Dienstag, 22. März 2016

Kulturgeschichten 0165

Nationalliebesorte

Warum über die Nation schreiben, während mitten im Zentrum Europas Bomben explodieren, warum der Kunst gedenken während Menschen sterben?

Vielleicht damit wir einen Anker in unruhigen Zeiten finden oder die Schönheit immer über dem Kleingeist steht, der nur beschränkt und Grenzen zieht, weil das Schöne allein gegen den Terror hilft, erst die Freiheit der Kunst die Basis der Freiheit überhaupt ist, von der viele Verwirrte gerade abkamen ihren geaberglaubten Göttern in den vermeintlich heiligen Tod folgend, statt zu merken, tot sind nur die Götter, wenn die Vernunft siegt, wir den albernen Aberglauben beerdigen und hinterher sie, denn wer tot ist, ist nicht mehr, den erwartet nichts als das Nichts des nicht mehr Seins, warum es lebend besser ist, sich der Kunst zu widmen, statt dem Aberglauben, solange noch Zeit ist.

Die Nation als solche ist mir nur in der Kulturnation nah, wenn ich an Goethe denke, an Schiller, Rilke, Kant, Ranke, Morgenstern, Mann, Tucholsky und andere mehr - Bilder gibt es vielleicht noch, die dies Gefühl der Zuneigung ähnlich auslösen und sie stammen nicht unbedingt aus der Romantik, obwohl, manchmal sogar das.

Einer meiner liebsten Orte in Berlin ist die Alte Nationalgalerie, jene Sammlung der Kunst des 19. Jahrhunderts auf der Museumsinsel, hinter dem unsäglich gräßlich wilheminischen Berliner Dom, der besser und eher noch als der Palast der Republik abgerissen worden wäre, auch wenn das nun Humboldt Forum den Platz innerlich wie äußerlich als edle Variante der Multi-Kulti Kolonialmuseen mehr ziehren wird, als es dieser grauenvolle Bau der DDR-Diktatur.

Seit nun 15 Jahren im Osten ansässig, weiß ich um die Empfindlichkeiten der Anwohner, die teils schöne Erinnerungen mit dem Palast verbinden und so und anders ihre Versuche der Relativierung eigener Verantwortung und Anpassung in der Diktatur weichspülen wollen. Sage dazu aus Erfahung lieber nichts, es könnte nur falsch sein, berufe mich gern auf meine Liebste, die dort lebte, bis das Land unterging und immer sagt, sie fand die DDR ein spießiges, beschränktes Land voller Angst und totalitärer Neigungen und den Palast einen Spiegel dieser kleinkarierten Republik, die groß sein wollte, am Ende peinlich blieb und so zum Glück unterging - an der DDR gäbe es nichts schön zu reden, es hätten sich nur die Menschen dort mit dem System arrangiert und die Spießer, die jede Veränderung fürchten, konnten das besser und jammern nun schon wieder.

Aber jenseits dieser abgerissenen Orte und dessen, was nebenan nun als großes Forum zum Gedenken an die Brüder Humboldt wächst, würde es nicht durch kleinkarierte Berliner schon wieder beschränkt, als teilweise nur Heimatmuseum eines eigentlich unwichtigen Provinznestes im märkischen Sand, ist die Alte Nationalgalerie für mich ein Liebesort, den ich voll Zärtlichkeit durchstreife, in dem ich die Bilder so liebe wie ihre meist zurückhaltende Präsentation.

Es ist eine Nationalgalerie, auch wenn manche Künstler international sind, zumindest einige Franzosen darunter die deutsche Romantik in ihrer Schwermut mit lichter Leichtigkeit als Impressionisten auflockern, die Franzosen ein wunderbares Zentrum der deutschen Alten Nationalgalerie sind, die  zeigt wie schön die nationale Kunst erst in Europa wird und wie wenig sie Grenzen kennt oder respektiert, zeigt uns auch ein Liebermann, der den Impressionisten folgend eigene Wege zum Licht neu fand.

Am 22. März 1876 wurde in Beisein von Kaiser Wilhelm I., der ja quasi Nachbar war, die Nationalgalerie eröffnet. Der Bau nach den Plänen von Friedrich August Stüler hatte neun Jahre in Anspruch genommen und bildet heute einen Teil des Weltkulturerbes Museumsinsel.

Mit der Idee eine Nationalgalerie zu gründen, wurde sich nach den Befreiungskriegen ab 1815 immer mehr beschäftigt. Dazu zeichnete Stüler den Plan eines Tempelbaus, der später ähnlich realisiert wurde. Als Wilhelm I. 1861 das Erbe des Künstlers und Bankiers Wagener mit einer Sammlung von 262 deutschen und ausländischen Gemälden annahm, war der Grundstock der Nationalgalerie geschaffen, die zunächst in der Akademie der Künste Unter den Linden gezeigt wurde.

Stüler begann noch 1862 mit den Planungen des Gebäudes, die dann nach Stülers Tod 1865 Busse übernahm und durchführte. Sie waren den Möglichkeiten der Zeit entsprechend hochaktuell und mit modernster Technik gebaut worden, wozu auch die riesigen Dachfenster gehörten. Wegen der modernen Eisenkonstruktion und der gemauerten Decken wurde die neue Alte Nationalgalerie als feuersicher gelobt. Anfänglich war das Museum noch relativ leer und es galt eine eigene Sammlung mit der Zeit zu finden. Erster Museumsdirektor war ab 1874 Max Jordan. Sein Nachfolger Hugo von Tschudi erwarb auch Impressionisten für die Sammlung und riskierte damit den Konflikt mit dem Kaiser, da er die Ausrichtung auf nationale Kunst aufhob. Ab 1909 übernahm Ludwig Justi den Direktorenposten, der sogar moderne Exppressionisten zu sammeln begann, die aber nach der Novemberrevolution im frei gewordenen Kronprinzenpalais ausgestellt wurden als Nationalgalerie II. Erst die Nazis setzten Justi ab und ersetzten ihn bis 1937 durch Eberhard Hanfstaengl, dem Paul Ortwin Raawe bis  1950 folgte. Unklar blieb immer, wieviel des Bestandes im Krieg gerettet wurde, was zerstört und was alles als Beutekunst in die totalitäre Sowjetunion gelangte in deren Nachfolge sich Putin manchmal gerne zeigt.

Während der Teilung Berlins blieben die Bilder je nach Auslagerungsort im Westen oder Osten. Die im Westen verbliebenen wurden teils im Schloß Charlottenburg und teils in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt, später auch in der Galerie der Romantik. Nach der Wiedervereinigung wurden die Bilder wieder in der Alten Nationalgalerie zusammengeführt, die auch erst ab dann nicht mehr Nationalgalerie sondern Alte Nationalgalerie hieß.

Das inzwischen gut sanierte Gebäude steht stilistisch zwischen Berliner Spätklassizismus und Neorenaissance, also nichts eigenes, sondern eher etwas nachgemachtes, was selten gelingt und oft nur aufgesetzt wirkt, unecht zumindest und doch ist die tempelartige Anlage von einer schlichten Schönheit und der 2001 nach vollständiger Sanierung wiederöffnete Bau gehört auch mit seiner Säulenumrahmung zu den Glanzpunkten der Museumsinsel.

Es werden dort die wichtigsten Werke des 19. Jahrhunderts der Nationalgalerie gezeigt. Dazu gehören Werke des Klassizismus und der Romantik, des Biedermeier, des französischen Impressionismus und der beginnenden Moderne. Zu den wichtigsten Künstlern gehören Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel, Manet, Monet, Renoir, Menzel, Liebermann, Corinth, Cézanne. Ob Friedrichs Mönch am Meer wichtiger ist als Menzels Eisenwalzwerk oder die Lichtspiele der Franzosen, könnte sicher gestritten werden, als wichtigste Plastik gilt aber relativ unstrittig die Prinzessinnengruppe von Schadow, mit der nur noch Rodins Denker im 1. Stock in Konkurrenz steht.

Mit mir haben 2015 245.694 Besucher allein die Ausstellung Impressionismus - Expressionismus Kunstwende gesehen, die bisher die erfolgreichste war und die ich glücklich als einer der letzten überhaupt durchschritt, wie immer in diesen Räumen voller Liebe flanierend, die mich in Postern bis in meine Wohnung begleiten, weil Museen nicht nur Orte der Schönheit und Ruhe sind, sondern auch ein Quell des Geistes, der dort in Bewegung gesetzt wird auf schöne Art.

Darum scheint es mir heute so klug, an die Alte Nationalgalerie zu ihrem Geburtstag zu erinnern, während in Brüssel die Bomben explodieren, weil Kunstorte ein Gegepol zu aller Gewalt sind, die uns innehalten lassen im dort preußischen Akardien, um wieder zurück zur Vernunft zu finden, statt hektisch, kurzsichtig und national zu reagieren.

Geht ins Museum und nehmt euch Zeit zu genießen, dort zu sein, was kann es schöneres geben, während diese närrischen Islamisten Museen zerstören, deren Kultur nicht ihrem Aberglauben entspricht. Was besseres als sich Zeit nehmen, können wir, wenn alles panisch wird, ohnehin nicht. Von den Nationen bleibt nur die Kultur, achten wir sie, erreichen wir mehr als das Konstrukt der Nation je konnte.
jens tuengerthal 22. März 2016

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