Donnerstag, 10. März 2016

Kulturgeschichten 0153

Vertrauensfrage

Wie weit geht das Vertrauen in der Politik und wie viele Chancen verspielt schematisches Freund-Feind-Denken?

Ob die Politik aus diplomatischer Tradition und in überkommenen Anschauungen unbeweglich geworden ist, fragen sich viele, die gerade die Muster des großen Schachspiels um die Welt beobachten, in dem von hier aus Putin der Böse ist und die USA als Verbündete Gottes zu den Guten gehören, während die Gotteskrieger in der Mitte, gegen die sie uneinig kämpfen, allen nördlich der islamischen Breitengrade als Gefahr erscheinen.

Das dabei der neue Verbündete der zeitweise letzten Supermacht USA, die Ukraine, sich als geheimer Waffenlieferant des IS profiliert, um seinen Weg nach Europa und weg von Rußland zu finanzieren, übersehen auch die guten Menschen der Böllstiftung lieber, die immer noch glauben, auf dem Maidan sei die Demokratie gegen die Kräfte des Bösen verteidigt worden und nicht vom CIA finanziert, um die Vorherrschaft in Europa auch gekämpft worden.

Es gibt keine Politik, die keine Interessen verfolgt, warum nur sollte sie jemand dann unterstützen oder wählen, fragt sich der Beobachter des Marktes der Wahlen. Es geht um Geld, um sehr viel Geld und seine Verteilung. Darum gibt es viele Interessenvertreter, die versuchen für noch mehr Geld, Einfluss auf die Politik zu nehmen, was wir dann Lobbyismus nennen und politisch korrekt gerne für fragwürdig halten, je nachdem von welcher Seite wir das Ganze betrachten.

Ob dies ein Produkt der bösen Marktwirtschaft ist, die nur nach dem Gewinn schaut, oder in der Natur der Sache liegt, es im Sozialismus, dem illusionären Traum so vieler Generationen, nicht genauso ging, ist bis heute strittig und führt zu der Frage, ob der Mensch altruistisch oder egoistisch von Natur aus ist.

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, formulierte es Goethe und benannte damit das hehre Ziel der Aufklärung, für das die Weimarer Klassiker in vieler Weise lebten und dichteten, bis die Illuminaten, die dieses Ziel im Staat realisieren wollten, wieder verboten wurden, weil es Rom nicht passte und Maria-Theresia ihren Sohn, den gefühlten Aufklärer zur katholischen Räson rief. Auch eine historisch, spannende Geschichte, über die vieles noch unbekannt ist, wie der Freigeist Freiherr von Knigge, der Kopf dieses Vereins, für viele mit Benimmregeln und Sittenstrenge nur verknüpft ist, obwohl er das Gegenteil erstrebte, nur den Bürgern die Regeln erklären wollte, die einen Zugang bei Hof ermöglichten, die in der Diplomatie bis heute gelten.

Welche Ziele verfolgte einer, der mit Hitler das Bündnis gesucht hatte, um Polen unter sich aufzuteilen, der als Diktator für Umsiedlungen und den Tod von Millionen Menschen im Gulag verantwortlich war?

War einem Diktator je zu trauen?

Am 10. März 1952 bot Stalin den Westmächten, also Frankreich, Großbritannien und den USA, Verhandlungen über die Wiedervereinigung eines neutralisierten Deutschlands an. Diese Note und die Erwiederungen in der folgenden Korrespondenz werden Stalin-Noten genannt und haben das Verständnis und den Umgang von Ost und West über Jahrzehnte geprägt, zum Bau der Mauer möglicherweise geführt.

Bundeskanzler Adenauer, der dabei die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wusste und die Westmächte lehnten diese Note als bloßes Störmanöver ab, das einzig die Westbindung der jungen Bundesrepublik verhindern sollte. So sah es auch die ganz herrschende Meinung in der Geschichtswissenschaft, bis nach Öffnung der Archive die Diskussion erneut entflammte.

Die Note enthielt folgende Punkte:

Ein Friedensvertrag aller Kriegsteilnehmer mit Deutschland sollte abgeschlossen werden, an dessen Ausarbeitung eine gesamtdeutsche Regierung beteiligt werden solle. Über die Bildung dieser Regierung müssten sich die Alliierten einigen.

Deutschland sollte in den Grenzen, die durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt worden waren, wiedervereinigt werden.

Spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages sollten sämtliche Streitkräfte der Besatzungsmächte aus Deutschland abgezogen werden.

Deutschland würden demokratische Rechte, wie z. B. Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und ein pluralistisches Parteiensystem zuerkannt werden. (Freie Wahlen wurden allerdings nicht explizit erwähnt.)

Die Entnazifizierung sollte beendet werden.

Deutschland dürfte keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse eingehen, die sich gegen irgendeinen Staat richteten, der mit seinen Streitkräften am Kriege gegen Deutschland teilgenommen hatte.

Deutschland würden keinerlei Handelsbeschränkungen auferlegt.

Die Aufstellung nationaler, zur Verteidigung notwendiger Streitkräfte sowie die dazu nötige Produktion von Kriegsmaterial würden Deutschland gestattet.

Viele Angebote, die für das junge Deutschland nach der verheerenden Niederlage verlockend schienen. Die Notwendigkeit einer Demokratie wurde nicht ausdrücklich vorgesehen, auch nicht die freiheitlichen Prinzipien, die für westliche Staaten verbindlich waren, vor denen den Staatssozialisten aber graute.

Was hätte den Bürgern der DDR alles erspart werden können, hätte wer die Botschaft angenommen, ernsthaft geprüft, statt sie wie im Reflex als Produkt des östlichen Feindes abzulehnen.

Wäre ein Deutschland wie die Schweiz, das sich politisch neutral verhielte, nicht ein wunderbares Projekt für ein europäisches Gleichgewicht?

Die Westmächte misstrauten dem Vorschlag, berieten sich lange, um zunächst die Westbindung der BRD vertraglich zu sichern und stellten sodann Forderungen, die Stalin ablehnen würde, da sie die Integration in ein europäisches Verteidigungsbündnis umfasste und vorherige freie Wahlen in Gesamtdeutschland forderte, die dann von den UN geprüft würden. Außerdem sollte Deutschland die freie Wahl jeglicher Bündnisse zustehen.

Adenauer gab der Westbindung der jungen Republik Vorrang vor der Wiedereinigung als Priorität, die erst etwas schwammig irgendwann in einem freien Europa erstrebt werden sollte. Die Furcht vor dem Sog der UdSSR war damals so groß, dass die Wiedervereinigung sogar noch an die europäiche Einigung und den Umbruch im gesamten Ostblock geknüpft wurde, wie es dann 1989 auch tatsächlich kam, nach jahrzehntelanger Verzögerung und zu vielen Toten an der Grenze. Eine eigene neutrale Armee, die Deutschland verteidigen können sollte, wäre aus Adenauers Sicht nicht finanzierbar gewesen und so wurde die Stalinnote als bloßes Störfeuer zu Propagandazwecken abgetan. Er setzte die Verhandlungen mit den Westmächten darum so fort, als wenn es diese Note nicht gäbe.

Ein wichtiger Streitpunkt war dabei auch immer die geforderte Anerkennung der Potsdamer Grenzen, die also die Oder-Neiße-Linie zu einem Zeitpunkt zementiert hätte, als das vielen geflohenen Schlesiern und Ostpreußen nicht vermittelbar gewesen wäre, was nicht im Interesse eines CDU Politikers sein konnte, der dies hohe Wählerpotential nicht verlieren wollte. Wenn sie auch später 1989/90 unproblematsich zur Grenze erklärt wurde und auch der Aufschrei der Vertriebenenverbände sich im Rahmen hielt, war es damals nicht soweit.

Es gab in den verschiedenen Parteien und unter Mitgliedern auch der CDU aber auch Kräfte, die sich für eine zumindest Prüfung der Vorschläge stark machten, da die Chance enorm war, einen echten Neuanfang ermöglicht hätte, doch Adenauer war aus verschiedenen Gründen dagegen, auf dieses Angebot einzugehen, so sehr sich manche eine Wiedervereinigung auch wünschten, wenn sie ihre Heimat verloren hatten.

Eine Ernstnahme verzögerte die geplante Westbindung, die auch Schutz vor einer sowjetischen Invasion bieten sollte, Verhandlungen ließen die Zuverlässigkeit Deutschlands für den Westen fragwürdig erscheinen, doch war ihm diese ein absolutes Gebot nach der Katastrophe der Hitlerzeit, um wieder Vertrauen aufzubauen, schließlich nähme an der von Stalin vorgeschlagenen Konferenz auch die DDR als gleichberechtigter Partner teil, was diplomatisch ihre faktische Anerkennung bedeutet hätte, die auch nach einem Scheitern schwer wieder aus der Welt zu schaffen wäre und so gab es gute Gründe genug, den Vorschlag aus Adenauers Sicht abzulehnen, nicht zuletzt, weil er aus Erfahrung den Deutschen misstraute und sie lieber sicher an den Westen binden wollte, da er fürchtete, sie würde es nicht schaffen, einen freien neutralen Staat aufzubauen.

Die DDR bejubelte den Vertragsentwurf dagegen und strebte die Wiedervereinung nach dem Vorschlag des Genossen Stalin an.  Amüsant ist aus heutiger Sicht auch die Interpretation des Plans durch Grotewohl, der die DDR als freien, demokratischen Staat bezeichnete, während die BRD undemokratisch und faschistisch sei, was als ewiges Totschlagargument im Osten noch eine steile Karriere machte. So dürften aus Sicht des Ministerpräsidenten der DDR Friedens- und demokratiefeindliche Organisationen im vereinigten Deutschland nicht mehr bestehen und Gesamtdeutschland müsse sich dann am Fünf-Jahres-Plan der DDR ausrichten, der sich ja historisch als enorm weitsichtig erwiesen hat, besonders in ökonomischer Sicht, der Planwirtschaft, die eben eine diktatorisch wahnhafte Kopfgeburt blieb. Die Stellungnahme Ulbrichts, der eine Zukunft Deutschlands nur im kommunistischen Friedensbündnis sah, bedarf keiner weiteren Kommentierung aus heutiger Sicht.

Auch nach der zweiten Note Stalins, die nun folgte, wurde wieder verhandelt, doch blieb die zentrale Streitfrage erst freie Wahlen auch auf dem Gebiet der DDR oder erst Verhandlungen.

Bei der dritten Note meckerte Stalin über die gerade erfolgte Westbindung durch EVG Vertrag, die jede Verhandlung verzögerten. Dafür kritisierte der Westen die Zentralisierung, Kollekivierung und die Veränderungen im Justizwesen der DDR.

Bei der vierten Note schließlich im August 1952 wurden die alten Vorwürfe von sowjetischer Seite nur wiederholt, warum der Westen auf seine vorigen Antworten verwies und weitere Verhandlungen angesichts des schon polemischen Inhaltes für entbehrlich erklärte.

Die Stalinnoten hatten keinen Erfolg, die Wiedervereinigung ließ bekanntlich noch bis 1990 auf sich warten und war ein Produkt des friedlichen Umsturzes in der DDR, der vorab von der untergehenden Sowjetunion unter Gorbatschow abgenickt wurde.

Die Diskussion über die Bewertung der Noten wie um den Bart des Propheten hält bis heute an, es gibt einigen Argumente, die dafür sprechen, Stalin hätte es ernst meinen können, wie etwa der freiwillige Abzug der sowjetischen Truppen aus dem neutralen Österreich, überwiegend wird jedoch das Mißtrauen gegenüber dem Diktator als gut begründet angesehen und die Westbindung mit allen demokratischen Folgen für wichtiger erachtet.

Ob Deutschland mit Sachsen eine neutrale, positive Entwicklung genommen hätte, scheint gerade wieder fraglich, aber vielleicht wären Sachsen und der übrige Osten weniger anfällig für dumme Propaganda, hätte dort nicht über Jahrzehnte eine dumme totalitäre Diktatur voller Entmündigung geherrscht, die bis in die Wohnzimmer regierte und für die Freiheit ein Fremdwort war.

Wichtiger als die Frage, wie Stalin es nun wirklich gemeint haben könnte, außer als Provokation und warum er, wenn er es ernst gemeint hätte, dann die DDR als totalitären Staat in den von ihm unterdrückten Ostblock eingliederte, scheint mir die Frage, wem zu trauen ist und warum beim Blick nach Rußland Misstrauen noch bessere Gründe hat als beim Blick nach Westen?

Was sind die Grundwerte, die für ein gegenseitiges Vertrauen geteilt werden sollten?

Was spricht dafür den USA mehr zu vertrauen als dem direkten Nachbarn Moskau?

Wer hat dies Eskalation in Syrien und im Irak zu verantworten und wer bemüht sich um eine Lösung?

Es gibt viele Antworten auf diese Fragen und sie werden gerade je nach politischem Standpunkt unterschiedlich beantwortet. Die Rechten wenden sich Putin zu, die Linken sind traditionell immer noch da, als merkten sie nicht, dass die ZEiten sich änderten, die Altlinken aus dem Westen, bauen inzwischen eher auf die USA und hoffen auf Clinton als Friedensstifterin. Wenige bemerken welche Rolle Merkel in diesem Spiel hat und wie sie Europa voller älterer Männer mit großer Neigung zur Profilierung mühsam durch die Krise balancieren lässt.

Sie misstraut dem Ex-KGB Mann Putin aus Erfahrung immer ein wenig und scheint da weniger naiv als der Aufsteiger Schröder, doch wäre es mindestens so naiv, zu glauben, Deutschland könne sich nach dem Kalten Krieg erfolgreich gegen Rußland positionieren, warum die Westbindung Rußlands nötiger wäre als des lächerlichen Kalifen von Ankara.

Würde sich die NATO ernsthaft bemühen, wäre es ein leichtes für die Flüchtlinge eine neutralisierte Friedenszone in Syrien zu erkämpfen und dies im Bündnis mit Rußland, um die Idioten in unseren Ländern zum Schweigen zu bringen, die angesichts logisch erhöhter Kriminalität unter schwierigen Bedingungen zu hyperventilieren beginnen. Auch sechs Millionen Syrer wären für eine kurze Phase ein Klacks für 720 Millionen ökonomisch so erfolgreiche Europäer, zögen sie an einem Strang, wollten sie den gemeinsamen Erfolg und nicht ihrer nominellen Königin lieber das Messer in den Rücken stoßen.

Aber, was sollen wir über Europa meckern, wo es Deutschland nicht besser macht, sondern sich intern von perspektivlosen Kräften spalten lässt, statt einig zu erkennen, wo die Lösungen sich finden, wer daran arbeitet und wer nur ein Störfaktor dabei ist, weil einer nach der Macht des anderen giert, ein Seehofer eine Merkel beneidet, ein Gabriel sich auch mal nationalistisch blamieren möchte, Pegiden und AfD als Aussetzige zurecht geschmäht, um bundesweite Anerkennung buhlen, in dem sie so tun, als sei ihr Rasssismus normal und nicht strafwürdig eher?

Die Stalinnoten waren vermutlich ein Spiel, eine diplomatische Provokation, um die Westbindung des vereinigten Deutschlands zu verhindern oder zu verzögern, auch die erfolgreiche Einbindung der nur Westzonen vertraglich aufzuhalten.

Sie hätten, wären sie ernst gemeint gewesen, Millionen Menschen fast 40 weitere Jahre Diktatur ersparen können, was aus heutiger Sicht und im Schatten der vielen zerstörten Biografien und der widerlich spießigen Diktatur des SED-Staates, eine Erstnahme fast wünschenswert erscheinen ließe.

Aber haben die Deutschen aus der Geschichte gelernt, sind sie weiter und fähig zur Demokratie wie zur selbständigen Wiedervereinigung gewesen. Hätte nicht das Gebiet der Ex-DDR erstmal entsowjetisiert werden müssen auch im Geiste und was bringt es mit dem Finger auf die Idioten zu zeigen, die heute noch die DDR hochhalten, weil alles sozialer war und billiger sowieso?

Sind Pegida und der Erfolg der Rechten im Osten ein Beweis für die fehlende Demokratisierung im Osten oder drohen nun im Westen mit dem perspektivlos populistischen AfD die gleichen Verhältnisse?

Vielleicht sollten wir manche Propaganda, wie sie von russischen Sendern hier als Störfeuer verbreitet wird, ernster nehmen und aktiver bekämpfen, weil die Freiheit im Kopf anfängt und die am lautesten Lügenpresse rufen, erstaunlicherweise die Leser der Propagandamedien aus der ehemaligen UDSSR sind. Ob das am vertraut einfachen Ton liegt?

Links und rechts sind leicht zu verwechseln im totalitäten Ton der Wahrheitsbesitzer liegen sie direkt nebeneinander, fürchte ich. Alte SED Anhänger, die heute Linke heißen, sind vermutlich den Nazis im Osten oft näher in vielen praktischen Überzeugungen des Alltags,als es nominell nahe läge, manch früher überzeugte Sozialistin las ich gegen Flüchtlinge keilen, als sie selbst betroffen war.

Aller Extremisten Feind hätte ich die Idee eines neutralen Deutschland faszinierend gefunden und denke nicht, dass der eine oder andere Block der Welt besser tat. Die USA haben in den letzten Jahrzehnten infolge ihrer Politik vermutlich mehr Menschen auf dem Gewissen als heute Rußland, warum ein liberaler Kurs, der die Mitte sucht und die Freiheit so wichtig wie nötig scheint, doch ist frei, wer sich dem einen oder anderen an die Brust wirft, scheinbare Angebote annimmt?
Jens tuengerthal 10.3.16

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