Mittwoch, 2. März 2016

Kulturgeschichten 0145

Nichtstun

Manche Politiker werden gescholten für ihr Nichtstun andere für dasselbe geliebt weil es weniger auf das was als seine hinterher oder manchmal auch vorher Bewertung ankommt. Was ist also was wert und wie bewerten wir das?

Mehr oder weniger tun kann also gerade das Gegenteil bedeuten in der Bewertung, weil es uns einmal als weise und ruhige Hand erscheint oder geriert wird, ein andernmal aber als völliges Versagen von uns bewertet wird.

Liegt dies an den Umständen oder an den Beteiligten, ist die Bewertung zufällig oder auch eine Form von Politik und kann Nichts je einen politischen Wert haben im Sinne einer sittlich-moralischen Beurteilung?

Das Nichts oder nichts tun sind dabei schon wieder zwei verschiedene Dinge und so drohe ich, bevor ich anfing von dem historischen Beispiel zu erzählen, bereits in einen unendlichen philosophischen Konflikt hineinzurutschen, der nicht einfach lösbar mir scheint, wenn es auch spannend wäre, sich zu fragen, ob es für das Nichts auf nichts ankommt oder nichts völlig egal für das alles umfassende Nichts ist. Egal wie wir dazu stehen und welcher Anschauung wir folgen, ist etwas zumindest nicht nichts.

Wer etwas tut, hat nie nichts getan. Manchmal aber schadet voreiliges Tun mehr als geduldiges Abwarten nutzt und dann haben diejenigen, die warten immer noch mehr getan als jene, die etwas taten, weil sie nichts schadeten mit ihrem Nichts, während etwas selten spurlos ist.

Am 2. März 986 bestieg nach dem Tod Lothars I. mit Ludwig V. der letzte Karolinger den Thron des westfränkischen Reiches. Er blieb bis 987 König und trägt den Beinamen der Nichtstuer, auf Latein qui nihil fecit, der sich aber nicht auf seine Passivität bezog, in den 14 Monaten, die er hatte, war er ein sehr rühriger, wenn auch manchmal widersprüchlicher Herrscher, als auf die Kürze seiner Regierungszeit, in der er nichts erreichen konnte.

Ludwig war der ältere der beiden Söhne von König Lothar und seiner Eherfrau Emma, einer Tochter Konig Lothars II. von Italien und der Adelheid, die nach dem Tod von Emmas Vater dann Otto den Großen heiratete, den König des ostfränkischen Reiches aus dem Geschlecht der Liudolfinger, der vom Herzog der Sachsen zum Kaiser aufstieg. Sein jüngerer Bruder Otto starb noch vor dem Vater und die übrigen Kinder waren alle unehelich also nicht erbberechtigt im dynastischen Sinne.

Zur Sicherung der Erbfolge hatte ihn sein Vater Lothar bereits mit 12 oder 13, so genau ist sein Geburtsdatum nicht bekannt, zum Mitkönig erhoben und weihen lassen. Nur drei Jahre später dann verheiratete er seinen Sohn mit der reichen Witwe Adelheid, der Tochter eines Grafen von Anjou. Kaum verheiratet, schickte ihn sein Vater nach Aquitanien wo er als König selbst oder als Mitregent, die Quellen lassen beides für möglich halten, noch zwei Jahre regierte, bevor ihn sein Vater an den Hof zurückrief.

Angeblich war der Teenie-König leichtsinnig und kümmerte sich wenig um seine Pflichten als Herrscher, jedoch ist unklar inwieweit die Quellen da zuverlässig sind, da die Informationen von späteren Geschichtsschreibern stammen, die den folgenden Dynastiewechsel rechtfertigen wollten, als nach den Karolingern plötzlich die Karpetinger regieren wollten, half es ihnen zur Legitimation, die Vorgänger oder zumindest deren letzten Sproß als unfähige Nichtstuer darzustellen.

An den Hof des Vaters zurückgekehrt wurde nach nur zwei Jahren die Ehe mit der reichen Witwe wieder aufgelöst, was nicht unbedingt dafür spricht, seine Sprunghaftigkeit und Unfähigkeit zu widerlegen.

Nach dem Tod seines Vaters bestieg der vermutlich knapp zwanzigjährige unangefochten den Thron, damit endete die Einigkeit jedoch schon. Am Hof standen zwei Parteien in Konkurrenz. Zum einen gab es Emma, die zu ihrer Mutter, der Kaiserin Adelheid und damit den Ottonen hielt, der sich auch Erzbischof Adalbero von Reims anschloss. Die andere Seite wollte den Kurs von Lothar fortsetzen, nach Osten expandieren und das alte Lotharinigien zurückerobern. Sein mächtigster Vasall war Hugo Capet, der Herzog von Franzien und Burgund, aus dem Geschlecht der Robertiner, die schon lange mit den Karolingern um die Macht konkurrierte.

 Anfangs beherrschte Ludwigs Mutter Emma noch ottonenfreundlich die Lage, doch, wie es eben bei trotzigen Kindern, die sich emanzipieren und eigene Wege gehen wollen, manchmal so ist, änderte sich die Stimmung unter dem Einfluss anderer Berater Ludwigs schnell und Emma musste den Hof verlassen, fand aber ausgerechnet bei Hogo Capet Zuflucht, dem stärksten der Vasallen und Konkurrenten ihres Sohnes. Auch Adalbero fühlte sich daraufhin bedrängt, lieber zu fliehen, verließ Reims und suchte Zuflucht auf seinen Burgen an der Maas, die aber schon im ottonischen Machtbereich lagen, was wiederum Ludwig als Beleidigung und Kränkung empfand und woraufhin er dem flüchtigen Bischof mit der Belagerung von Reims drohte, wenn er nicht sofort dahin zurückkehrte - eine gewisse Paradoxie in diesem Verhalten mag den Sitten der Zeit so sehr geschuldet sein wie der Jugend des letzten Karolingers. Nach dieser großen Drohung, die logisch nicht bewirkte, dass Adalbero in eine Stadt zurückkehrte, der die Belagerung nun angedroht war, besann sich der junge König und ließ sich auf den Kompromiß ein, die ganze Angelegenheit auf dem Hoftag in Compiégne zu klären. Wichtig war der Erzbischof von Reims nur, weil er traditionell die französischen Könige krönte und Tradition Königen natürlich wichtig ist, was sonst begründete ihre Macht.

Ehe dieser avisierte Hoftag zusammentrat, änderte Ludwig noch einmal den Kurs und strebte die Aussöhnung mit Adalbero an und im Frühjahr des Jahres 987 wurde schon von einem Friedensschluß mit den Ottonen geraunt, konkret mit Otto III. oder dessen Mutter Teophanu, einer eingeheirateten byzantinischen Prinzessin.

Doch auch dieser Versuch kam zu keinem Ende mehr, da Ludwig am 21. Mai 987 bei einem Jagdunfall zu Tode kam und so viel anging aber nichts erreichte, vor allem nicht mal einen Nachkommen hinterlassen hatte in seinen 14 Monaten westfränkischen Königtum.

Letzteres hätte nun den Erbanspruch seines Onkels, Karl von Niederlothringen, begründet, der sich jedoch bei den Fürsten nicht durchsetzen konnte, die sofort Hugo Capet zum neuen König wählten, der das Geschlecht der Karpetinger begründete, das die Karolinger ablöste.

Ludwig wird in der Forschung vielfach negativ beurteilt, weil er so sprunghaft war und die Herrschaft der Karolinger ohne merkbare Spuren beendete. Dagegen spricht, dass er jung war und ihm durch seinen frühen Tod keine Zeit mehr blieb, die Wirkung seines Handelns abzuwarten.

Der Tod als neues Nichts, das ins Leben tritt und einfach beendet, was wir anfingen oder wollten, alle Pläne erledigt und zu nichts macht, weil derjenige einfach nicht mehr ist, der tun sollte, hatte in den Monarchien, die sich noch stärker auf Personen als auf Parteien oder Gruppen stützten, gravierende Auswirkungen gehabt - es konnte sich je nach der Person des Herrschers und wie beeinflußbar er war, wie stark der Hof herrschte oder andere Kräfte die Richtung der Politik mit dem Tod völlig verändern, was in der Demokratie, die Macht stärker an Parteien und Instutionen als nur Personen bindet, verhindert werden soll.

Der als Nichtstuer bezeichnete Ludwig war einer, der eifrig in alle Richtungen viel unternahm, bis ihn das große Nichts einholte bei der Jagd und er einfach nicht mehr war. So wurde er dadurch, dass er nicht mehr war zum Nichtstuer, weil er nichts vollenden konnte, keinen konsistenten Kurs fand, die Suche nach einer Richtung noch nicht abgeschlossen war.

Ist das Nichts also am Ende mächtiger als alles etwas zuvor oder war es nur das Interesse der nachfolgenden Karpetinger alles etwas als nichts darzustellen, um ihr Tun zu etwas mehr als dieses Nichts zu machen, sich zu profilieren auf Kosten des toten Vorgängers.

Wir wissen es nicht und werden es vermutlich nie erfahren, da die lange regierenden Nachfolger von Hugo Capet alles taten, ihr Erbe im besten Licht erscheinen zu lassen. Verschwörungstheoretiker und ähnliche Narren haben vermutlich schon aufgemerkt, als sie lasen, dass Ludwigs Mutter Emma, von der Ottonen-Partei, ausgerechnet beim stärksten Konkurrenten, dem Herzog Hugo, Zuflucht fand.

Da könnte der unerwartete und plötzliche Tod auch einem sehr gelegen gekommen sein, der fürchtete, der junge König, könne sich bald wieder mit der Mutter vertragen und sich mit den Ottonen versöhnen, seine Macht beschneiden. Wir wissen es nicht, zumindest setzte Hugo dann die von Otto am Ende begonnene Politik fort und erstrebte die Versöhnung mit dem benachbarten Kaiserreich der Ottonen.

Im übrigen wirkt das von Hugo Capet begründete Herrschergeschlecht bis in die Gegenwart, es stellte nicht nur alle Könige Frankreichs, sehen wir von dem Aufsteiger aus Kreisen der Revolution Napoleon einmal ab, ist so Begründerin der Häuser Valois, Bourbon und Orléan, regiert bis heute in Spanien und ist mit anderen Geschlechtern eng verwandt und deren Herrschaft wurde erst durch die Februarrevolution von 1848 endgültig in Frankreich beendet. Hugos Mutter Hadwig war übrigens eine Schwester von Otto dem Großen, so dass auch die Liudolfinger damit weiter wirkten.

Hugo hat lange nichts gemacht, als Ludwigs Vater Lothar gegen die Ottonen vorging und hatte nur bemerkt, wie viele Feinde sich Ludwig machte, als er gegen den Erzbischof von Reims und seine Mutter vorging, Er hielt sich zurück solange es geboten war, bot nur der Mutter Emma Asyl, verhielt sich also wie ein treuer Vasall, obwohl von einer Ottonin abstammend und stand doch im richtigen Moment bereit, als sich der letzte Karolinger in Position bringen wollte, den nicht mal die Ottonen unter da schon Otto III. als König im benachbarten Westfrankreich wollten.

Taktisch und machtpolitisch klug begründete so eine neue Dynastie ihre Ansprüche und gewann durch Treue und Distanz die Sympathien aller Beteiligten. Auch dabei zeigt sich, dass sehr lange nichts das wichtigste war, sie sich durchsetzten, weil nichts gegen sie sprach und sie den Wählern mit nichts mehr attraktiv schienen. Die Gratwanderung zwischen lange nichts und etwas im richtigen Moment scheint danach der Schlüssel zu dauerhafter Herrschaft zu sein.

Kanzlerin Merkel stand lange im Dauerfeuer der rechtsradikalen Kräfte wie der eigenen Partei teilweise und tat scheinbar nichts, weil sie wusste, alles, was sie auch anfinge, brauchte Zeit und auf Dauer, saß sie in der erfolgreichsten Volkswirtschaft am längeren Hebel.

Keiner ihrer Gegner, die auch nur etwas Ahnung von der Materie hatte, sprach von den Kosten der Flüchtlingsaffäre sondern inszenierten Fragen wie Unterbringung und Identität zu Dramen, die keine waren. Dies taten sie nicht, weil sie wussten, die Kosten könnte Deutschland noch lange und dreifach tragen, nichts wäre besser als nun Schulden aufzunehmen, zu Niedrigzinszeiten und mit besten Konditionen, es ging um lächerliche Beträge, warum Merkel auch etwas unwillig auf die lächerlich populistische Initiative ihres völlig unfähigen Stellverteters von der früher SPD Gabriel reagierte.

Um Geld geht es nicht, es handelt sich bei den fraglichen Geldern staatspolitisch um Peanuts, der Gewinn dürfte höher sein als die Kosten, von den sozialpolitischen Chancen ganz zu schweigen.

Es ging also im ganzen nur um lästigen völkischen Populismus, aufgeheizt durch die minderbegabten Sachsen, die sich immer noch wie im Tal der Ahnungslosen benachteiligt fühlen, auf den manche aufsprangen, die hofften die nahezu konkurrenzlose Kanzlerin so beschädigen zu können zugunsten ihrer eigenen Macht. Es ging um nichts und es wurde so getan, als drohe der Untergang des Abendlandes, warum Merkel dreimal im halben Jahr eine Talkshow besuchte, einige ihr lästige Dinge tun musste, wo sie lieber nichts getan hätte, um die Stimmung im Land zu beruhigen und es gelang ihr sichtbar.

Sorge bereitet einigen, mit wem die Kanzlerin regieren soll und wie lange sich das Land mit den schwarz-braunen Idioten am rechten Rand noch herumschlagen muss. Warum die SPD, sich mit ihrem Vorsitzenden immer wieder selbst demontiert, bleibt unklar, scheinbar ist sie im Machtgefüge nicht mehr nötig, könnte ersetzt werden und so resultiert mehr an AfD Wählern aus frustrierten Proleten aus dem SPD Wählerumfeld als es erzkonservative CDU Wähler wären, denen die Kanzlerin zu mittig ist.

Wenn Merkel Kurs hält und die positiven Effekte ihrer Politik sichtbar werden, der Frieden in Syrien vielleicht beim dritten Versucht hält, die Menschen aus deutschen Turnhallen wieder in ihre Heimat gebracht werden, könnte sich zeigen, dass die Kanzlerin, die lange nichts tat und viele darum aufregte, zur Einerin Europas in der Krise wird, die das Boot mit ruhiger Hand in friedliche Gewässer steuert und sogar Putin noch in seine Schranken weist, der noch mit seinen russischen Propagandamedien, das Märchen von der Lügenpresse verbreiten lässt, um seine Gegnerin zu schwächen, die demokratische Umgangsformen von dem absoluten Herrscher Russlands fordert.

Die Kanzlerin, der ihre Gegner Versagen in der Flüchtlingskrise vorwarfen, durch den Verzicht auf eine absurde Obergrenze, die nie verfassungsrechtlichen Bestand hätte, könnte als große und einzig unbeschädigte Siegerin aus der Krise hervorgehen, die nicht nur Seehofer weiter beschädigen und lächerlich machen wird, in der Gabriel jede Verbindung zu seinem klassischen Klientel verlor, um rechts zu buhlen, wo er nichts zu gewinnen hat - die Grünen werden je nach Ausgang der Wahl in Baden Würtemberg ein Zünglein an der Waage oder das schlechte Gewissen einer Generation, die langsam alt wird, ohne politische Bedeutung auf Dauer, auch wenn dort die SPD wie überall noch schwächer dasteht.

Ob die Linke den Part der SPD übernimmt, die Gabriel so gekonnt mit seiner Pegida Nähe und seinen meist absurden Vorschlägen bei gleichzeitiger liberaler Wirtschaftspolitik völlig vor die Wand fuhr ohne ihr irgendeine Perspektive zu geben, ist noch unklar - zu sehr ist sie durch die SED Nachfolge noch belastet im Westen, immer mehr wird es um pragmatische Lösungen statt linke Träume gehen.

Auch in Rheinland Pfalz bewies, die Amtierende, dass sie ihre Gegnerin am besten kommen und selbst vor die Wand laufen lässt, punktet mit mehr Nähe zur Kanzlerin, die Klöckner zu oft vor den Kopf stieß und führt zu einem absurden Wahlkampf in dem sich die SPD mit ihrer Nähe zum Kurs der CDU Kanzlerin gegen die CDU Kandidatin vor Ort positioniert und beide nicht viel zu gewinnen haben.

Die Kanzlerin tut wenig dafür, lässt geschehen und die jungen Wilden sich ihre Hörner abstoßen. Wer nicht rechtsradikal werden will oder die Honecker-Erben fördern möchte,  hat kaum eine Alternative zur Kanzlerin derzeit, was für eine Demokratie schlecht ist, aber angesichts der Alternativen zumindest insoweit gut ist, als es die vernünftigen Kräfte auf sie konzentrieren wird, statt wie in den USA eine lächerliche Polarisierung zu riskieren, wobei ja auch da manche raunen, der alte Freund der reichen Familie Clinton kandidiere nur als lächerlicher Opponent, um ihr als Kandidatin der Mitte Stimmen zu schenken, denn welcher ernsthafte Amerikaner würde diesen Clown wählen?

Vermutlich sind es die gleichen mit Potenzschwäche, die zu Pegida Aufmärschen gehen und Deutschland so lächerlich machen in ihrer intoleranten Dummheit, die an den Fragen der Zeit so sehr vorbeigeht, die Trump oder AfD wählen und große Sprüche über die sie selten hinausdenken können, für eine angemessene Antwort auf die Fragen der Zeit halten.

Der Griff nach der Macht braucht oft mehr nichts als etwas, um attraktiv zu bleiben für eine große Menge und das gilt genauso ob nun Fürsten oder Wähler wählen, bei beiden mendelt sich am Ende die vernünftigste Entscheidung heraus. Vergessen wir den Nichtstuer Ludwig V., er hatte nie die Gelegenheit, etwas zu bewirken, sehen wir von jeder Verschwörung zur Machtergreifung der Karpetinger ab, nehmen wir die Geschichte nicht zu ernst, so zeigt sich doch, Vernunft und Gelassenheit siegen, weil sie überzeugen und mehr muss zu Merkel im lächerlichen Geschrei ihrer Feinde und der Populisten nicht mehr gesagt werden. -sie muss nichts tun, um zu bleiben, sie könnte nur etwas falsch machen, verdrängt zu werden und so ist es eine Frage von Macht und Vernunft, was Deutschland besser steht als lächerliche Überfremdungsängste.
jens tuengerthal 2.3.16

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