Ermächtigungsverkündigung
Wie nebenbei und fast legal kann ein Staat ins Unrecht rutschen, das dann erst später so genannt wird?
Ist die Übertretung des Rechts und die Auflösung seiner Grenzen stets der Einbruch des Totalitären?
Braucht Freiheit Grenzen und einen rechtlichen Rahmen oder ähnelt die grenzenlose Freiheit dem Totalitären schnell?
Am 24. März 1933 trat mit seiner Verkündung das am Vortag beschlossene Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, das sogenannte Ermächtigungsgesetz in Kraft, mit dem die Nationalsozialisten ihre Herrschaft bis zum Ende rechtfertigten. Damit durften von der Reichsregierung beschlossene Gesetze von der Reichsverfassung abweichen, womit diese im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung de facto außer Kraft gesetzt wurden.
Schon in den 20ern war mit den Stresemannschen und Marxschen Ermächtigungsgesetzen gefährliche Vorbilder für den Verfassungsbruch geschaffen worden. Darum strebte auch Adolf Hitler, als er zu Beginn des Jahres 1933 seine Macht zu festigen suchte, gezielt zu einem solchen Ermächtigungsgeset. Jedoch unterschied sich sein Gesetz in entscheidenden Punkten von dem marxschen von 1923.
Hitlers Regierung konnte nach dem Ermächtigungsgesetz nicht nur Verordnungen sondern auch Gesetze und Verträge mit dem Ausland beschließen, die von der Verfassung abweichen durften. Die thematisch nicht beschränkte Regelung sollte vier Jahre gültig sein und konnte weder von Reichstagsausschüssen noch vom Reichsrat kontrolliert werden.
Dabei regierte die NSDAP gemeinsam mit der DNVP mit absoluter Mehrheit und Hitler beabsichtigte so den Reichstag faktisch auszuschalten, wozu zuerst die Geschäftsordnung geändert wurde, damit auch nach Inhaftierung nahezu aller kommunistischen Abgeordneten, dem Anwesenheitserfordernis genüge getan wurde. Mit dieser neuen Geschäftsordnung wurde dann unter verbotener Anwesenheit bewaffneter SA und SS Angehöriger mit der geänderten Geschäftsordnung das Ermächtgungsgesetz wirksam beschlossen. Es stimmten bis auf die SPD alle Parteien dem neuen Gesetz zu und der Gegenstimmen der SPD wegen war die Zustimmung des Zentrums ausschlaggebend.
Der Wortlaut des Gesetzes lautete:
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, dass die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind:
Art. 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze.
Art. 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
Art. 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. […]
Art. 4. Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erlässt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
Art. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
Damit konnten Verfassung und Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. Die Reichsregierung als Leitung der Exekutive bekam plötzlich legislative Macht und durch den Verweis auf Artikel 85 und 87 war die Reichsregierung auch für Fragen des Haushalts nicht mehr an den Reichstag gebunden. Das Gesetz sollte vier Jahre bis 1937 gelten, was Hilters Ankündung erfüllte, “gebt mir vier Jahre Zeit und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen”.
Die Sitzung des Reichstags zum Beschluss des Gesetzes fand, da dieser ja just abgebrannt worden war, in der Krolloper statt. SS Truppen bewachten das Gebäude und hinter dem Präsidium, dem Publikum zugewandt, hing eine riesige Hakenkreuzfahne. Nach der Begrüßung durch Göring sprach Hitler und begründete die Notwendigkeit des Ermächtigungsgesetzes als Bedingung für die Wirksamkeit der nationalen Erhebung, beschwichtige danach, dass dies Gesetz keine der Institutionen der Verfassung in ihrem Bestand angriffe und fordete die Abgeordneten auf selbst zwischen Krieg und Frieden zu wählen.
In seiner Rede, welche die Ablehnung der SPD begründete und die letzte freie Reichstagsrede wohl war, erklärte Otto Wels, “Freiheit und Leben, kann man uns nehmen, die Ehre nicht!”
Darauf betrat noch einmal Hitler hasserfüllt die Bühne und sprach den Sozialdemokraten ab, über nationale Ehre sprechen zu dürfen, Deutschland solle ohne sie befreit werden, es bräuchte ihrer Zustimmung nicht, die wahren Vertreter der nationalen Arbeiter seien sie von der NSDAP.
Die Liberalen aus der Deutschen Staatspartei unter ihnen der spätere Bundespräsident Theodor Heuß stimmten trotz Bedenken und anfänglich kontroverser Diskussion dem Gesetz zu, da sie sich den großen nationalen Zielen der Reichsregierung verbunden fühlten.
Die notwendige Zustimmung einer ⅔ Mehrheit zur verfasungsändernden Wirkung des Gesetzes kam durch die geänderte Geschäftsordnung zustande, dergemäß unentschuldigt abwesende Abgeordnete als anwesend galten und durch die bereits verhafteten 81 Abgeordneten der Kommunisten sowie 26 geflohene oder inhaftierte Sozialdemokraten wurde auch gegen 109 Stimmen der SPD die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht.
Infolge wurde nicht nur die Presse zensiert sondern auch das erste KZ in Dachau bei München errichtet. Große Teile der Beamtenschaft wurden entlassen, so alle Beamten mit mindestens einem jüdischen Großelernteil sowie alle Regimegegner. Das Gewerkschaftseigentum wurde vollständig beschlagnahmt nach dem 1. Mai 1933 und die Gewerkschaftsfüher verhaftet. Zwischen Mai und Juni wurden alle politischen Parteien außer der DNVP verboten. Zuvor wurden bereits alle auch kommmunalen Gliederungen politisch gleichgeschaltet und die föderale Struktur durch einen Zentralstaat ersetzt.
Die vollständige Gleichschaltung Deutschlands, das sich in einen Führerstaat verwandelte erfolgte auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes, das zunächst 1937 und 1941 für jeweil vier weitere Jahre für gültig erklärt wurde, bis es Hitler 1943 per Führererlaß für unbefristet also ewig gültig erklärte.
Aus der leichten, formal legalen Machtergreifung der Nazis hat das Grundgesetz gelernt und zentrale Punkte der Verfassung mit einer Ewigkeitsgarantie verbunden. Auch darf die Verfassung nur im Wortlaut geändert werden, nicht durch einfache Gesetze. Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung sind wie die Menschenwürde auf ewig unveränderlich, was bezüglich der Absichten der gerade erstarkenden Rechtsradikalen um die AfD zumindest formal beruhigt, ihrem Geschwätz würde schon durch die Verfassung eine Grenze gesetzt.
Wenig beruhigend ist jedoch, wie schnell und quasi formal völlig legitim sich ein Rechtsstaat mit Verfassung und Demokratie durch ein Gesetz nebenbei selbst abschaffte. Gemessen daran waren auch die folgenden rassistischen Nürberger Gesetze oder das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums rechtmäßig zustande gekommen. Täter im NS-Staat handelten meist rechtmäßig, ihre Bestrafung erforderte oft den Rückgriff auf rechtsstaatlich sehr gewagte Konstruktionen wie die radbruchsche Formel, die sich auf eine höhere, allen Menschen einsichtige Moral bezieht, was für formales Handeln des Staates fast so fragwürdig ist, wie eben jenes offene Ermächtigungsgesetz.
Was derzeit in Polen und Ungarn als nationale Bewegung mitten im EU-Europa geschieht, gleicht dem in vielem. Die Gleichschaltung der Medien in der Türkei erfolgt aus ähnlichen Gründen und voll Schrecken denke ich daran, was wohl passiert, wenn die Regierungen in Europa nach weiteren Anschlägen neue Sicherheitsmaßnahmen beschließen, die staatliche Kontrolle immer weiter ins private ausdehnen. Wieviele werden wohl jubeln, wenn sie gefragt würden, wollt ihr den totalen Krieg gegen den Terror?
Die Kontrollmacht der NSA gleicht der eines totalitären Regime. Wie der Untergang der Weimarer Republik nach dem Ermächtigungsgesetz zeigte, wählten viele politische Schafe ihre Metzger noch selbst. Wohin sich Europa vor der Angst im Krieg gegen den Terror, der keine Sieger kennt, sondern nur Verlierer überall, flüchtet, wissen wir nicht, denn das trügerische Versprechen der Sicherheit lässt manche bereitwillig die Grundlagen des freien Rechtsstaates opfern, den sie noch nicht verstanden haben.
Auch heute gibt es in der Bundesrepublik begrenzte Ermächtigungsgesetze für Notfälle, aber, wie unsere polnischen und ungarischen Nachbarn nun zu spüren bekommen, ist politische Freiheit ein sehr zartes Pflänzchen, das schnell vor dem Druck totalitärer Macht zurückweicht.
Was ein Staat noch wert ist, der unfrei wird und warum wir ihn anerkennen sollten, statt uns für frei zu erklären, ist eine Frage, die sich viele, die sich immer nur als hineingeboren sehen, nie stellen. Vielleicht könnte sie das entscheidende Kriterium werden, Menschen zum Nachdenken zu bringen, die sich bisher nur als Mitläufer profilierten, um ihre Verantwortung als Teil des Ganzen zu erkennen. Demokratie braucht Engagement und Diskurs in der Gesellschaft. Stellen wir uns dieser Aufgabe aktiv, verringert es die stete Gefahr einer neuen Ermächtigung durch totlitäre Idioten, die das Land in den letzten Untergang führte, warum es so wichtig ist, auf Propaganda so aufmerksam zu achten, wie auf die Tendenz den Rechtsstaat als Garant der Freiheit infrage zu stellen, auch wenn dies eigentlich eine contra dictio ist von Beginn an, mahnt der Blick in die Geschichte des Ermächtigungsgesetzes, wie wichtig es ist auch auf Fromalien zu achten, um Totalitarismus dort zu bremsen, wo er unbemerkt einbricht zum Schaden der Freiheit.
jens tuengerthal 24.3.2016
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen