Montag, 21. März 2016

Kulturgeschichten 0164

Selbstmordattentatsversuchung

Während wir gerade den nur beinahe Selbstmordattentäter fingen, der sein Leben doch nicht für den IS opferte und sich nun als Opfer sieht, ist es gerade heute Zeit, sich an ein gescheitertes Selbstmordattentat eines Deutschen zu erinnern.

Am 23. März 1943 wollte Rudolf-Christoph von Gersdorff mit zwei britischen Splitterminen die Führungselite des NS-Staates mit sich in den Tod zu reißen. Er trug, anläßlich des Besuchs von Hitler, Göring, Himmler, Keitel und Dönitz zum Heldengedenktag im Zeughaus, die mit Säurezünder bereits aktivierten Minen in der Manteltasche. Er sollte als Offizier des Generalstabs den Besuchern die Ausstellung von russischen Beutewaffen erläutern und wollte nach dem gescheiterten Attentat von Henning von Tresckow und Fabian von Schlabrendorff zwei Tage zuvor, bei dem Hitler durch eine in ein Flugzeug geschmuggelte Bombe getötet werden sollte, durch sein Opfer den sinnlosen Krieg beenden und den Massenmörder mit seiner Führungsclique beseitigen.

Die aktivierten Minen sollten nach zehn Minuten explodieren. Hitler hetzte jedoch in zwei Minuten durch die gesamte Ausstellung und verließ sodann wieder das Gebäude. Gersdorff hatte gerade noch Zeit den Zünder auf einer Toillette unbemerkt wieder zu entschärfen.

1944 verwahrte Gersdorff Zünder und Sprengstoff für das Attentat vom 20.  Juli, die  Wessel  Freytag von Loringhoven zuvor unbemerkt aus den Beständen der Abwehr besorgt hatte. Die Verschwiegenheit seiner inhaftierten Offizierskollegen trotz Folter rettete ihn vor der Verhaftung und er überlebte als am Ende Generstabschef der 7. Armee, die er erfolgreich aus dem Kessel von Fallaise befreit hatte, wofür er noch im August 1944 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes erhielt.

Rudolf-Christoph war als Sohn eines preußischen Rittmeisters schon quasi in die Armee hineingeboren worden. Er war nach dem Tod seiner ersten Frau, mit der er eine Tochter hatte, noch ein zweites mal mit einer Nachfahrin des Prinzen August von Preußen verheiratet.

Gersdorff war 1923 als Offiziersanwärter in die Reichswehr eingetreten. Er erhielt seine militärische Grundausbildung in Breslau, wo seine Vorfahren seit Generationen im 1. Schlesischen Leibkürassierregiment “Großer Kurfürst” gedient hatten. Bereits 1926 wurde er Leutnant und 1938 zum Rittmeister befördert. Von 1938 bis 1939 war er an der Kriegsakademie in Berlin um dort die Ausbildung zum Generalstabsoffizier zu erhalten.

Bei Beginn des Polenfeldzuges war Gersdorff Dritter Generalstabsoffizier der 14. Armee, mit der er, dann in 12. Armee umbenannt, nach Abschluß des Feldzuges an die Westgrenze verlegt wurde. Nach einer kurzen Zwischenstation beim XII. Armeekorps, wurde er zum Oberkommando des Heeres abkommandiert, wo er als Ia die Führungsabteilung der 86. Infantriedivision leitete, die als Teil der 12. Armee den Vorstoß in den Ardennen führte.

Im Rahmen des Unternehmens Barbarossa, dem Rußlandfeldzug Hitlers, wurde er zur Heeresgruppe Mitte versetzt. Dort leitete er als Ic die militärische Aufklärung als Verbindungsoffizier der Abwehr. Ziel dieser Versetzung war gewesen, ihm Zugang zu dem Verschwörerkreis um Henning von Tresckow zu ermöglichen.

Bis April  1943 entdeckten Gersdorff unterstellte Soldaten der Wehrmacht die Massengräber von 4000 polnischen Offizieren, Fähnrichen und Beamten, die Einheiten des russischen NKWD 1940 nahe dem russischen Dorf Katyn ermordet hatten. Er war dabei für die Exhumminierungen zuständig und leitete auf Anweisung von Goebbels die Besichtigungsreisen ausländischer Beobachter. Dazu gehörten eine internationale Ärztekommission, Journalisten und Schriftsteller sowie gefangene polnische, englische und amerikanische Offiziere.

Nach dem Krieg in amerikanischer Kriegsgefangenschaft hatte Gersdorff eine privilegierte Position, weil er amerikanischen Historikern beim Verfassen einer Historie des 2. Weltkrieges zur Hand gehen durfte und dabei mit seinen genauen Kenntnissen von Generalstab und Widerstand sehr hilfreich war.

Im Rahmen der Nürnberger Prozesse, bei denen Fabian von Schlabrendorff Berater der amerikanischen Delegation war empfahl er Gersdorff als Zeugen für den von sowjetischer Seite vorgebrachten Anklagepunkt Katyn. Dieser verfasste einen genauen Bericht über seine Erkenntnisse von 1943. Doch kam dieser Bericht weder in den Nürnberger Prozessen zur Sprache noch wurde Gersdorff als Zeuge geladen. Der Bericht wurde sogar völlig verschwiegen und erst 2012 im amerikanischen Nationalarchiv wieder entdeckt. Eine amerikanische Untersuchungskommission zum Massaker von Katyn befragte ihn 1952 dazu.

Sein Plan zum Eintritt in die Bundeswehr nach dem Beschluss zur Wiederbewaffnung scheiterte jedoch, wofür er Staatssekretär Hans Globke und Kreise ehemaliger Offiziere in seiner Biografie verantwortlich machte, die keinen “Verräter” in ihren Reihen wünschten, was den Blick  auf die Rekrutierung der frühen Offiziere sehr kritisch sehen lässt.

Nach einem schweren Reitunfall ab 1967 querschittsgelähmt kümmerte sich Gersdorff um ehrenamtliche Tätigkeiten im Johanniterorden, deren Ehrenkommandanteur er war und gründete die Johanniter-Unfall-Hilfe, deren Gründungspräsident und langjähriger Vorstandsvorsitzender er wurde. Für seine außerordentlichen Verdienste wurde ihm 1979 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen und später wurde nach ihm noch die Generalmajor Freiherr von Gersdorff Kaserne in Euskirchen benannt.

Die Bereitschaft sein Leben zu opfern, um andere zu retten, unterscheidet Gersdorff entscheidend von islamistischen Selbstmordattentätern, gemeinsam haben sie, dass sie bereit sind andere zu töten, um eines höheren Zieles wegen, auch wenn im Fall des militärischen Widerstandes davon ausgegangen werden kann, dass sie damit mehr Leben retten als beeinträchtigen wollten, der Tyrannenmord mag verständlich sein und in einem höheren Sinne gerechtfertigt, bleibt doch die Tat eines Menschen, der seine Ziele über das Leben anderer Menschen stellte, immer auch den Tod Unschuldiger riskiert.

Die Unschuldigen sind ein gutes Stichwort dazu, gibt es überhaupt schuldige Tote, kann einer, etwas verschulden, was den Tod rechtfertigte?

Nach dem Recht der Bundesrepublik gibt es keine Todesstrafe mehr und die Tötung eines anderen kann, außer durch Notwehr nicht gerechtfertigt werden. Das ist gut so und wichtig in diesem Zusammenhang festzustellen, auch eine Lehre aus der NS-Diktatur, in der staatlicher Mord industrialisiert, Tötungsfabriken betrieben wurden, um Menschengruppen nach kruden rassischen Vorstellungen zu vernichten.

Ändert dies etwas an der Betrachtung und Bewertung des Mutes eines Gersdorff?

Wissend, wieviele in den letzten beiden Kriegsjahren noch getötet wurden, war die Tat nur gerechtfertigt, wenn Leben gegen Leben abgewogen werden könnte. Da dies aber nicht möglich ist, muss jede Tötung für sich betrachtet werden bei der Frage, ob dies gerechtfertigt werden könnte.

Eine rechtfertigende Begründung zur Tötung könnte aus dem Kriegszustand resultieren, in dem getötet wurde und in dem eine andere Rettung nicht in Sicht war. Doch auch hier gilt, Leben kann nicht gegen Leben abgewogen werden und nicht ein Leben ist mehr wert, oder verdiente, vernichtet zu werden - warum auch die Drohneneinsätze der Amerikaner gegen Islamisten nach deutschem Recht eine Form des Totschlags oder Mordes wäre, würden wir sie nicht nach fragwürdigem Kriegsrecht beurteilen.

Aber auch nach Kriegsrecht ist der Tyrannenmord nicht gerechtfertigt. Er kann nur alternativlos sein, um eine unerträgliche Situation mit Massenmorden und Terror zu beenden.

Es gibt die Radbruchsche Formel, nach der die NS-Täter bestraft werden konnten, wie die Mauerschützen ohne gegen den nulla poena Grundsatz zu verstoßen, der besagt dass keiner bestraft werden kann, wenn die Tat nicht zum Zeitpunkt der Begehung unter Strafe gestellt wurde. Die NS-Täter und die Mauerschützen, die auf Flüchtende schossen, handelten teilweise geltendem Recht entsprechend, waren also gerechtfertigt, betrachten wir nur das Gesetz und da sagte eben Radbruch, ein Strafrechtslehrer aus Heidelberg, dass eine Tat, die so offensichtlich gegen alles Natur-  und Menschenrecht verstößt, dass der Täter hätte erkennen müssen, dass, was er tat, Unrecht war, er auch bestraft werden kann, wenn diese Tat staatlich legitimiert war.

Eine heikle Annahme, die das Naturrecht über alles stellt und versucht eine Strafe zu legitimieren, die keine Legitimation haben kann, ohne dem Prinzip, das Strafe überhaupt begründet, zu widersprechen.

So fragt sich, ob es der Rechtfertigung überhaupt bedarf oder wir nicht einfach klar sagen können, bestimmtes Tun, ist nicht zu rechtfertigen, kann aber dennoch geboten erscheinen, wir aber in diesem Fall eben rechtlich nicht beurteilen können, was es damit auf sich hat, weil es nicht ins System passt.

Die gewollte Tat des beinahe Selbstmodattentäters Gersdorff ist verständlich, moralisch sogar vermutlich gut, betrachten wir die Verbrechen der Nazis aus heutiger Sicht, gerechtfertigt ist sie trotzdem nicht. Vielleicht erkennen wir damit die logischen moralischen Grenzen des Rechts überhaupt oder denken darüber nach, ob wir mehr Moral im Staat wollen oder lieber weniger Staat und mehr außerrechtliches moralisches Handeln.

Weiß nicht, wie ich eine Tötung je rechtfertigen sollte, allein den Tyrannen nicht töten zu wollen, wäre in dieser Situation auch keine Lösung, warum es klug sein könnte, jenseits allen Rechts, nach Antworten zu suchen und dessen fragwürdige Gültigkeit im Sinne einer Gerechtigkeit, die Radbruch über eine verlogene Krücke  einführte, einfach hinzunehmen.

Es ist nicht alles rechtlich regelbar und so kann nicht alles legitim im Sinne der Gerechtigkeit sein, die ohnehin ein außerrechtliches Ding ist, das viel im Aberglauben wurzelt, keine rechtliche Form haben kann. Vielleicht wäre es darum klüger, nicht alles regeln zu wollen und die Helden des Widerstandes als solche anzuerkennen, auch wenn sie einen Mord begehen wollten, der nur rechtlich sehr gewagt, legal sein kann. Sie haben ihr Leben riskieren wollen, um andere Leben zu retten, das Unrecht des Staates zu beenden, damit brauchen sie keine formale Legitimation.

Frage mich nur, was die Grenze sein soll, solches Handeln für gut zu halten und ob es die geben kann?

Warum sind wir uns sicher, dass der Islamist, der aus tiefsten Glauben handelt, böse ist, während der Selbstmordattentäter Gersdorff für uns fraglos gut handelte?

Welches könnte ein allgemeiner Maßstab se

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