Montag, 21. März 2016

Kulturgeschichten 0163

Lotsenabschied

“Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“
Theodor Fontane

Wie wichtig und entscheidend ist die politische Führung für den Kurs eines Staates oder einer Staatengemeinschaft?

Kommt es auf an, was einzelne Politiker tun oder nicht?

Am 20. März 1890, pünktlich zum Frühlingsanfang und zum Äquinoktium, der Tag- und Nachtgleiche, entließ Kaiser Wilhelm II. dem Antrag des Fürsten folgend, Otto von Bismarck als Reichskanzler.

Der junge, nicht unumstrittene Kaiser war zu diesem Zeitpunkt keine zwei Jahre im Amt und es war schon wiederholt zu Reibereien in Fragen der Kompetenz gekommen. Bismarck war mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1873 seit 1862 preußischer Ministerpräsident gewesen, also fast 30 Jahre im Amt, hatte dem Vater wie dem Großvater des Kaisers noch gedient.

Er war irgendwann nach 1848 als Vertreter der Junker noch in den Kreisen um Friedrich Wilhelm IV. aufgetaucht. Seine Positionen passten sich den vertretenen Interessen flexibel an.  Im preußischen Verfassungskonflikt stellte er sich gegen die Liberalen und für ein Primat der Monarchie, im deutsch-dänischen Krieg, setzte er die Vorherrschaft Preußens in Deutschland erstmals durch vor allem gegen Österreich und nach dem deutsch-französischen Krieg, warb er für eine kleindeutsche Lösung ohne Österreich und damit für die Gründung des Deutschen Reiches, das noch bis 1918 bestand und unter preußischer Führung stand, auch wenn es prinzipiell ein gleichberechtigter Bundesstaat war.

Bis zu seiner Entlassung bestimmte Bismarck die preußische Politik entscheidend mit und formte das nach 1871 gegründete Deutsche Reich erst zu dem, was es nach seiner Abdankung noch 28 Jahre blieb. Der Spitzname Eiserner Kanzler, den er im Volksmund trug, drückt seine kontinuierliche Kraft und Bedeutung in der Gestaltung aus.

Seine Politik lässt sich grob in zwei Phasen einteilen, zunächst suchte er das Bündnis mit und die Nähe zu den Liberalen. In dieser Phase wurde die Zivilehe eingeführt und der Kulturkampf gegen die katholische Kirche, die vor allem im neuen Rheinland mächtig war, führte zu teils drastischen Maßnahmen. Ab den späten 1870er Jahren aber wandte er sich immer mehr von den Liberalen ab, führte Schutzzölle und andere staatsinterventionistische Maßnahmen ein, wozu die Sozialversicherung gehörte aber auch das repressive Sozialistengesetz auf der anderen Seite.

Er machte sich mit seinen Zwischenrufen von seinem Altersruhesitz Friedrichsruh nahe Hamburg aus zum Mahner des Reichs, der es seinen Nachfolgern immer wieder schwer machte Akzeptanz zu finden. Mit seinen viel gelesenen Memoiren Gedanken und Erinnerungen wirkte er selbst maßgeblich an seinen Bild in der Öffentlichkeit mit und beeinflusste die Politik durch seine Erinnerungen.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominierte in der Geschichtsschreibung eine sehr positive Sicht auf Bismarck und sein Werk. Dabei kam es, dem Zeitgeist entsprechend zu einer nationalistischen Idealisierung des Reichsgründers, auf den sich auch Hitler wieder berief. Nach dem 2. Weltkrieg begann eine etwas kritischere Betrachtung, die ihn für das Scheitern der Demokratie nach dem Kaiserreich mitverantwortlich machte und das von ihm geschaffene Reich wurde als obrigkeitsstaatliche Fehlkonstruktion bezeichnet. Heute wurde dieser scharfe Gegensatz teilweise überwunden und es werden beide Seiten berücksichtigt, so dass er als in die zeitgenössischen politischen Strukturen eingebettet betrachtet wird.

Über die Entwicklung des Menschen Bismarck zum wichtigen Politiker Europas, der Deutschland und seinen Sozialstaat bis heute formte, ließe sich viel erzählen, vom Göttinger Studenten, der ein lockeres Leben führte, der aus dem Referendardienst flog, Frauengeschichten hatte und Spielschulden, bis er nach dem Tod der Mutter das Gut in Pommern übernahm, bald zum Landrat gewählt wurde und dabei wie schon als Student konservative Positionen vertrat. So war er überzeugter Corpsstudent und grenzte sich von den aus seiner Sicht schlecht erzogenen Burschenschaftlern ab, die keine Satisfaktion boten und deren nationalistische Ideen er entschieden ablehnte. Aber hier soll es weniger um den Menschen Bismarck als seinen Abschied gehen, der von der zeitgenössischen internationalen Presse als der Lotse geht von Bord betitelt wurde, auch wenn die Person Bismarcks und seine Entwicklung zum Verständnis seiner Politik nicht unwichtig sein könnte, war diese dann doch so wechselhaft immer wieder, dass es unsinnig wäre, ihn auf seinen biografischen Hintergrund hier reduzieren zu wollen.

Wichtig ist vielleicht, dass der vermeintlich kühle Machtpolitiker zu cholerischen Anfällen neigte, den Kaiser immer wieder erpresste und seinen Abschied androhte, sollte dieser seinem Kurs nicht folgen. Wilhelm I. sah die Reichsgründung und seine Krönung in Versailles durchaus kritisch, wusste, dass dies das Ende des alten Preußen bedeutete, überlegte noch bis kurz vorher die Krönung abzulehnen und folgte dann doch dem Pflichtgefühl. Als es noch nicht zur Wahl in den preußischen Landtag reichte und ein Ministeramt nach der Gegenrevolution im November 1848 vom König noch abgelehnt wurde, weil er als zu konservativ galt, schuf er sich mit der Kreuzzeitung ein politisches Medienorgan, das eine breite Wirkung entfaltete und scharte immer mehr gerade ostelbische, konservative Junker um sich.

Als er dann 1849 doch in den preußischen Landtag gewählt wurde, beschloss er, sich ganz der Politik zu widmen und zog mit seiner Familie nach Berlin, wurde so der erste Berufspolitker. Bismarck wurde in der Zeit der Erfurter Union zum bedeutendsten Parlamentsredner seiner Zeit obwohl der den Parlamentarismus  eigentlich ablehnte und schaffte aber erstmals den Wechsel vom rechten Scharfmacher hin zum politischen Pragmatismus, der seine spätere Arbeit prägen sollte. Danach war das einzige einem großen Staat würdige Verhalten, für seine Interessen zu kämpfen und nur um diese ging es ihm nun.

Auch ohne diplomatische Vorkenntnisse wurde das Naturtalent Bismarck schließlich zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt und begann dort überraschend eigene Positionen zu vertreten. Dabei  ging er in scharfe Konfrontation zu Wien und verhinderte letztlich Österreichs Beitritt zum deutschen Zollverein.

Von Frankfurt, wo er einflussreich tätig war, kam er nach St. Petersburg und Paris als preußischer Gesandter, wo er noch eine Affäre mit einer russischen Fürstin hatte, die seine Frau aber tolerierte - es war die Gattin des russischen Gesandten in Belgien.

Schließlich rief ihn der neue Kriegsminister von Roon dringend nach Berlin, da er plante ihn als Ministerpräsidenten einzusetzen, was den Konservativen die einzige Möglichkeit schien die vom König geplante Heeresreform, die dringend nötig war, doch noch durchzusetzen, zumal Wilhelm bereits mit seiner Abdankung gedroht hatte, falls die Reform im Parlament scheitern sollte, das nach der letzten Wahl von der Fortschrittspartei dominiert wurde, gegen die Bismarck sich durchzusetzen, dem König versprach, woraufhin dieser von der Abdankung absah, welche die konservativen Kräfte sehr fürchteten, da dann der wesentlich liberalere Friedrich III. möglicherweise ihre politischen Ziele vereiteln würde. So wurde Bismarck preußischer Ministerpräsident und Außenminister.

Daraus entwickelte sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem König und seinem Minister, der außergewöhnlich umfangreiche Vollmachten erhielt. Dabei blieb Bismarck  zwar ein Konservativer, der aber immer pragmatischer handelte, um sich Bündnisse zur Durchsetzung seiner Politik zu suchen. und die Macht im Staat zu erhalten, wofür er auch Bündnisse mit Liberalen einging.

Berühmt wurde seine Eisen und Blut Rede, nach der die großen Fragen der Zeit nicht durch Majoritätsbeschlüsse entschieden würden sondern durch Blut und Eisen, was er eigentlich als ein Kommpromissangebot an die Liberalen gemeint hatte, mit denen er das Bündnis suchte für einen Militärhaushalt, die jedoch von der liberalen Presse als ein Aufruf zur Gewaltherrschaft verstanden wurde, warum die Liberalen jede Zustimmung verweigerten und Bismarck im weiteren ohne Haushalt regierte, wofür er sodann die Lückentheorie entwickelte, nach der, wenn es keine Einigung gäbe, aber gehandelt werden müsse, derjenige handeln solle, der die Macht in den Händen hielte, da der Staat keinen Stillstand vertrüge. Da die fehlende Einigung zwischen Parlament und König nicht im Gesetz geregelt sei, bestünde eine Lücke, die zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Staates handelnd geschlossen werden müsse.

Bismarck erwog sogar, um die Liberalen zur Mitarbeit zu motivieren, ein Bündnis mit den Sozialdemokraten und führte allerdings ergebnislose Gespräche mit Ferdinand Lasalle. Bismarck stand nun scharf in der öffentlichen Kritik, die auch vom Thronfolger kam und dennoch überlebte er die Krise politisch noch. Dabei ging er im politischen Streit um die Pressefreiheit sogar soweit, den berühmten Berliner Arzt Virchow zum Duell zu fordern, was dieser aber empört ablehnte, weil dies Junkertum keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei.

Zeitweise hatte er mit dem Gedanken gespielt, einen Staatsstreich zu unternehmen, das Wahlrecht abzuschaffen, sah dann jedoch davon ab, da ihm klar war, dass er ohne Parlament keine langfristig stabile Ordnung herstellen konnte.

Stattdessen setzte er sich für die Schaffung einer Nationalvertretung ein, die aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehen sollte, um so die Nationalbewegung für sich zu  gewinnen als Bündnispartner, die direkt mit den Liberalen verknüpt waren. Das brachte ihm kurzfristig erstmal gar nichts, schuf aber eine Stimmung, aus der er später das Deutsche Reich mit breiter Zustimmung schuf. Dies Ereignis macht deutlich, wie langfristig strategisch Bismarck dachte und zeigt dabei eine gewisse Ähnlichkeit mit dem merkelschen Pragmatismus, der Europa und Deutschland mit unerwarteten Kompromissen durch die Krise führt. Entscheidender Unterschied ist jedoch, dass diese es ohne vorherige cholerische Produktion von Krisen am Rande des Nervenzusammenbruchs tut, sondern einfach im wildesten Sturm, ruhig verhandelt.

Die nächste Krise in der Bismarck als Politiker erfolgreich war, ist der deutsch-dänische Konflikt. Dort ging es um die Erbansprüche für Schleswig und Holstein, die Dänemark nach dem Tod des Königs weiter beanspruchte, die aber auch der Herzog von Augustenburg beanspruchte. Bismarck verhielt sich zunächst völkerrechtlich völlig korrekt, ließ dann aber die Verhandlungen platzen und provozierte den Krieg, in dem Preußen mit dem Deutschen Bund und Österreich gemeinsam an den Düppeler Schanzen zunächst siegreich war und nach dem nächsten Scheitern auch noch erfolgreich Jütland besetzte, womit Dänemark endgültig geschlagen war und im Wiener Friedensvertrag der Abtretung der beiden Herzogtümer zustimmen musste. Der Versuch einen Augustenburger Staat zu bilden scheiterte und Preußen und Österreich vereinbarten die Gebiete zunächst gemeinsam zu verwalten, wobei Bismarcks Strategie langfristig darauf zielte, die beiden Herzogtümer Preußen einzuverleiben. Er war ohne klare Ziele in den Konflikt gegangen und hatte situativ reagiert, um dann die sich bietende Gelegenheit zu nutzen den eigenen Machtbereich vorerst mit Österreich gemeinsam auszudehnen.

Nach dem Wiener Frieden suchte Bismarck zunächst ein Bündnis mit Österreich, um gemeinsam einen gleichberechtigten Weg in Deutschland unter konservativen Vorzeichen zu gehen. Da sich Österreich der Gleichberechtigung verweigerte, setzte er zunehmend auf eine kleindeutsche Lösung und versuchte Österreich zu provozieren. Er wollte den Krieg mit Österreich auch, um den preußischen Verfassungskonflikt zu seinen Gunsten zu bringen. Diesen provozierte er schließlich, nachdem Österreich die Entscheidung über Schleswig Holstein dem Bundestag übertragen hatte, was er für unzulässig erklärte und darum Holstein besetzen ließ, Als daraufhin der Bundestag auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres gegen Preußen beschloss, kündigte Bismarck den Bundesvertrag und begann militärische Operationen gegen die Königreiche Hannover und Sachsen sowie Kurhessen. Der Ausgang der Angelegenheit war keineswegs sicher und Bismarck verkündete vor der entscheidenden Schlacht, wenn Preußen verlieren sollte, werde er nicht zurückkehren, sondern mit der letzten Kugel fallen.

Preußen gewann aber die Schlacht bei Königgrätz durch das Zusammenwirken verschiedener günstiger Umstände. Die Nutzung der Eisenbahn und die neuen preußischen Hinterlader, die ein vielfach so schnelles Laden ermöglichten, warum die Preußen dann doch so schnell schossen und sich die kluge Strategie des preußischen Generalfeldmarschals Moltke, getrennt marschieren und vereint schlagen, als erfolgreich erwies.

Während Wilhelm und Moltke nun darauf drängten, auch Wien zu erobern, um Österreich einen harten Frieden zu diktieren, setzte sich Bismarck im Frieden von Prag für einen moderaten Frieden mit Wien ein und sich durch. Preußen bekam Schleswig und Holstein, gründete den Norddeutschen Bund ohne Österreich, das er nicht mit einem harten und diktieren Frieden Frankreich in die Arme treiben wollte.

In der Laune des Sieges, ließ sich Bismarck, der ohne rechtliche Grundlage seit 1862 regiert hatte, im nachhinein die Ausgaben vom preußischen Landtag genehmigen und beendete somit den Verfassungskonflikt, legalisierte seine bis dahin eigentlich illegale Regierung hinterher. Dies führte zu einer inneren Spaltung sowohl der Konservativen als auch der Liberalen, so dass sich Bismarck für seine künftige Politik immer auf diese beiden Gruppen stützen konnte. Ein strategischer Trick, der politisch geradezu genial war und Bismarck über alle parteilichen Fronten hob.

Nun fand eine Revolution von oben statt, die einzige, die es in Preußen geben kann, wie Bismarck schon vorher gegenüber Napoleon III. meinte. Er gab dem Norddeutschen Bund seine Verfassung, die auch seinen Namen trug und sogar demokratische Wahlen vorsah, die preußische Vorherrschaft im Bund zementierte und für ihn das Amt des Reichskanzlers zuschnitt, was ihm auch bei der zweiten Reichsgründung blieb. Bismarck kam den liberalen Forderungen dabei weit entgegen, sorgte jedoch auch klar dafür, dass aus der konstitutionellen Monarchie keine parlamentarische wurde.

Insofern der neue Norddeutsche Bund aber nicht die erhoffte Anziehungskraft entfaltete, viele süddeutsche Staaten kritisch blieben, in Wahlen die Gegner gewannen, sah Bismarck sich gezwungen einen äußeren Konflikt zur Einigung zu provozieren. Dazu diente ihm die provozierende Kandidatur eines katholischen Hohenzollern für den spanischen Thron, die dann zwar noch diplomatisch beigelegt wurde, wobei Wilhelm I. die Forderung von Napoleon III. ablehnte die Hohenzollern sollten für alle Zeiten auf diesen Anspruch verzichten, was er seinem Kanzler in der Emser Depesche mitteilte. Diese wiederum lancierte Bismarck in deutlich verschäfrtem Ton an die Presse und hatte damit den Skandal, auf den der bloßgestellte Napoleon nur noch mit der Kriegserklärung an Preußen reagieren konnte, was Bismarck den eigentlich Provokateur in ein gutes Licht stellte und zu einer großen Solidarität mit Preußen in ganz Deutschland führte. Auch die Süddeutschen Staaten erklärten sich solidarisch und hielten den Bündnisfall für gegeben.

Der Krieg war nach der Schlacht von Sedan schnell geschlagen durch die Gefangennahme Napoleons III. - die dann noch erstrebte Eroberung von Paris, um durch den Beschuss der Hauptstadt auch die Abtretung des Elsaß und Lothringens zu erzwingen, Frankreich zu erniedrigen, machte den Krieg zum Volkskrieg und verlängerte ihn damit zusätzlich, was nichts am siegreichen Ende änderte, aber die spätere Erbfeindschaft einbrachte, die in den Schützengräben von Verdun Hunderttausende freiwillig fürs Vaterland in den Tod rennen ließ.

Die zusätzliche Erniedrigung in Versailles Spiegelsaal den neuen Kaiser zu krönen, der es gar nicht sein wollte, sondern vom designierten Reichskanzler dazu gedrängt werden musste, der auch für Bayerns Ludwig II. den Kaiserbrief geschrieben hatte, in dem Ludwig Wilhelm als gemeinsamen deutschen Kaiser vorschlug, würde ihm im Westen noch lange Kopfzerbrechen bereiten und er wäre die Krondomänen Elsass und Lothringen irgendwann gerne wieder los geworden, nachdem sich die politische Situation stabilisierte.

Seine weitere Regierungszeit war ein ständiger Kampf zwischen Erpressung, Taktik  und Rücktrittsdrohung und der stark übergewichtige Bismarck kam immer häufiger auch an seine physischen Grenzen, wie er hörbar jammerte. Im Kulturkampf richtete er sich gegen den politisch organisierten Katholizismus in Gestalt seines Lieblingsfeindes Windhorst. Über eigene Vereinbarungen mit Rom versuchte er, dem politischen Katholizismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Ergebnis brachte die Auseinandersetzung Deutschland die Zivilehe und die staatlichen, bekenntnisfreien Schulen.

Die Auseinandersetzung mit den immer stärker werden Sozialdemokraten führte neben den autoritären Sozialistengesetzen auch zur Einführung einer vorbildlichen Sozialgesetzgebung, mit der sich Bismarck an die Spitze der Bewegung setzte, die er eigentlich bekämpfte.

Auch außenpolitisch setzte er sich immer wieder mit seiner Methode zwischen Provokation und Zugeständnissen durch, der schon bekannten Revolution von oben, die zugleich eine Politik mit sehr viel persönlichen Einsatz bedeutete, in der alles am unentbehrlichen Reichskanzler und Außenminister hing,  in dessen Händen alle Fäden zusammenliefen. Solche Stärke macht Gegner und bleibt nie ohne Widerspruch. Obwohl Bismarck mit Geschick und bekannter Intriganz alles tat, seine Gegner auszuschalten, mehrten sich Ende der 1880er Jahre die Anzeichen, dass die Ära Bismarck zu Ende ginge.

Die vom Geist des Imperialismus geprägte Öffentlichkeit wollte eine Abkehr von Bismarcks bewahrender, vorsichtiger Diplomatie,  um eine dynamisch, risikobereite Außenpolitik  zu befürworten. Nach der kurzen Herrschaft von Friedrich III. der 1888 nur 90 Tage Kaiser wurde, standen sich mit Bismarck und Wilhelm II. zwei konträre Persönlichkeiten gegenüber. Bismarck hielt Wilhelm für unreif, nannte ihn einen Brausekopf, der Gefahr liefe, Deutschland in einen Krieg zu stürzen, ohne es zu wollen oder zu wissen. Dagegen fand Wilhelm Bismarck nicht mehr zeitgemäß und wollte dem Alten nur noch sechs Monate zum Verschnaufen geben, bevor er selbst regierte.

Bismarck wollte sich in dieser für ihn bedrohlichen Situation durch die Inszenierung einer neuen Krise unentbehrlich machen. Dazu brachte er ein neues verschärftes Sozialistengesetz ein, von derm er wusste, dass die Nationalliberalen es nie mittragen würden. Dies wollte Wilhelm jedoch nicht, der seine Regierungszeit nicht mit einem neuen Konflikt beginnen wollte, warum es schon im Januar 1890 zum Zusammenprall zwischen Bismarck und Wilhelm kam.

Am 15. März entzog der Kaiser daraufhin Bismarck wegen seines weiter Konfliktkurses das Vertrauen - so hatte  er jedoch seit 1862 regiert und reichte folglich am 18. März sein Entlassungsgesuch ein, dem Wilhelm dann am 20. März nachgab, was von vielen Zeitgenossen begrüßt wurde, die fanden, die unbewegliche Zeit des Alten sei vorüber.

Während Merkel sich immer noch Rücktrittsforderungen aus dem rechtsradikalen Lager gegenübersieht, fragt sich, ob ihre Situation der Bismarcks gleicht und wie ihr Krisenmanagement zu bewerten ist.

Gerade hat die Kanzlerin einen ihrer größten Verhandlungserfolge auf diplomatischer Ebene erreicht, der eine langfristige Lösung der Flüchtlingskrise ermöglicht. Sie hat dabei allen Anfeindungen und Provokationen zum Trotz ruhig regiert und auf eine pragmatische diplomatische Lösung hingearbeitet. Sie sucht nicht den Konflikt, sondern vermeidet ihn und jene Merkel, der immer unterstellt wurde, sie sitze alles nur aus, zeigte sich hier sturmfest und wettertauglich. Einstimmig stellte sich die EU hinter ihre Lösung, von Isolation der Kanzlerin kann also keine Rede sein und auch da unterscheidet sie sich von Bismarck, der zwar pragmatisch Bündnisse schmiedete und wieder verwarf, jedoch diese nur als Instrumente seiner Machtpolitik benutzte.

Merkel posiert nicht wie ein Bismarck und sucht keine Provokation, um den Gegner zu  zwingen, sondern lässt diesen sich selbst bloßstellen. Wer sang nicht alles schon die Totenmesse der Kanzlerin in den letzten Wochen?

In der Wirksamkeit ihrer Diplomatie der ruhigen Hand, erreicht sie Kompromisse, die einem Bismarck, der das Theater existentiell brauchte, lächerlich erscheinen lassen. Kohl mit seiner Sturheit glich dem eisernen Kanzler schon eher, doch war der Pfälzer Katholik dem protestantischen Junker vom Wesen her zu verschieden.

Merkel jedenfalls macht in ihrer Politik eher das Gegenteil von Bismarck und zeigt sich damit menschlicher und langfristig wirksamer -  so wird der Erfolg der europäischen Politik die Lächerlichkeit der Wutbürger des AfD offenbaren und bald schon wird es viele gereuen, ihre Stimme dort verschwendet zu haben. Bismarck hat viel erreicht und hat es auf Leben und Tod erkämpft, hat mit vollem Einsatz um alles gekämpft und damit viele überflüssige Konnflikte geschürt aus taktischen Gründen. Merkel scheint lange nicht zu handeln, wirkt dann leise und dezent im Hintergrund für eine Einigung und auch wenn es einige Idioten immer geben wird, die den Sprüchen der Rassisten folgen, die wie Bismarck nur provozieren, statt Lösungen zu bieten, da der Kampf ihr eigentliches Element ist, während die Pragmatikerin Merkel lösungsorientiert arbeitet und damit mehr erreicht.

Einen Bismarck  bräuchte es heute nicht mehr, so wenig wie Blut und Eisen Reden, sondern viel mehr gute Kompromisse, die langfristige Lösungen für die Menschen bieten. Wir mögen zu Erdogan und seiner Politik stehen, wie wir wollen, eine Lösung der Krise im Mittelmeer ist nur mit der Türkei möglich, auch angesichts der Vielzahl der griechischen Inseln dort. Zugleich bekommt Erdogan die Quittung seiner dummen Politik mit immer mehr Anschlägen und wer wird heute noch so dumm sein, in der Türkei  freiwillig Urlaub zu machen?

Wenn die liberalen Kräfte in der Türkei wieder eine Chance haben sollen, brauchen sie mehr und nicht weniger Europa und wenn die Türken orientalisch bleiben wollen, wer wären wir, sie daran zu hindern?

Lassen wir die Türken nach Europa kommen, um die Syrer in der Türkei  zu halten und die Menschenströme zumindest etwas zu ordnen,  ist den Türken geholfen, die nicht mit dem manchmal wirr totalitär regierenden Erdogan mehr alleine sind und Europa, dass seine Ordnung wahrt. Fraglich ist nur, was die langfristige Strategie sein soll in der Grenzfrage.

Grenzen zu schließen, Zäune und Mauern zu bauen funktioniert nicht, ist bloßer Populismus für eine kleine Gruppe von Idioten, die den Schaden nicht ins Verhältnis zum Nutzen stellen können. Europa ist grenzenlos erfolgreich, warum es andere Elemente der Ordnung nun braucht, die erste Krise zu bewältigen.

Doch sind diese nur Kompromisse. Wichtig wird nun eine langfristige Strategie, auch wenn ein Bismarck selbst politisch immer situativ handelte, wird angesichts der Situation auf der Welt, die dauerhaft Menschen in Bewegung setzen wird, eine neue Antwort nötig sein, die dauerhafte Perspektiven zu Bleiben gibt oder den integrativen Austausch kulturell verbessert.

Hier zeigen sich große Teile Ostdeutschlands einfach noch als aus der Zeit gefallen und wirken weniger europäisch als selbst destruktiv - ob dies noch eine Reaktion auf die vom Sozialismus immer hochgehaltene Internationale ist, die sich nun in kleinlich nationalem lieber verliert oder am mangelnden Horizont aus DDR spießbürgerlicher Realität liegt, könnte dahinstehen, wenn wir mehr an einer Lösung arbeiteten, die Dinge genau so benennt, wie sie sind, statt Lügen als Lösungen zu verkaufen.

Wenn sich Afrika aus Not und Armut gen Europa in Bewegung setzt, nutzen keine Zäune mehr und nur zu große Schwäche aus der Not, Trägheit und mangelnde Organisation haben dies bisher verhindert. Wer Lösungen will, muss dies berücksichtigen und den Menschen im eigentlich Paradies Perspektiven geben, die es verlockender scheinen lassen, zu bleiben, als sein Leben auf der Flucht zu riskieren. Wie weit Europa das gelingt wird entscheiden, ob Merkel, die schon jetzt konstruktiv mehr bewegte als ein Bismarck mit Erpressung nur erzwang als ganz Große in Erinnerung bleibt oder kleine Geister noch einige Jahrzehnte brauchen, um zu merken, wie konstruktivistisch die Kanzlerin den Kurs änderte für ein offenes Europa, das im Diskurs miteinander steht.
jens tuengerthal 21.3.2016

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