Freitag, 18. März 2016

Kulturgeschichten 0161

Revolutionsversehen

„Der König will, daß Preßfreiheit herrsche; der König will, daß der Landtag sofort berufen werde; der König will, daß eine Konstitution auf der freisinnigsten Grundlage alle deutsche Länder umfasse; der König will, daß eine deutsche Nationalflagge wehe; der König will, daß alle Zollschlagbäume fallen; der König will, daß Preußen sich an die Spitze der Bewegung stelle.“

Am 18. März 1848 kam es in Preußen zur Revolution, zumindest in Berlin, nachdem Paris und Wien schon vorausgegangen waren. Es passierte eher aus versehen und nur weil sich ein Schuss löste, sagen die einen, die den deutschen Geist für wenig revolutionär halten, der zufällige Schuss war nur die Spitze auf dem Eisberg, meinen die anderen und die Bewegung wäre lange gewachsen, das Fass sei eben übergelaufen durch den vielleicht zufälligen Schuss.

Obige Worte Friedrich Wilhelm IV. waren vor dem Aufstand gefallen, zwar bejubelt worden als sehr weitgehende Zugeständnisse aber hatten nicht genügt, den tödlichen Ausbruch von Gewalt zu verhindern.

Was erreichte diese Revolution, als dass der König den Hut vor den gefallenen Bürgern zog?

Insofern die schon tot waren, war es für sie egal, für den Rest eine nette Geste. Als im späteren Herbst dann die Revolution wieder geschlagen worden war, kam eine Ordnung, die wesentlich reaktionärer war als der König vorher von sich aus zugestanden hatte.

Als Friedrich Wilhelm Jahre später sein Bruder Wilhelm folgte, sehr einfallsreich waren die Preußen nicht, soweit es die Namen betraf, der damals Kartätschenprinz hieß, weil er auf die Revolutionäre hatte schießen wollen, gegen Revolutionen helfen nur Kanonen blieb sein Motto, wurde das Rad der Geschichte bis 1918 noch weiter zurückgedreht und so waren die beiden Söhne der Königin Louise, auch so eine relativ grundlose preußische Kultfigur, deren größter Verdienst war, früh an einer Lungenentzündung zu sterben, sehr verschieden und Bismarck, der zu den rechten Reaktionären noch gehörte, begann damals Einfluß auf den König zu nehmen, sich als Junker noch für deren Interessen breit zu machen.

Habe über diese Revolution und ihre Teilnehmer schon viel auch hier geschrieben, sonst mangelt es ja auch an wahrhaft revolutionären Ereignissen in diesem Land, noch dazu jenen, die von der Mitte auch getragen wurden, darum sei sich an dieser Stelle auf den bürgerlichen Geist dahinter konzentriert, den ich gern in Verbindung bringen würde mit dem Aufstand der Kronstädter Matrosen, die auch am 18. März nur eben 1921 sich gegen das Sowjetregime wandten, dort aber als konterrevolutionär galten.

In Berlin wurden nach dem Schuss und dem versuchten Sturm der Garde, die den Schloßplatz räumen wollte, Barrikaden gebaut und gekämpft. Auf der einzigen, die standhielt über den Tag hinaus, weil die Verteidiger wacker schossen und die Lage gut war, am heutigen Alexanderplatz auf dem Weg zum Schloßplatz, etwa auf der Höhe des unsäglichen Alexa, befand sich die Apotheke in der ein junger hugenottischer Apotheker arbeitete, der gerade aus Leipzig wieder nach Berlin gekommen war, usprünglich aus Neuruppin stammte, wo sein Vater eine Apotheke führte und der als Schriftsteller dilletierte, sich auf Wandzeitungen schon ausprobiert hatte, unter seinem Namen Theodor Fontane berühmt wurde, wenn auch weniger als Revolutuionär.

Ein anderer bekannter Sohn der Stadt, stand weiter westlich in Richtung der Siechenhäuser, in denen der später noch berühmtere Arzt Virchow arbeitete, auf den Barrikaden und verzog sich nach dem Sturm für einige Jahre gen Erlangen von wo ihn die Berliner wieder teuer zurückwerben mussten.

Menzel, der berühmte Maler Berlins dieser Zeit, kam erst einen Tag nach den Kämpfen aus Hamburg zurück und malte dafür die vor dem Deutschen Dom aufgebahrten Särge der Gefallenen der Unruhen, was ironischerweise heute in der Hamburger Kunnsthalle hängt. Auch er hatte zahlreiche Freunde unter den Kämpfern wie unter den Opfern.

Die Monate danach kam es noch zu einzelnen Unruhen wie dem Versuch  eines bürgerlichen Parlaments, das zunächst sehr passend in der Sing-Akademie, direkt hinter der Neuen Wache residierte und erst gegen Ende zum Umzug an den Gendarmenmarkt gezwungen wurde, wo Wrangel es am Ende mit einem Degenstreich erledigte. Das erste bürgerliche Parlament Preußens setzte viel in Bewegung auch in der Diskussion über den künftigen Status der deutschen Nation, die sich nach den Befreieungskriegen gegen Napoleon bereits langsam zu  bilden begann.

Doch Grundrechte und eine Verfassung hatte der Monarch ja bereits vor den Unruhen zugesichert und auch der Anschluss Preußens an die deutsche Nationalbewegung war versprochen. Diese Zugeständnisse waren die Reaktion auf den Rücktritt und die Flucht Metternichs aus Wien. Dort hatten die Unruhen ja im Anschluss an die Pariser Aufstände schon früher begonnen als in Preußen.

Bezeichnend für die Berliner Aufstände aber war, dass auch das gebildete Bürgertum sie trug, mit Virchow und Fontane intellektuelle Akademiker mit dabei waren, doch hatten die Ereignisse schon lange vorher gegärt in den Kaffeehäusern, in denen sich die Bürger zum Lesen der aktuellen Zeitungen trafen, in den Zelten, der Biergartenkolonie im heutigen Tiergarten, zwischen heutigem Bundeskanzleramt und dem Haus der Kulturen der Welt in der sogenannten schwangeren Auster standen die Zelte, in denen sich die Bürger zum diskutieren trafen, vor den zu diesem Zeitpunkt noch existenten Mauern der Stadt, die erst über ein Jahrzehnt später abgerissen wurden, wo nahe auch die sozial sehr engagierte Bettina Brentano später von Armin lebte. Der Tunnel über der Spree, ein Kreis von Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftlern, dem auch Fontane, Virchow und Menzel angehörten, hatte viele der Themen diskutiert und in die Gesellschaft getragen.

Die Unruhen waren von der geistigen Elite mitgetragen. Es war keine Revolution von unten, sondern sie wurde auch in der Mitte getragen, was sie für en preußischen Staat um so gefährlicher machte. Zwar bildete sich das einflußreiche und politisch bewußte Bürgertum erst langsam nach der französischen Revolution und den Bürgerkriegen, aber infolge der Industrialisierung und einem immer einflussreicheren und wohlhabenden Bürgertum,  begann die Diskussion um politischen Einfluss in der noch nach ständischen Prinzipien, eben vom Adel regierten Gesellschaft.

Friedrich Wilhelm war sehr betroffen von den Ereignissen und schrieb schon am nächsten Tag einen Brief an seine lieben Berliner, in dem er das harte Eingreifen des Militärs mit seiner Elitetruppe rechtfertigte. Die Aufständischen hätten das Schloss stürmen wollen und so war ein Eingreifen zu seinem Schutz unumgänglich.

Noch weiter ging er mit der Proklamation vom 21. März, die an sein Volk und die deutsche Nation gerichtet war. Darin verkündete er, Preußen ginge künftig in Deutschland auf, es würde ein Landtag eingerichtet, gäbe ein volkstümliches Bundesheer bei der Wiedergeburt eines neuen Deutschland, dazu  eine konstitutionelle Verfassung mit Ministerverantwortlichkeit in allen Bundesstaaten und endlich die Gleichberechtigung zwischen den Religionen. Übertraf sich dann mit seiner Ankündigung vom nächsten Tag, nach der er aus  Preußen einen liberalen Verfassungsstaat machen wollte noch selbst, da er sogar Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit zusicherte, auch das Heer auf die neue Verfassung vereidigen lassen wollte.

Als  der Trauerzug am 22. März anläßlich der Beerdigung auf dem Friedhof der Märzgefallenen im Friedrichshain am Schloß vorbeikam, verneigte sich der König zum Grausen seines Bruders Wilhelms, des späteren Kaisers, sogar vor den Toten, doch wollte der Monarch schon im Juli 1848 nicht mehr an seine Versprechen vom März erinnert werden.

Später lehnte er die ihm vom Parlament in der Frankfurter Paulskirche angetragene Kaiserkrone ab und das Verfassungsversprechen wurde erst 1849 durch eine oktruierte Verfassung erfüllt, die aber immer noch einige liberale Elemente enthielt, womit deutlich wurde, dass die Forderungen der stärker gewordenen Liberalen nicht mehr ignoriert werden konnten.

Die Revolution hatte außer Tod und einer kurzen Blüte liberaler Ideen in Berlin nichts eingebracht, aber sie war der teuer bezahlte Anstoß einer Bewegung, die mit den Revolutionen von 1918 in den neuen europäischen Republiken mündete. 1848 war in vielem gut gedacht, kam etwas früh und war nicht wirklich geplant oder organisiert, noch so gewollt, wie sie ausbrach, als Reaktion auf einen wohl nur zufälligen Schuss, brach der Sturm der Etnrüstung los, der sich lange angestaut hatte.

Die Verfassungsversprechen aus den Befreiungskriegen waren sowenig vergessen worden wie der Wunsch eine Nation zu werden, auch wenn Goethe darüber spottete, dass sich die Deutschen lieber freier zu Menschen ausbilden sollten, statt zu einer Nation, die sie nicht wären. Was diese Nation sein soll und welchen Gewinn die verschiedenen Stämme davon hätten, sich unter einem größeren Dach zusammenzufinden, blieb unklar, sehen wir vom ökonomischen Punkt ab, der deutlich für eine zollfreie Union schon lange sprach.

Die Diskussion darüber stellte Thomas Mann sehr treffend als Zeitbild in den Buddenbrooks dar, bei denen der alte Senator zu den Revolutionären ging, platt mit ihnen schnackte und sie wieder nach Hause schickte, als sie voller Wut dabei waren das Rathaus zu stürmen, um auch in Lübeck Revolution zu machen wie zuvor in Paris, Wien und Berlin. Danach diskutierten die Lücbecker Honoratioren und Senatoren die politische Lage miteinander, was für die Kaufmannsrepublik  aus Hansezeiten wünschenswert wäre, die seit Generationen von alten Familien regiert wurde, die strengen Traditionen folgten und nun auch durch diese Bewegung aus der drohenden Erstarrung gerissen wurde.

Es gab das Frankfurter Paulskirchenparlament in dem ein Gargern und ein Helmholtz entscheidend wirken, wichtige Diskussionen zur deutschen Verfassung und Zukunft geführt wurden, dass die Brücke zwischen Adel und Bürgertum suchte, sich mit Friedrich Wilhelm sogar einen Preußen zum Kaiser und Repräsentanten wählten, auch wenn dieser die mit dem Sudelgeruch der Revolution beschmutzte Krone nicht haben wollte und sich das Ziel der Revolution so langsam in Debatten erledigte.

Das Kaiserreich von 1871, nach dem deutsch-französischen Krieg, bei dem Wilhelm sich in Versailles selbst krönte, war ein oktruiertes Fürstenreich, auch wenn es die Nation einte, die in der Paulskirche ohne Österreich vertreten war. Die Bürger fügten sich hinein und das Land blühte auch dank der Kontributionen, die Frankreich zahlen musste und die hinzugewonnenen Gebiete Elsaß und Lothringen taten ein übriges dazu, die  diktierte Nation mit sich zufrieden sein zu lassen in jener Gründerzeit, die auch architektonisch manch bleibenden Schaden in ausdrucksvoller Selbstüberschätzung erzielte.

Warum ist nationale Verbundenheit für manche Menschen wichtig, welche auch persönlichen Mängel kompensieren sie damit, ist es immer pathologisch oder auch manchmal ganz natürlich als lokale Verbundenheit?

Was wurde aus der Demokratie und dem Gefühl für sie, bis sie nach 1945 im Westen Deutschlands von den Allierten oktruiert und erzogen wurde, seit das Land sich geeinigt hat und was ist sie wem noch wert?

Hat der Osten ein anderes oder überhaupt ein Gefühl für Demokratie?

Auch am 18. März, nur im Jahre 1921, drei Jahre nach der russischen Revolution, kam es zur Niederschlagung des Aufstandes der Kronstadter Matrosen, die sich für mehr Demokratie und weniger Macht der Kommunistischen Partei Rußlands seit Mitte Februar eingesetzt hatten. Die Aufständischen skandierten, Alle Macht den Sowjets und keine Macht der Partei. Sie forderten gegen die  diktatorische Kommunistische Partei eine Demokratisierung Sowjetrusslands, denoch nannte eben diese Partei aus ideologischen Gründen den Aufstand eine antisowjetische Meuterei.

Die Rote Armee brauchte zwei Versuche, bis sie die Festung gegenüber St. Petersburg erstürmen konnte und die Matrosen zur Kapitulation zwangen. Nach dieser wurden bereits viele der Aufständischen aber auch unbeteiligte Bewohner Kronstadts hingerichtet. Diejenigen, die  nicht hingerichtet wurden oder erfolgreich nach Finnland flohen, kamen in die neuen Lager im Norden zur besonderen Verwendung. Viel war von Rückkehrern nie mehr zu hören.

Der Aufstand zwang die herrschende Partei vom Kriegskommunismus zur neuen ökonomischen Politik in Sowjetrussland, das erst ab 1922 Sowjetunion hieß.

In beiden Fällen wurde auf Demokraten geschossen, die sich für mehr Freiheit einsetzten und dies teilweise mit ihrem Leben büßen mussten. Die Matrosen hatten ähnliche Ziele wie Teile der Revolutionäre, lebten jedoch in einem postrevolutionären Staat, der für sich bereits in Anspruch nahm, die Freiheit nach der Monarchie der Zaren errungen zu haben, während die 1848er noch den Kompromiss mit ihren Fürsten suchten, um die Nation in Freiheit und Tradition zu  einen. Beide handelten in der Überzeugung, dass die Ziele von mehr Demokratie und Freiheit auch den Einsatz des Lebens wert waren.

Ist der Aufstand der Pegiden zur vermeintlichen Rettung des Abendlandes dem der Demokraten vergleichbar?

Was unterscheidet diejenigen, die  etwas gestalten wollen, von denen, die nur etwas verhindern wollen?

Gestaltet wer sich fürchtet oder sind die spazierenden Sachsen nur reaktionär und fürchten Veränderungen?

Ist wer sich für mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Grundrechte einsetzt, irgend denen vergleichbar, die sich für weniger Ausländer, weniger Grundrechte, weniger Freiheit einsetzen?

Trifft das angemaßte “Wir sind das Volk” der geistig bescheidenen Minderheit der Pegiden dennoch einen Kern im deutschen Wesen?

Was ist an einer Nation bewahrenswert, die den Einsatz für sie nur mit Angst vor dem anderen begründet, so ahnungslos und dubios diese auch sein mag?

Ist die Reihenfolge der Hymne, Einigkeit und Recht und Freiheit, ein Spiegel deutscher Befindlichkeit, die sich nie traute, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit einander zuzurufen?

Was in diesem deutschen Dreiklang rechtfertigte einen Aufstand oder eine Revolution, genügt die nur drittrangige Freiheit noch oder genügt, wenn wir und einig sins und Ordnung herrscht?

Weiß nicht, was ich von der Nation halten soll, frage mich, was es mir wert wäre, es zu  verteidigen und denke, Sachsen, so schön es landschaftlich ist, würde ich in manchem gerne los, weil es der Demokratie  schadet, die sie  offensichtlich nicht begriffen haben, zumindest zu einem höheren Teil als im Rest der Republik. Und während ich dies schreibe merke ich, für Sachsen-Anhalt gälte selbiges, für Mecklenburg und Thüringen wohl auch, von der Mark ganz zu schweigen, die einmal tolerantes Preußen war, dass die Hugenotten begrüßte, die vor französisch katholischer Intoleranz fliehen mussten und sich erfolgreich an ihnen bereicherte.

Wenn ein Teil einer Demokratie nicht in der Demokratie ankam, fragt sich, was wir noch verteidigen wollen - hoffen wir auf Besserung oder ist der Osten ein vordemokratisches Reservat?

Früher waren es die ostelbischen Junker, die als Reaktionäre jede Veränderung blockierten, heute haben wir einen Bayer und viele Ministerpräsidenten im Osten, denen das Volk teilweise entlaufen ist, weil sie nie in der Demokratie ankamen, um darum lieber Putins Propaganda glauben in ihrem verkrampften Kampf um die alte Ordnung, die es nie gab.

Wohin zieht dieses Land, wenn einige im Westen längst wieder eine Mauer errichten wollen, um die peinlichen Verwandten im Osten wieder loszuwerden, die dafür eine Mauer zur Rettung der Nation, die keiner braucht, bauen wollen, gegen diejenigen, die hier in Freiheit und Frieden leben wollen?

Was wäre verantwortliches politisches Handeln, wenn einige die Werte ihres Landes aus Angst infrage stellen und patriotisch oder national nennen, was real nur peinlich ist?

Sind Reaktionäre je Revolutionäre und liegt es am Menschenbild, das die Sowjetunion lange predigte, dass sie sich auch faschistoid im Wesen für solche halten?

Ist Pegida und die diese umgebende institutionalisierte Dummheit und Intoleranz einfach ein Produkt der institutionalisierten Revolution mit der folgenden Diktatur des Proletariats und dies in Reinform, ungebildete Proleten, die sich öffentlich äußern und zuviel Aufmerksamkeit bekommen?

Warum haben Franzosen, Belgier, Niederländer und Briten einen genauso großen Anteil, wenn dies Teil  des deutschen Wesens wäre?

Macht uns die prozentual hohe Intoleranz nur zu prozentual durchschnittlichen Mitteleurpäern, von denen ein Teil eben nicht weiter denken kann?
jens tuengerthal 18.3.2016

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