Sonntag, 27. März 2016

Kulturgeschichten 0171

Verfassungsvorbild

Nach der Weimarer Verfassung gilt das Grundgesetz als  zweite demokratische Verfassung in Deutschland und als erste, die mit Erfolg bestand. Manche Verschwörungstheoretiker und wahnhafte Reichsbürger halten die beste Verfassung dennoch für eine nur relativ gültige  Vorläufigkeit, da sie das bisher beste nicht zu würdigen wissen, sich verfolgt und gefangen fühlen im bisher freiesten Deutschland aller Zeiten.

Sie ähneln darin den Pegiden, die Lügenpresse skandieren und ihre wahren Informationen aus der russischen Propagandapresse zu beziehen meinen, sich als wahre Demokraten fühlen, weil sie gegen die Meinung der engagierten Mehrheit eine rassistische Politik der Ausgrenzung durchsetzen wollen, dabei sind die Islamhasser schon prozentual deutlich weniger als Muslime in Deutschland leben, warum ihre Reaktion so unlogisch und falsch ist wie der Verfolgungswahn der Reichsbürger, die eine demokratische Verfassung, die Grundreche garantiert als ein vorläufig ungültiges Provisorium bezeichnen, auch wenn dessen Werte wie Schutz der Menschenwürde und Demokratieprinzip längst eine Ewigkeitsgarantie haben. Dies gilt auch, wenn in Sachsen, wo im Durchschnitt deutlich weniger Muslime leben als im Rest Mitteleuropas, dafür umgekehrt der Anteil derer, die eine Überfremdung fürchten, überproportional hoch ist.

Dabei geht es nicht um die Frage, ob es an der Politik der Kanzlerin oder welcher Bundesregierung politisch etwas auszusetzen gäbe, Europa oder die Politik der Verbündeten auch kritisch gesehen werden können, wofür es viele gute Gründe gibt, auch nicht um die Frage, ob Hart IV asozial ist oder es ein Grundeinkommen dringend bräuchte und ähnliches mehr, was im politischen Diskurs mit guten Argumenten dringend zu diskutieren ist. Fraglich ist hier allein, ob wir eine Verfassung und eine Demokratie  grundsätzlich in Frage stellen, weil uns ein gerade Kurs nicht passt oder uns um den politischen Diskurs und die nötige Mehrheit bemühen, wenn uns etwas nicht passt.

Gleich trotzigen Kindern aber, verhalten sich Pegiden und Reichsbürger, die wahnhaft das ganze System infrage stellen, das sie scheinbar nicht verstanden haben und sich dafür lautstark von Ängsten jenseits aller Vernunft leiten lassen. Mit diesem Trotz einer undemokratischen Minderheit macht derzeit der AfD Politik und fängt asozial Wählerstimmen, womit auch sie eine Gefahr für die Verfassung darstellen.

Leichter ist es, die Systemfrage zu stellen, über die Politik und die Demokratie als Ganzes zu schimpfen, als sich sachlich mit ihr auseinanderzusetzen, um zu zeigen, wo das System falsch ist, welche Lösung im einzelnen konkret vorgeschlagen wird, um anstehende Probleme zu lösen, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Es ist nicht nur leichter, es ist auch billig und naiv dumm, führt zu keiner Klärung von Konflikten sondern nur zu deren Verlagerung und Steigerung in einem Gebiet, in dem es eigentlich keine Probleme gab. Es dient dies nur dazu politische Macht auf dem Wege der Provokation zu erringen, auch wenn es keine echten Alternativen zum nötigen Verhalten gibt.

Bereits einmal lehnten Preußen und Österreich die freieste deutsche Verfassung ab, die es bis dahin überhaupt gegeben hatte. Eine Reichsverfassung, die alles an demokratischen Rechten und Prinzipien der Freiheit übertraf, als es sie, egal wo, bereits gegeben hatte. Es war damals ihre Reaktion auf die Revolution von 1848, die sieh ablehnten und durch die sie ihre Macht gefährdet sahen. Sie wollte den Weg der Karlsbader Beschlüsse und des Wiener Kongresses im traditionell monarchischen System ohne verfassungsmäßige Rechtfertigung fortsetzen.

Am 27.3.1849 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung während der Deutschen Revolution die Paulskirchenverfassung und damit die erste demokratische Verfassung, die es in Deutschland je gab. Sie trat mit der Verkündung am nächsten Tag in den beteiligten 28 Ländern, die bis auf Preußen und Österreich nahezu alle kleineren waren, in Kraft.

Die größten deutschen Staaten allerdings erkannten die Verfassung nie an und bekämpften sie stattdessen lieber aktiv. Hierbei spielte auch der Machtkampf zwischen Preußen und Österreich eine Rolle, da gerade die neuen süddeutschen Königreiche einen losen Staatenbund unter Einschluß Österreichs bevorzugten.

Die Reichsverfassung sah eine konstitutionelle Monarchie mit erblichem Kaiser vor, der selbst als unverletzlich galt aber verantwortliche Reichsminister ernannte. Hauptsächliches Gesetzgebungsorgan sollte der Reichstag mit seinen zwei Kammern sein, von denen die eine, das Volkshaus, im freien Männerwahlrecht gewählt wurde, während die andere, das Staatenhaus, jeweils  zur Hälfte aus Mitgliedern der Landesregierungen und der Landesparlamente nach dortigem Recht zu besetzen waren. Die Grundrechte des deutschen Volkes, die es so erstmals gab, konnten von jedem Büger vor dem Reichsgericht eingeklagt werden.

Damit war die Frankfurter Reichsverfassung oder FRV die erste gesamtdeutsche und demokratische Verfassung in Deutschland. Sie wurde jedoch nie wirksam, da die größten und stärksten Staaten sich dagegen stellten und auch ihr konservativerer Reformentwurf, die Erfurter Unionsverfassung wurde nie Realtität. In den Grundrechten garantierte sie neben der Pressefreiheit und der Abschaffung der Zensur auch die Freizügigkeit, die Vereins- und Versammlungsfreiheit, die Glaubensfreiheit bei Gleichberechtigung aller Konfessionen, was die wahnhaften Pegiden bis heute nicht verstanden haben, warum es nicht um Verständnis für diese Narren geht, sondern deren aktive Bekämpfung. Die Todesstrafe wurde weitgehend verboten, genau wie Folter und der Pranger, was mehr ist als ein politischer Clown wie Trump heute wieder fordert.

Inwieweit die FRV je rechtlich wirksam wurde ist strittig. Einige bestreiten ihre Wirksamkeit überhaupt, weil nicht alle sie annahmen und einige die Zuständigkeit und Zulässigkeit bezweifelten, andere stritten sich darüber, wann sie in Kraft trat, ob mit Verkündung am 28.3.1848, mit Veröffentlichung einen Monat später oder schon mit Beschluß am 27.3.1848. Das Bundesverfassungsgericht, das sich in mehreren Entscheidungen auf die Verfassung bezieht und sie anerkennt geht vom 28. März 1848 aus und erkennt damit jedenfalls deren Gültigkeit  juristisch an.

Leider steht die heutige Sicht im Gegensatz zur damaligen Durchsetzbarkeit, die faktisch nicht geschah, da die sich widersetzenden Einzelstaaten schlicht die militärische Übermacht im Reich besaßen. In Preußen etwa stimmten Kabinett und Nationalversammlung der neuen Verfassung zu oder schlugen die Zustimmung vor, die König Friedrich Wilhem IV. aber verweigerte. Dadurch wurden die Vorschriften der Verfassung nie mit dem Leben gefüllt, das in ihr lag, es fanden nie die vorgesehenen Wahlen statt und der preußische König verweigerte die ihm nahe gelegte Kaiserwürde, da die Krone mit dem Sudelgeruch der Revolution beschmutzt sei, ihm keine Ehre wäre. Dabei war diese Verfassung ein geschlossener und praktikabler Entwurf, den wir heute noch gut nennen können und der Deutschland viele der folgenden Katastrophen vermutlich hätte ersparen können, die aus totalitärer herscherlicher Anmaßung resultierten, gegen die es damals kein wirksames Mittel gab. Sie war auch eine Verfassung hinter der große Teile der Bevölkerung standen und für die sie 1848 gekämpft hatten. Doch die mächtigen Staaten in Deutschland waren noch zu sehr absolutistischem Denken verhaftet, erkannten nicht die Notwendigkeit einer liberalen Reform auf dem Weg zu mehr Demokratie  und Mitbestimmung, um die Zukunft gestalten zu können.

Leider erkennen manche der Pegiden und Reichsbürger den Wert des Grundgesetzes und seiner Werte, die sie teilweise bekämpfen auch nicht und führen eine gefährliche Diskussion zu einer Zeit in der es darum gehen muss, Lösungen zu erarbeiten für eine gemeinsame Zukunft in Europa und wir froh sein sollten über die Verfassung und das Grundgesetz mit seinen hohen Werten, die wir haben. Wenn mir etwas wertvoll ist, möchte ich es verteidigen und mich für seinen dauerhaften Erhalt einsetzen. In Deutschland ist derzeit weniger das Abendland als abstrakte religiöse Gemeinschaft im Geist des Mittelalters gefährdet. Dieses gibt es nicht mehr und es braucht auch keiner, um friedlich zusammenzuleben. Dagegen sind die Freiheit und die Werte des Grundgesetzes massiv gefährdet durch Menschen, die russischer Propaganda hörig diese öffentlich infrage stellen und damit zu geistigen Brandstiftern längst wurden, denen zu viele reale bereits folgten.

Europa und Deutschland verteidigen heißt seine Verfassungen zu verteidigen mit ihren Werten, zu denen Freiheit und Toleranz untrennbar gehören. Es ist Zeit dafür aufzustehen, statt Verständnis für die Feinde des offenen Europas zu zeigen. Für diese ist hier kein Raum, sie passen sich an oder können auswandern.
jens tuengerthal 27.3.16

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