Freitag, 25. März 2016

Kulturgeschichten 0169

Freitagsverbote

Am Karfreitag ist das Tanzen verboten und Witze, auch 700 Filme setzte die FSK auf eine Liste, die deren Vorführung am Karfreitag verbietet, dazu gehören, Das Leben des Brian, Harold und Maude, Meisterdetektiv Blomquist oder Heidi in den Bergen. Wer nun den Kopf schüttelt, ist sicher nicht allein, aber sich über das Absurde und die Toleranz Gedanken zu machen, kann gut tun und den Horizont erweitern.

Es soll ein stiller Tag der Trauer sein und in Berlin hielt sich zumindest der Himmel daran, der seit 6h am morgen pausenlos heulte, den grauen Dauerregen nicht unterbrach, für die richtige Stimmung sorgte. Auch in Berlin ist Comedy und sind Tanzveranstaltungen verboten, nur kümmert sich keiner darum und die Polizei ist angewiesen das formelle Verbot nicht durchzusetzen.

Ist es nur noch ein absurder Schatten der Geschichte ohne Bezug zur Lebensrealität oder ist die Berliner Lösung einfach gesunder Pragmatismus?

Karfreitag  kommt vom althochdeutschen Kara, was Klage, Kummer, Trauer heißt und Christen gedenken an diesem Freitag vor Ostern dem Kreuztod Christi, für Katholiken ist es ein strenger Fasten- und Abstinenztag, er steht fest in der Tradition des christlichen Aberglaubens. Er ist der erste Tag der österlichen Dreitagesfeier, die in ihrer Gesamtheit das höchste Fest des Kirchenjahres in allen christlichen Konfessionen sind.

Die Kirche gedenkt der Kreuzigung Christi in Erwartung seiner Auferstehung. Nach deren Glauben litt und starb Jesus als Gottesknecht und nahm im Kreuztod freiwiillig alle Sünden und alle Schuld der Menschheit auf sich. Durch den Tod und die Auferstehung Jesu wird nach christlichem Aberglauben allen Menschen die Sündenvergebung zuteil und damit Erretung aus dem Tod und künftig ewiges Leben. Dennoch sterben Christen wie alle anderen Menschen, glauben nur danach wäre noch etwas, was mehr wert wäre, als was bisher ist.

Die Kreuzigung soll dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht im Pascha-Mysterium in einer Reihe mit Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Danach soll nicht allein das Opfer Jesu das Große sein, sondern der Sieg über Hölle, Tod und Grab, was den Epikuräer aber nur insoweit tangieren könnte, als er Lust hat, daran zu glauben, wofür mir bisher wenig Gründe ersichtlich waren. Weder leuchtet mir der Erlösungsaberglauben ein, ich finde das Leben schön und möchte nicht davon erlöst werden, eine völlig falsche Sicht auf das Leben, wie ich finde, noch fürchte ich den Tod, der mich mit Lukrez nichts angeht, da er nie da ist, wenn ich da bin und sollte er da sein, ich es nicht mehr bin, warum ich mich nicht weiter um ihn kümmern muss, er ist schlicht egal und der verbundene Aberglaube kommt mir logisch eher albern vor, auch wenn er eine alte sehr ernsthafte Tradition hat.

Nicht ganz klar ist mir, ob die Angst vor dem Tod zuerst war und wir uns ihretwegen die Religionen so oft ausdachten oder die Religion diese Angst schuf, um uns religiös zu machen. Kreuztod ist keine schöne Vorstellung, oder doch wieder, weil es die vorher Qualen beendet. Insofern Christen durch ihren Messias erlöst wurden, müssen sie dies nicht mehr selbst durchleiden, manche tun es dennoch, andere fügten es sehr lange anderen gerne zu. Nach Logik  im Glauben zu fragen, ist oft gefährlich, meist jedoch nicht zieführend.

Jedenfalls ist dieser Tag ein Freitag, an dem sich die Menschheit soweit christlich beeinflusst schon ziemlich lange mit dem Tod auseinandersetzt und dem damit verbundenen Leiden, an das sie denken, weil es als Erlösung für sie versprochen wird. Welcher persönliche Gewinn darin liegt, ist mir nicht ersichtlich, als eine Art Deantwortung für die eigenen Sünde, die der Sohn des erdachten Gottes ja schon auf seine Schultern nahm, die aber auch nur als solche existiert, wenn wir uns sie ausdenken, also an sie glauben.

Ich kenne keine Sünde, sündige nie und gönne mir, was mir gefällt und gut tut, weil es meiner Natur entspricht, die keine höheren Wesen kennt.

Warum der arme Typ, nachdem er schon gekreuzigt wurde, für die Menschheit leiden musste, nicht endlich seine Ruhe haben kann, sondern auch noch wieder auferstehen muss, um irgendwann gen Himmel zu fahren und sich noch mit erfundenen Gespenstern zu vereinen, leuchtet mir nicht ein. Was für ein Gewinn liegt in dieser Vorstellung und warum halten sich viele aus Angst an diesem Glauben fest, der in der Natur keinerlei Beleg hat?

Eher schon leuchtet mir ein, warum an diesem Tag logisch Tanzen und Partys verboten wurden, um dafür lieber im ehrwürdigen Gedenken in sich zu gehen. Warum das alle tun müssen, egal welchem Aberglauben sie anhängen oder nicht, verstehe ich nicht, sehe es aber als ein Produkt einer lange herrschenden Meinung, die gerne das Leben der anderen dominiert.

Ob es mich stören würde, wäre ich christlich, wenn andere feierten und Spaß hätten, bin ich nicht sicher. Dächte ich diesen Aberglauben konsequent, müsste ich dies höchste Opfer meines dann Herrn äußerst ernst nehmen und könnte Ignoranten kaum verstehen, für die dieser ja auch gestorben ist, für die Vergbung ihrer Sünden. Andererseits könnte mich dieser vollständige Sündenerlass und der Gedanke der christlichen Liebe, wie er etwa in der Bergpredigt zum Ausdruck kommt, auch großzügig machen.

Großzügigkeit und Wahrheitsbesitz aber gehen leider selten Hand in Hand, vielmehr engt die Überzeugung, den richtigen Weg zu kennen, häufig das Denken ein, zumal, wenn es sich um einen höheren Weg zum ewigen Glück handeln soll. Dies auch, wenn die anderen an ein solches Glück weder glauben wollen, noch die kontrapunktisch erfundene Hölle fürchten und gut handeln, weil sie es gut finden, ohne höheren Geboten dabei folgen zu wollen.

Letzter Halbsatz gäbe jetzt eine schöne Möglichkeit einen Ausflug zu machen, warum der kategorische Imperativ systemlogisch alle religiöse Ethik eigentlich für wertlos erklärt, weil ihr kein moralisches Handeln sondern bloßer Gehorsam zugrundeliegt, aber das führte vielleicht auch etwas zu weit in diesem kleinen Karftreitagsessay.

Andererseits ist die praktische ethische Anwendung der Prinzipien vielleicht der beste Maßstab die Tauglichkeit eines Wertsystems zu prüfen. Nähmen wir an, wir folgten göttlichen Geboten auf dem Weg durch die Welt, könnte höchstens noch die Konstruktion der kritischen Prüfung und Annahme dieser Gebote ein ethisches und moralisches Handeln im Sinne des kategorischen Imperativs ermöglichen, alles andere wäre nicht moralisch, sondern stupider Gehorsam, der ethisch ohne Wert wäre. Leider nur, ist die kritische Reflektion göttlicher Gebote, wenn wir sie denn annehmen, eine contra dictio zum Begriff Gottes. Aber auch wenn wir sie reflektieren könnten, wie es die evangelische Theologie seit Bonhoeffer zu erklären versuchte, bliebe das göttliche göttlich und die Moral wäre also nicht menschlich aus dem Akt der Reflexion mit sich entstanden, sondern nur als Auseinandersetzung mit den Geboten des höheren Wesens.

Doch will ich mich in diese abstrakte Betrachtung nicht zu weit vertiefen, während ich eigentlich über Sinn oder Unsinn des Tanzverbotes und ählicher alter Sitten reflektieren wollte. Wenn Menschen menschlich handeln und meinen, sie tun dies, weil es ihnen ein Gott gebiete, ist es besser, als wenn sie aus den gleichen Gründen unmenschlich handeln, auch wenn es nur einen Gott geben sollte, wie beide oft meinen.

Leider wird das ethische Handeln all derer, die sich der Krücke eines Gottes bedienen, immer nur ein Reflex sein, auf das von Gott gebotene Handeln, kein Entschluss zu gutem Handeln nach dem kategorischen Imperativ, der logisch keinen Gott kennt und bleibt also ethisch moralisch eigentlich wertlos im kantschen Sinne. Mit den Jahren pragmatisch genug geworden, freue ich mich schon darüber, wenn Menschen überhaupt gut handeln wollen und hinterfrage es dann aus praktischen Gründen nicht, um ihnen nur zu beweisen, zu Ende gedacht ist, was ihr tut, nicht gut sondern nur nachgemacht, nicht moralisch sondern nur gehorsam, denn wer wäre ich, zu behaupten, es immer besser zu  machen, nicht oft auch nur Geboten zu folgen, weil sie eben da sind oder gerade nicht, wie es der Alltag praktisch erscheinen lässt oder ich zu träge und faul bin selbst zu denken, wie es vermutlich vielen Gläubigen von vornherein ähnlich geht, wenn sie mit der Taufe das all-inclusive-Paket erworben haben, sollen sie doch ihren Cluburlaub genießen, solange ich es nicht gut heißen muss.

Aber vielleicht ist die von mir unterstellte Unmoral aus dem Geist der christlichen Entmündigung auch dadurch geprägt, dass mir schon der zentrale  christliche Gedanke der Auferstehung von den Toten und der Erlösung so fremd und absurd vorkommt, es für mich nichts als die Natur gibt und nichts über sie hinaus, meine Existenz glücklich endlich ist und ich den Tod weder fürchte, noch er mich irgend interessiert, weil er ohnehin nicht davon abhängt, was ich darüber denke. Sondern der Überzeugung bin, dass ich mir mit einem erfundenen Himmelreich und einer phantasierten Hölle nur Probleme schaffe, die kein Mensch seiner Natur nach bräuchte, die mich schlicht nichts angehen. Anderen mag das anders gehen, verstehen muss ich es nicht.

Tolerieren aber kann ich es und versuchen, sie auf ihre Fasson selig werden zu lassen und wenn sie meinen, es sei gut, an diesem Tag nicht zu tanzen, wird die Welt davon nicht untergehen, denke ich inzwischen, der ich aber auch nicht mehr fürchte dadurch etwas zu verpassen. Einen Tag mit oder ohne Gott zum kritischen Denken zu nutzen, sei es auch nur über den christlichen Aberglauben oder die Tendenz in unserer Gesellschaft politischen Heilslehren hinterher zu laufen, scheint mir gut und wie wir diesen nennen, ist mir dabei relativ egal.

Muss ich, der ich die Freiheit besitze, mir selbst eine Meinung zu bilden, keinen Geboten folge als meinem Gewissen, wie es der kategorische Imperativ mir freistellt, über die urteilen, die nicht so frei sind und sich dem Urteil eines erfundenen Gottes unterwerfen?

Nach meinem Gefühl, habe ich soviel Freiheit, diesen ihre beschränkte Welt zu lassen, ohne sie belehren zu müssen oder von ihnen zu verlangen, dass sie meine Freiheit und mein Denken verstehen könnten. Wie sollten sie es denn in einer Welt, in der es Götter gibt und der höhere Wille bestimmt?

Also lasse ich sie in Ruhe ihren Frieden haben und denke weiter, was mir gefällt. Darum respektiere ich sie als Menschen, wie jeden anderen auch und solange sie eine Mehrheit und eine Lobby haben, die Regeln für Feiertage durchsetzt, spielen sie wohl noch eine so große Rolle in unserem Staat, dass sie für andere nicht so unwichtig sind wie für mich. Darum fällt es mir in der Freiheit leichter ihre Intoleranz zu tolerieren und für mich pragmatische Wege des größtmöglichen Lustgewinns zu finden.

Wäre es mir wichtig immer am Karfreitag tanzen zu gehen, würde ich diesen Tag eher in Berlin als in München verbringen, wo es nur verboten ist, trotzdem gemacht wird und sich keiner um das alte Verbot mehr kümmmert. Zum Glück lebe ich in Berlin und nicht in München und kann mir also aussuchen, ob ich am Karfreitag tanzen gehen will oder nicht. Da dies meist nicht der Fall ist, könnte ich wohl auch in München leben, wogegen der anderen Gründe genug sprechen.

Wen ein Tanzverbot empört, der sollte nach Berlin ziehen, wenn er tanzen möchte, ansonsten fände ich es wichtiger über die Gründe des Verbots im Hintergrund dieses Tages in Ruhe nachzudenken und den Aberglauben für sich zu hinterfragen, um sich nach dem eigenen Weg zum Glück zu fragen und wenn der mit Gott sein sollte, wird sich wohl auch mit dem Tanzverbot leben lassen, was meist nur viel Lärm um nichts ist, aber um so mehr Raum zum Nachdenken gibt, auch ohne tanzen zu gehen.
jens tuengerthal 25.3.2016

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