nürnberg auftauchte. Er schien damals ein wenig redender und geistig wohl zurückgebliebener Jugendlicher zu sein. Seine späteren Aussagen, er sei, solange er denken könne, bei Wasser und Brot in einem engen und dunklen Raum gefangen gehalten worden, erregten großes Aufsehen.

Nehmen wir Hausers Behauptungen wörtlich, ist seine Existenz oder seine Geschichte mit den Erkenntnissen der modernen Medizin nicht zu vereinbaren. Ob das mehr Grund gibt an der Medizin oder an Hausers Aussagen zu zweifeln, sei dahingestellt. Wie immer, wenn etwas unerklärlich ist, erfinden wir uns Geschichten dazu und so wurden auch um den plötzlich aufgetauchten Jungen eine ganzes Meer an Sagen gewoben. Viele meinten, er sei ein badischer Erbprinz, was inzwischen genetisch klar widerlegt ist. Auch sonstige hochadelige Verwandtschaft ließ sich nicht nachweisen. Schon der zeitgenössische Bericht der Großmutter des badischen Prinzen, der direkt nach der Geburt von ihr geschrieben wurde, hätte jeden vom Unsinn dieser Hypothese überzeigen können, aber nicht immer leitet die Vernunft die Ermittlungen.

Er wurde ein Jahr nach seinem Auftauchen mit einer ungefährlichen Schnittwunde im Keller des Hauses, in dem er lebte, aufgefunden. Vier Jahre später kam er mit einer Schnittwunde zurück, an der er verstarb. Dazu erzählte er jeweils erstaunliche Geschichten, die alle Gerüchten über ihn noch verstärkten. Nach heutigen kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen fügte sich Hauser jedoch Selbstverletzungen zu und manches spricht dafür, dass dies mit dem nachlassenden öffentlichen Interesse an seiner Person zu tun hatte.

Interessant ist sein gewählter Geburtstag, der zufällig auch der Tag meiner Reanimation vor mittlerweile 29 Jahren war und der mit der Walpurgisnacht oder dem Fest der heiligen Walburga zusammenfällt. Walburga wurde um 710 im südenglischen Wessex geboren und starb 779 oder 780 in Heidenheim. Sie gilt als Tochter des westsächsischen Königs im angelsächsischen Reich Richard von Wessex und ist damit eine Nichte des heiligen Bonifatius und hat es selbst zur kanonischen Heiligen gebracht. Die Überfahrt über den Ärmelkanal als sie ihren Brüdern zur Mission nach Süddeutschland folgte, wozu sie ihr Onkel Bonifatius aufgefordert hatte, verlief wohl sehr stürmisch und das Boot geriet in Seenot. Angeblich hat Walburga die ganze Zeit im Dreck gekniet und für ihre Rettung gebetet, was sie zur Schutzheiligen der Seeleute machte, auch wenn das nautisch betrachtet, ein eher geringer Verdienst wohl ist. Später soll sie als Äbtissin zweier Klöster, als die sie faktisch eine der mächtigsten Frauen der damaligen Christenheit war, zwei Wunder bewirkt haben - zum einen ein Kind mit Ähren vor dem Verhungern gerettet haben, zum anderen einen tollwütigen Hund beruhigt haben, warum sie eine multiple  Zuständigkeit in Wunderdingen und der Heilung nun auch noch hat.

Das ist zwar auch Hokuspokus nur, aber offiziell abgesegneter und dieser gilt nicht als Hexerei, warum auch immer ab dem 15. Jahrhundert in Schriften über den Hexensabbat oder auch im Hexenhammer die Nacht vor dem 1. Mai, also die Walpurgisnacht, als traditioneller Treffpunkt der Hexen gewählt wurde. Danach träfen sich die Hexen in dieser Nacht auf dem Brocken im Harz, um durch das Feuer zu springen und zu tanzen. Sehr ausführlich beschrieb diese Orgien Goethe in seinem Faust I und II, bei denen vor allem das orgienhafte Element der dinonysischen Lust betont wurde. Nach Walburga hieß die Nacht, weil im Mittelalter noch der Tag ihrer Heiligsprechung, der 1. Mai, als traditioneller Gedenktag galt.

Diesen sagenumwobenen Tag vor dem Gedenktag der Heiligen auch der Tollwütigen und sonstigen Kranken wählte der aus dem Nichts aufgetauchte Knabe als seinen Geburtstag. Dahingestellt, ob dies Zufall war oder Spiel mit einer Inszenierung, spricht heute mehr für eine langfristige Inszenierung in der Hauser erstaunlich gut funktionierte, ohne dass wir wüssten, was tatsächlich mit ihm geschah, nur bestimmte seiner Behauptungen leicht als unwahr widerlegen können.

Was wahr ist oder wirklich war, interessiert mich weniger als die Wahrnehmung der Person Hauser, ihre Beschreibungen der Wirklichkeit und die sich daraus ergebende Diskussion auch in der sich damals sich gerade begründenden Wissenschaft des Strafrechts.

Hauser lebte nach dem ersten Anschlag auf seine Person in Ansbach betreut und unter Vormundschaft des dortigen Richters und späteren Autors des bayerischen Strafgesetzbuches, Paul Anselm von Feuerbach, dem Vater des Malers und des Philosophen und wichtigen Vordenkers des deutschen Strafrechts bis heute, das in einigen Regelungen noch auf das vorbildliche bayerische Strafgesetzbuch zurückgeht. Er schrieb ein Buch über Kaspar Hauser, das so psychologisch feinfühlig und exakt beobachtet, sich an den Erinnerungen des jungen Mannes orientiert, dass es jedem Menschen als Lektüre zur Selbsterkenntnis zu raten ist. Wie Feuerbach beschreibt, wie Hauser sehen lernte, ließ mich bei erster Lektüre vor zwanzig Jahren mich genau an meine Kindheit erinnern und nachempfinden, wie fern mir die Maßstäbe noch waren, die sich in Zeit und Raum im Laufe des Alters und der Gewohnheit wieder völlig verschieben. Dieses Buch ist schon eine so feine psychologische Studie, aus einer Zeit, als von Psychologie noch keine Rede war, aber für feine Geister das Zeitalter der Empfindsamkeit längst begonnen hatte. Es ist undogmatisch und wie ein Richter eben möglichst neutral berichtend.

Der andere Punkt der an diesem seltsamen Fall weiter von Interesse ist, war die im damaligen Strafrecht beginnende Diskussion über das Verbrechen am Seelenleben über das mein Strafrechtsprofessor eine wunderbare Monographie einst schrieb, die ich noch vorab lesen durfte, was dem Zauber ein wenig nahm, der mich aber nicht mehr losließ.

Die Diskussion verebbte irgendwann wieder, als der Fall Hauser aus der öffentlichen Diskussion verschwand. Auch das Aufkommen einer psychologischen Wissenschaft hat diese Diskussion nicht wirklich wieder entfacht, vielmehr wurde es nun auf die psychologische Begutachtung des Täters verlagert, mit der es nichts zu tun hat, die Frage der Tat in den bloß subjektiven Tatbestand verlagert, die Zurchnungfähigkeit des Täters berücksichtigt und nicht das Opfer schützt.

Dabei ging es um die Opfer auch psychischer Gewalt und wie mit diesen umzugehen ist. Kaspar Hauser, der sich vermutlich selbst zum Opfer fiel, war nach seinen Berichten ein Opfer auch psychischer Gewalt durch Vernachlässigung. Es gibt solche Fälle bis heute und sie werden auf das räumliche Einsperren, die Nötigung und ähnliches reduziert, dabei ist Tat eigentlich viel mehr, was mit denen passiert, denen so etwas angetan wird.

Bei einer Vergewaltigung wird nur die körperliche Tat angeklagt, nicht was es in der Psyche der Betroffenen angerichtet hat, deren Leben dadurch oftmals zerstört wurde, die Jahre brauchen, um zu einer gesunden Sexualität zurückzufinden, wenn sie diese jemals wieder haben können. Manche nennen Vergewaltigung darum seelischen Mord.

Ob es angemessen oder falsch wäre, die Psyche als weiches Element in den Tatbeständen zu berücksichtigen, ihre Beeinträchtigung immer eine Körperverletzung darstellt oder gerade nicht, scheint bis heute eine wichtige Frage auch und gerade im Umgang mit traumatisierten Opfern, deren Leiden dadurch gewürdigt und anerkannt würde.

Im Strafrecht geht es um die Bestrafung des Täters, logisch richtet sich dies nach diesem und dessen Grundrechten. Ob es um der Gerechtigkeit willen auch um die Rolle des Opfers gehen sollte, ist strittig. Halte persönlich sehr wenig von Rache und der Verankerung des Rachegedankens im Strafrecht, auch wenn er Sühne genannt wird, bleibt er dogmatisch unsinnig und nicht logisch zu begründen.

Strafrecht heißt, der Staat maßt sich an autoritär über Bürger zu entscheiden und deren Leben zu bestimmen. Wie kommt er dazu und welche Legitimation braucht es dafür Grundrechte einzuzschränken, in dem ich Leute einsperre oder zu sonst einer Strafe verdonnere?

Wer diesen Bereich noch zusätzlich um weiche psychische Tatbestände erweitert, hebelt den nulla poena Grundsatz damit möglicherweise aus. Nach diesem Grundsatz darf es keine Strafe geben, wenn die Tat nicht vor ihrer Begehung ausdrücklich, also im Strafgesetz, mit Strafe bedroht war. An solche Gesetze sind aufgrund ihrer einschränkenden Wirkung auf Grundrechte strenge Anforderungen zu stellen auch hinsichtlich ihrer Bestimmtheit. Wie der individuell unterschiedliche psychische Schaden sich auswirkt, kann nicht normativ festgelegt werden. Ein Verbrechen am Seelenleben oder sagen wir lieber der Psyche, um nicht länger diesen zutiefst religiösen Begriff der Seele im Strafrecht zu missbrauchen, wo er mangels Objektivität nichts verloren hat, ist tatbestandlich schwer oder gar nicht zu fassen. Damit scheidet nach dem nulla poena Grundsatz, der Verfassungsrang hat aus meiner Sicht eine Bestrafung für immer aus, keine weitere Diskussion erforderlich.

Ob dies den Opfern psychischer Gewalt gerecht wird und wie diese besser zu schützen wären, ist eine wichtige Diskussion, die von der Gesellschaft geführt werden muss. Sanktionen des Strafrechts gegen den Wortlaut des Grundgesetzes und damit Einschränkung von Grundrechten ohne legitime Grundlage, sind keine Antwort darauf.  Anzuerkennen, dass es nicht auf jede Frage eine adäquate juristische Antwort gibt oder doch eine klare, die aber die Zuständigkeit logisch begrenzt, ist auch ein Stück Freiheit.

Strafrecht dient nicht dem Schutz der Opfer sondern der Regelung von Sanktionen gegen Täter. Danach allein hat sich ihre Legitimität zu bemessen. Opfer brauchen psychologische Hilfe, Anerkennung ihrer psychischen Verletzung als solche und entsprechende Hilfe, die nicht diskriminiert, sie haben keinen Anspruch auf staatliche Rache am Täter, die dafür das Grundgesetz und die Prinzipien des Strafrechts aushebelt.

So wurde auch nach dem Fall Kaspar Hauser, der immer noch ungewiss in manchem aber wenig geheimnisvoll nur noch ist, kein Tatbestand des Verbrechens am Seelenleben oder psychischer Schäden geschaffen, es sei denn diese haben eine klar physische Auswirkung, da das Strafrecht enge Grenzen braucht, Opfer einen Anspruch auf Schutz und Hilfe haben aber keinen auf Bestrafung oder Rache und eigentlich ist das auch gut so. Gerade im Recht ist weniger mehr, was sich auch unsere Regierung für Tatbesände wie die Majestätsbeleidigung nach § 130 StGB merken könnte und so ist das Prinzip, das diesem restriktiven Denken zugrunde liegt gerade wieder hochaktuell im Fall Erdogan gegen Böhmermann, in dem die Staatsanwaltschaft noch prüft, ob das Verfahren eröffnet wird.
jens tuengerthal 30.4.2016

Frühlingsklang

Durch die ungeputzten Scheiben
Scheint wieder die Sonne im Hof
Nur der Staub vom Vorjahr filtert
Noch den unerwarteten Ausbruch
Es ist wärmer als je im Jahr
Lauter zwitschern die Vögel
Frühling keine Frage
Neubeginn und Zauber
Den Winterpelz ablegen
Kommt der letzte Bart nun ab
Fragt sich der Bergbesucher
Auch die Sehnsucht wächst
Leichtigkeit will geteilt sein
Lausche dem Leben im Hof
Hätte lieber deine Stimme
Ganz nah neben mir
So ist gerade alles da
Nur eine fehlt
jens tuengerthal 30.4.2016

Alleinschlaf

Manche schlafen lieber allein
Andere unfreiwillig zu zweit
Einige nur gezwungenrermaßen
Das eine oder andere
Eigentlich schlafen wir immer
Nur allein genau genommen
Weil wir mit unseren Gedanken
Im Traum ganz natürlich
Nur für uns sind in der Nacht
Schlafe lieber nicht allein
Fliehe nächtelang das Bett
Um zu schreiben wo du fehlst
Mit der ich lieber ganz eng läge
Bin nur halb so allein auch wenn
Die Bücher bei mir liegen
Ruhe ich nur ganz wo ich
Halb nur bin ohne dich
Will dich nun umarmen
Und greife ins Leere
Wieviel Liebe liegt wohl
In der großen Sehnsucht
jens tuengerthal 30.4.2016

Kulturgeschichten 0206

Glaubensmacht

Die Macht des Glaubens kann gerüchteweise Berge versetzen und auch wenn mir biblische Geschichten eher fern liegen, der Gedanke der angeblichen Schöpfung mit wachsender Erkenntnis immer weiter nach hinten datiert wird und was geschrieben wurde, meist nur noch symbolisch gelesen wird angesichts der Geschichte der Natur, ist es doch erstaunlich, was und zu was der Glaube Menschen durch die Jahrhunderte bewegte und sei es der an die Liebe, der auch immer wieder zu erstaunlichen Verrenkungen führte, die wider alle Natur scheinen aber doch die Welt bewegten. Wann wirkte der Glaube in der Geschichte und wann die Vernunft, was braucht es dringender in unserer Zeit und was lässt sich aus dem Blick in die Geschichte vielleicht für die Zukunft lernen?


Vermutlich wenig, weil der Mensch selten lernt und lieber betet oder nachbetet und folgt. Am 29. April ballten sich solche Ereignisse ein wenig und von dreien soll hier erzählt werden.

Am 29. April 1429 durchbricht Jeanne d’Arc gemeinsam mit Étienne de Vignolles und einigen anderen Männern die englische Belagerung von Orléans und trifft mit einem Proviantzug in der ausgehungerten Stadt ein.

Die Jungfrau von Orléans war zu diesem Zeitpunkt 17 und hatte den König von Frankreich von ihren Visionen überzeugt, auch indem sie ihre Jungfräulichkeit von seinen Hofdamen prüfen ließ. Sie verhalf den Franzosen im Hundertjährigen Krieg bei Orléans allein durch ihre Glaubensmacht und ihren Kampfeswillen, der von ebendieser Vision getragen wurde zum Sieg gegen Engländer und Burgunder und führte anschließend, wie sie es vorhergesehen hatte, Karl VII. zu seiner Krönung nach Reims. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie von den Burgundern an die mit ihnen verbündeten Engländer ausgeliefert, die sie nach mehreren Prozessen wegen Ketzerei verurteilten und 1431 mit gerade 19 auf dem Marktplatz von Rouen verbrennen ließen. Sie wurde später zur französischen Nationalheiligen und wird auch in der Republik noch hoch verehrt als mutige Heldin aus dem einfachen Volk, die nur ihrem Glauben folgend, der französischen Armee als Vorbild im Kampf zum Sieg verhalf. Nachdem die Jungfrau vom Pferd geschossen worden war, hatte sie weiter gekämpft und nun wollte natürlich keiner der Franzosen dort, dieser Frau nachstehen an Mut.

In einem Revisionsprozess 24 Jahre nach ihrer Verbrennung machte die katholische Kirche, die sie vorher durch einen mit England verbündeten Bischof hatte verbrennen lassen, weil sie sich als Mann verkleidet und Visionen erfunden hätte und anderes mehr, zur Märtyrerin, die 1909 selig und 1920 heilig gesprochen und auch die unheilige laizistische Republik hält sie in Briefmarken und Büsten in allen Büros der Bürgermeister auf ihre Art heilig. In Deutschland unter Helmut Schmidt hätte sie mit ihren Visionen vermutlich keine große Karriere gemacht und auch bei der zwar Pfarrerstocher aber doch Naturwissenschaftlerin Merkel ist nicht vorstellbar, dass sie Bundestag und Bevölkerung mit einer Vision von ihrem “Wir schaffen das”-Credo zu  überzeugen versuchte.

Dahingestellt sei, ob es ein Gewinn ist, dass Visionäre und andere Scharlatane heute politisch in Europa keine Rolle mehr spielen. Zumindest hat es die Politik berechenbarer gemacht, wenn auch ein Stück Motivation und Begeisterung verloren ging. Zur übrigen Beurteilung solcher Fälle sei auf Kants wunderaren Text Träume eines Geistersehers verwiesen, in dem er den Seher Svedenborg bloßstellte, der in der damaligen Politik eine zu große Rolle spielte. Bewundernswert ist der Mut der jungen Frau, die ihren Ideen folgend eine Bewegung in Gang setzte, die Frankreich von innen heraus zum Widerstand gegen die ihrer Ansicht nach Land besetzenden Engländer einte. Mancher in der CDU dürfte sich wünschen, Merkel hätte zumindest einen Hauch von dieser Begeisterungsfähigkeit, um den Populisten die Wähler abspenstig zu machen. Als Aufklärer und Demokrat schätze ich die nüchterne Auseinandersetzung mehr als die euphorische Begeisterung, die selten gute Folgen hat.

Nur 60 Jahre später wurde von den Spaniern, die da noch nicht die Mauren endgültig  vertrieben hatten und sich noch in Kastilien und Aragon teilten, das Vorspiel der Eroberung Amerikas auf den Kanaren gespielt. Am 29. April 1483 gaben die Ureinwohner Gran Canarias, die Urcanarios, den letzten Widerstand gegen ihre Besetzung auf und wurden von den Kastiliern als Kolonie endgültig besetzt und die Ureinwohner versklavt. Bis heute gehören die Kanaren zu Spanien, auch wenn sie westlich von Afrika liegen und auch dort kulturell angebunden waren. Vorausgegangen war der Versuch der Christianisierung durch fromme Händler aus Mallorca, der relativ friedlich verlief. Es kam jedoch nach den Übergriffen der Spanier zum Aufstand bei dem die Urcanarios auch Bischöfe in die Vulkane warfen und andere opferten. Die Härte mit der Spanien mit dem Ziel der Besetzung zurückschlug und die Kanaren bis heute zur Kolonie machte, lässt diesen Besitz noch fragwürdiger erscheinen. Natürlich wehrte sich keiner mehr, wenn alle Ureinwohner versklavt oder ausgerottet wurden. Vor größerem Protest gegen diesen fragwürdigen Besitz wäre allerdings interessant zu wissen, was es als Alternative für die Menschen dort gäbe, ob es ihnen mit diesem Zusammenhang nicht wesentlich besser geht als den meisten Bewohnern Afrikas, zu dem sie geographisch gehörten.

Die Eroberung der Kanaren war klare Machtpolitik und eine Generalprobe für die spätere Eroberung Amerikas, von dem da noch keiner wusste. Die Inseln waren der wichtige Zwischenstopp für Christoph Kolumbus auf seiner Reise nach Westen, da er ohne diesen Zwischenhalt nicht genug Wasser und Nahrung für die lange überfahrt hätte bunkern können, auch noch vor Ort nötige Reparaturen vornehmen konnte. Getragen war Spaniens Expansionsdrang, der nicht zufällig mit dem Jahr des Endes der Reconquista zusammenfällt, von einem Missionierungswillen und einer klaren Machtpolitik. Der Reichtum der Kolonien verhinderte über lange Zeit nötige Reformen und die Entwicklung in Spanien, das nach der Vertreibung der jüdischen Elite und der maurischen Kultur weitgehend vor dem Nichts stand. Die Raubzüge in aller Welt verhinderten den Zusammenbruch Spaniens nach der ökonomisch unsinnigen Vertreibung der jüdischen und maurischen Bewohner. Der Glaube wurde dabei als Schild getragen und anders als mit überzeugtem Aberglauben lässt sich solch eine unsinnige Politik auch auf Dauer wohl nicht vertreten, im öffentlichen Interesse war sie nicht und machte Spanien lange zur Weltmacht auf Pump ohne eigenes Fundament.

Rund 200 Jahre später am 29. April 1624 wurde Kardinal Richelieu von Ludwig XIII. in den Staatsrat berufen. Wenige Monate später schon, am 13. August, wird ihm die Leitung des Gremiums anvertraut. Er führt von da an bis zu seinem Tod als erster Minister die Regierungsgeschäfte in Frankreich. Der Sohn von Henry IV, der mit dem Edikt von Nantes erst die Religionskriege in Frankreich beendete, holte damit auf Rat seiner Mutter Maria Medici einen Pfaffen an die Macht. Diese hatte zuvor noch dafür gesorgt, dass der enge Freund ihres Beichtvaters, des Kapuziners Pére Joseph zum Karidnal wurde. Bischof war er geworden, da noch Heinrich III. dem Vater für seine militärischen Verdienste einen solchen Bischofssitz zugesprochen hatte und als der etwas schwächliche und kränkliche Armand statt der militärischen Karriere Theologie an der Sorbonne in Paris studierte. Er war der mächtigste Mann Frankreichs und bereitete den Umbau zum absolutistischen Staat vor, den der Sohn von Ludwig XIII., der berühmte Ludwig XIV. auf die Spitze trieb mit dem Kult um seine Person in Versailles. Den Protetanten ließ er, nachdem er ihre letzten militärischen Festungen eingenommen hatte im Gnadenedikt von 1629 zwar die theoretische Glaubensfreiheit, nachdem er ihr militärisches Potential  ausgeschaltet hatte und beseitigte sie damit als Machtfaktor im Staat, was der frühere Hugenotte Henry IV. noch verhindern wollte. Folgerichtig wurden sie beim folgenden König zu Preußens Wohl dann auch vertrieben, denn Preußens späterer Aufstieg ist auch und gerade der bereitwilligen Aufnahme von Flüchtlingen zu verdanken.

Richelieu formte Frankreich zum absolutistischen Staat und stärkte es im Konzert der europäischen Weltmächte. Er tat alles um Österreich zu schwächen und versuchte sich auch bereits mäßig erfolgreich in der Kolonialpolitk. Als kühler Machtpolitiker war er mehr Stratege, der klarem Kalkül folgte als gläubiger Visionär, dass er Theologe wurde, ist eher den familiären Zusammenhängen geschuldet und seiner etwas schwächlichen körperlichen Konstitution, die ihn nicht zum Krieger machte. Er hatte kein Problem sich im Dreißigjährigen Krieg mit den protestantischen Schweden zu verbünden, wenn es der Schwächung Österreichs diente. Seine herausgehobene Stellung verschaffte ihm so viel Ehre wie Feinde und er überlebte drei Verschwörungen, an denen auch Maria Medici und einige bourbonische Prinzen beteiligt waren nur knapp. Doch ändert auch dieses Glück nichts an seiner Bewertung als politischer Pragmatiker. In seinem politischen Testament betont er, dass der Mensch, da er vernunftbegabt sei, wie die natürliche Einsicht erkennen lasse, er auch alles nur aus der Vernunft heraus tun solle, da er sonst gegen seine Natur handele. Es sei, betont er dort weiterhin, für einen Staat notwendig, dass sich Fürsten und Minister zuerst um das öffentliche Interesse kümmern und alle partikularen Interessen dahinter zurückstellen.

Eine Staatssicht, wie sie erst wieder in der Aufklärung normal wurde und an der weiter alles politische Handeln gemessen werden sollte. Wer verfolgt nachhaltig und weitsichtig das öffentliche Interesse und wer bedient nur Partikularinteressen oder Ängste, um so Stimmen zu angeln?

Der momentane Zustand dieser Republik gibt viel Anlass, auch über diese Frage erneut nachzudenken. Von einer parteilichen Beantwortung sei hier abgesehen, wenn der eine oder andere infolge darüber kritisch und mit weitem Blick nachdenkt, werden sich manche Fragen von alleine beantworten.

Inwieweit sich die Diamantnadelaffäre, die Alkexandre Dumas in den drei Musketieren verarbeitete, in denen der Kardinal als böser Gegenspieler der verliebten Königin Anna von Österreich auftritt, den Tatsachen entspricht, ist nicht letztlich zu klären. Insofern auch ein Zeitgenosse Richelieus und Annas, der Dichter La Rochefoucauld, der mit Königin Anna eng befreundet war, ähnliches berichtet hat, könnte sie einen wahren Kern zumindest haben, egal, ob ein D’Artagnan wirklich die Diamanten in höchster Not aus England rettete und so wirkt Richelieu, der ein großer Förderer der Künste war und der Gründer der bis heute bestehenden Académie Francaise ist, bis heute und hat die Literatur weit über seine Zeit auch durch Förderung wie Beschränkung mitgeprägt.

Am 29. April 1945 schließlich heiratete Adolf Hitler im Führerbunker seine langjährige Freundin Eva Braun. Trauzeugen sind Joseph Goebbels und Martin Bormann. Das traute Paar überlebt den Bund fürs Leben noch einen Tag und vergiftete sich gemeinsam am 30. April 1945. Eva Braun war zu diesem Zeitpunkt 33 Jahreund damit 23 Jahre jünger als Hitler. Während der Hochzeit war Berlin schon von der Roten Armee umzingelt. Es gab keine Chance noch das Blatt zu wenden. Bereits vorher hatte Hitler befohlen alle seine Papieren und Unterlagen zu verbrennen. Wem diese Hochzeit diente und was dieser kurze Lebensbund für einen der größten Massenmörder aller Zeiten noch sollte, erschließt sich bei eingehenderer Beschäftigung mit der Person Hitlers, die längst drogenabhängig dem Wahn ihrer Visionen folgte, die von Hass und Vernichtungswille geprägt waren. Seine im Ende Feigheit, mit der er sich nicht der Verantwortung für den auch durch ihn verursachten Schaden stellte, ermöglichte aber vielen die Verteufelung des Menschen Hitler, um sich von aller Verantwortung frei zu sprechen. Unklar ist inwieweit Eva Braun diese Ehe am Ende wie vieles emotional erpresste.

Das am Vortag frisch getraute Paar tötete sich mit Zyankali  Kapseln und der Tod von Eva Braun trat drei Minuten vor dem Hitlers ein. Es war bereits Eva Brauns dritter Suizidversuch allerdings der erste als Ehefrau und der erste, der glückte. Bereits in den Jahren vorher hatte sie Hitlers Zuneigung durch zuerst einen Schuss in die Brust, den sie jedoch überlebte und sodann sauberer mit Tabletten erringen wollen. Beide Versuche zeigten die gewünschte Wirkung und brachten Braun näher mit Hitler zusammen, der ihr zunächst nach dem ersten emotional näher kam und ihr nach dem zweiten Versuch immerhin eine Villa in Bogenhausen schenkte. Sie hatte bei dem Fotografen gearbeitet, bei dem auch Geli Raubal gerbeitet hatte, Hitlers Nichte und möglicherweise Geliebte, die sich Jahre vorher schon umbrachte.

Hitler hatte bis kurz vor seinem Tod immer eine Ehe verweigert, weil er mit  Deutschland verheiratet sei, weiter als unverheirateter Mann und Führer Projektionsfläche vieler Frauenträume der Zeit bleiben wollte. Sie war gegen den Willen ihrer Familie und auch gegen den Wunsch Hitlers zunächst nach Berlin gekommen und hatte aber mit ihm ab 19. März 1945 natürlich im separaten Zimmer im Führerbunker unter dem Garten der Reichskanzlei gelebt. Vorher hatten sie, wenn möglich, viel Zeit auf dem Obersalzberg gemeinsam verbracht, wo sie offiziell als Haushälterin galt.

Zu Hitlers Sexualität ist viel geschrieben und gemutmaßt worden. Von seiner Impotenz bis zu seinen perversen Neigungen. Es wurden Psychoanalytiker beauftragt, um die Person Hitler zu ergründen und aus ihrem Sexualverhalten Rückschlüsse auf die Person zu finden, die oft ähnlich wissenschaftlich waren, wie Teufelsaustreibungen. Es gibt einen Bericht, von einem früheren Vertrauten, der später sein Gegner wurde, dass seine Nichte auf ihn, um es deutlich zu sagen, pissen und scheißen musste, um ihn durch Erniedrigung zu befriedigen. Ansonsten ist wenig genaues bekannt, auch eine möglicherweise selbst unterdrückte homosexuelle Neigung, die seinen pathologischen Hass gegen diese Gruppe begründete, bleibt Mutmaßung. Auch die Vermutung er hätte nur ein Ei gehabt oder wäre gänzlich impotent oder asexuell gewesen, lässt sich nicht bestätigen. Sicher ist nur, dass er seine Sexualität seinem Wahn unterordnete.

Zu vermuten, ob ein Mann mit einer befriedigenden Sexualität weniger grausam gewesen wäre, ist müßig, andere Nazi Größen wie Goebbels bewiesen das Gegenteil. Die Verteufelung Hitlers hat aber über Jahrzehnte zu einer Deantwortung vieler Täter geführt, die alle Schuld dem Führer zuschoben und sich nur als Werkzeuge seines Willens bezeichneten. Auch wenn es dennoch zu Verurteilungen kam, weil die Täterschaft grausam genug war, konnten sich viele hinter Hitler auch nach seinem feigen Selbstmord noch verstecken. Wieviel Übung er darin bereits im Gegensatz zu seiner Ehefrau hatte, ist nicht bekannt.

Wichtiger als diesen Verbrecher zu dämonisieren, scheint mir, seine Normalität zu erkennen, um zu bemerken, wie schnell ganz normale Menschen, wenn sie die Möglichkeiten dazu haben, zu perversen Verbrechern in einer grausamen Ideologie werden. Deutschland hat unter Hitler ordnungsgemäß funktioniert, weil es hier genug grausame und perverse Menschen gab, denen es eine Freude war, andere zu quälen. Es waren viele ganz normale, besorgte Bürger, wie sie heute wieder in Dresden auf die Straße gehen, um gegen Muslime zu demonstrieren, wie es damals eben gegen Juden ging. Was heute die Asylanten als Schimpfwort sind, waren damals die Geldjuden und die Ostjuden und das Judenpack.

Der Nationalsozialismus war eine Glaubenslehre, die das Denken durch eine mit Symbolen überladene Ideologie ersetzte. Immer wenn Menschen anfangen, statt kritisch zu denken, Befehlen bedingungslos zu folgen, einen Staat als Ideologie heroisieren, sollten wir dringend gewarnt sein. Der Nationalsozialismus ist nicht so fern, wie es scheint, Pegida und der AfD zeigen, dass sich mit Hass und Ausgrenzung wieder erfolgreich in Deutschland Politik machen lässt. Dagegen hilft nur nachdenken, aufklären und erklären. Das wird Zeit und Nerven kosten, aber wenn die Kultur dieses Landes etwa wert ist, dann aus der Geschichte zu lernen und in die Zukunft zu investieren. Wer den Hass und die Angst beobachtet, merkt, wie die Zeiten sich verändern und wie dringend wir einer neuen Aufklärung und einer allgemeinen Anleitung zum kritischen Denken bedürfen. Ob es darauf nach 30 Jahren Privatfernsehen noch viel Hoffnung gibt, weiß ich nicht. Versuchen sollten wir es, was bleibt uns sonst?
jens tuengerthal 29.4.2016

Freitag, 29. April 2016

Eherlich

Die Ehe ist der Anfang wie das Ende
Drum Frage sich wer nach ihr strebt
Ob der verschlungen Ringe Glück
Seiner Hände Liebesspiel dabei
Fesselt oder beflügelt weil
Heilge Einfalt manches mal
Uns mehr bedeutet als sie sonst
Schlicht scheint wenn zwei sich
Noch im Liebeszauber auf ewig
Vesprachen konnten oft sie
Kaum absehen was nüchtern
Sie miteinander erwartet
Drum frag ich mich nun
Will ich den Anfang
Oder gar das Ende
Wenn ich nun schreib
Ich will dich immer noch
Von hinten wie von vorne
Nicht nur inmitten
Von guten wie von schlechten Zeiten
Tönen die Pastoren ich lass dich lieber
Stöhnen wenn eng umschlungen
Lustvoll ist das Leben gelungen
So frag ich nicht und wage es
Zu tun wovon die andern träumen
Habe nichts mehr zu versäumen
Wer seine Muse macht zur Frau
Ist langfristig wohl eher schlau
Auch wo es sich nicht mehr reimt
Passt es doch ineinander
Hier wie dort
jens tuengerthal 29.4.2016

Mittsommernachtstraum

Ob ich wohl wagen darf schon selig
Von Maiennächten mit der Liebsten
Hier zu träumen in endlich selig
Frühlingshafter Wärme die aus dem
Nur gelegentlich noch weißen Blau
Im Himmel über Berlin für uns strahlt
Weiß nicht ob solches Wagnis nicht
Enttäuschte und träum drum lieber
Weiter vom Mittsommernachtstraum
Mit dir in längsten Nächten ungeteilt
Nah der Küste von der du stammt
Geliebte Windbraut wenn die Sonne
Wieder wendet bist du mein
Zumindest wie ich dann dein
Welch Trolle dann des Nachts
Auch um uns tanzen so sei
Dein Zauberer der Hafen
In dem du bleibend landest
Wie ich in dir gern stecken bleib
jens tuengerthal 29.4.2016

Hafenunruhe

Auf See sei es ruhiger als im Hafen
Egal wie unruhig die See gerade ist
Sagst du ohne festen Grund unter dir
Seit Februar nun und ich frage mich
Wie du zur Ruhe wohl kommst je
Wäre gern dein Hafen dafür
Auch mal wild und unruhig
Gerade wenn wir uns ganz nah sind
Aber immer auf festem Grund
Will nicht immer schaukeln
Ob du den Seegang brauchst
Oder ohne keine Ruhe findest
Frage ich mich manchmal
Nun bist du im Hafenstress
Die du keinen Stress kennst
Und auf See eher entspannst
Egal wie unruhig es unter dir ist
Kenne Stress und mag ihn nicht
Weil er das Denken lähmt
Möchte die Ruhe genießen
Mit dir ganz nah ob du da
Ruhig bleiben kannst
Weiß ich natürlich nicht
Aber was weiß ich schon
Und so warte ich ruhig
Was bliebe mir auch
jens tuengerthal 29.4.2016

Sehnsuche

Suche deine Position auf dem Meer
Denke daran wie bald schon wieder
Deine Wache beginnt und sehne mich
Nach dir die du mir fern so nah bist
Immer noch und doch fehlst
Wenn ich allein in unserem Bett liege
Möchte ich dich umarmen
In den letzten kalten Nächten
Unseres ersten Frühlings
Indem wir fern uns liegen gerade
Dabei sind wir uns doch so nah
Jeder in einsamer Sehnsucht für sich
Du als gefangener Offizier an Bord
Dein Zauberer im wie immer
Nur einsamer will ich glauben
Dass die Sehnsucht die Liebe stärkt
Was weiß ich schon was du fühlst
Wovon du nun träumst allein
Es wird immer länger aber
Wenn wir das schaffen
Hält uns nichts mehr auf
Im geteilten Glück
Hoffe ich immer noch nur
Was weiß ich schon
jens tuengerthal 29.4.2016

Kulturgeschichten 0205

Aufklärungstod

Das Aufklärung die Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist, hat uns Kant bereits im Dezember 1784 verkündet, viereinhalb Jahre bevor in Frankreich der Geist der Aufklärung zur Revolution führte, die später ihren Geist vergaß und wieder totalitär wurde. Selbstverschuldet ist diese, wenn sie nicht an der Dummheit des anderen scheitert, sondern am fehlenden Mut, wie Kant es sagte, heute würden wir vielleicht von Faulheit sprechen. Daraus wuchs für ihn logisch das Motto der Aufklärung, Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist also das Motto der Aufklärung.

Kant hadert dann mit der Faulheit und Feigheit der Menschen, die es so bequem machen, unmündig zu sein und sich nicht seiner Verantwortung zu stellen.  Wir hätten Bücher, die für uns Verstand hätten, heute sind es unsere Telefone oder Rechner, einen Seelsorger, der für das Gewissen sorgt, einen Arzt, der sich um die Gesundheit oder wie Kant sagt die Diäten kümmert und so müssen wir uns um nichts sorgen, sind rund um versorgt. Heute sorgt auch noch ein vollständig vernetzter Geheimdienst für unsere Sicherheit und erinnert uns sogar daran, wenn wir zufällig vergessen sollten, unsere Gelder in der Schweiz zu versteuern, indem entsprechende Daten der Banken dort großzügig gekauft werden. Ob uns das gefällt, ist keine Frage mehr, das staatliche Handeln hat sich angewöhnt, alternativlos zu sein.

Können wir unter Überwachung noch frei und also aufgeklärt handeln oder sind wir im Land des BND nur noch Vollzugsorgane staatlich gewünscht angepassten Verhaltens?

Ändert es an der faktischen Regierung desjenigen etwas, der die Daten hält, wenn der Kopf ausgetauscht wird?

Wie aufgeklärt kann die überwachte Republik noch sein?

Kann eine Demokratie aufgeklärt werden oder muss sie es sein?

Merkel hat eine aufgeklärte Fürstin als Vorbild auf ihrem Schreibtisch, Katharina die Große - zeigt sie sich damit als eine Freundin der Aufklärung und der Freiheit oder des fürstlichen Absolutismus, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, wenn es um die Macht geht?

Leben 232 Jahre nach Kants Antwort auf die Frage der Akademie die Aufklärung und ihre Ideale noch oder ist sie längst tot?

Starb sie schon, während sie noch regierte an der Trägheit der Systeme?

Am 28. April 1772 wurde Johann Friedrich Struensee wegen einer angeblichen Affäre mit Königin Caroline Mathilde hingerichtet. Er war bis dahin der Geheime Kabinettsminister des dänischen Königs Christian VII. gewesen und zuvor der behandelnde Arzt des psychisch kranken Königs. Die Hinrichtung hatte sich einige Tage verzögert, weil sich die Kopenhagener Handwerker geweigert hatten ein Schafott für die Hinrichtung des beliebten Aufklärers zu bauen und sich überhaupt erst welche unter Androhung von Folter dazu bereitfanden.

Struensee war als Sohn des Generalsuperintendenten der Hezogtümer Schleswig und Holstein bereits mit 20 Jahren Armenarzt in Altona geworden. Dort machte er sich bereits durch neue Therapieformen einen Namen. Als angesehener Arzt im dänischen Herrschaftsgebiet, zu dem Altona damals gehörte, hatte er den geisteskranken König auf seinen Reisen durch Europa begleitet und war nach seiner Rückkehr sehr schnell zum Leibarzt aufgestiegen und bald der mächtigste Mann im Staate Dänemark. Mit einer Generalvollmacht des Königs versehen, versuchte der freie Denker und Arzt bald Dänemark als Staat im Sinne der Aufklärung umzuwandeln.

Durch eine rigorose Spar- und Personalpolitik machte er sich schnell Feinde am Hof. Bereits zwei Jahre nach Beginn der für das Volk sehr positiv wirksamen Politik der Aufklärung wurde er 1772 vom konservativ christlichen Adel gestürzt. Jedoch blieb ein Teil seiner Reformen wie die damals vorbildliche Pressefreiheit auch nach seinem Sturz bestehen.

Zum Verhängnis wurde ihm wohl sein Verhältnis mit der Königin Caroline Mathilde, das in der damaligen Zeit für einen bürgerlich geborenen und so offen gelebt ein Skandal war. Als behandelnder Arzt der Königin und ihres Mannes war er an dessen Stelle auch in ihrem Bett getreten. Er wurde Privatsekretär der Königin, ließ den Ehebruch in Dänemark per Dekret straffrei werden und behandelte die Depressionen der englischen Prinzessin am dänischen Hof zwar sehr erfolgreich aber mit etwas unkonventionellen Methoden und hatte am Ende eigene Räume im Schloss der jungen Königin, sorgte sogar für die einfache bürgerliche Erziehung des jungen Kronprinzen nach den Ideen von Rousseau. Dies zwar mit Einverständnis des nicht an diesen Dingen interessierten Königs, was aber in der Sache nicht half. Dies galt insbesondere da Struensee erst vom König gegraft worden war, als nicht von Familie galt und so war die ihm zugerechnete Tochter der Köngin Prinzessin Louise Auguste von Dänemark dem konservativ-chrislichen dänischenAdel noch mehr ein Dorn im Auge, der seine herausgehobene Stellung durch den Aufsteiger gefährdet sah, der ihre Vorrechte radikal beschnitt. Die letzte deutsche Kaiserin war damit vermutlich Struensees Nachfahrin.

Die Geschichte des Leibarzts der Königin ist in Büchern unter anderem von Per Olov Enquist beschrieben und vielfach verfilmt worden. Es ist die Geschichte eines überzeugten Aufklärers, der die Ideen der Aufklärung konnsequent lebte. Er war dabei nicht unbedingt ein Demokrat, da er ahnte, dass seine neuen Ideen auf Widerstand stoßen würden, setzte er viele seiner Beschlüsse auch mit der autoritären Gewalt seiner Generalvollmacht des Königs durch. Ob in diesen in vieler Hinsicht positiven Beschlüssen, von der Abschaffung der Folter, bis zur Aufhebung der Strafen bei Ehebruch oder der Leistungsüberprüfung adeliger Amtsinhaber auch die Gefahr einer dänischen Diktatur unter Struensee lag, er nach der Geburt mutmaßlich seines Kindes zur mächtigen Gefahr im Staate Dänemark wurde, ist vermutlich mehr aus heutiger Sicht gefragt, die das Prinzip der Gewaltenteilung verinnerlicht hatte.

Wie außer über das Vertrauen des absolutistischen Herrschers sollte in einem solchen Staat Veränderung bewirkt und Umbau begonnen werden?

Dennoch bleibt die Frage, ob er nicht auch mit der raschen teils diktatorischen Durchsetzung seiner politischen Ziele nicht auch selbst sein Grab schaufelte. Er sah sein Handeln als alternativlos und hatte aus heutiger Sicht in vieler Hinsicht richtig gehandelt und vorbildliches angestoßen. Doch suchte er sich keine Verbündeten im Land außerhalb der ihm auch emotional zu eng verbundenen engsten Königsfamilie. Der dänische Adel musste sich durch diesen mächtigen Aufsteiger, der alles veränderte, ihre Arbeit völlig infrage stellte, sie teilweise ihrer Ämter enthob, bedroht sehen. Die Mutter des geisteskranken Königs war brüskiert worden und die christlichen Überzeugungen nach denen viele Bürger noch lebten wurden durch die kaum verheimlichte Liaison des Ministers mit der Königin verletzt. Wer aber die moralische Autorität und die damit verbundene Begründung einer gottgewollten Herrschaft infrage stellte, wurde zur Gefahr.

Sich in der Sicherheit seiner Generalvollmacht wähnend, fand Struensee auf diese Sorgen keine angemessene und beruhigende Antwort und lag zwar mit dem, was er wollte, richtig, auch seinen freiheitlichen Reformen für Norwegen, doch ließ sich ohne Bündnisse keine Politik langfristig machen.

Eine ähnliche Situation sehen wir gerade bei Merkel, der Anhängerin der aufgeklärten Absolutistin, die es versäumte ihre Politik über ein “Wir schaffen das” hinaus zu kommunizieren und Anhänger zu sammeln, warum sich immer mehr Menschen, denen dieser Weg nicht gefiel, die Angst oder Sorge hatten im Lager der Populisten wiederfanden und damit als rechtsradikal stigmatisiert wurden, was den politischen Diskurs nicht leichter machte. Auch angenommen Merkel hätte hinsichtlich der Alternativlosigkeit ihres Verhaltens Recht, fragt sich doch, wie ihre Gegner aufgeklärt und mitgenommen werden sollen, wenn es als Erklärung bei einem schlichten “Wir schaffen das” bleibt.

So positiv sich die Offenheit für die Not anderer Menschen auf das internationale Bild Deutschlands auswirkte, so sehr schadete es ihr aus Sicht eines Teils der deutschen Bevölkerung, die dies nicht alternativlos fand, aber auch nicht weiter aus ihrer nationalen Unmündigkeit befreit wurden.

Umgekehrt verhielt es sich bei ihrer auch teils mangelhaft kommunizierten Sparpolitik, bei der sie sich von Linken hat treiben lassen, statt konstruktiv zu agieren, ihren Kampf für die Freiheit auch so zu nennen. Hierfür wurde sie von Konservativen in Deutschland als Eiserne Kanzlerin geliebt, während Linke sie als unflexibel und antieuropäisch beschimpften.

Wann wurde kommuniziert, dass die Freiheit von Schulden auch Handlungsfreiheit ist, sich ein rigider Sparkurs also auch für die griechische Freiheit einsetzt?

Es wurde nicht kommuniziert, sondern einfach gewartet und dann gegen zunächst großen Widerstand das eben notwendige durchgesetzt. Struensee ist seiner mangelnden Kommunikation und fehlender Bündnisse mit seinen Gegnern zum Opfer gefallen. Es bleibt zu hoffen, dass Merkel nicht zum Opfer der Populisten des AfD oder eines Sarrazin wird, die ausschließlich Eigenvermarktung auf Kosten der Gesellschaft betreiben und dieser damit schaden. Aufklärung bedeutet eigene Aktivität und Vermittlung der eigenen Überzeugungen. Sie erfordert das selbst denken der Beteiligten, was es besonders schwer macht, zu guten Ergebnissen zu kommen.

Aufklärung heißt selber denken und auch wenn einem bei den Parolen des AfD oder Pegida Zweifel kommen, ob diese selbiges tun oder können, darf der Grundsatz nicht aufgegeben werden. Selbst denken und zum nachdenken auffordern ist so wichtig, wie zu erklären, was wir tun. Struensee tat es nicht und es kostete ihn den Kopf. Hoffe sehr Merkel tut es noch, um den ihren zu behalten und eine eigentlich richtige und weitsichtige Politik vernüftig weiter zu erklären.

Es ist zwar logisch und sinnvoll, was sie tut, doch hat Politik nichts damit zu tun, was einzig vernünftig ist, sondern eben auch viel mit Ängsten und Gefühlen und also muss erklärt werden, damit verstanden wird und so Aufklärung fruchtet.
jens tuengerthal 28.4.2016

Donnerstag, 28. April 2016

Was fehlt

Was fehlt ist immer anders
Gerade fehlt mir immer mehr
Deine Nähe voller Sehnsucht
Möchte überall in dich dringen
Dich in und auswändig spüren
Deine zarten Hügel mich dafür
Steil besteigen sehen wie all
Deine Locken oben wie unten
Zwischen meinen Fingern haben
In deine feuchte Vorfreude tauchen
Dein Herz im wilden Ritt schneller
Schlagen lassen um ganz oben
Es einen Moment still stehen
Zu lassen weil ich nicht von
Dir lassen kann du Wunderfrau
Liebstes wunderbares Wunder
Gleich bist du in Gibraltar
Ach wüsstest du nur was ich täte
Hätte ich dich nun greifbar
Denke ich und freue mich
Wenn du es gleich liest
Bei der Einfahrt in die Meerenge
In den Worten meine Lust
Zwischen deinen Beinen spürst
Was fehlt bist du
Und mein Schwanz
Dort wo er ersehnt
Tief in dir Liebste
jens tuengerthal 28.4.2016

Lustwogen

Während du Tag und Nacht
Mit Wega über Wellen reitest
Wächst mit der Sehnsucht
Die Lust in Gedanken in
Will dich wieder spüren
Wie du auf festem Grund
Dich auf und nieder bewegst
Wir durch die Nacht reiten
Ineinander verschlungen
Dich mit mir ganz füllend
Soll dir Seegang einzig
Noch unsre Bewegung sein
Wenn mein Schwanz
Tief in dich gleitet
Dein Schoß sich nass
Ganz mir freudig öffnet
Sich dein Becken hebt wie
Beim nächsten Stoß senkt
Bis wir im Meer der Lust
Endlich überlaufen ineinander
Um erschöpft vom Seegang
Auf festem Grund wieder
Eng umschlungen einzuschlafen
jens tuengerthal 28.4.2016

Kulturgeschichten 0204

Schlachtenglück

Werden Schlachten von denen gewonnen, die stärker sind, kommt es mehr auf die richtige Taktik an oder entscheidet am Ende immer das Glück?

Was bringt ein Sieg wirklich ein?

Am 27. April 1622 besiegten in der Schlacht bei Mingolsheim die vereinigten Heere von Peter Ernst II. von Mansfeld und Georg Friedrich von Baden-Durlach im Dreißigjährigen Krieg die Kaiserlichen unter Johann t’Serclaes von Tilly am Ohrenberg. Der Ort Mingolsheim wurde während der Schlacht von Mansfelds Leuten in Brand gesteckt und brannte größtenteils nieder.

Mansfeld führte das führt das Heer des Pfalzgrafen Friedrich V., des sogenannten Winterkönigs, dessen Krönung zum König von Böhmen den Dreißigjährigen Krieg entscheidend mit auslöste. Mingolsheim, das im Rücken der Kaiserlichen lag wurde bei Beginn des Treffens von den Pfälzern angesteckt, um Tillys Truppen den Rückweg abzuschneiden.

Tilly der bayerisch-ligistische Generalleutnant war mit seinem Heer in die Kurpfalz, die Stammlande des Pfalzgrafen bei Rhein eingedrungen und versuchte Heidelberg von Süden her zu umfassen. Er hatte dafür bis einen Tag vor der Schlacht sein Heer von 12.000 Mann bei Wiesloch versammelt und musste dafür die Belagerung der Feste Dilsberg aufgeben, die ein Stück neckaraufwärts von Heidelberg gelegen ist.

Mansfeld als General-Feldmarschall der böhmischen Krone war mit seinem Heer von 16.000 Mann Fußvolk und 6000 Reitern bei Germersheim über den Rhein und nach Bruchsal gezogen, um sich mit den 20.000 Mann des Weißen Heeres des Markgrafen von Baden-Durlach zu vereinigen. Zunächst versuchte er erfolglos Tilly aus dessen starker Position bei Wiesloch herauszulocken. Dann griff Tilly die mansfeldchen Truppen bei Mingolsheim an. Daraufhin ließ Mansfeld das Dorf anstecken, um die Annäherung zu verhindern. So trafen die Kaiserlichen am Ohrenberg auf ein zum Angriff aufgestelltes Heer, das sie in Richtung des brennenden Dorfes zurückwarf. Dabei erlitten die Kaiserlichen hohe Verluste, es wird von bis zu 2000 Mann berichtet, während Mansfeld nur etwa 300 verlor. Da die Pfälzer, warum auch immer, von einer Verfolgung des gechlagenen katholischen Heeres absehen mussten, konnte sich der in der Schlacht verletzte Tilly unbehelligt nach Wimpfen zurückziehen, wo er sich mit dem Heer des spanischen Generals Córdoba vereinigen und so wieder verstärkt wurde. Mansfeld zog nach der Schlacht gen Bruchsal, um sich mit dem Heer der Baden-Durlacher für vier Tage zu vereinen. Dann zog jeder seiner Wege. Dafür schlug Tilly am 6. Mai 1622 die wieder von Mansfeld getrennten Durlacher in Wimpfen.

Es war eine der vielen Schlachten im Dreißigjährigen Krieg, deren Gewinn dem Sieger auf Dauer nichts einbrachte. Der Winterkönig konnte sich weder in Böhmen halten noch seine Stammlande auf Dauer verteidigen. Auch die katholischen kaiserlichen erreichten bis 1648 ihre Ziele nicht, sondern verwüsteten nur weite Teile des Landes, bis sich die erschöpften Gegner endlich zu Münster und Osnabrück auf einen Frieden einigten, der bestätigte, wie überflüssig der das Reich zerstörende Krieg um Land und den rechten Glauben war. Dafür waren dann die Schweden im Land, die erfolgreich für die protestantische Sache gefochten hatten und das Reich blieb in weiten Teilen entvölkert und verwüstet zurück, ohne dass es einen Sieger gegeben hätte. Die Kurpfalz war zu einem der vielen Schlachtfelder geworden, in dem Dörfer und Städte aus strategischen Gründen abgefackelt wurden. In Mingolsheim erinnern heute noch nach den beiden Feldherren benannte Straßen an den Kriegseinsatz des Dorfes, als es für den Winterkönig brannte und so im Feuer einen Sieg ihres Landesherren und der Protestanten unter grausamen Opfern sicherten.

Auch am 27. April nur 1848 scheiterte die Badische Revoloution im Rahmen der Märzrevolution im Gefecht bei Dossenbach. Dort unterliegt die Deutsche Demokratische Legion unter Führung des revolutionären Dichters Georg Herwegh den konterrevolutionären Truppen aus Württemberg.

Bei dem Gefecht zwischen Dossenbach und Niederdossenbach, nahe der Schweizer Grenze waren die 600 Mann unter Herwegh schon auf dem Rückzug als die Württemberger Infanteristen sie mit 137 Mann erwischten. Herwegh hatte sich nach dem Heckeraufstand zunächst mit den Truppen von Friedrich Hecker vereinigen wollen und hatte dazu seine Gattin als Botin vorausgeschickt. Hecker lehnte jedoch die Vereinigung ab, weil die Deutsche Demokratische Legion in Deutschland als plündernde Horde dargestellt worden war und er um den Ruf seiner Truppe und deren Moral fürchtete, außerdem wollte er die Revolution aus dem inneren Deutschlands zum Erfolg führen und nicht mit den Pariser Exilanten. Die Legion ging unter Herweghs Führung dennoch über den Rhein gen Kandern, um Hecker zu unterstützen. Dort erfahren sie, dass Hecker vor wenigen Tagen in der Schlacht auf dem Scheideck vernichtend geschlagen wude und geflohen sei. Nun wollten sie sich mit dem Revolutionszug von Franz Sigels vereinigen, der gerade im oberen Wiesental bei Todtnau stand und marschierten von Kandern gen Nordosten. Unterwegs erfuhren sie jedoch, dass sich dessen Truppe auch bereits wieder auf dem Rückzug befand. Sie wollten die Aufständischen im von ihnen besetzten Freiburg unterstützen, das von Regierungstruppen belagert wurde, waren jedoch im Gefecht bei Günterstal geschlagen worden und befanden sich nach einer erneuten Niederlage vor dem belagerten Freiburg bereits in Auflösung. Nach der Nachricht von Sigels Niederlagen machte sich die Legion über den knietief mit Schnee bedeckten Belchen auf den Rückzug gen Süden. Über den auch über 1000, hohen Zeller Blauen erreichten sie schließlich am 26. April völlig erschöpft Zell im Wiesental. Eigentlich wollten sie sich dort erholen, als sie von den nahenden Regierungstruppen härten, machten sie sich wieder auf den Weg gen Dossenbach. Dort wurden sie von gut versteckten Infanteristen aufgelauert und nach einem kleinen Gefecht mit einer Nachhut, bei dem ein Hauptmann der Legion getötet wurde, quasi aus dem Hinterhalt abgeschossen, da die Württemberger zuvor von einem Bauern vor der nahenden Legion gewarnt worden waren, der ja ihr plündernder Ruf vorauseilte.

Nach der Niederlage gegen die sechsfach an Zahl unterlegenen Württemberger Truppen löste sich die Legion auf und versuchte in Teilen oder kleinen Truppen noch nach Dossenbach und über die Schweizer Grenze zu gelangen. Emma und Georg Herwegh gelang dies als Bauern verkleidet. Es waren 30 Mann der Deutschen Legion getötet und 60 verletzt worden, während die Württembergischen nur 2 Verwundete meldeten, einer davon ein Offizier im Nahkampf, der andere mit Schmauchspuren nach falscher Beladung seines Gewehrs.

Gerog Herwegh war neben Heinrich Heine und Ferdinand Freiligrath der populärste deutschsprachige Dichter des 19. Jahrhunderts. Er schrieb auch für die von Karl Marx redigierte Rheinische Zeitung und war mit Ludwig Feuerbach befreundet. Heinrich Heine verewigte ihm in den Gedicht An Georg Herwegh als die eiserne Lerche. Später war er auch noch mit Bakunin befreundet, der ihn immer wieder beeinflusste. In Paris hatte er  neben Karl Marx und Bakunin auch Jenny Marx, George Sand, Victor Hugo und Béranger kennengelernt. Er schrieb dort den zweiten Teil seiner Gedichte eines Lebendigen, die eine ironische Antwort auf die Briefe eines Verstorbenen von Hermann von Pückler-Muskau waren.

Nach der Pariser Februarrevolution von 1848 war er zum Präsidenten des Republikanischen Komitees und zum Vorsitzenden der Deutschen Demokratischen Legion gewählt worden. Gegen den Einspruch und die Ratschläge von Marx und Engels war er mit seinen Truppen nach Baden geeilt, als dort der Aufstand ausbrach. Seine Beteiligung am Aufstand führte zum Bruch der Freundschaft mit den Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus. Dafür freundete er sich wieder in Paris zunächst mit Alexander Herzen und Turgenew an. Sein Haus in Zürich wurde bald zum Treffpunkt für geflohene Revolutionäre und es trafen sich dort Richard Wagner, Gottfried Semper und Franz Liszt. Dabei kam es wieder zum Bruch mit Herzen, dessen Frau Natalie sich leidenschaftlich in den dichtenden Revolutionär verliebt hatte. Nebenbei dichtete er anonym für die Satirezeitung Kladderadatsch. Später wurde er noch zum Bevollmächtigten des Allgemeinen Deutschen Arbeiter Verein (ADAV) in der Schweiz, der zu einem Vorläufer der späteren SPD wurde. Bald freundete er sich auch mit dem ADAV Gründer Ferdinand Lasalle an und schrieb das Bundelied als Hymne auf das Proletariat. 1869 schloss er sich der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten marxistisch-revolutionären Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an. Als Mitarbeiter des Parteiblatts Der Volksstaat schrieb er seine schärfsten Gedichte in denen er den preußischen Militarismus, den deutsch-französischen Krieg und das Kaiserreich scharf verurteilte.

Trotz seiner klaren politischen Positionierung für die Arbeiterklasse ist seine Wirkung bis heute umstritten. So meint Ulrich Enzensberger, der Bruder von Hans Magnus, in seinem Band Herwegh ein Heldenleben aus der wunderbaren Anderen Bibliothek, die Gedichte des früheren Burschenschaftlers in ihrer pathetisch, nationalistischen Tönung wären auch Wegbereiter des späteren aggressiven Nationalismus des Wilheminismus gewesen, er wurde weniger als sozialistischer Revolutionär geschätzt und gelesen sondern als nationaler Dichter, dahingestellt, ob ihm das zum Vorwurf gemacht werden kann oder ein Dichter nichts für die Abwege seiner einmal freigelassenen Gedichte kann.

Die mit großem Pathos gestartete Deutsche Legion war so überflüssig wie das Eingreifen des Dichters in die badische Revolution, eines der ganz wenige male, in denen ich Marx und Engels zustimmen würde. Es wurden unnötig Menschenleben gefährdet und Leben ruiniert, ob in Haft oder auf dem Schlachtfeld eines verlorenen Gefechts. Ob Herwegh des heute eher gering geschätzten Pathos seiner Verse wegen vergessen wurde und der Ton nicht mehr in die Zeit passt, könnten sich politische Dichter heute fragen. Wohingegen Heine, der zwar in Deutschland ein Wintermärchen auch klar politisch schrieb aber doch weniger im aktuellen Geschehen verhaftet war, mit dem Blick für das Große, immer noch geliebt und geschätzt wird auch in den Kreisen, die ihn früher verfolgten.

Wie entbehrlich letztlich beide Schlachten waren, wenn auch mit unterschiedlich vielen Toten zeigte doch wieder wie in den allermeisten Fällen überflüssig militärische Aktionen sind, die mehr Elend herbeiführen, als sie an Gewinn je bringen können und auf lange Sicht betrachtet, hat sogar die Eroberung Schlesiens durch Friedrich den Großen, die Preußens Aufstieg zur Weltmacht im 19. Jahrhundert mit sicherte durch die reichen Minen dort, mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht und nun ist Schlesien polnisch.

Es fragt sich beim Blick auf das aktuelle politische und militärische Geschehen, das schnell den Blick verengt und den Horizont parteilich beschränkt, welcher Kurs sich wohl auf Dauer durchsetzen wird.

Was ist die von Katharina der Großen eroberte Krim, die sie den inzwischen untergegangenen Osmanen wegnahm, deren cholerischer Wiedergänger gerade durch Europa tobt, sich ständig beleidigt fühlt und nach Satisfaktion verlangt?

Ist sie russisch, ukrainisch, osmanisch, tatarisch?

Lohnte sich eine Schlacht um eine Halbinsel oder sitzt die Welt dies lieber mit Sanktionen aus, um sich irgendwann friedlich zu einigen?

Wer hätte in Syrien was zu gewinnen und wem nutzt das wieder stärkere Eingreifen der Bundeswehr in den Luftkampf dort?

Wie wäre es, wir beschränkten uns künftig schlicht auf unser erfolgreichstes Feld den weltweiten Handel mit Qualitätsprodukten wie sauberen Dieselmotoren?

Können wir den Frieden ohne Waffen und eine Armee verteidigen?

Oder ist es nur deutsche Wirtschaftpolitik die Funktionalität deutscher Präzisiongewehre auch im internationalen Einsatz bei jeder Temperatur zu präsentieren?

Aber bevor ich mich wieder in tagespolitischen Nichtigkeiten in den Untiefen der Ironie verliere, die auf lange Sicht unwichtig bleiben, denke ich lieber an Heine und Herwegh und lese immer noch lieber den guten Heinrich …

“Es war im traurigen Monat November …”
jens tuengerthal 27.3.2016

Mittwoch, 27. April 2016

Kulturgeschichten 0203

Glückosophie

Was macht logisch glücklich, fragte ich mich beim Blick auf die Philosophie und ihre Wege zum Glück und stellte fest, es verhält sich beim Blick auf das Glück, wie im übrigen, die Sympathien bleiben ähnlich verteilt, eigentlich sah ich wenig überraschendes. Was funktionales oder soziales Glück sein soll, ist mir bis heute rätselhaft, vielleicht weil zu autistisch, vermutlich aber eher, weil, die es vertreten, mir meist zu autoritär sind. Glück scheint mir etwas feines und zartes zu sein, was nicht zu groben Weltgebäuden passt, wie sie sich manche mit oder ohne Götter erspinnen. Das Glücksstreben aber scheint seit Beginn der Geschichte eine wichtige Frage gewesen zu sein, liegt wohl in ihrer Natur, die alle Schulen und Menschen umtreibt - denn, kritisch gefragt, was nützt das schönste Weltbild, wenn es mich nicht glücklich macht?

Ob es das Glück überhaupt gibt, es vielmehr nichts existenstes ist sondern nur ein erstrebter Zustand, quasi ein Näherungswert, ist eine Frage für die Glückosophie der Zukunft, möglicherweise eine Frage der Zeit und also auch eine des Tempos, warum ich mir diese erst später stelle, auch wenn es logisch wäre, vor der Beschreibung der Geschichte der Philosophie des Glücks, sich zu fragen, ob es den vielfältig bedachten Gegenstand als solchen überhaupt gibt. Vielleicht aber ergibt sich manches schon aus dem, was andere dachten und es läuft mir ja nicht weg, sich dies künftig zu fragen, wenn es mich glücklicher machte.

Als vermutlich erster entwarf Aristippos von Kyrene eine Glückssphilosophie. Der Schüler des Sokrates lebte etwa von 435 bis 355 vor Christus, begründete die kyrenaische Schule und gilt damit als Begründer des Hedonismus. Er unterscheidet zwei Zustände der Seele, die Lust wäre eine sanfte, der Schmerz eine raue Bewegung der Seele. Er unterscheidet die Lüste nicht, sondern sagt, dass jede die gleiche Qualität habe. Der Weg zum  Glück ist nach Aristippos die Lust zu maximieren und dem Schmerz auszuweichen. So bezeichnet er bereits den Genuss der Lust als eigentlichen Sinn des Lebens, um etwas anderes ginge es nie. Die sanfte Bewegung, die sich zur Empfindung steigert, ist für ihn das höchste Ziel oder Glück, was er trefflich der Natur und also dem erfüllenden Sex abschaute, was ihn zumindest der Natur entsprechend macht.

Platon, der auch Schüler des Sokrates war und über dessen Worte in den Dialogen berichtet, selbst aber einer dogmatischen Idee vom idealen System verfiel, teilte die menschliche Seele in drei Teile, Vernunft, Willen und Begehren und glücklich sei danach ein Mensch, wenn sich alle drei Teile im Gleichgewicht befänden, miteinander befreundet seien, sich also nicht widersprächen, was schon den Dogmatiker erkennen lässt, der sich nur Freunde wünscht, die ihm nicht widersprechen, fraglich, wen das glücklich machen soll.

Für Aristoteles verwirklicht sich Glück nur in der menschlichen Gemeinschaft, im Staat. Danach ist glücklich, wer die in ihm liegenden Tugenden in der Polis entfaltet. Vollendet sei dieses Glück erst, wenn derjenige dazu noch genügend äußere Güter habe und sein ganzes Leben tugendmäßig verbringt. Frage mich bei Aritoteles immer, ob er selbst dachte oder nur ein vom damaligen Händlerverband und der Regierung diktiertes Programm verkaufte. Auch wenn es sympathisch klingt, dass er die Vernunft zentral stellt, geht es ihm doch nicht um das Wohlergehen sondern um die bestmögliche Anpassung an die Gemeinschaft, in der diese Wesen gut funktionieren sollen. Kein Wunder, dass er später zum Hausphilosophen der katholischen Kirche wurden, die Epikur lieber verschwinden ließ.

Der wohl wichtigste Glücksphilosoph der Antike, der bis in die Gegenwart wirkt, ist Epikur, der von 341 bis 270 vor Christus lebte und die epikuräische Schule begründete. Für ihn ist Lust das Prinzip eines gelungenen Lebens. Glück ist für Epikur die Freiheit von Unlust, warum es sein Hauptziel ist, durch Schmerzvermeidung einen Zustand physischer Schmerzfreiheit zu erlangen. Dies gelingt ihm weniger durch übermäßigen Genuss als durch Reduktion auf die notwendigsten Bedürfnisse. Wer extreme Lust erfahre, wird meist auch deren Gegenteil zu spüren bekommen, warum er für sich Bescheidenheit vorzieht, ein Käse, ein Brot, ein Wein und den Garten voller Freunde, ist alles Glück der Welt ihm. Doch geht es ihm nicht um Askese, das findet er Käse, sondern den höchsten Genuss der Lust. Es geht darum, das Leben lustvoll zu genießen, in dem es sich auf das konzentriert, was es ausmacht, ohne dabei Vorschriften zu machen. Weniger ist ihm mehr, ohne für sich in Anspruch zu nehmen, zu wissen, was alle bräuchten, um glücklich zu sein. Die epikuräuische Schule war die erste und einzige, die Frauen gleichberechtigt zuließ, nach seiner wiederholten Vertreibung aus Athen auch in seinen außerhalb gelegenen Garten und nur böse Zungen und Neider mutmaßten, es ginge den Hedonisten dabei allein um die mit diesen geteilte Lust - auch das wäre schön, erwiderten sie wohl lächelnd, wenn es das je Glück mehrte.

Ganz anders dagegen die Stoa, mit ihren Vordenkern wie Zenon, Cicero oder Seneca, lehnen sie den Epikureismus ab und erheben stattdessen die Tugend zum Ziel allen Strebens. Es geht nicht um Glück sondern um Pflichterfüllung. Glücksselig ist danach dennoch, derjenige, der mit der Natur lebt, da diese göttlich sei, und also mit Gott und Natur im Einklang lebt, wer die nur Begierden zurückdrängt. So wollen die Stoiker frei sein von Affekten und gelassen, eben stoisch gegenüber dem Schicksal, was sie dann für Freiheit halten. Wirkliche Freiheit, die das Glück ist, das sie erstreben, bestünde nur in der Unabhängigkeit von äußerem Geschick wie den eigenen Begierden. So erreichen sie die ataraxia, den stoischen Glückszustand völliger Gleichgültigkeit - leichter nur wäre, gleich zu sterben.

Das Mittelalter, diese Zeit des geistigen Rückschritts unter der Vorherrschaft, der jüdischen Sekte Christentum, definierte Glück nur jenseitig und verwarf antike Texte, die anderes versprachen, versuchte teilweise die Hedonisten zu leugnen oder zumindest ihre Texte zu löschen, da sie nicht in das autoritäre Erlösungskonzept dieser Sekte passten. Es wurde sich auch vielfach mit antiken Texten auseinandergesetzt, wenn auch immer in der Zielrichtung das eigene Denken zu begründen. Glück war für sie nicht irdisch, dies galt es zu überwinden, sondern erst nach dem Tod möglich, woran deutlich wird, wie wenig diese Sekte von dieser Welt ist, warum sie sich im Interesse der Mächtigen dennoch durchsetzte, wäre eine andere Frage, die wenig mit der Suche nach dem Glück zu tun hat und um so mehr mit der Erhaltung von Strukturen der Macht. Sie leben auf Erden in Askese als Vorbilder, um im Jenseits nach dem jüngsten Gericht die Erlösung im Paradies zu erhalten. Daher resultiert der Kult um die Askese wie sie auch im Zölibat zum Ausdruck kommt.

Augustinus von Hippo, der von 354 bis 430 lebte, schrieb ein Buch über das Glück, das für nicht dem Aberglauben verfallene Menschen wie nahezu alles von ihm ziemlich unerträglich zu lesen ist. Sektengewäsch eben, das ihn aber zur Kultfigur machte, weil es die herrschende Sekte war. Interessant aber, wenn wir den Unsinn weglassen, ist wie er die Liebe als Zentrum menschlichen Glücksstrebens sieht. Natürlich meint der olle Nordafrikaner dann, dass Glücksseligkeit nicht irdisch erreichbar wäre, sondern nur in dem Streben nach Gott, den er um seiner selbst willen liebt. Dahingestellt, was der erfundene Gott für wen für ein Glück sein soll, ist der Gedankengang zumindest in sich relativ logisch, mit derm er auf die Liebe achtet.

Anders bei Dyonysius von Areopagita, der um 500 seine mystische Theologie entwickelte, nach der sich die menschliche Sehne nach Gott sehnt, dieses Sehnen aber nur durch eine mystische Vereinigung befriedigt werden kann. Für den Kult der mystischen Vereinigung wiederum sei Ekstase erforderlich, in der Mensch dann sein Glück auch finde. Er meint, indem der Mensch in der Exstase aus sich heraus tritt, fände er sein jenseitiges Glück. Was dies mit dem menschlichen Leben zu tun haben soll, dass er ja nur überwinden will, ist nicht ersichtlich und so erinnert die mittelalterliche Philosophie  verdächtig  an den jenseitigen Fanatismus heutiger Islamisten.

Die Moderne setzt sich weiter mit dem antiken Glücksbegriff auseinander. Wichtig ist hier die Wiederentdeckung des Lukrez Textes de rerum natura nach dem Konzil von Konstanz durch den ehemaligen Sekretär des abgesetzten römischen Papstes. Mit diesem wiederentdeckten epiukreischen Denken, setzt sich ein neues Menschenbild durch, das die Renaissance als lichte Zeit nach dem düsteren Mittelalter und seiner Verhaftung in finsteren Welten des Aberglaubens zwischen Himmel und Hölle ablöst, was im Denken so sichtbar wurde, wie in allen übrigen Bereichen des Lebens, etwa der Malerei, der Dichtung, der Musik und auch der Politik.

Bis es schließlich zum Utilitarismus kam, der als Philosophie noch immer die Supermacht USA zentral prägt, gab es in der Philosophie noch einige Schwankungen zwischen der Suche nach Antworten im alten religiösen Kontext und der Erkenntnis, die sich immer mehr durchsetzte, dass wir Götter annehmen können oder eben nicht, wie es uns gefällt und wir jenseits davon Antworten auf den richtigen Weg zum Glück suchen müssen.

Die erste Form des Utilitarismus, der die Nützllichkeit  in den Mittelpunkt stellt, entwickelte der chinesische Philosoph Mozi, der von 479 bis 381 vor Christus lebte. Die von ihm begründete Schule des Monismus vertrat bereits 2200 Jahre bevor Europa darüber nachdachte eine utilitaristische Ethik, sehen wir davon ab, dass der Hedonismus  im alten Griechenland schon ähnliche Prinzipien vertrat, die aber unter der Diktatur des Christentums wieder in Vergessenheit gerieten. Auch Thomas Hobbes, der zwischen 1588 und 1679 philosophierte, vertrat in seinem Leviathan die Ansicht, dass richtig dasjenige Verhalten sei, das unser Wohlergehen fördere und so hinge auch die Richtigkeit eines Moralkodex davon ab, ob er das Wohlergehen derjenigen befördere, die ihm folgen. Francis Hutcheson, er philosophierte zwischen 1694 und 1746, nannte das Verhalten moralisch gut, das die Wohlfahrt der ganzen Menschheit fördert. In dessen Nachfolge wiederum argumentierte David Hume, der es von 1711 bis 1776 konnte. Er meinte Tugend und Verdienst ruhe in denjenigen unserer Eigenschaften, die anderen nützlich wären. Als erster in Europa schrieb Jeremy Bentham, der es von 1748 bis 1832 tat, eine utilitaristische Ethik mit einem ausgefeilten System. Für ihn gab es nur zwei anthropologische Grundkonstanten im Leben, das Streben nach Lust und das Vermeiden von Schmerz nach denen sich all unser Streben richtete. Dabei weise die Natur dem Menschen den Weg und so kam er zu einem psychologischen Hedonismus.

Von 1806 bis 1873 machte sich dann John Stuart Mill auf die Suche nach dem Glück, der heute mit Bentham als Vater des Utilitarismus gilt. Seine ganze Moral basiert auf dem Glücksgedanken, danach ist moralisch richtig und gut, was das Glück fördert. Ihm geht es darum das Glück zu maximieren und das Unglück zu minimieren. Aufgabe der Gesellschaft sei es danach das größtmögliche Glück für die größtmögliche Menge zu gewähren, wobei er Epikur lobend zitiert. Dabei lässt er die Menschen das Glück je nach Intelligenz und Sensibilität unterschiedlich bewerten.

Imanuel Kant, der zwischen 1724 und 1804 in Königsberg blieb, setzte das Glück einerseits eher mit den Prinzipien der Stoa gleich, indem er den kategorischen Imperativ zum Handlungmaßstab als Richtschnur erhebt, befreite andererseits den Menschen durch seine Antwort auf die Frage “Was ist Aufklärung?” der Preußischen Akademie, von dem Zwang sich nach einer höheren Autorität auszurichten, da jeder sich befreien müsste aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, um moralisch zu handeln. Glück hat für ihn als Begriff nur temporäre Gültigkeit. Das er das Glück über den geglaubten Gott ins Jenseits transferiert, deuten manche so, dass es ihm weniger um das weltliche Glück ging als um die Pflicht und die Handlungsfreiheit. Dies greift jedoch zu kurz, da nach Kant die sittliche Autonomie aus der Verbindung der Antwort auf die Frage, was Aufklärung sei und der völligen moralischen Autonomie des kategorischen Imperativs resultiert, die faktisch alle Götter negiert, sie jedenfalls für ein moralisches und glückliches Leben überflüssig macht. Damit wird Glück zu einer moralischen Aufgabe, die sich in der Pflicht erfüllt.

Denke dabei an die Lebensweisheit meines Großvaters, die sein Leben in manchem prägte, das immer auch stark hedonistische Element hatte: “Ich träumte das Leben wäre Freude, ich erwachte und sah es war Pflicht und ich lebte und siehe, die Pflicht ward Freude.” Wie wir also das Glück definieren und sei es in Pflichterfüllung, obliegt uns selbst in unserer durch Kant ausgedrückten sittlichen Autonomie, die wir durch den Geist der Aufklärung erreichen. Wichtig ist ihm darum nicht, was Glück ist und wie wir es erreichen, weil das eben jeder, der sich aus seiner Unmündigkeit befreite, selbst entscheiden müsse, es für jeden anders ist, sondern, dass es einen Weg gibt, mit dem die größte Menge das größtmögliche Glück miteinander erreichen kann. So gesehen hat Kant weniger das Glück benannt als eine Methode gezeigt, die uns glücklich leben lässt. Diese Sicht wird aber von gläubigen Menschen gern bestritten, denen andere Äußerungen, die Kant als preußischer Beamter tat, wichtiger erscheinen als der Kern seines freiheitlichen Denkens, der zum Glück führen soll.

Arthur Schopenhauer, der zwischen 1788 und 1860 grummelte, war der Überzeugung, dass es der angeborene Irrtum der Menschheit sei, “dass wir da sind, um glücklich zu sein”, womit er mit seiner eher pessimistischen Grundüberzeugung schon jedem Glücksstreben entgegen steht. Glück liegt für ihn darin, die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen, warum für ihn Schmerz und Langeweile die größten Feinde des Glücks seien. Dass ihn dieser Weg besonders glücklich machte, ist nicht bekannt geworden.

Dagegen träumte Friedrich Nietzsche zwischen 1844 und 1900 vom Übermenschen, der er erst für viele philosophisch wurde, als den inzwischen staatenlosen, geborenen Preußen schon der Wahnsinn gepackt hatte und er zum Pflegefall in Weimar geworden war. Zunächst von Schopenhauer begeistert, wandte er sich später von dessen Pessimismus ab und zu einer grundsätzlichen Lebensbejahung hin. Für ihn ist das Glück eine Sache, die den Menschen wesensmäßig innewohne, immanent da sei. Die Fixierung auf Sittengesetz oder Moral lehnt er als zu eng ab. Epikur findet seine Zustimmung, da er ihn als lebensbejahenden Menschen sieht. In Menschliches, Allzumenschliches formuliert er die drei Säulen des menschlichen Glücks seien, das Gewohnte, der langsame Pfeil der Schönheit und der Unsinn, der sich in der Freude am Lachen, diesem natürlichen Ausdruck des Glücks zeigt.

Dagegen stellte sich Bertrand Russell, der zwischen 1872 und 1970 philosophierende Earl of Russel, der teilweise auch utilitaristisch dachte, die Frage, wie das Glück des einzelnen im Verhältnis zur Gesellschaft steht. Nach Russell geht es nach der Klärung der elementaren Bedürfnisse vor allem um zwei Dinge im Leben, die Arbeit und sie sozialen Beziehungen. Er glaubt, die Gesellschaft sei entscheidend für das Glück ihrer Mitglieder, je nach Gesellschaftsordnung seien die Menschen in ihr glücklich oder unglücklich. Nachdem er aber feststellte, dass Angst im Alltag für viele wichtiger ist als Hoffnung, bemerkte er, dass am Ende das Glück mehr im Individuum als im Staat liegt. Darum auch glaubt er, dass alle Reformen überflüssig seien, wenn die moralische Erneuerung im Einzelnen beginne.

Der zeitweise seiner jüdischen Abstammung wegen aus Deutschland vertriebene Ludwig Marcuse, der von 1894 bis 1971 auch über das Glück nachdachte, schrieb sogar eine ganze Philosophie des Glücks, in der er feststellt, dass es so viele Ansichten über das Glück wie Philosophen gibt. Für ihn ist Glück etwas eigenständiges ist und nicht nur kein Unglück, um es als etwas positives ohne Definition an sich stehen zu lassen, weil es ist, was es ist.

Dagegen wiederum stellt sich Georg Römpp, der die Nützlichkeit des Glücks als Ziel in seinem Anti-Glücksbuch infrage stellte. Er findet dabei 6 Gründe, warum dieses Streben für den Menschen nicht nützlich sei.

“ (1) weil der Mensch damit nach einem ‚Ganzen’ strebt, obwohl das Leben aus Einzelheiten besteht,
(2) weil der Mensch sich damit an etwas zu Allgemeines hält und deshalb den Kontakt mit dem Wirklichen und Individuellen verliert,
(3) weil der Mensch damit das eigene Leben und auch das Leben anderer Menschen messen und vergleichen will und alles Leben auf diese Weise in einem geschlossenen Horizont zu bewerten beginnt,
(4) weil der Mensch damit andere Menschen nicht mehr in ihrer Individualität akzeptieren kann und auch sich selbst von fremden Perspektiven her auffasst,
(5) weil der Mensch sich damit ein falsches und starres Selbst zuschreibt, das er auf eine unfreie Weise zu verwirklichen sucht, und
(6) weil der Mensch damit seine Freiheit gefährdet, indem er den Zwang akzeptiert, auf solche Weisen ‚glücklich’ werden zu müssen, die in der Tradition entstanden sind oder von anderen Menschen vorgeschrieben werden.”

Nach Römpp muss also nicht das Glück Ziel der Kunst des Lebens sein. Dem Glück setzt er die Kunst des Lebens positiv entgegen, weil sie individuell sein könne. Damit erreicht er letztlich eine zwar systematische auch soziologisch bedingte Kritik des Begriffes Glück, in dem er das erstrebte Kunst des Lebens nennt und sie individueller mutmaßt, was aber im Ergebnis nur noch eine begriffliche Frage ist - für ihn ist Glück eben die Kunst des Lebens und dem würde ein Epikur sicher zustimmen, ohne das Glück infrage zu stellen, was auch nur eine Form der marktgerechten Positionierung ist.

Glück ist vielfältig, ob wir es nun ablehnen oder erstreben, negieren oder bejahen, deutet schon das Streben nach dem einen oder anderen auf ein natürliches Bedürfnis nach Erfüllung hin. Egal wie wir Glück nennen oder nicht nennen, ist das damit erstrebte das immer gleiche und so verschieden wie eben alle Menschen, was nur den wundert, der feste Weltbilder im Kopf hat, die allen Menschen übergestülpt werden sollen, wie der eine Glauben oder die wahre Verheißung und genauso ihr negatives Gegenbild.

Weiß nicht, was das Glück sein soll, spüre nur, wo ich glücklich bin und strebe danach, es zu bleiben, was mehr könnte ich je vom Leben wollen?
jens tuengerthal 27.4.2016

Achtsamkeitsglück

Aufeinander achten ist ein Glück
Achtung ist noch nicht achtsam
Unachtsam macht unglücklich
Achtet Liebe auf den anderen
Weil sein Glück das eigene ist
Oder ist Liebesglück achtsam
Weil es einfach ist was es ist
Müssen wir Achtsamkeit üben
Weil nichts selbstverständlich ist
Können wir natürlich lieben
Weil es unsere Natur ist
Macht uns das glücklich
Zählt dabei mehr wie du oder ich
Wie halte ich den Zauber
Wenn ich ihn unachtsam riskiere
Was macht dich glücklich
Genügt ein Versprechen dafür
Wer hat sich was versprochen
Weiß ich was dein Glück ist
Was tue ich damit es bleibt
Weiß wohl wenig außer
Wie sehr du mein Glück bist
Wäre gern immer deines
Wüsste ich wie aber
Was weiß ich schon
Achtsam sein will ich
jens tuengerthal 26.4.2016

Glückslogik

Ist Glück logisch oder nie?
Suchen wir logisch danach?
Gehört es zu unserer Natur?
Ist natürlich auch logisch?
Warum zweifeln wir daran?
Kann Glück unzweifelhaft sein?
Machen Zweifel glücklich?
Verzweifelt wer daran zweifelt?
Wer ist fraglos glücklich?
Sind Fragen schon Zweifel?
Was wollen wir sein?
Wo sind wir glücklich?
Wann sind wir es?
Wie bleiben wir es?
Warum sind wir es?
Tun wir genug dafür?
Täten wir besser weniger?
Wie wenig genügt uns?
Reicht es zu wollen es zu sein?
Was zählt außer Liebe?
jens tuengerthal 26.4.2016

Dienstag, 26. April 2016

Kulturgeschichten 0202

KataStrophen

Warum machen Menschen Dinge, die anderen schaden?

Lernt die Menschheit  aus selbstverursachten Katastrophen je?

Wohin zielt, wer Vernichtung will oder riskiert?

Welches Glück liegt in der Katastrophe?

Wenn Gernika  und Tschernobyl zusammenfallen, was sie nun seit 30 Jahren tun, fragt sich, welche Katastrophe wir angemessen würdigen, ob es eine Verbindung zwischen beiden gibt, außer Tod und Zerstörung.

Das eine absehbare Katastrophe als Folge der Verwendung nur begrenzt beherrschbarer Technik in unbeherrschbarer Natur, das andere die gewollte Zerstörung aus ideologischer Wut und Rache.

Das eine verheerte eine ganze Region bis heute und immer noch leiden die Menschen an den Folgen. Das andere ist als Teil des spanischen Bürgerkriegs Geschichte und Spanien unter den Bourbonen wieder zur Demokratie zurückgekehrt.

Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika im spanischen Bürgerkrieg bei einem Angriff durch die deutsche Legion Condor unter Wolfram von Richthofen und die italienische Corpo  Truppe  Volontarie völlig zerstört. Das angebliche militärische Ziel, die Renteria-Brücke, blieb dabei jedoch unbeschädigt. Die verbündeten Faschisten wollten Franco gegen die aufständischen Basken unterstützen und deren Widerstand endgültig brechen. Dieses Kriegsverbrechen inspirierte Pablo Picasso zu seinem Monumentalgemälde Guernica. Bei dem folgenden Großfeuer kamen hunderte von Menschen ums Leben. Es war der Bombenterror faschistischer Mächte zugunsten einer Bürgekriegspartei, die den Widerstand der stolzen Basken brechen sollte, in dem es ihre Freiheit ignorierte und einfach zerstörte.

Am 26. April 1986 kam es in Block 4 des Kernkraftwerks zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat. Diese nur 4km vom Reaktor gelegene Stadt hatte zum Zeitpunkt der Katastrophe fast 50.000 Einwohner und ist, da in der 30km unbewohnbaren Sperrzone gelegen, heute eine Geisterstadt und wird mindestens die nächsten 300 Jahre unbewohnbar bleiben. Dennoch gibt es inzwischen wieder starken Tourismus zu diesem Mahnmal der Anti-AKW-Bewegung, bei dem die UN überlegt, es zum Weltkulturerbe zu machen.

Auf der internationalen Skala zur Bewertung von nuklearen Ereignissen wurde Tschernobyl als katastrophaler Unfall kategorisiert. Bei der bloßen Simulation eines Stromausfalls kam es, aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften, zu einem unkontrollierten Leistungsanstieg und der anschließenden Explosion des Reaktors, bei der das als Moderator verwendete Graphit in Brand geriet. Innerhalb der ersten zehn Tage nach der Explosion wurde eine Aktivität von mehreren Trillionen Bequerel freigesetzt. Die dadurch in die Erdatmosphäre gelangten radioaktiven Stoffe kontaminierten zunächst die Region nördlich des Kraftwerks und sodann viele Länder Europas durch radioaktiven Niederschlag.

Nach der Katastrophe begannen die Liquidatoren mit der Dekontimination der betroffenen Gebiete. So wurde ein aus Stahlbeton bestehender Schutzmantel errichtet, der meist als Sarkophag bezeichnet wird. Über die weltweiten gesundheitlichen Langzeitfolgen wird seit Jahren gestritten. Die WHO geht von 8000 Todesopfern aus, davon sind 4000 direkt zuzuordnen und weitere 4000 später an den Folgen verstorben. Nach dem später in Auftrag gegebenen The Other Report On Tschernobyl, einer Studie im Auftrag der Grünen Europa Abgeordneten Rebecca Harms, ist bis zum Jahr 2056 von einer Zahl von bis zu 60.000 Toten infolge der Reaktorkatastrophe auszugehen. Diese Studie behauptet jede Strahlung wirke linear unabhängig von der akuten Menge, dafür gibt es jedoch keine Belege, im Gegenteil zeigt die Natur, wie Organismen sehr gut kleine Mengen an Strahlung verarbeiten können - die Studie heizte jedoch die Debatte um die Nutzung der Kernkraft stark an, verbreitete massiv Angst.

Infolge der Katastrophe wurden insgesamt 326.000 Menschen umgesiedelt innerhalb der ersten vier Jahre. Bis zum 4. Mai 1986 waren bereits 116.000 Menschen evakuiert worden aus der erst nur 10km Sperrzone. Bis heute ist ein Gebiet von 4300km² vollständige gesperrt. In diesem Kreis von etwa 37km Durchmesser ist auf Dauer kein Leben möglich. Die staatlichen sowjetischen Organe reagierten zunächst mit Desinformation und einer Unterschätzung der Lage. Parteichef Gorbatschow berief erst, nachdem am nächsten Tag gefährlich hohe Strahlenbelastungen in der Umgebung gemessen wurde, überhaupt einen Katastrophenstab ein und schickte Experten an den Unglücksort. Die Bevölkerung außerhalb der Evakuierungszonen wurde noch nicht informiert, um eine Panik zu vermeiden. So befanden sich während der bald Maifeiern viele Menschen im Freien und wurden einer lebensgefährlichen Belastung ausgesetzt. Insgesamt wurden in Europa 3.900.000km², also etwa 40% der Gesamtfläche durch Regen und anderes radioaktiv belastet, was bis heute eine Nutzung der landwirtschaftlichen Produkte einschränkt. Am stärksten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion waren Österreich und Teile Süddeutschlands betroffen. In Teilen Süddeutschlands ist die Kontamination von Wild, Waldprodukten und Beeren noch rund zehnmal höher als im Norden Deutschlands und überschreitet auch die zulässigen Grenzwerte immer noch um das zehnfache.

Während in der Bundesrepublik infolge die Grünen und die Anti-AKW-Bewegung stärker wurden, verschwieg die DDR ihren Bürgern offiziell weitgehend die Gefahren. Erhöhte Messwerte wie etwa in Magdeburg wurden unterschlagen. Die Bürger der DDR freuten sich an dem plötzlich reichhaltigen Angebot an Obst und Gemüse aus  Sowjetrepubliken, das auf westlichen Märkten nicht mehr absetzbar war. Bis heute firmieren Pfifferlinge aus Weißrussland, die noch lange zu hoch belastet sind, unter Litauen oder Ungarn. Zur Umgehung der Grenzwerte werden belastete und unbelastete Mengen gemischt, um die Zahlen zu drücken. Wer Pfifferlinge aus Osteuropa kauft, muss mit einer deutlich erhöhten Dosis rechnen, wie schädlich diese ist, ob überhaupt und woran das liegt, ist äußerst umstritten.

Die Angst vor Verstrahlung, die teils hysterische Züge annahm, ist in manchem der vor Überfremdung bei den Anhängern der Pegida Bewegung vergleichbar. So war die Bereitschaft zur Gewalt im Rahmen dieser Bewegung um Wackersdorf oder das mögliche Endlager im Wendland deutlich erhöht, der zivile Ungehorsam, der teils terroristische Ausmaße annahm, wurde als eine Art Lebensrettung gesehen, der vieles verziehen wurde, was ähnlich paradox anmutet, rechtstaatlich betrachtet wie die Argumente von Pegida-Anhängern zum Grenzschutz. Menschen, die sich aus dem Gefühl heraus von einer unsichtbaren Gefahr bedroht sehen, sind selten vernünftigen Argumenten zugänglich und gleiten teilweise in eine hysterisch bis panische Stimmung ab. Argumente werden durch Glauben ersetzt und Gegner sind Feinde, die es zu bekämpfen gilt.

Auch wenn die Atomkraft gefährlich ist, keine Zukunft hat, ihre Entsorgung ungesichert bis heute ist, fragt sich weiterhin, ob die stark emotionale Beteiligung dabei nicht heute ihre Fortsetzung in der Pegida-Bewegung findet und unter den naiven AfD Anhängern, die gerade die Grünen als linksgrünversifft und gefährlich bezeichnen, was an die Äußerungen voller Hass aus Teilen der linken Szene der 80er erinnert, nur eben auf der anderen Seite.

Aus Tschernobyl wurde von der deutschen Regierung unter Helmut Kohl, der noch bis 1989 weitere Atomkraftwerke bauen ließ, wenig gelernt. Einzig der Testreaktor in Jülich, der ebenfalls mit dem brennbaren Graphit betrieben worden war, wurde abgeschaltet, da eine der Hauptursachen in Tschernobyl eben dieser Reaktor war.

Außer Deutschland zeigt sich bisher kein Land zum radikalen Atomausstieg entschlossen, den die Kanzlerin nach der Katastrophe von Fukushima erstmals auch für die CDU bestätigte, nachdem Grüne und SPD ihn zuvor unwiderruflich beschlossen hatten, dahingestellt, ob die Physikerin dies aus Überzeugung tat oder Gründen des Opportunismus entsprechend.

Es gibt sicher mehr Gründe, die gegen die Nutzung der Kernenergie sprechen, als je dafür gefunden werden, warum in Summa das Ende gut so ist, zumal es kein Staat, wie sich zeigte, für sich entscheiden oder alleine verantworten kann. Um Fukushima gibt es Gebiete, die mindestens 10.000 Jahre zu verstrahlt sind, um menschliches Leben dort zu ermöglichen.

Wer kann die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen, die das Leben der Menschen die nächsten 100.000 Jahre betreffen kann, wenn wir sehen, wie lange Plutonium gefährlich strahlt?

Wir haben über tausende von Jahren Europa kultiviert und dann machen wir es für die nächsten hunderttausend Jahre unbetretbar, für ein wenig Energie, die uns günstig schien, weil keiner die Folgekosten kalkulierte?

Auf 9,2 Milliarden Rubel, was damals 12,6 Milliarden Dollar waren, summierten sich die Kosten und Folgekosten, die immer noch jährlich 5-7% des ukrainischen Staatshaushaltes ausmachen. Dabei nicht mitberechnet sind die gesundheitlichen Schäden in Ländern, die nicht zur Sowjetunion gehörten. Bei Fukushima hat schon allein der Betreiber Tepco sehr vorsichtig und zurückhaltend die Kosten auf 100 Milliarden geschätzt.

Jenseits der moralischen Perspektive gibt es wenig vernünftige, ökonomische Gründe solch ein Risiko einzugehen, müsste es privat finanziert und versichert werden und wären nicht die dafür gebildeten Rücklagen staatlich abgesichert worden. In der UDSSR, die keine Privatwirtschaft offiziell hatte, ohnehin nicht, aber auch auf dem freien Markt schiene ein solches Verhalten eher absurd, wäre da nicht das verbotene aber hoch lukrative Geschäft mit dem hochangereicherten Uran, mit dem sich kleine Diktatoren gerne in die Reihe der Supermächte katapultieren wollen.

Kurz gesagt, Atomkraft ist unsinnig, hätten wir nicht schon die Kraftwerke, weil sie halt eine Bombensache sind und solange nichts passiert und die laufen, wird sich wohl kaum etwas ändern. Ob die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen in Kohlekraftwerken so viel sinnvoller ist, fragen viele schon lange, nur da scheinen die Kosten kalkulierbarer, sehen wir vom Klimawandel ab, von dem wir immer noch viel mutmaßen und wenig wissen und der uns womöglich viel teurer zu stehen kommt als alle bisher atomaren Katastrophen.

So fragt sich, wie wir der ewigen Energieschleife entkommen könnten, um selbst unseren Teil dazu beizutragen. Sollten wir unseren Frühsport zur Energieproduktion nutzen auf dem Trimmrad, das ans Netz angeschlossen wird - was ergäbe das wohl in Summa?

Ist es normal, in den Urlaub zu fliegen, im Winter Erdbeeren zu essen, Weltenbummler zu sein oder sind das eigentlich diejenigen, die zerstören, was sie zu bewundern vorgeben?

Wird etwas besser oder richtiger, weil alle es tun?

Was wäre eine Alternative aus der tödlichen Schleife?

Ist die Entdeckung der Langsamkeit eine Möglichkeit nachhaltig glücklich zu werden?

Bevor Gernica ganz vergessen wird auf der Umweltschiene, ein früherer Bürgermeister sagte dazu, die Stadt sei nicht berühmt geworden, weil sie bombadiert wurde, sondern wurde bombadiert, weil sie berühmt war. Rousseau meinte dagegen, “in Guernica leben die glücklichsten Menschen, ihre Angelegenheiten regeln sie durch eine Körperschaft von Bauern unter einer Eiche und stets verhalten sie sich klug”. Berühmt aus dieser Stadt wurden nur ein Fußballer und sechs Radfahrer, ansonsten spricht mehr für Rousseau als für den Bürgermeister. Gernica wurde bombadiert, weil dort glückliche Menschen lebten, die mit diesem Leben zufrieden sind, freie und glückliche Menschen sind von Faschisten nicht ansprechbar und bedeuten eine Gefahr für alle Ideologen, denen die Energie verkaufen wollen, wie denen, die das Leben auf globalen Märkten einfach verwaltbar machen wollen, damit die Gobal Player überall ihre eigentlich überflüssigen Produkte mit immer mehr Energieverbrauch einem gierigen Publikum vorwerfen können.

Die Ersatzreligion Apple ist ein Beispiel dafür wie mit hohem ständigen Enegieaufwand in jährlichen Zyklen eigentlich überflüssige Dinge auf den Markt geworfen werden, die von den Nutzern kultisch verehrt werden, gerade aufgrund ihrer scheinbaren Lebendigkeit, wie sie etwa Siri demonstriert. So wurde eine Klitsche für Rechenmaschinen zum Kultobjekt und macht Nutzer freiwillig ständig durchsichtig, was nun ein Schattengefecht mit einer Staatsanwaltschaft tarnen sollte, als hätten sie nicht längst all unsere Daten an entscheidendere Institutionen im Geheimen verkauft und dies Misstrauen gegenüber rechtsstaatlich agierenden Gerichten scheint dagegen eine verlogene Marketingstrategie, der sie nur aus Sicht der Gläubigen zu wieder Kultfiguren machen soll, weil Gläubige eben sehr selten kritisch denken.

Fragen wir uns wirklich oft genug, worauf es ankommt und was zählt?

Was macht Glück gerade auch im Schatten zweier Unglücke aus?

Warum lassen wir uns lieber am Markt instrumentalisieren, statt in uns zu gehen und uns Zeit zu nehmen, herauszufinden, was uns glücklich macht?

Wer nach dem Glück sucht und zu genießen versucht, was ist, wird eher Katastrophen vermeiden. Epikur formulierte schon 300 vor Christus, auf was es ankommt, wenn wir das Glück finden wollen Lukrez hat es genial in Verse gefasst. Einen Garten mit Freunden, ein Brot, ein wenig Käse und einen Wein, mehr braucht es nicht, um mit dem Streben nach Lust glücklich zu  werden.

Lust heißt Unlust und also auch Katastrophen vermeiden meinte Epikur, um sich bescheiden in eine kleine Welt zu fügen, die wir so groß denken, wie es uns gefällt - genießen können, was ist und dies voller Lust tun, wie ich dankbar in einen Apfel beiße, seine frische Säure genieße, dazu einen Butterkeks esse, als Gegenstück zur Säure und für das Gleichgewicht und einen Tee trinke, der mit Ruhe bereitet, sich groberen Dingen unterordnet, um fein zu bleiben - lustvoller Genuß, liegt in Kleinigkeiten, die wir zu  würdigen wissen als das Glück des Lebens, um zufrieden zu genießen, scheint es mir.

Lustvoll bescheiden verbraucht wenig Energie und könnte um so mehr Glück bergen, wenn ich es wage, zu genießen, was ist. Wie die Epikuräer als erste und lange einzige Schule überhaupt Frauen zuließen als Mitglieder ihres Kreises, zeigen sie, auf was es ankommt und warum die im Glück zufriedenen allen Ideologen und Extremisten ein Dorn im Auge sind.

Was wessen Lust befriedigt und wie es sich wer gutgehen lässt, ist dabei weniger wichtig, als der Gedanke der Reduktion bei der Suche. Das weniger mehr sei, ist nur das eine Element, nicht umsonst lehnten die Stoiker, diese doppelmoralischen, gern tugendhaften Lustfeinde die Epikuräer ab, diskriminierten sie als wollüstig und nur der Lust zugewandt, womit sie sicher auch Recht haben, fraglich nur, was daran schlecht oder unmenschlich sein soll und auf was sonst es im Leben ankommt.

Neulich sprach ich mit einer lieben Freundin, einer gutaussehende Ärztin, die tut, was sie immer wollte, ein gesundes Kind und einen Garten hat und dennoch gern hadert und sich zugleich fragte, warum eigentlich, wo sie doch eigentlich alles hat, wovon andere sonst träumen. Keine Geldsorgen, ab und an schönen Sex, eigentlich könnte sie zufrieden sein, meinte sie, eigentlich und vielleicht ist es dieses eigentlich, was den Schlüssel von der Katastrophe zum Glück enthält habe ich mich danach gefragt.

Von der Katastrophe zum Streben nach Glück scheint manchen sehr fern liegend, nichts scheint mir naheliegender. Wenn ich sehe, etwas funktioniert nicht oder ist in einer Bewegung, die sich schadet, wie die Menschheit in ihrem Wahn nach Energie, der eben Katastrophen auslöst, und immer mehr Tempo bei der Überwindung von Distanzen, der schon katastrophal an sich ist, frage ich mich, was macht glücklicher, wie ginge es besser und überlege, wie könnte ich leben, um glücklich zu sein.

Weniger Bewegung und mehr Genuss am Ort, an dem ich mich befinde, statt Beschleunigung und Gewinnmaximierung. Brauche nichts und will immer weniger und bin damit immer zufriedener, denke ich gerade, statt mich zu fragen, wieviel schöner es so oder so doch sein könnte, tue ich so, als sei dies einfach alles Glück der Welt mit dem Apfel, dem Butterkeks, meinem Tee und einem guten Buch vielleicht. Was sollte ich noch erwarten?
jens tuengerthal 26.4.2016

Glückstraum

Was ich möchte ist
Wenig und alles wohl
Das Glück mit dir teilen
Es lieber leben statt sich
Belehren was richtig ist
Lieber lieben statt sich
Ungeduldig Vorwürfe machen
Eins sein statt getrennt zwei
Die sich durchsetzen wollen
Will nicht mit dir kämpfen
Will dich nicht verändern
Will dich lieber begehren
Will glücklich mit dir sein
Um mehr geht es mir nicht
Denke ich an den Zauber
Wie dein Lächeln am Anfang
Wächst die Sehnsucht
Dies wieder zu teilen
Auch ohne zu singen
jens tuengerthal 26.4.2016

Vorleselust

Immer vor dem einschlafen
Meist schon nach der Lust
Manchmal wieder davor
Weil immer sehnsüchtig
Nach unserer größten Nähe
Habe ich dir vorgelesen
Teilen wir die Geschichten
Wanderten Seite um Seite
Mit den Geschichten
In unsere je Träume
Getragen von geteilten Worten
Kenne nichts schöneres
Als sich angekuschelt vorlesen
Möchte bald wieder mit dir
In geteilten Büchern leben
Voller Lust am Wort
Während der Regen fällt
Der Samowar brummt
Ist mein größtes Glück
Dein Vorleser zu  sein
jens tuengerthal 26.4.2016

Montag, 25. April 2016

Kulturgeschichten 0201

Begrenzt

Während Pegiden, AfDler wie Seehofers schreien die Regierung solle die Grenzen dicht machen, fragt sich immer mehr, welche Grenze eigentlich und warum überhaupt noch Grenzen in einer globalisierten Welt, was die erreichen, die  Mauern wollen und welche Beschränkung sie damit ausdrücken. Nachdem Präsident Obama gerade ein ihr fast peinliches Loblied auf die Kanzlerin sang, die auf der richtigen Seite stünde, könnten ihre hysterischen Kritiker nachdenklich geworden sein, dächten sie überhaupt und fühlten sie sich nicht in ihrer eben begrenzten Angst vor der bösen Verschwörung nur durch alles bestätigt.

Was sollen Grenzen und wem nutzen sie?

Auch die deutsche Grenze ist ein Lehnwort aus dem altpolnischen, eigentlich slawischen Ursprungs und meint den Rand eines Raumes, ein Trennwert, eine Trennlinie oder eine Trennfläche. Grenzen können geografisch, wirtschaftlich, privat oder öffentlich sein. Am weitesten klaffen gerne die kulturellen und die staatlichen Grenzen auseinander -  wobei die Kultur tendenziell eher grenzenlos ist. Ähnlich unbestimmbar sind manche Grenzen jenseits der geometrisch bestimmbaren Räume etwa die üblichen Verhaltensweisen, nach Treu und Glauben oder die Intimssphäre. Letztere ist zu einem rutschigen Parkett in Zeiten der sexuellen Korrektheit geworden, die deutlich macht, wie schnell Grenzen auch wieder verschwimmen können. So ist etwa die Handlungsfreiheit in Artikel 2 I, die eine freie Entfaltung der Persönlichlkeit garantiert, nicht nur durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung sondern auch durch einen Schwamm wie das Sittengesetz beschränkt, dem Einbruchstor des gesunden Volksempfindens und ähnlich diktatorischer Formulierungen aus unserer Geschichte, die völlig unpräzise bleiben, Freiheit nach Gutdünken einschränken lassen.

Warum wird Sex, aus dem wir alle wurden, was wir sind, öffentlich zensiert, also begrenzt, ist es nicht völlig natürlich?

Wie beschränkt ist, wer sich dabei begrenzt?

Das Wort Grenze kam erst im 12. oder 13. Jahrhundert aus dem altpolnischen ins deutsche und ersetzte dort die fränkische Mark. Dazu kam es erstmals als in ottonischer Zeit die Gebiete an östliche Grenzen stießen. Ältere politische Grenzen zwischen zwei Staaten fielen oft mit schwer überwindbaren Hindernissen zusammen. Später in den Kolonialzeiten oder in den USA wurden sie auf dem Reißbrett gezogen und vertraglich vereinbart, manchmal egal, was tatsächlich dort war oder lebte. In vielen Großstädten ergeben sich die Grenzen zwischen deren Teilen aus Straßen und anderen Verkehrswegen.

Die kürzeste Landesgrenze liegt zwischen La Gomera und Marokko, sie ist nur 85m lang, während die längste zwischen Kanada und den USA 8991km lang ist, am häufigsten überquert wird die Grenze zwischen Mexiko und den USA, während die innerkoreanische als die am strengsten bewachte Grenze der Welt gilt, am einfachsten machten es sich Dschibuti und Somalia, die nur eine gerade Linie als Grenze definierten, dagegen ist die zwischen Bangladesh und Indien mit 92 und 110 je eigenen Enklaven die wohl komplizierteste Grenze der Welt.

Sogar der Luftraum über uns ist begrenzt, wird streng überwacht, damit der Luftverkehr ungestört stattfinden kann und sich keiner in die Quere kommt. Auf den weiten Meeren, nicht nur in deren Engen, gelten strenge Verkehrsregeln, fast wie beim Sex an amerikanischen Universitäten und hier spielen räumliche und moralische Überzeugungen eine wichtige Rolle, die mehr im Aberglauben als der Vernunft fußen.

Eine der ältesten noch gültigen Grenzen ist die zwischen Böhmen und Sachsen, die am 25. April 1459 Kurfürst Friedrich II. und Herzog Wilhelm III. von Sachsen mit dem böhmischen König Georg von Podiebrad in Eger vereinbarten. Diese Grenze ist zum allergrößten Teil  bis heute gültig und gehört damit zu den ältesten Begrenzungen in ganz Europa.

Der Vertrag von Eger legte die Grenze zwischen beiden Ländern auf der Höhe des Erzgebirges und in der Mitte der Elbe fest. Durch diesen Vertrag wurden die bis dahin häufiger Grenzstreitigkeiten endgültig beigelegt. Besiegelt wurde der Vertrag noch zusätzlich durch die Ehe von Sidonie von Böhmen, der Tochter des böhmischen Königs mit Albrecht dem Beherzten, dem Sohn des Kurfürsten im November 1459.

Die einzige Veränderung an der Grenze erfolgte 1546 als sich Herzog Moritz und König Ferdinand nach dem Schmalkaldischen Krieg die Herrschaft Schwarzenberg als Kriegsbeute teilten.

Sich einigen lohnt sich und kann Bestand haben, wie das sächsisch, böhmische Beispiel zeigt. Kämpfe um Grenzen und ihre ständige Verschiebung, wie wir sie etwa im Elsass, in Burgund oder überhaupt am Rhein sahen, forderte meist mehr Opfer, als es territorialen Gewinn dem einen oder anderen brachte. Auch Napoleons Größenwahn fielen mehr Menschen in kurzer Zeit zum Opfer als er Frankreich trotz code civil je an Nutzen brachte. Die Eroberung von Elsass-Lothringen durch das Deutsche Reich 1870/71 stand auch unter keinem guten Stern und führte zu dem Gemetzel von Verdun ab 1914, in dem auch mein Urgroßvater liegen blieb als preußischer Schuldirektor, junger Vater von fünf Kindern und Offizier. Viele solcher Schicksale liegen in Grenzgebieten oder blieben dort liegen, ohne eine Heimat zu finden.

Europa hat die Grenzen intern überwundern und wurde nach dem Fall der Mauer zum Anziehungspunkt für die Staaten Osteuropas, die bei dem grenzenlosen Erfolgsmodell der Integration, das mit den Verträgen von Rom begann und mit dem Vertrag von Maastricht, fußend auf der deutsch-französischen Freundschaft seinen bisherigen Höhepunkt fand, der in der Währungsunion gipfelte, die manche schon kurzsichtig verfluchen, weil der Aberglaube kleinstaatliche, nationale Lösungen seien ein Gewinn, schwer auszurotten ist.

Hatte die Grenzen überwunden, bis es zur ersten Krise kam, es etwas kostete, zusammenzugehören und gegenseitige Solidarität gefragt war, um Probleme gemeinsam zu lösen. Da wurden die nationalen Kräfte überall laut und pochten auf ihr gutes Recht und ähnliche dem Zusammenleben eher abträgliche Dinge. Griechenland und die Flüchtlinge überforderten viele Europäer. Der schlicht preußische oder schwäbische Sparkurs der Kanzlerin löste Hass aus, der sich in Bewunderung verkehrte, als sie zur Mutter der Flüchtlinge sich wandelte und intern dafür teils pathologischen Hass auslöste, der überall die nationalistischen Kräfte mit populistischen und ausländerfeindlichen Parolen stärkte.

Es stellen sich zur Zukunft Europas und der Grenzen viele Fragen, über die nachzudenken, den Weg zu Lösungen erleichtern könnte. Sie sind nicht abschließend und ich möchte und muss keine Antworten geben, bin an keine Partei gebunden, sondern frage als begeisterter Europäer nach der Zukunft unseres Miteinander und den Alternativen. Wohin es mit diesem Europa gehen soll, ist gerade so unklar, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Was hat Europa mit rechtsradikalen Polen oder Ungarn zu tun, die Grundrechte aushebeln und teils Minderheiten diskriminieren, Grenzen und Zäune bauen?

Wie soll ein gemeinsames Europa funktionieren, das einerseits der Türkei den Beitritt anbietet und andererseits eine Wählergruppe von fast ⅓ hat, die radikal islamfeindlich ist?

Bedeutete eine Integration der Türkei mit der Verpflichtung zur Freiheit für Christen dort wie die Bindung an europäische Menschenrechte einen Fortschritt?

Braucht Europa Grenzen, weil es ein geographischer Kontinent mit kultureller Harmonie ist?

Was sind geografische Grenzen für Menschen jenseits dieser?

Endet Europa einerseits sicher im Meer, anderseits lange nicht am Ural?

Was sagt es über Europa, wenn es wichtiger ist, wo es endet, als was es ausmacht?

Wie kann die Ukraine aber nicht Rußland dazu gehören und bis zu welcher Grenze?

Kann die Mongolei auch EU-Mitglied werden, wenn Wladiwostok eine EU-Metropole würde im weltgrößten Freihandelsraum?

Welchen Gewinn bringen Grenzen, die einer Exportwirtschaft immer nur schaden?

Kann ein grenzenloses Europa mit so begrenzten Einwohnern wie den Anhängern von Pegida, AfD, Fron National, FPÖ und ähnlichen Populisten erreicht werden?

Welche Alternative hat der Kontinent auf globalen Märkten als den Abbau von Grenzen?

Zu wessen Lasten verteidigen manche Europäer ihren Wohlstand?

Wohin führt eine Schließung der Grenzen?

Wie sollen europäische Sozialsystem auf Dauer bei schrumpfender Bevölkerung funktionieren?

Soll eine reiche Elite sich selbst versorgen und den Rest an der Grenze erschießen?

Was wäre aus Europa ohne offene Grenzen nach dem Untergang Roms geworden?

Wohin kämen wir, wenn es keine Grenzen mehr gäbe?

Muss nicht der für einen Schaden haften, der ihn verursacht, sollten also die weltweit größten Waffenexporteure aus Europa, nicht moralisch nur sondern rein sachlich zur Hilfe verpflichtet werden?

Wie bekommen wir die Missgunst aus den Köpfen der Bürger?

Wann können Menschen gönnen?

Was tut jeder von uns für Europa und den Frieden?
jens tuengerthal 25.4.2016