Samstag, 26. März 2016

Kulturgeschichten 0170

Kaiserwürdigung

Wie betrachten wir einen Herrscher vergangener Zeit und was hat es mit unserem Bild auf Herrschaft überhaupt zu tun?

Geht es um historische Fakten eher oder ein Gefühl für die Zeit?

Was kann ich von einem mittelalterlichen Kaiser noch lernen und warum ist die Beschäftigung mit ihm nicht nur kulturhistorisch wichtig?

Am 26. März 1027 krönte Papst Johannes XIX. Konrad II. und seine Gattin Gisela von Schwaben zu Kaiser und Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs. Damit bestieg ein neues Geschlecht den deutschen Thron, die in den folgenden Generationen viel Bewegung in die Rolle des Kaisers und sein Verhältnis zur Kirche bringen sollten. Dies waren die Salier.

Konrad war auf den kinderlosen letzten Ottonen Heinrich II. gefolgt und tat alles seine Herrschaft noch über Verwandtschaft mit Otto dem Großen weiter zu legitimieren, war doch Herkunft und Tradition im mittelaltelichen Denken wichtiger als Innovation und Ideen.

Dabei half ihm auch seine Ehe mit Gisela, deren schwäbisches Geschlecht sich bis auf Karl den Großen zurückführen konnte, dem Ideal aller mittelalterlichen Könige, was eine höhere Legitimation darstellte als jede gewonnene Schlacht oder innovative Verwaltung. Das mittelalterliche Denken war stärker auf sich bezüglich als innovativ, mehr in Traditionen verhaftet als einer Entwicklung unterworfen.

Als legitimer oder doch zumindest faktischer Erbe Heinrichs II. erhob er auch Anspruch auf Burgund als dieses vakant wurde, was Heinrich wiederum durch seine Frau Adelheid sich erheiratet hatte. Wie erbrechtlich begründet dieser Anspruch auch immer war, gliederte er zumindest Burgund erfolgreich ins Reich ein und so huldigte ihm bei seiner Kaiserkrönung auch der Bischof von Cluny, der bis dahin größten Kirche der Christenheit.

Konrad legte aber mit dem Speyrer Dom den Grundstein einer noch größeren Kirche, die mit 134m Länge alles bisher dagewesene übertreffen sollte, bis heute weithin jedem sichtbar ist, der sich Speyer vom Rhein aus nähert. Damit schuf sich Konrad ein Denkmal, auch wenn zu seinen Lebzeiten wohl erst die Absis vollendet wurde, in der dieser erste Salier auch beerdigt wurde und erst sein Sohn Heinrich III. die Vollendung des Langhauses und der Grablege der Salier erleben durfte.

Ob der erste Salier sonderlich gebildet war, ist zumindest umstritten. Viele Chronisten bezeichnen ihn eher als ungebildeten Tölpel und Analphabeten, wobei unklar ist, aus welcher politischen Motivation sie dies taten. So ist über die Bewertung Heinrichs eine lange Diskussion ausgebrochen, die immer dem Geist der jeweiligen Zeit und ihrer Instrumentalisierung seiner Rolle entsprach. Während das 19. Jahrhundert sich verstärkt um die Tradition des neuen Kaisertums mit dem alten bemühte, wurde nach dem 2. Weltkrieg ein gänzlich anderes Bild des Kaisers gezeichnet, das ihn auch als Kirchengegner und im Konflikt mit Rom sieht. Unklar ist dabei inwieweit es eine den Saliern generell unterstellte Haltung ist, um damit den Investiturstreit und seinen Gipfel, den Gang nach Canossa des Saliers Heinrich IV. zu betonen.

Es gibt beide Elemente in Konrads Herrschaft. Das des Konfliktes mit der Kirche und das des weisen Respektes gegenüber ihr, wie seine fast salomonische Zurückhaltung in dem Streit der Bischöfe von Mainz und Hildesheim um die Zugehörigkeit einer Abtei zeigte. Vielleicht ist die Vielschichtigkeit es, die für manche die Versuchung einfacher Schubladen erhöht. Auch das Gerücht des ungebildeten Analphabeten scheint angesichts seiner strategisch klugen Politik gerade auch um Burgund fragwürdig. Seine Traditionslinie mit seinem Vorgänger Heinrich II., dem Ottonen und Karl dem Großen, zeigten den großen Anspruch des Saliers für sein Haus, das sich in die große kaiserliche Linie damit stellt.

Herrschaft in Monarchien war noch stärker von Traditionen abhängig als heute in der wechselhaften Demokratie, die aber auch ihre eigenen Traditionen kennt und damit Amtsinhabern oft einen gewissen Vorteil gibt, auch wenn die derzeitige Amtsinhaberin gerade für eine mutige, menschliche und weitsichtige Politik von kurzsichtigen, ängstlichen Menschen stark angegriffen wird, weil sie in einer Krisensituation politische Verantwortung übernommen hat, auch wenn ihre Gegner keine wirklichen Alternativen benennen können zum aus der Not notwendigen Verhalten.

Heutige Herrscher in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik sind immer nur auf Zeit gewählt und arbeiten darum anders als die in manchem Monarchen gleichenden Präsidenten Frankreichs weniger an ihrem historischen Erbe, als es früher üblich war. Das hat den Vorteil, dass es mehr um korrekte Amtserfüllung geht als um bloße Prachtentfaltung, aber dafür den Nachteil, dass weniger langfristig über das Erbe der eigenen Politik nachgedacht wird und darum auch nur kurzfristig wirksame Maßnahmen, die dem Volk  gefallen könnten, verfolgt werden. Das Problem der Wahlgeschenke und ähnlich seltsamer Maßnahmen, auch wenn Merkels Politik, die eine Entschuldung unter dem Stichwort schwarze Null erstrebt, dabei weniger gefährdet erscheint und die nüchterne Kanzlerin auch weniger anfällig für monarchische Symbolpolitik scheint.

Erstaunlich ist, wie sehr sich Teile der Bevölkerung über die verhältnismäßig geringen Kosten der Flüchtlingskrise erregen, die bei den wesentlich höheren der Bankenrettung schwiegen, weil sie den Umfang nicht verstanden haben. So zeigt sich, dass es weniger auf die Realität und tatsächliche Zahlen oder Fakten ankommt als auf die Nutzung von Stimmmungen. Erstaunlich wie gespalten hier die Bevölkerung reagiert hat, als die Kanzlerin eine Politik im Sinne der Mitte machte, die von einer asozialen Minderheit dafür in einer Weise angegriffen wird, die den Rahmen des politischen Diskurses verließ und mit radikalsten Forderungen, bis zum Galgen für die Kanzlerin von Pegiden, eine Stimmung im Land verbreiteten, als stünden wir in einer realen Krise und nicht nur vor einer kleinen Herausforderung.

Hier stellt sich die Frage, ob die Kanzlerin hätte anders reagieren können oder Opfer einer von Russland finanzierten Propaganda wurde, die um ihren Wohlstand fürchtende Ossis naiv nachplapperten. Merkel hätte sicher schneller und europäisch besser koordiniert reagieren können. Dabei fielen ihr insbesondere Polen und Ungarn in Europa in den Rücken wie Bayern im eigenen Land, in dem ein wild gewordener Versager Seehofer stets neue Orte der Profilierung sucht, nachdem er mit all seinen im übrigen unerwünschten Projekten völlig versagte und die Kanzlerin ihn vor die Wand laufen ließ, die er selbst errichtete.

Der Einfluss Putins, der alles bisher tat, Merkel bloßzustellen oder zu blamieren, einen persönlichen Rachefeldzug auch in der Ukraine führte, ist sicher nicht zu unterschätzen, doch kann sich das nur noch durch Rohstoffe reiche Russland eine solch kurzsichtige Politik langfristig nicht mehr leisten, warum manche von Putins Aktionen wie Seehofers Pfauenpolitik im Nichts nur lauter Politik enden werden. Leider denken immer noch viele Wähler nicht kritisch reflektiert und betrachten die Politik nicht in einem Gesamtzusammenhang von Abhängigkeiten mit beschränktem Handlungsspielraum sondern lassen sich von Zeichen und Symbolen leiten.

Viele der Verlierer, die heute AfD wählen oder mit den Pegiden spazieren, reflektieren nicht das Programm ihrer Protestwahl gegen ein Establishment, was sie zu sehen meinen, das aber so gar nicht existiert. Die Programme dieser Partei spiegeln nicht das Interesse ihrer Wähler wieder, dennoch genügt die Stimmungsmache in eine Richtung, Wähler zu verführen, die eine diffuse Angst verspüren. Hier bräuchte es eine konstruktive Führung, die Ideale verkündet, hinter der sich Menschen sammeln, um auch mögliche Entbehrungen gern zu ertragen.

Eine solche symbolische Politik bringt praktisch meist nichts und liegt der pragmatischen Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt weniger und dabei ist egal in welche Richtung ihre Politik letztlich zielt. Sie müsste die Menschen abholen, um mit ihnen gemeinsam die anstehenden Aufgaben anzugehen. Das liegt der Pragmatikerin leider weniger als in Hinterzimmern Verhandlungslösungen zu erringen. Es wird sich in einigen Jahren oder Jahrzehnten zeigen wie richtig und weitsichtig ihre Politik war, ob sie darum auch entsprechend gewürdigt wird, ist noch unklar.

Hier sehen wir die Gefahr der Demokratie und der Mediengesellschaft, die im Netz jedem Trend hinterherrennt, statt in Ruhe zu reflektieren. AfD und Pegida werden sich bald erledigen, wenn die Menschen merken, dass sie außer Phrasen keine Lösungen bieten, ihre geselschaftlichen Ideen nicht nur vorgestrig sind sondern im höchsten Maße asozial auch und gerade zu Lasten ihrer Klientel, die nur ihren Trotz ausdrücken wollten. Gefährlich ist ihre Finanzierung durch Russland und deren massive mediale Unterstützung durch Propagandaorgane, welche von denen, die gerne Lügenpresse skandieren für glaubwürdig gehalten werden.

Fraglich nur wohin sich diese Frustrierten wenden werden, wenn sie feststellen, dass die, von denen sie sich Gerechtigkeit erhofften, auch keine anderen Antworten oder Lösungen praktish bieten können, was ihre Helden versprachen nur Luftblasen ohne Perspektive waren. Solche Bewegungen kommen und gehen in Demokratien - die USA haben sie derzeit  mit dem Provokateur Trump, der auch nichts von seinen Sprüchen wird umsetzen können, auch wenn manche längst vermuten, Trump veranstalte die Show nur, um seiner alten Freundin Hilary auch die Stimmen der gemäßigten Republikaner zu sichern, die ihn nie wählen werden aus Sorge um ihr Land, das eine seriöse Politik braucht.

Auch die lautstarken Proteste gegen Merkel zeugen nicht von Verantwortung sondern allein von Trotz und Angst. Sie suchen keine Lösung sondern, wollen provozieren. Es wird sich nach einigen Wogen die Mehrheit durchsetzen, die in Ruhe regiert werden will und eine zuverlässig kalkulierbare Politik wünscht, insoweit könnnen wir beruhigt sein. Fraglich nur, ob wir bis dahin weiter die Populisten des AfD für die Naivität von Teilen der Bevölkerung bezahlen müssen. Das ist zwar ärgerlich aber vermutlich ein zu vernachlässigender Betrag für die Funktion der Demokratie. Auch wenn vermutlich Teile dieser Partei verboten werden könnte und wie zahlreiche Pegida Anhänger wegen Volksverhetzung angeklagt werden könnten, scheint dies als Preis für eine funktionierende Demokratie nicht zu hoch.

So  gesehen sind AfD und Pegida Selbsterfahrungsgruppen für frustrierte Ossis und sich benachteiligt fühlende Protestwähler, die eben selbst feststellen müssen, wie Demokratie funktioniert und warum dies Verschenken der Stimme nur überflüssige Kosten verursacht, ohne politisch etwas zu ändern oder zu bewegen.

Über Konrad wurde von den Chronisten direkt nach ihm und zur Zeit der Staufer gehetzt, weil es in deren Interesse gerade war. Ähnlich betrachtet der kritische Denker die derzeit Hetze gegen Merkels schlicht vernünftige Politik. Vielleicht wäre es wünschenswert und leichter, würde weniger Kosten verursachen, wenn sie Menschen für ihre Politik begeistern könnnte - angesichts der Macht der Kanzlerin ist es nicht schlecht eine bloß nüchterne Pragmatikerin im Amt zu haben, die keinerlei Bedürfnis zur imperialen Repräsentation verspürt. Ob sie noch einen Friedensnobelpreis anstrebt, um sich ein Denkmal zu setzen  oder lieber weiter nur pragmatisch Probleme löst und Aufgaben abarbeitet, ist nicht entscheidend, wichtiger ist, solange das Vertrauen einer Mehrheit in die Pragmatikerin im Hintergrund besteht, wird sie die  Idealbesetzung bleiben, solange sie das will und die momentanen kleinen Gefechte mit großen Worten offenbaren nur die Lächerlichkeit ihrer Ankläger. Darum sollte eine gewachsene Demokratie dieses unangenehm hässliche Geschwür, das AfD und Pegida derzeit bilden, ertragen können und gestärkt aus dieser kleinen Krise der Demokratie herausgehen. Sowenig wie Trump Präsident wir, sowenig wird der AfD gegen Merkel je die Macht erringen und was uns dieser überflüssige Protest kostet, ist egal, wenn er genutzt wird, künftig mehr an der Integration der Feinde der zu arbeiten.
jens tuengerthal 26.3.2016

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