Montag, 14. März 2016

Kulturgeschichten 0156

Wutfehde

Am 10.März 1534 erklärte der Kaufmann Hans Kohlhase nachdem ihm trotz eindeutiger Beweislage sein Recht nicht zuerkannt wurde gegen den Junker Günter von Zaschwitz dem Kurfürstentum Sachsen die Fehde.

Ein einzelner beginnt den Kampf gegen den Staat und riskiert für ursprünglich zwei Pferde und dann im Prozess noch einige Gulden Uneinigkeit eine Fehde gegen den Staat, was normal eine private Kriegserklärung unter Adeligen war, um Streit mit Waffen zu klären, von eigener Hoheit Gebrauch zu machen, die ritterliche Freiheit in rechtloser Zeit auszudrücken.

Wer entscheidet, wenn der Staat kein Recht spricht oder zum Unterdrücker hält aus Sicht des Opfers, was rechtens ist?

Brecht sagte, wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Dem folgte Kohlhase, der unter seinem literarischen Namen Kohlhaas, den Heinrich von Kleist ihm gab in seiner Novelle zum Fall, noch berühmter wurde.

Doch ist er ein rechtstreuer heute Berliner, der in Sachsen nur um Gerechtigkeit kämpfte oder ein wahnsinniger Choleriker, der das Recht selbst in die Hand nahm?

Zwei Pferde waren ihm wohl unrechtmäßig genommen worden, er verlangte Entschädigung, die teilweise gewährt wurde, aber nicht ganz, was er zum Anlass nahm als Mordbrenner durchs Land zu ziehen und die Fehde zu suchen, wodurch der Rache des einst reichen Kaufmanns aus Cöln, was heute die mittige Museumsinsel und Kreuzberg ist, viele Opfer forderte, bis sie schließlich ihn selbst auf das Schafott brachte, wo er gerädert wurde.

Dies geschah nachdem Kohlhase auch einen Silbertransport seines Kurfürsten von Brandenburg Joachim am Wannsee überfallen hatte. Bis dahin hatte sich Joachim aus dem Streit seines Bürgers mit den Sachsen so weit als möglich herausgehalten, womit es ein Ende hatte nachdem er selbst betroffen war.

Es galt im ganzen Reich seit 1495 der ewige Landfrieden nach dem alle Fehden verboten waren. Auch die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 unter Karl V. erlassen, hatte das ihre zu mehr Rechtssicherheit und dem Gewaltmonopol des Staates beigetragen. Die Fehde, also die private Durchsetzung von Recht mit Gewalt war im Deutschen Reich verboten, doch wurden Verstöße dagegen anfänglich unter den Rittern nicht scharf geahndet, je nach Einfluss und Macht des Betroffenen wurde es auch toleriert.

Bis die Prinzipien des Rechtsstaates sich durchsetzten, dauerte es seine Zeit und manche Herrscher handelten dennoch nach Laune eigenmächtig wie im Fall Kohlhase und mancher wird die Brauen beim Gedenken heute heben, dass auch damals schon Sachsen rechtsstaatlich versagte und ungerecht Fremde benachteiligte, wie es die Anzeige gegen Flüchtlinge zeigte, die von Sachsen bedroht wurden, die zu lange zu große Toleranz gegenüber Rechtsradikalen dort zur Gewohnheit gegen den Rechtsstaat wurde.

Kohlhase wurde gerädert für das, was er tat, den Verstoß gegen das Fehderecht und die Raubüberfälle im eigenen Land, die ihn letztlich an den Galgen brachten, was bestätigt, kämpfe nie gegen alle, suche dir immer Verbündete, auch wenn dir alle ungerecht erscheinen, kannst du doch nicht, so gerecht es anfänglich schien, gegen die ganze Welt kämpfen.

Ob staatliche Willkür und Ungerechtigkeit ein sächsische Problem bis heute ist, mag hier dahinstehen, wichtiger scheint die Frage welche Reaktion darauf angemessen wäre.

Unrecht mit Unrecht beseitigen, macht die Welt nicht gerechter, im Gegenteil, es potenziert das Unrecht und führt Auge um Auge und Zahn um Zahn zu weiterem Gemetzel, das viele auch Unbeteiligte unglücklich macht. Wer von Gerechtigkeit träumt muss logisch der Rache abschwören, auch wenn es einige noch nicht verinnerlicht haben.

Neben dem Gefühl der Gerechtigkeit, das rechtlich nicht fassbar ist, im leeren Raum als irgendwie Glaubensfrage schwebt, steht hier noch die Sehnsucht nach Frieden, die Suche nach Glück, um die es eigentlich allein geht, im Raum.

Gerechtigkeit könnte der Schlüssel zum inneren Frieden sein, wenn es eine solche wirklich gäbe, sie objektivierbar wäre und nicht nur ein irgendwie Gefühl und genau das ist sie nicht. Sie wabert immer im Fühlen und hat für jeden andere Kriterien. Der Rechtsstaat versucht nur mit dem Mittel des Rechts, einen Rahmen zu schaffen, der zumindest nicht völlig ungerecht ist, aber im Kern geht es dem Staat nur um formale Gerechtigkeit, wie einige enttäuschte Bürgerrechtler 1989 nach der Wende in der DDR feststellten, sie wollten Gerechtigkeit und bekamen nur den Rechtsstaat.

Doch schon dieses nur könnte fraglich sein, kann ein Staat je mehr leisten als rechtmäßig zu handeln, ist der Wunsch nach Gerechtigkeit nur ein schöner Traum, der sich nie rechtlich realisieren lässt?

Sicher ist nur ein Näherungswert erreichbar, weil das Gerechtigkeitsempfinden eben immer subjektiv bleibt. Der Rechtsstaat bietet nur den möglichen gerade optimalsten Rahmen, mehr nicht und allein dafür ist er zu schützen. Das Streben der einzelnen ihre Vorstellung von Gerechtigkeit mit Gewalt durchzusetzen, kann darum nicht toleriert werden, so wenig wie der Versuch von Populisten mit rechtswidrigen Forderungen nach Gewalt Wählerstimmen zu gewinnen, warum es so wichtig ist nach den gerade Wahlen, in denen die gewannen, die mit Angst und solchen Aufrufen sich profilierten, ein deutliches Zeichen für den Rechtsstaat und gegen diesen Populismus zu setzen.

Wer nun meint, auf Volkesstimme, die dort gesprochen hätte, als Mahnung hören zu müssen, hat das Prinzip der repräsentativen Demokratie deutlich nicht verstanden. Das Prinzip der persönlichen Rache wurde im Rechtsstaat bewusst abgeschafft und wer sich gegen die konstituierenden Grundrechte ausspricht, ist nur ein Feind und Gegner, kein Taktgeber, dieser Weg darf nicht toleriert werden, im Gegenteil muss nun alles daran gesetzt werden, die Populisten in der täglichen Arbeit bloßzustellen, die den Schießbefehl an der Grenze fordern, mit vorgestrigen Gesellschaftsbildern zurück in die Vergangenheit wollen und keinerlei Lösungen für aktuelle Aufgaben anbieten.

Der Fall Kohlhase lehrt, dass Gerechtigkeitsempfinden nicht der Maßstab ist, nach dem sich der Rechtsstaat richten darf, der auf Normen aufbaut. Die trotzigen Wähler des AfD sind zum großen Teil sonst Nichtwähler, die nicht am konstruktiven politischen Dialog teilnehmen und gestalten, sondern lediglich populistisch opponieren, ohne Lösungen anzubieten, sich davon deutlich abzugrenzen, ist wichtiger, als auf ihre Lügen hereinzufallen.

Eine Lösung und der Weg in die Zukunft erfordert in der Demokratie Bündnisse und Kompromisse und es wird Aufgabe der demokratischen Parteien sein, diese zu schmieden, um die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen. Neben der Bloßstellung der nun parlamentarischen Populisten ist Aufklärung und politische Bildung der Bevölkerung dringend nötig, die auf die Parolen hereinfielen.

Das Ergebnis wird die Bundesrepublik, ihre Verfassung und ihre Werte nicht verändern dürfen, im Gegenteil müssen sie jetzt erst recht verteidigt werden und noch schärfer auch gegen bayerische Brandstifter, die nur die Extremisten stärken, vorgegangen werden. Wer nun meint vor den abstrusen Forderungen des AfD und ihren verfassungswidrigen Tendenzen einknicken zu müssen, steht nicht auf dem Boden der Verfassung und ist als Feind wie diese zu bekämpfen.

Kohlhase, der nur sein Recht wollte, ist zum Brandstifter geworden und dafür dem Recht der Zeit entsprechend bestraft worden, weil er nicht bereit war, einen Kompromiss einzugehen, auf einen Teil seiner Forderung zu verzichten, auch wenn sie berechtigt war, um den Frieden zu wahren und sich Zeit zu lassen, statt selbst zur Waffe zu greifen. Wer den Rechtsstaat in seinen Grundwerten und Normen aus populistischen Gründen infrage stellt, wird auch zum Brandstifter und ist Stichwortgeber der Gewalt, genauso ist er daher zu bekämpfen. Auch wenn Rechtsstaat und Demokratie heute nicht mehr Rädern, was gut so ist, sind Daumenschrauben für den AfD nötig, die rechtlich zulässige Konsequenzen gegen deren verbale Gewalt ziehen und ihnen die Schranken weisen. Intoleranz und Gewalt haben in der offenen Gesellschaft keinen Platz. Wer das nicht begreift, braucht Nachhilfe im Demokratieverständnis und ist ein geistiger Pflegefall. So ist mit dieser neuen unangenehmen Opposition umzugehen.
jens tuengerthal 13.3.16

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