Dienstag, 1. März 2016

Frauenliebe 027

Altersfragen

Sie war die bisher jüngste aller meiner Frauen, jünger sogar als meine kleinen Schwestern, die doch immer tabu waren für mich und meine letzte Beziehung war doch noch zwei Jahre älter gewesen als ich, diese war nun acht Jahre jünger, was mich irgendwie schockierte und zögern ließ, auch wenn wir es gleich spürten, dass es stimmte, wir uns verliebt hatten, gleich am ersten Abend.

Es war auf einem Vortragsabend in einem Verbindungshaus, in dem sich schon ihre Eltern kennenlernten, wenn ich mich recht entsinne. Eine ältere Dame referierte über den Widerstand und ihren Vater, dessen Namensliste vielen um den 20. Juli den Tod brachte, ihn eingeschlossen. Es kam zu einem angeregten Gespräch über Schuld und Verantwortung, über Moral und Haltung und so engagiert ich dabei war, so spürte ich doch ihre Nähe und bahnte sich da etwas an, was mir gut gefiel.

Zugleich war und ist sie sicher eine der klügsten Frauen, die ich je kennnenlernte, gebildet, musikalisch, aus bester Familie, was wieder so eine für meinen Studienort typische Anmerkung ist, aber mir damals auch nicht völlig unwichtig war. Blond, sehr schlank, ein Hauch eher, wie ein Sommerwind, sprach auch leise wie das Flüstern der Blätter im Wind und war gerade von der Schule gekommen, ihr Medizinstudium zu beginnen und sie war also ganz vieles, was ich mir immer geträumt hatte, nur eben sehr jung, was mir, lange Sorgen machte, wenn es sich auch im Ergebnis fast umdrehte, aber dazu später.

Äußerlich schien sie mir noch ein wenig auf dem Weg vom Mädchen zur Frau und ihre vornehm zurückhaltende Art, die ich zunächst als mädchenhafte Schüchternheit mißdeutete, schien das Äußere auch innerlich zu bestätigen. So schien es einerseits, andererseits zeigte sich schon im ersten Gespräch, wie gebildet sie war, was sie an philosophischen Texten, wie etwa Adornos Minima Moralia, bereits als junges Mädchen gelesen hatte und ich, der es zugegeben noch nicht gelesen hatte, war beeindruckt von dieser Frau und bin es heute noch, wo sie längst eine bekannte Wissenschaftlerin, erfolgreiche Ärztin und Forscherin ist, die ich für eine der Kandidatinnen für einen Nobelpreis heute halte.

Damals aber war sie ein Erstsemester, frisch in ihrer Studienstadt und völlig unerfahren, auch was Männer betraf, ich war der erste, was mich rührte und erschreckte und ich versuchte mich ihr mit Vorsicht zu nähern, spürte ich doch, was für einen Schatz ich da entdeckt hatte. Dagegen war ich ein Examenskandidat, bereits zweimal durchgefallen, mangels Neigung und wohl Eignung für die Jurispudenz und zu diesem Zeitpunkt noch verlobt. Allerdings weilte meine Verlobte da bereits mit ihrem Examen in der Tasche in Paris und arbeitete für irgendeine UN-Organisation zum Weltkulturerbe, ich war also eigentlich Strohwitwer aber gebunden.

Diese Bindung aber neigte sich innerlich schon dem Ende zu - sie hatte eine Nacht im Bett ihres Vermieters in dessen Schloß aus Familienbesitz sie lebte, verbracht, ohne das etwas passiert wäre, wie sie zunächst sagte und später relativierte, sie hatte es vermutlich geschehen lassen, wie so oft, dachte ich und dachte zugleich, was sie durfte, durfte ich doch wohl auch und schob gewisse innere Einwände zur Seite.

Nur war das nicht einfach eine Geliebte, mit der ich Spaß haben würde, während die Verlobte weit weg weilte, es war spürbar mehr, wir verliebten uns aus vollem Herzen und ich wollte sie ganz.

Sie war offen dafür und es schien ihr emotional ganz ähnlich zu gehen, es passte einfach, auch wenn sie mir, wie ich schon zu oft schrieb, eigentlich zu jung war, wie ich rein formal noch dachte, als sagte Alter irgendetwas über den Menschen aus, doch diese Erfahrung hatte ich noch nicht gemacht, wenn ich es auch selbst gewohnt war wesentlich ältere Freunde und Geliebte zu haben, von diesen selbstverständlich als gleichberechtigt immer anerkannt werden wollte.

Warum ich das bei ihr nicht schaffte, sondern mich immer wieder am Alter störte, weiß ich bis heute nicht, war eben wohl Gefangener meiner Erziehung, der jeglichen Gedanken an Sexualität bei meinen Schwestern und damit logisch für mich bei allen die jünger waren, tabuisierte. Solche Tabus wirken wie Scheuklappen, die den Blick verstellen für das, was um dich ist, diesen nur in eine Richtung lenken und dann scheint dir eben das eine, auf das du achtest, riesengroß, auch wenn es, von heute betrachtet nur eine Kleinigkeit ist und ich heute zu ihren größten Bewunderern zähle, zu schätzen weiß, wie klug diese vielfältig gebildete Frau ist, die nebenbei noch Philosophie studierte und mit ihrer Forschung in der Neurologie vermutlich die Menschheit weiter bringen wird.

Sie war auch von Familie, halbblütig adelig, wie ihre Vorgängerin meine eigentlich noch Verlobte, von der ich mich aber bald ganz friedlich trennte. Mütterlicherseits stammte sie aus einem baltisch-schwedischen Geschlecht von großer Tradition und Bedeutung. Auch ihr Vater hatte als Jurist eine bedeutende Karriere gemacht und saß sehr weit oben in einem der großen Geldhäuser, lass es eine Versicherung oder Bank sein, was spielte das für eine Rolle. So war sie behütet in bester Gegend aufgewachsen umgeben von Kunst und Künstlern, die der Vater förderte.

In ihrem Elternhaus, das ich später an ihrem Geburtstag kennenlernte, hingen alte neben modernen Künstlern. Dort lernte ich Beuys als großen Künstler schätzen, der am Esstisch hing. Ein anderer bekannter Zeitgenosse, dessen teils riesige Werke ich aus dem Städel kannte, hatte sie und ihre beiden Brüder als Kinder gemalt und ich war sehr beeindruckt.

Sie hat am Valentinstag Geburtstag und so denke ich an diesem Tag der LIebe heute mehr an sie als an irgendwelche kultischen Handlungen zugunsten der Blumenindustrie, nicht der Liebe wegen, sondern einer besonderen Frau wegen, die zugleich klug, frühreif und alterslos kindlich war, die ich nicht greifen konnte und die jenseits aller Schemen blieb.

Auf einem Ohr schwerhörig seit Kindertagen erlebte ich mit ihr beim Flüsterspiel bei meinem adeligen Freund zuhause eine große Blamage, die mir peinlich war und bei der ich mich heute frage, ob ich sie genug beschützte und weiß, ich tat es nicht. Hätte mich vor sie stellen sollen und es verhindern müssen, aber sie nahm es sehr gelassen, wie vieles.

Ihr Körper war zierlich und ihr Busen mädchenhaft klein, um die Hüften etwas kräftiger, war sie sonst mehr als dünn und neigte noch dazu, wenn sie krank war, noch mehr abzunehmen. Sie reizte mich einerseits und andererseits stieß mich ihre Jugend ab, löste eine Tabuschranke aus und in den Strapsen, zu denen ich sie überredete und die sie, die Spaß am Sex mit mir hatte, zumindest in den Grenzen des normalen, auch gerne trug, wirkte sie für mich ein wenig verkleidet, was mich einerseits anmachte, andererseits auch abstieß.

Zwischen dieser einerseits Bewunderung und andererseits dieser Fremdheit, suchte ich in mir nach dem Weg zu ihr. Fühlte sie war die Richtige und konnte doch zugleich nicht ganz daran glauben, ihr Zeit lassen, sondern war ungeduldig und wollte als älterer diese kluge, junge Frau formen und erziehen, wurde teilweise autoritär, was sie verwirrte und wogegen sie sich mit ihrer üblichen Vornehmheit und Langsamkeit verwahrte.

Sie liebte mich und vertraute mir, wie ich ihr und doch hatte ich diese Zerrissenheit, dachte sie ist mir zu zart, zu mädchenhaft, wollte eine richtige Frau und nicht diesen Windhauch und konnte diesen inneren Zwiespalt nur teilweise überspielen. So wurde aus der Liebe eine nur Beziehung mit einer auf ihre Art sehr eigenen jungen Frau, die meinen Ansprüchen nicht gerecht werden wollte und ihren eigenen Kopf hatte, während ich ihr, um mich durchzusetzen, alberne Ultimaten stellte, Schluß machte und mich wieder versöhnte und heute 20 Jahre später sagen muss, eigentlich war ich es, der sich unreif verhielt, sie nicht als die würdigen konnte, die sie war.

Es endete am Tag nach ihrem Geburtstag, als ich mit ihr zum Mainzer Karneval wollte mit meinen Freunden dort und sie nicht wollte und ich ihr dafür Ultimaten stelle und sie darum verließ, statt den kostbaren Schatz sorgsam zu hüten. Sie ist ein wundervoller Mensch und wir schrieben uns noch Jahre später, dann per Mail, Gedichte und sie inspirierte mich mit ihrem Minimalismus und ihrer Tiefe, auch wenn ich immer noch manchmal dachte, sie sei nicht ganz von dieser Welt, schwebte über den Dingen. Aber was machte das, soll sie doch schweben, denke ich heute und wie schön hätte es sein können, hätte ich damals schon die Reife gehabt, über den Altersunterschied hinwegzusehen, der eher meine Unreife im Ergebnis bezeugte, als ihre Jugend.

Es war sicher die richtige Frau, vielleicht zum falschen Zeitpunkt und vielleicht war ich auch nicht der Richtige für sie, so ist es gut, sie heute von Ferne zu bewundern, als großartige Wissenschaftlerin und ihr das Gefühl der Bewunderung entgegenzubringen und die Erinnerung an eine Liebe, die groß hätte werden können, weiter in mir zu tragen. Gäbe es eine Walhalla meiner Lieben, hätte sie sicher einen Ehrenplatz, die aufrechte, kluge Frau und ich wünsche ihr, dass sie das Glück findet, das sie verdient. Verbinde sie in Gedanken mit Sophie Scholl und Marie Curie, denke an Bonhoeffer, den sie mir nahe brachte, als Humanisten, ohne das mir ihr Glauben nahe gekommen wäre.

Manchmal kommt es auf das Alter und die Reife an, doch schauen wir genau hin, verhält es sich damit oft ganz anders, als es uns auf den ersten Blick schien. An ihrer Größe meine eigene Bescheidenheit und meine Fehler zu erkennen, lässt mich irgendwie vielleicht reifen und so lerne ich noch heute, quasi reflexiv, dankbar von ihr.

Sie hat sicher auch ihre Fehler und Eigenarten, die mir aber nicht einfallen und darum ist es gut so, ihr ein Denkmal zu setzen und sich der Erinnerung zu erfreuen von solch einer Frau geliebt worden zu sein, könnte doch zumindest ein wenig Hoffnung geben, nicht völlig verkehrt zu sein, auch wenn es an mir scheiterte und sie, wie ich es schon oft erlebte und noch erleben sollte, meine leicht cholerischen Ultimaten nur annahm und darum eigentlich unklar ist, wer es beendete, ich vielmehr einfach froh bin, dass es war und sie mir ihre Welten öffnete und im Gedanken, an das, was ich mit ihr verlor, kann ich noch viel mehr würdigen, was ist, wie wichtig in der Liebe Geduld und ein weiter Blick ohne Scheuklappen sind, die, was möglich gewesen wäre, zerstörten aber mit der Erkenntnis dessen, mich um so mehr genießen läßt, was ist und so gesehen, kommt es auf das innere Alter und die Reife an, sich entscheiden und würdigen zu können, was ist. Manche haben das mit Anfang zwanzig bereits, ich in dieser Hinsicht eher spätreif, musste wohl über vierzig werden, um es zu merken und wertschätzen zu können.

Was mich im Gedanken an diese kurze Liebe weniger Monate, die mich geistig mehr bewegte als viele andere davor und danach, zu der Frage bringt, ob Reife damit zusammenhängt das eigene Glück wertschätzen zu können und es dabei mehr um die Haltung zu den Dingen geht, als was wirklich ist. Wenn also wichtiger wäre was wir uns dazu denken oder dabei fühlen, als das, was wirklich ist, sich also normative Komponenten der Bewertung, von Alter bis Intellekt oder Schönheit, nur an unserer relativen Haltung dazu messen, was dann wirklich ist, worauf es für das Glück ankommt.

Kann ich mit meiner Haltung eine Frau mir zur Schönsten machen, was liebend so leicht scheint und ist die Fähigkeit alles übrige auszublenden, wenn wir verliebt sind oder lieben, kein Mangel an Objektivität, sondern vielmehr eine tiefere Form des Durchblicks?

Betrachte ich das mir nahe Wesen mit Liebe, weiß ich, sie ist die Schönste und das größte Glück und dieses Wissen ist mir eines, was keiner weiteren Beweise braucht, weil es ist, was es ist. Sehe ich das nicht und relativiere ich ihre Schönheit im Vergleich, liebe ich wohl nicht ganz oder fürchte mich vielleicht, mich auf dieses Gefühl ganz einzulassen, was die Welt so schön machen kann.

Diese einst Liebste heute, zwanzig Jahre fast danach, so zu betrachten, zeigt mir, dass sich der von Natur aus beschränkte Horizont geweitet hat, ohne ihr heute mehr als Bewunderung entgegen bringen zu wollen. Aber ist wirklich der Horizont von Natur aus beschränkt oder war es nur meine Erziehung und Umgebung, die mich lange beschränkte?

Weiß es nicht genau, zumindest hat mich diese Beschränkung aufgrund der moralischen Scheuklappen noch weiter suchen lassen und auch wenn ich keiner mehr begegnete, die ihr vergleichbar wäre, sie ist eben sehr eigen, gewesen und vermutlich noch, habe ich das Glück gehabt in meinem Leben noch vielen wunderbaren Frauen zu begegnen von denen und den Gedanken, die sie in mir formten, es weiter zu erzählen gilt, denn wo sind wir uns je näher als bei der Suche nach Liebe, die uns auf das zurückwirft, was wir sind, neben all der Show und dem Theater, was wir darum veranstalten. Vielleicht sind wir liebend erst wirklich, nur weiß ich nicht, wie oft wir es dabei bemerken und wie lange wir uns dafür nicht lieber konventionellen Anschauungen hingeben, weil es so sein soll.
jens tuengerthal 29.2.16

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