Mittwoch, 23. März 2016

Kulturgeschichten 0166

Freiheitsleben

“Give me Liberty, or give me Death”
Patrick Henry

Nur zur Sicherheit soll nach Brüssel wieder unsere Freiheit ein wenig beschränkt werden. Was wir dann im beschränkten Raum noch verteidigen als das auch beschränkt nicht schützbare Leben bleibt unklar, warum es mir heute so wichtig erscheint an Freiheitskämpfer zu erinnern, die bereit waren für ihre Idee von Freiheit zu sterben oder zu töten, um zu fragen, was etwas wert ist.

Am 23. März 1775 hielt der Rechtsanwalt Patrick Henry seine berühmte Rede, die mit dem oben zitierten Satz - gib mir Freiheit oder gib mir den Tod - endete und damit die Untertützung Virginias im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sicherte. Die Wirkung seines Satzes, der in die amerikanische Geschichte einging, verstärkte Henry noch dadurch, dass er so tat, als wolle er mit einem Brieföffner Suizid begehen. Berichten zufolge sollen Washington und Jefferson im Publikum gesessen haben, das nach der Rede aufsprang und zu den Waffen rief. Die Rede erschien erstmal 1817 in einer Biografie über Patrick Henry, also 18 Jahre nach seinem Tod und außer dem obigen Zitat ist vom Wortlaut nichts belegbar. Eine Abwandlung dieses letzten Satzes in live free or die wurde zum Motto des US Bundesstaates New Hampshire.

Viel dieses Freiheitsgeistes hat den Kampf um Unabhängigkeit in Freiheit in den USA geprägt, später im Bürgerkrieg sie auch gegeneinander antreten lassen und noch einmal hundert Jahre später Europa geholfen, sich aus der Unfreiheit der faschistischen Diktaturen zu befreien. Ob mit dieser Idee auch der linke Totalitarismus überwunden wurde oder dieser schlicht aus ökonomischen Gründen in sich zusammenfiel, weil der Westen ihn totgerüstet hatte, ist gerade heute der Frage wert, wo die USA als Supermoralmacht der Welt für sich in Anspruch nehmen, nach Belieben weltweit mit Drohnen töten zu dürfen, wenn es ihnen nötig erscheint, jenseits aller Gesetze in Cowboymanier.

Sind die Morde von Brüssel und Paris nur Folge unserer Beteiligung an den mörderischen Kriegen der USA weltweit?

Zeigt der IS sich dem Tode nah,  weil er nun beliebig tötet?

Wie frei ist noch wer andere tötet oder deren Tod in kauf nimmt für ein höheres Ziel?

Habe meine Zweifel, ob ein System berechtigt zu töten, was von einem zu halten ist, das es als seinen Auftrag sieht und für gerecht erklärt. Kann es dafür eine Legitimation geben und was unterscheidet die rechtsstaatliche Todesstrafe von der nach der Sharia?

Was wurde aus dem Freiheit oder Tod Konsequenzialisten in der Realität?

Patrick Henry wandelte seine Meinung zum Bundesstaat noch einige male, bis er 1799 starb. So hatte er 1795 noch das Angebot Washingtons abgelehnt, Außenminister zu werden, da er als Antiföderalist der Meinung war die Verfassung der USA gebe der Bundesregierung zuviel Macht. Diese Sichtweise wandelte sich jedoch, als er die Entwicklung in Frankreich im Terreur sah und ähnliches für die USA fürchtete Ende der 90er Jahre.

Wichtig für die Geschichte der USA war er schon 1763 geworden, als er in einem Prozess um die Tabaksteuer als Anwalt auftrat, dessen Ausgang zur Ermunterung für die Unabhängigkeitsbewegung wurde. Ab 1798 wurde er sogar wieder Mitglied der Föderalistischen Partei und untertützte von da an die Politik von Washington und Adams.

Einer der sein Leben rethorisch für die Freiheit geben wollte, war jenseits des entweder oder auch zu einer pragmatischen Meinungsänderung fähig, wenn ihm das geboten erschien. Was dafür spricht, dass am Ende der Pragmatismus siegt, weil es um Lösungen geht und ihre Realisierung, die tödlichen Ideale sich relativieren.

Es scheint uns absurd mit Islamisten oder anderen religiösen Fanatikern über die schönen Seiten des Lebens zu debattieren, weil sie ohnehin lieber auf ein Jenseits hoffen. Logisch ist es das auch. So wie die Drohung sich umzubringen ohne Freiheit logisch nicht zu mehr Freiheit führt sondern nur die eigene Existenz relativiert und sich in einer Art moralischen Erpressung versucht, die ankündigt, was sie nicht will.

Doch wie außer mit einer Chance für eine Zukunft und Aufklärung wollen wir all diese Menschen erreichen, die sich als Gruppe seit Jahrzehnten hier relativ am Rand und ausgegrenzt fühlen, es sei denn sie machen zufällig als Sportler Karriere?

Wer nun polarisiert und ausgrenzt stärkt nur die Radikalen, deren es in beiden Lagern genug längst gibt. Können uns Mauern je wirksam schützen, wenn sie die Unfreiheit und den Tod lieber wählen, als in Freiheit leben zu wollen?

Keine Mauer bietet Sicherheit, all dies sind Krücken auf dem Weg in die Unfreiheit, da ihr Ziel nur Beschränkung ist. Eine Zwischenlösung kann es sein, was nun verhandelt wurde, doch wird es uns nicht helfen, bei der Suche nach einer Lösung, die denen, die in die Freiheit wollen, eine Perspektive geben, sie zu erreichen. Wer Krieg gegen welche führt, die er Terroristen nennt, sollte sich nicht wundern, wenn sie auf ihre Art zurückschlagen, kleinzellig terroristisch, wo immer es geht. Wir ernten nichts als das Echo jahrelangen Handelns, was in jedem Einzelfall in einer Gesellschaft, die das gute Leben und die Freiheit liebt, tragisch ist, nur nicht weiter verwundert, eigentlich kriegslogisch ist.

Wie unterscheiden wir künftig einen friedlichen Syrer von einem Terroristen, wie einen toleranten Nordafrikaner mit Sehnsucht nach Freiheit von einem religiösen Islamisten, was tun wir mit denen, die längst hier Bürger sind oder Staatbürger schon von Geburt an waren und sich dennoch von radikalen Ideen verführen lassen?

Die letzten Attentäter waren bekannt. Dennoch konnten sie nicht an ihrem Tun gehindert werden. Es ist illusorisch, zu glauben, wir könnten die EU kontrollieren wie wir es in früheren Kleinstaaten nicht einmal konnten - die Gefahr war etwa in der DDR geringer, weil sie keine Kriege führte, es andere Zeiten waren, in denen paradox genug Menschen erschossen wurden, die raus wollten und nicht auf die geschossen werden sollte, die rein möchten, deren Zahl ohnehin überschaubar war, weil Unfreiheit unattraktiv bleibt.

Weder Vorratsdatenspeicherung noch Datenaustausch haben oder hätten solche Attentate verhindern können. Wer nun die Freiheit weiter sichern möchte, indem wir sie aufgeben, zerstört, was gesichert wird nachhaltiger als Terroristen es je gefährden können und es fragt sich darum, ob wir nicht lieber wie Patrick Henry ausrufen sollten, gebt uns Freiheit oder den Tod und was wir nun tun, wenn sie sagen, wir nehmen nur die Freiheit, damit ihr überlebt - ist es das noch wert?

Was immer einem Leben wert ist, während es andere verschenken wollen für nur geglaubte Ziele - fragen wir uns oft genug, ob solche Täter es aus Überzeugung oder aus Verzweiflung tun, in ihrer Einbahnstraße, aus der wir ein Entkommen verhindern?

Habe kein Verständnis für Selbstmordattentäter, außer ich denke etwa an den Fall Gersdorff - denke ich an die  Millionen tote Muslime in Afghanistan, dem Irak und Syrien, verstehe ich aber ihre Verzweilung, ob der eigenen Unfähigkeit, sich zu verteidigen und zu wehren gegen den Westen, ihre Familien zu schützen - was soll ich ihnen vernünftigerweise raten, wenn sie meinen, lange genug Opfer gewesen zu sein, dass die Welt nicht dem Westen gehört und warum unsere Drohnen legitimer sein als ihre Bomben und warum westliches Bombardement humaner sei als islamistische Attentate?

Was motiviert Menschen überhaupt andere zu töten?

Gibt es eine taugliche Legitimation dafür und ist, wer es für die Freiheit tut mehr wert als derjenige, der es für seinen Gott tut?

Auch am 23. März nur eben 1819 ermordete der Burschenschaftler Karl Ludwig Sand in Mannheim den Autor und russischen Generalkonsul August von Kotzebue, weil er ihn als Feind der Einheit Deutschlands in Freiheit ansah. Diese Tat diente Monate später als Anlass für die Karlsbader Beschlüsse zur Bekämpfung liberaler und nationaler Ideen in Deutschland.

Sand kam aus einer gut situierten und gebildeten Familie, die in Coburg zu den Honoratioren zählte, gute Verhältnisse also. Er war das jüngste von acht Kindern und galt als langsam aber fleißig. Seine Kindheit war geprägt von preußischem Patriotismus, aufgeklärtem Protestantismus und der französischen Besetzung nach den Koalitionskriegen. Der aufgeklärte Protestantismus seiner Eltern bejahte die Rechtfertigung einer Tat allein durch das Gewissen. Geprägt hat ihn die Lektüre des Deutschen Volkstums von Turnvater Jahn. Im Studium wurde er zunächst Corps Student und nach einem kurzen freiwilligen Militäreinsatz nach Napoleons Rückkehr von Elba, der ohne Feindberührung eher theoretisch blieb, kehrte er nach Erlangen zurüc, wo er eine Burschenschaft nach seinen Vorstellungen aufbaute. Professoren wie Freunde lobten ihn als sehr sozialen und engagierten, wenn auch geistig etwas beschränkten Menschen.

Eine psychische Krise soll bei ihm das Ertrinken eines nahen Freundes vor seinen Augen ausgelöst haben - war da nicht auch was bei seinem quasi früheren Dienstherren Luther mit dem Blitzschlag?

Noch 1817 nahm Sand am Wartburgfest teil, bei dem er mitorganisierte und eigene Flugblätter verteilte zur Gründung einer allgemeinen und freien Burschenschaft, dabei unterstützte er auch die dortige Bücherverbrennung unter anderem der Werke Kotzebues, dem nach einem herablassenden Bericht über die patriotische Zeitschrift Nemesis unterstellt wurde als russischer Spion gegen Deutschland gearbeitet zu haben.

Nach dem brenzligen Wartburgfest wechselte er nach Jena, wo er zu den Gründern der Urburschenschaft gehörte, wo er sich auch sehr engagierte. Mit Heinrich von Gargern, dem späteren Präsidenten des Paulskirchenparlaments, und anderen, gründete er einen Wissenschaftlichen Verein innerhalb der Burschenschaft. Er wurde auch Anänger der”Unbedingten” eines Flügels in der Burschenschaft, die auch den politischen Mord zur Erreichung der Ziele nicht ausschloß. Nebenbei focht er noch wohl sehr erfolgreich 25 Mensuren. Ein Flugblatt Sands vom Oktober 1918, das zum Handeln für Einheit und Freiheit der Nation aufforderte, fand keinerlei Echo. Im späteren Herbst fuhr er noch von Jena nach Berlin, suchte den Turnvater Jahn auf und verteilte sein Flugblatt unter den Studenten.

Die Ermordung Kotzebues hatte Sand schon im Mai 1818 beschlossen, da er ihn einen Volksverführer und Landesverräter nannte, ihn als Feind der Burschenschaft und ihres Ringens um Freiheit und Einheit sah. Vor seinem Attentat trat Sand formal aus der Burschenschaft auf und fuhr über die Wartburg nach Mannheim. Dort schrieb er ins Gästebuch ein Körner Zitat, was einem heutigen Facebook Eintrag oder einem Tweet vergleichbar ist:

“Drück dir den Speer ins treue Herz hinein! Der Freiheit eine Gasse!”

Beim zweiten Versuch am Nachmittag des 23. März wurde Sand sofort zu Kotzebue vorgelassen und stieß Kotzebue seinen Dolch mit den Worten ins Herz, hier du Verräter des Vaterlandes! Daran starb Kotzebue innerhalb weniger Minuten vor den Augen seines vierjährigen Sohnes, der Zeuge der Tat wurde, was wiederum Sand so verunsicherte, dass er sich, statt zu fliehen, einen zweiten Dolch in die Brust stieß, um dann dem Diener an der Tür eine vorbereitete Schrift zu übergeben.

Auf der Straße versetzte er sich einen weiteren Dolchstoß und verlor das Bewusstsein. Er überlebte jedoch den Suizidversuch, wurde ins Krankenhaus gebracht und dort gerettet. Infolge seiner Verletzung genoß er privilegierte Haftbedingungen wie eine ruhige Zelle mit zwei Fenstern.

Im Prozeß verzichtete er auf ein Gnadengesuch, stand zu seiner Tat und stellte sie als eine Art Tyrannenmord da, wurde darum am Ende zum Tod durch das Schwert verurteilt und hingerichtet. Die Hinrichtung wurde zu einem Volksauflauf und dem vermeintlichen Helden zugejubelt, sein Tod laut beweint, Locken und Tücher in sein Blut getaucht und der Henker baute aus dem Holz des Richtpultes eine Hütte für die Geheime Burschenschaft in Heidelberg, die irgendwann abgerissen werden musste, weil zuviele Antiqitätenjäger Stücke davon zu ergattern versuchten. Splitter des Holzes werden von Burschenschaften bis heute aufbewahrt.

Die Tat und ein Streikversuch der Göttinger Studenten löste eine breite Debatte über die Disziplin der Studenten aus, die schließlich unter Metternichs Führung zu den Karlsbader Beschlüssen führten,in deren Folge alle liberalen und nationalen Bewegungen wie die Burschenschaften verboten wurden. Es begann eine Demagogenverfolgung, die zu einer Kriminalisierung weiter Teile des liberalen Bürgertums führte.

Die Tat war das erste politisch ideologisch motivierte Attentat in Deutschland und der Attentäter wurde teilweise bis in die Gegenwart glorifiziert, nach der Einebnung des Friedhofs, auf dem er zuerst beerdigt wurde, bekam Sand 1865 ein Ehrengrab auf dem Mannheimer Hauptfriedhof und so wurde ein eigentlich Terrorist zu einer politisch zumindest umstrittenen Gestalt mit zahlreichen Anhängern, die durch die Repressionen infolge der Karlsbader Beschlüsse nur weiter wuchs.

Die Täter von Brüssel wie von Paris wurden in Kreisen des IS als Helden bejubelt, in der arabischen Welt schlug ihnen vielerorts Zustimmung entgegen. Was für uns unmoralische, feige Mörder und Terroristen sind, gilt dort als Helden auf dem Weg ins Paradies. Sind darum alle, die einem politischen Mord zustimmen Verbrecher, potentielle Terroristen, die verfolgt gehören und mit Drohnen gejagt werden müssen?

Warum sind wir davon überzeugt, dass eine Tat besser als die andere ist, nur weil der eine sich auf die Nation und der andere auf Gott beruft?

Ist der Freiheitskampf eines Burschenschaftlers, der auch Bücher verbrannte, ethisch höherwertiger als die Tat eines religiösen Terroristen?

Ist wer einen anderen aus politischen Gründen umbringt nicht immer ein Terrorist?

Warum ist der Tod von Zivilisten in Syrien durch westliche Bomben ein Kollateralschaden aber der Tod von europäischen Bürgern ein feiges Verbrechen?

Warum ist es dort bedauerliche Folge nur im Krieg, hier aber unmoralischer Terrorismus?

Worauf stützen wir unsere moralischen Urteile, die unser Töten für legitim hält, deren aber für kriminell?

Können wir mit unseren wenigen Opfern gegen die Millionen toten Muslime laut werden, die Vergeltung rufen lassen?

Geht es im Tod, der alles beendet, noch um Gerechtigkeit?

Wird es je besser, solange Mörder Helden sind?

Wäre ich sicher, fragte ich nicht. Moralische Urteile sind oft relativ und dem Geschmack der Zeit unterworfen. Was in einer Epoche zur Hinrichtung genügte auch hier, würde heute nicht mal mehr strafrechtlich belangt.

Könnte es am Ende wichtiger sein, sich zu fragen, was es für Frieden braucht, als welcher Mord gerecht ist?

Was ist etwas wert im Leben und was wäre den Tod wert, wieviel bliebe noch davon ohne Freiheit und worauf stützen wir unser Urteil?
jens tuengerthal 23.3.2016

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