Mittwoch, 9. März 2016

Kulturgeschichten 0152

Farbnation

Nationale Farben haben eine vielfältige Bedeutung, wer ihnen auf die Spur geht, findet oft blutrünstige Geschichten, die ähnlich gruselig sind, wie manche derer, die sie heute wieder schwenken, um in ihrer Angst vor Verschwörung Halt zu finden, zumindest an einer Fahnenstange.

Die deutschen Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold wurden erstmals am 9. März 1848 zu solchen, als der Bundestag des Deutschen Bundes in Frankfurt am Main während der Märzrevolution noch als Organ der Fürstenvertreter beschloss, sie zum nationalen Symbol zu machen. Seitdem wurden die schon auf dem Weg zur Hambacher Feste geschwenkten Farben vielfältig genutzt und missbraucht, um parteiliche Interessen durchzusetzen. Sie werden von den Organen des Bundes getragen, wurden während der Novemberrevolution 1989 in der noch DDR geschwenkt als Symbol der deutschen Einheit, tauchten während der WM auf der Fanmeile und an vielen Autos als Schmuck auf, ein fröhliches Zeichen der Partynation, die sich im Fußball feierte, wurden schließlich von den Pegiden missbraucht, die ihre Angstphantasien und ihren kollektiven Rassismus unter deren Banner stellten, fröhlich fahnenschwenkend an die Revolution von 1989 anknüpfen wollten, wogegen sich deren Köpfe lauthals wehrten, die bereits in der Demokratie auch ankamen.

Verliert das nationale Symbol so seine Unschuld der Fußballfeiern von 2006 und 2014 oder bleibt es unberührt und was hat es mit der Nation zu tun?

Ob das schon am Begriff der Nation liegt, die eben immer ein irgendwie begrenztes Gebiet beschreibt und damit Ausdruck der Beschränkung ist, die zum Wert erhoben wird, also logisch eher Beschränkte enthält, denen die Berufung zur Identität wird, ist noch offen, könnte aber manches verständlicher machen, warum schon vor den Farben der Begriff der Betrachtung wert ist.

Der Begriff Nation tauchte um 1400 erstmals im Deutschen auf und stammt vom lateinischen natio ab, das Volk, Sippschaft, Gattung, Menschenschlag oder Schar heißt. Er bezeichnet größere Gruppen von Menschen, die gemeinsame Sprache, Tradition, Sitten, Bräuche oder Abstammung teilen oder, noch ungenauer, denen dies zugeschrieben wird, was jedoch immer inadäquat bleibt, da keine Nation diesen Begriff vollumfänglich erfüllt, alle Grenzen gerade im Grenzgebiet verschwimmen.

Daneben wird dieser Begriff gerne auch umgangssprachlich für das Staatswesen oder Volk eines bestimmten Gebietes gebraucht, was aber von der wissenschaftlichen Betrachtung streng unterschieden wird. Die dabei zugeschriebenen kulturellen Eigenschaften werden auch der Nationalcharakter eines Volkes genannt, wer immer sich damit identifiziert. Somit erweist sich die Nation als ein bloß diskursives Konstrukt, das davon lebt, dass sich die in ihm lebenden darauf berufen und nur dadurch seine Wirksamkeit eintfaltet.

Zu vorbürgerlichen Zeiten wurden die Studenten aus einer bestimmten Region nationes genannt, um ihre Herkunft zu benennen. Erst in der Moderne und also zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters wurde der Begriff Nation mit Staat gleichgesetzt, wobei nur im Nationalstaat auch tatsächlich Staat und Nation zusammenfallen, nicht nur sprachlich.

Je nach Geschichte der Nation ist mal der Wille eine solche zu sein entscheidender als die ethnischen oder kulturellen Eigenschaften, wie etwa in der Schweiz, die verschiedene Sprachen, Kulturen und damit Volksstämme in einer Nation eint, die sich zur Nation bekennt. Im ursprünglich römischen Sprachgebrauch der Kirche waren nationes, diejenigen heidnischen aber nicht jüdischen Völker, die bereit waren, sich dem römischen Aberglauben zu unterwerfen und mit den jüdischen Christen zusammen dann die Gemeinschaft der Kirche zu bilden.

Alte Universitäten fassten unter bestimmten Regionenbegriffen ganze Weltgegenden zusammen, so waren Engländer oder anglicorum sowohl Briten als auch Deutsche und Einwohner aller nördlichen oder östlichen Länder, während Gallier alle Anrainer des Mittelmeeres zusammen meinte. Ähnliches war in Prag zu beobachte, wo alles, was aus westlichen Ländern kam Bayern waren, was auf die immer horizontale Verengung dieser Begriffe wohl verweist, denn im Osten hatten die Böhmen eben Bayern als Nachbarn, darüber hinaus wurde nicht gedacht.

Bedeutung gewann der Begriff mit der französischen Revolution, als sich die Nation als Souverän von der vorher ständischen Gesellschaft abgrenzen wollte, damit ging es gegen autokratischen Feudalismus, Kleinstaaterei und ähnlich einengende Bande, war mit Freiheit verbunden.

Die Brüder Grimm definierten in ihrem Deutschen Wörterbuch die Nation als das eingeborene Volk eines Landes oder einer großen Staatsgemeinschaft, womit wir schon fast bei der Unterscheidung zwischen Blutsrecht und Bodenrecht wären, wonach es darauf ankommt, von wem jemand oder wo jemand geboren wird, um Bürger zu werden, wobei die Deutschen, die eigentlich nie eine Nation waren sondern ein Gemisch von Stämmen, immer, dazu neigten, sich auf das Blutsrecht beriefen, während etwa die USA dieses vom Geburtsort mehr ableiten als von der Abstammung und damit zu einem anderen Verständnis von Nation logisch kamen.

Spannend ist gegen diese staatlich notwendig begrenzenden Begriffe von Nation noch derjenige, der Kulturnation, die sich über staatliche Grenzen hinwegsetzen kann und nur den Sprach- oder Kulturraum eines Volkes beschreibt, der sich jenseits aller territorialen Grenzen durch kulturelle Gemeinsamkeiten findet. Solche Kulturnationen sind oft eher ethnisch homogene Gemeinschaften, die eine Sprache oder andere Form der Kultur teilen, wozu häufig auch die Religionszugehörigkeit gehörte, also der gemeinsame Aberglaube. Warum das mehrheitlich unchristliche Neufünfland nun plötzlich das christliche Abendland als Kulturraum retten will, dessen geringster Teil meist die sind, die am lautesten dazu aufrufen, wird daraus nicht ersichtlich.

Staatsphilosophisch wird zwischen zwei Definitionsarten der Nation unterschieden. Zum einen gibt und gab es die essentialistische Definition die auf den alten Fichte zurückgeht und nach der Nation überzeitlich existent sei und nur noch der Artikulation bedürfe. So sieht Fichte die Nation, als eine von Gott geschaffene, die als ontologische Einheit für alle Ewigkeit unabhängig von der Geschichte bestünde. An diese Sicht knüpfte auch der berühmte und den Nazis sehr zugewandte Staatsrechtslehrer Carl Schmitt an und sie hat bis heute Bedeutung in der Repräsentationslehre, bei der es darum geht, dass die Volksverteter das Volk der Nation als Repräsentanten vertreten, was keiner zwingenden Logik folgt, sondern eher einem dubiosen Bauchgefühl der Nation entspringt und daher vernünftigerweise ähnlich kritisch zu bewerten ist, wie der Aberglaube auf den sie sich zu Anfang bei Fichte berief.

Vernünftiger versucht es da die jakobinische Vorstellung, nach der eine Nation eine Einheit ist, die politisch erst gebildet werden muss. Sie beruft sich auf den Franzosen Ernest Renan, demgemäß die Nation in ihrer Existenz ein tägliches Plebiszit ist, wie die Existenz jedes einzelnen eine ständige Bekräftigung des Lebens sei. Vor allem seien danach die Nationen nichts ewiges sondern werden einmal enden, so wie sie irgendwann angefangen haben und von einer europäischen Konföderation abgelöst werden.

Im Völkerrecht wird dabei vor allem auf die tatsächlichen Gemeinsamkeiten abgestellt und das Selbstbestimmungsrecht der Völker betont, das in der Charta der Vereinten Nationen seinen Niederschlag fand und das unabhängig davon gilt, ob dieses Volk bereits Teil eines Staates wurde oder nicht. Dabei gilt die Schweiz mit ihrer Selbstbestimmung aus der kleinsten Einheit heraus als Vorbild.

Die BRD hat eine inzwischen Mischform aus den Prinzipien der Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit gewählt, womit das alte Blut und Boden Recht modernisiert und erweitert wurde, was auch etwa die fahnenbejubelten Nationalmannschaften bunter machte.

Woher kam nun dieses Schwarz-Rot-Gold, als es der Bundestag 1848 aufnahm, auch um dem Geist der Zeit zu entsprechen?

Die Farben haben ihren Ursprung in den Befreiungskriegen gegen Napoleon und die französische Vorherrschaft in der Zeit von 1813-1815. Erstmals offiziell führte die Urburschenschaft, die 1815 in Jena gegründet wurde, die Farben verbunden mit dem Ziel, die landsmannschaftliche Zersplitterung zu überwinden und in Freiheit eine Nation zu bilden. Damit wurde sie zum Symbol einer Bewegung, die für eine Einheit des in viele Fürstentümer zersplitterten Deutschlands eintrat, wie auch für Freiheitsrechte und politische Mitbestimmung. Auf dem Hambacher Fest 1832 wurde dieses Symbol für deutsche Einheit erstmals von Teilnehmern geschwenkt und galt seitdem als Symbol für deutsche Republik, das im zweiten Kaiserreich unter preußischer Vorherrschaft noch einmal hinter das Schwarz-Weiß-Rot zurücktrat. Erstmals Flagge einer deutschen Republik wurde es nach 1918 in der Weimarer Republik und nach der Zeit des Nationalsozialismus, in der mehr das Hakenkreuz wehte, wurden die Farben zu denen von BRD und DDR, wobei letztere sie im dort üblichen sozialistischen Kitsch noch egänzen musste, um sich abzugrenzen vom wesentlich größeren westlichen Nachbarn.

Worauf also berufen sich nun wohl die Fahnenschwenker von Dresden bis Leipzig und zurück?

Die vermeintlichen Verteidiger des Abendlandes berufen sich wohl auf das Nationenverständnis nach Fichte, das heute nicht mehr verfassungsgemäß ist und nutzen dabei die politische Propaganda der Angst. Es geht ihnen nicht um Befreiung sondern um Beschränkung sowohl der Zuwanderung wie jedweder sonstigen Veränderung. Das Feindbild des Islam, das sie schüren, widerspricht dem Grundgesetz, in das viele gerade dieser Sachsen nie hineingeboren wurden oder das sie nie verstanden.

Unklar ist, ob sie das faktische Aussterben dabei bewusst riskieren wollen, dem der Osten der Republik sichtbar entgegen geht, oder lieber die Nation, die sie vermeintlich verteidigen, die es aber in dieser Form schon seit dem Untergang der DDR nicht mehr gibt, sich verändern und anpassen lassen wollen, wie es dem Grundgesetz entspricht.

Vermutlich überforderte schon die Fragestellung die Mehrzahl der Teilnehmer der Pegidademonstrationen intellektuell bei weiten und wird darum nicht zu klären sein. Lieber wird weiter mit den Ängsten, wie der vor Überfremdung und dem bösen Islam mit oft gefälschten Zahlen, wie es auch der AfD bisher ungestört tat, weiter operiert, um sich aus der dumpfen Angst eine Operationsbasis ohne Perspektive zu verschaffen, die den meisten Anhängern in ihren tatsächlichen Zielen völlig fremd ist und eben die deutsche Version des Stumpfinns einer Le Pen oder früher eines Haider schlicht bleibt.

Der Trumpismus der aggressiven Luftblasen als Begleitmusik der Entscheidungsfindung bei der politischen Willensbildung führt zu einem Kima, in dem lauter Unsinn einer zu großen Gruppe dummer Menschen allein durch die Lautstärke glaubwürdig erscheint, was verdächtig an die Stimmung der Hetze in der Weimarer Republik erinnert.

AfD und Pegida warnen vor dem Untergang und beschwören Ängste herauf, ohne Gründe oder Lösungen zu haben, im Gegenteil erzeugen sie genau die Wut, vor der sie warnen selbst und sind damit nicht Teil der Lösung sondern vielmehr Grund des Problems, an dem die Republik derzeit leidet.

Es ist weniger ein scheinbarer Rechtsruck als ein Phänomen der Verblödung wie es durch Teile der Medien noch beschleunigt wurde und gegen das nun dringend angegangen werden muss, um weiteren Schaden der Demokratie durch die sonst Alimentierung ihrer Feinde auf Staatskosten abzuwenden. Dazu braucht es Bildung und Aufklärung, um den Geist der Freiheit und der Republik hoch zu halten, für den Schwarz-Rot-Gold einst stand, der mit Freiheit und Einheit verbunden war, um die Nation zu überwinden, diese nutzlose Krücke, wenn sie erst im europäischen und dann im weltweiten System postnationaler Staatlichkeit aufgeht.

Vorgestrige wahnhafte Reichsbürger und ängstliche Pegiden im Bündnis mit den Populisten des AfD sind, was peinlich an Deutschland ist, wenn sie Schwarz-Rot-Gold schwenken, schaden sie dem Ansehen der Nation, wie den Farben der freiesten Republik, die es je auf deutschem Boden gab und, wie in Sachsen immer mehr sichtbar, der Wirtschaftskraft und dem Vertrauen ins Land. Sie sind, betrachten wir den Staat als landwirtschaftliche Gemeinschaft, lästige Schädlinge, die keine Entwicklung außer Verstärkung der Angst bieten, für die sie keine Antwort haben.

Dies publik zu machen, könnte manch wahnhaft unvernünftige Anhänger vielleicht noch zur Vernunft bringen, wenn nicht muss die Bundesrepublik eben auch diesen lästigen Aussatz überstehen, sie ist stark genug und am Ende siegt nicht die Dummheit. Sie sollten lieber den deutschen Dichter Goethe lesen und hochhalten, der zur Nation schon sagte, “zur Nation zu bilden, ihr Deutschen, ihr hofft es vergebens, bildet lieber freier zu Menschen euch aus.
jens tuengerthal 9.3.16

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