Dienstag, 31. Oktober 2017

Tiergartenflaneur

Über den Tiergarten wurde jüngst viel geschimpft in den Medien und Rathäusern der Stadt, weil er zum Strich für Flüchtlinge, zur Notunterkunft und zum Dealerrückzugsort werde, vom jüngsten Mord nahe dem Zoo, der den Boulevard wochenlang beschäftigte, ganz zu schweigen. Ein Ort des Grauens in der Großstadt also, den ich nun in Ruhe nach Einbruch der Dunkelheit erkunden wollte.

Wie alle Leserinnen sofort bemerken werden, ich habe es überlebt und, wie ich hinterher schiebe, habe mich sehr wohl gefühlt, von Gefahr merkte ich nichts und genoss Ruhe und Rauschen in der grünen Lunge mitten in Berlin. Es gibt auch andere Ecken, mag alles sein aber dafür ist ja Berlin auch eine Großstadt - früher gab es noch die Huren am 17. Juni, die fehlen heute auch, was der zu breiten Straße viel nimmt von ihrem sinnlichen Flair.

Los ging es wie immer am Helmholtzplatz, den ich die Lychener Straße hinunter verließ, um über die Danziger, durch die Kulturbrauerei und die Oderberger zur Kastanienallee gen Mitte zu kommen, wo es dann den Weinbergsweg hinunter zum Rosenthaler Platz ging, der tosenden Kreuzung an der früher das Rosenthaler Tor lag, durch das Vieh und Juden in die Stadt nur durften und an dem auch Moses Mendelssohn einst Berlin betrat.

Hatte nach dem Lärm dort ein dringendes Bedürfnis nach Ruhe und bog, die Rosenthaler Straße überquerend in die Linie ein, der ich, den schönen roten Himmel immer wieder bestaunend, folgte, bis sie in die Oranienburger mündet, die ich, immer wieder der Liebsten im Ohr vom heutigen Himmel hier vorschwärmend, so schnell überquerte wie die Friedrichstraße, aus der ich schnell in die Reinhardtstraße nach Westen abbiegend wieder floh. Ist doch der glitzernde Friedrichstadtpalast einfach zu hässlich, ihn länger als nötig anzusehen - Volkes Varieté eben mit weniger Stil als Farbe.

Nach der FDP Zentrale, die ja scheinbar bald wieder eine größere Rolle spielen wird, wie dem Bunker mit der Sammlung Boros, bog ich in die Albrechtsstraße ein, von der ich wieder gen Westen, wollte ja zum Tiergarten, in die Marienstraße flanierte. Gehe einfach zu gern an der Böse Buben Bar dort vorbei - jenem schönen Lokal mit den wunderbar gefüllten Bücherwänden, die noch jeden Ort schöner machen, die ich dringend mal wieder besuchen muss - das letzte mal muss schon bald acht Jahre her sein, wenn ich mich richtig erinnere.

Mit Blick auf das Künstlerheim Luise, bog ich dann in die natürlich Luisenstraße ein, die zur Marschallbrücke führt, ab der sie Wilhelmstraße heißt. Diese noch vom Soldatenkönig 1730 angelegte Straße, erhielt dessen zweiten Namen nach dem Tod des Vaters von Friedrich dem Großen. Der Sohn Friedrichs I. hatte sie noch ursprünglich Husarenstraße genannt. Bis 1945 war die Wilhelmstraße der Sitz der Reichsregierung und so etwas wie die Downing Street No.10 von Berlin. Wie überaus passend, dass heute die SPD ihr Hauptquartier an ihrem Ende hat und damit treffend auf die Situation der Sozialdemokratie im Land hinweist, die eben am Ende scheint, was sie aber auch schon gut kennt.

Doch soweit wollte ich nicht gehen, auch nicht am Finanzministerium oder der Britischen Botschaft vorbei, sondern bog noch vor dem Adlon, wieder nach Westen gen Pariser Platz auf das letzte Stück von Unter den Linden ein. Bestaunte das Brandenburger Tor vorm wunderschönsten preußischblau des Himmels, durchschritt das Tor durch die früher dem Kaiser vorbehaltene mittlere Spur und überquerte mit Blick auf die im Abendhimmel glänzende Goldelse tief im Westen den Platz des 18. März, der an die bürgerliche Revolution von 1848 erinnert, die Preußen für ein verrücktes halbes Jahr wesentlich demokratischer machte.

Noch staatstragender dann überquerte ich noch die Ebertstraße, die an den ersten demokratischen deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert erinnert, dem in der Weimarer Republik nur noch Hindenburg und Hitler folgten, um endlich mit einbrechender Dunkelheit oder letzter Dämmerung in den Tiergarten zu kommen und dort schleunigst ungesehen Erleichterung hinter einem Baum zu suchen, was wirklich dringend inzwischen war. Das mag natürlich das allerletzte für eine saubere Großstadt sein, blieb aber angesichts des eklatanten Mangels an Alternativen hier eben alternativlos und so folgte ich im weiteren zunächst dem Weg unter den Bäumen parallel zum 17. Juni.

Diesen Bremer Weg, schätze ich als geborener Bremer schon von Natur aus sehr und bog dennoch am Goldfischteich gen Süden ab. Warf noch einen Blick auf das im letzten Licht dort weiß leuchtende Beethoven-Haydn-Mozart-Denkmal, was ja ganz wunderbar zu Berlin passt, wo wir das alte Bonn, aus dem Beethoven stammte, einfach schluckten, bis es überflüssig wurde und auch die Ständige Vertretung, noch Am Schiffbauerdamm in Betrieb, wohl beabsichtigt zu schließen.

Das sogenannte Komponistendenkmal wurde 1904, dem Geburtsjahr meines Großvaters übrigens, von Rudolf und Wolfgang Siemering zu Ehren der genannten Komponisten an zentraler Stelle geschaffen. Einst war viel an dem Denkmal, dem Zeitgeschmack entsprechend vergoldet - heute glänzt es immer noch in der Sonne und leuchtet der griechische und Tiroler Marmor in der Abenddämmerung. Von der Form her erinnert es an die zu der Zeit noch üblichen Kachelöfen der guten Stuben, warum sich bei den Berlinern der Name Musiker-Ofen oder Drei-Männer-Ofen einbürgerte. Nachdem die Dichter Goethe, Schiller und Lessing ihre Denkmäler bekommen hatten, sollten auch die Musiker eins für alle kriegen, klingt ja alles gleich aus Wien, dachten die Berliner vermutlich. Das Ding gilt als eines der wenigen Beispiele symbolistischer Kunst im öffentlichen Raum, womit auch der Senat die 960.000 Euro teure Sanierung im Rahmen des Baus des Tiergartentunnels ab 1996 nach 2001 rechtfertigte. Vollendeter und schöner als der Flughafen ist es und billiger war es, dass die Berliner die großen Wiener an den Goldfischteich stellen, passt ja irgendwie auch. Nach Beschuss im Krieg mussten einige Instrumente und etwa Mozarts Nasenspitze neu ergänzt werden, was die liebste Mozartkennerin und Nasenfreundin in Dublin freuen wird.

Der Tiergarten erstreckt sich als Grünfläche heute inmitten Berlins, früher vor seinen Toren auf einer Fläche von 210 Hektar. Dieses schöne Stück Natur wird durch einige große Straßen, die sich am Großen Stern treffen,  also unter der Goldelse, durchschnitten und wird auch darum in mehrere Teile geteilt. Das bereits 1527 als Jagdrevier erstmals angelegte Gelände wurde mit Wildtieren zum abschießen für den Kurfürsten und seine Gäste gefüllt und darum mit einem Zaun umgeben.

Unter König Friedrich I. erhielt er Ende des 17. Anfang des 18. Jahrhunderts seine heutige Form. So wurde eine breite Schneise als Verlängerung der Straße Unter den Linden gen Westen geschlagen, um das bis 1699 erbaute Schloss Charlottenburg besser erreichen zu können, was er ja ursprünglich seiner Frau im Tausch gegen ein Potsdamer Grundstück geschenkt hatte. Dabei wurden der Große Stern mit acht und der Kurfürstenplatz mit sieben Alleen angelegt, So verlor das Gelände allmählich seinen Charakter als Jagdrevier und wurde zum Erholungsgebiet und Landschaftsgarten.

Friedrich der Große, der im Gegensatz zu seinem Vater die Jagd nicht schätze, ließ die Zäune einreißen, schenkte den Tieren die Freiheit und den Berlinern einen Lustpark, was ihm näher lag, den sein Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff anlegte. Dabei entstand, dem Geschmack der Zeit entsprechend ein typischer Barockgarten mit Irrgärten, Beeten und allem übrigen beschnittenen Zubehör. Entlang der Alleen gab es sogenannte Salons, kleine mit Hecken und Bäumen eingefasste Plätze, die mit Brunnen, Bänken und Vasen möbliert waren, der Erholung dienen sollten. Es entstand im Westen auch eine Fasanerie, die zur Keimzelle des späteren Zoos wurde, dem großen von vielen Berlinern seltsamerweise geliebten Tierknast. In der Nähe auf Wiesen durften Hugenotten oder deren Nachkommen Zelte aufstellen und die Spaziergänger dort bewirten, woran später der Straßenname In den Zelten wurde, aus der nun die Scheidemannstraße und die John-Forster-Dulles-Allee wurde - eine verständliche Ehrung nach der Berlin Blockade aber doch eine falsche Umbenennung, weil In den Zelten eine so große Bedeutung in der Revolution von 1848 hatte, als in einer dortigen Versammlung erstmals die Abschaffung der Zensur öffentlich gefordert wurde, dort unter anderem auch Bettina von Arnim lebte.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Knobelsdorffs steife barocke Formen almählich durch einen Landschaftsgarten abgelöst. Zuerst im Garten von Schloss Bellevue und sodann mit der Rousseau Insel, die sich ungefähr 400m westlich der Luiseninsel befindet, die 1880 zu Ehren von Königin Luise mit dem Denkmal der Königin vollendet wurde, der Mutter des damals amtierenden Kaisers Wilhelms I. Habe beide betrachtet und gewürdigt, Luise etwas freundlicher begrüßt als den überschätzten Philosophen, stattdessen ich eine Diderot Insel mir wünschte, um an die radikalen Aufklärer und ihre Enzyklopädie zu erinnern. Allerdings ist die Widmung für Rousseau im Jahre 1797 und damit seinem Geist der Rückkehr zur Natur, also acht Jahre nach der französischen Revolution schon eine Besonderheit in einem da noch königlichen Park.. Das ursprüngliche Denkmal für Rousseau ging übrigens verloren, wobei unklar ist, ob es daran lag, dass die Gegend im Winter zu einem der beliebtesten Berliner Eislauf Reviere wurde.

Der große Peter Joseph Lenné veränderte ab 1835 die Gegend um die Insel weiter, während er den Tiergarten grundsätzlich im Stil eines Englischen Gartens umgestaltete. Noch vor dem Fall der Mauer wurde 1987 die verschwundene Rousseau Figur durch eine neue ersetzt, die bis heute dort von vielen Rhododendren umgeben noch steht. Den Auftrag zur Gartenumgestaltung hatte Lenné schon 1818 erhalten. Er war damals noch Gärtnerlehrling in Sanssouci. Damals plante er einen landschaftsähnlichen Volkspark, der nach den Befreiungskriegen der Erbauung der Bevölkerung dienen sollte, als eine Art preußischer Nationalpark. Seinen Idealplan lehnte König Friedrich Wilhelm III., der Witwer der Luise, jedoch ab und dennoch schaffte es Lennné eine leicht veränderte Form bei den Behörden durchzusetzen.

Die Idee eines Denkmals für Luise war den Bürgern Berlins 1808 gekommen und nach ihrer Rückkehr  wurde eine Stele eingeweiht, die erst eine Marmorschale von Schadow trug, die aber 1880, wie oben erwähnt, durch eine Luisen Statue ersetzt wurde, die in die Richtung des Denkmals ihres Mannes blickt. Seit 1809 trägt die Insel den Namen Luiseninsel.

In der Form die Lenné ihm gab, bestand der Park bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Bis 1881 befand sich übrigens der ganze Park in königlichem Besitz und wurde dann zu Berlin eingemeindet.

Neben den patriotischen Denkmälern um die Siegessäule und andere Orte schmücken den Park Tierfiguren und Jagdsezen entsprechend der historischen Nutzung.  Dazu kommen noch Fontane, Wagner und Lortzing. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde auch der Tiergarten in die Pläne für die Neugestaltung Berlins mit einbezogen, was zur Folge hatte, dass die Charlottenburger Chaussee, heute Straße des 17. Juni, von 27m auf 53m verbreitert wurde. Damals wurde auch die Siegessäule, die an die drei Siege Preußens über Dänemark, Österreich und Frankreich erinnerte, warum auch Moltke vom Rand grüßt, vom Platz der Republik vor dem Reichstag auf den Großen Stern verlagert und die Goldelse bekam ihren neuen zentralen Platz.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Tiergarten schwer beschädigt und diente nach Kriegsende zeitweise auch als Landebahn zur Truppenversorgung. In der Nachkriegszeit wurden die Bäume aufgrund Kohlemangels verheizt und auf den freien Flächen wurden Kartoffeln und Gemüse angebaut. Eine Art großer Schrebergarten. Diese Zwischennutzung hatten die britischen Alliierten aus der Not genehmigt - am Ende standen von den ursprünglich 200.000 Bäumen noch 700 - der Rest ging durch Berliner Öfen. Im Juli 1945 fasste Berliner Magistrat dann den Beschluss zur Wiederherstellung des Tiergartens. Mit Notstandsprogrammen, wie so manches in Berlin, wurde der Tiergarten von 1949 bis 1959 wieder aufgeforstet. Die erste Linde pflanzte symbolisch am 17. März 1949 der damalige Bürgermeister Ernst Reuter. In ganz Deutschland übernahmen Städte Partnerschaften für Berliner Bäume und schickte 250.000 Jungbäume nach Berlin. Mit solchen Patenschaften bekämen wir auch das Flughafengelände wieder schön grün. Mit der Erneuerung wurden jedoch die als nicht mehr zeitgemäß angesehenen barocken Gartenelemente aufgegeben und durch eine naturnahe Parklandschaft ersetzt. So sieht es bis heute aus.

Seit 1991 ist der Große Tiergarten als Gartendenkmal vor Veränderungen geschützt - hatte sich mit dem Fall der Mauer doch gerade genug in Berlin verändert. Fanmeile und Loveparade quälten den Park ab Mitte der 90er Jahre - zumindest die Technoparade zog mit gravierend dramatischeren Folgen gen Westen.

Es gibt noch den Englischen Garten im Nordwesten des Tiergartens hinter dem Park von Schloss Bellevue, der auf Vorschlag des damaligen englischen Stadtkommandanten General Bourne angelegt wurde. Bei der Eröffnung dieses Teils des Gartens 1952 war übrigens Anthony Eden, der damalige britische Außenminister anwesend, was dem Garten unter Berlinern lange den Spitznamen Garten Eden eintrug. Was heute ja fast besser zum benachbarten kleinen Tiergarten passte, in dem sich Knaben aus dem Nahen Osten und Afghanistan heute für wenig Geld prostituieren und bis vor kurzem auch dort kampierten. In der Mitte des Englischen Gartens steht das Teehaus auf den Fundamenten des ehemaligen Wohnhauses von Gustaf Gründgens. Teehaus klingt verlockend und das Gebäude ist wirklich wunderschön als Reetdachhaus im zauberhaften Garten aber wird so schlecht bewirtet, dass ich heute keinem zu einem Besuch noch raten kann, nachdem ich das letztemal vor einigen Jahren dort noch ein Date im Sommer hatte. Beides hat sich nicht gelohnt, auch wenn der Platz so verlockend klingt und in den Ohren des Kulturmenschen und Teeliebhabers so sinnlich schön klingt, erinnerte die spießige Bewirtung eher an die Lidl Ausgabe von Rolf Eden und hat den Geruch des verstaubten West-Berlins ohne Charme als die Umgebung.

Vom Musiker-Ofen, den ich mir diesmal nicht aus der Nähe ansah, die neue Mozartnase gehe ich lieber irgendwann mit der Liebsten gemeinsam betrachten, um festzustellen, dass auch neu bei Nasen alt bleibt, bog ich an großen Wiesen vorbei gen Südwesten zum großen Tiergartengewässer ab, ging über die Luiseninsel, die zur Hälfte wegen frischen Baumfalls noch oder wieder gesperrt war und folgte dann den Wegen am Ufer und umkreiste dies einmal ohne diesmal noch die Straße zum Neuen See zu überqueren.  Lief nach der Umrundung weiter gen Norden, überquerte den 17. Juni auf der Höhe der Schwangeren Auster, zu der ich noch ein Stück der anderen Seite des Tiergartens Richtung Spree durchquerte. Am Haus der Kulturen der Welt, wie Ortsfremde die Schwangere Auster nennen, die so heißt, weil sie eben so aussieht, ging ich zur Spree hinunter und folgte dieser.

Das Haus der Kulturen der Welt, was in seinem sich öffnenden Dach, das schon einmal einstürzte - zum Glück nicht als mein Vater dort einmal beim Deutschen Röntgenkongress weilte, wie ich dunkel in Erinnerung habe -, eben aussieht, wie eine sich überquellend öffnende Muschel, ist heute ein Ausstellungsort mitten in Berlin und ein Forum für aktuelle Entwicklungen und Diskurse. Es präsentiert künstlerische Produktionen aus aller Welt unter besonderer Berücksichtigung außereuropäischer Kulturen. Seit seiner Gründung im März 1989 hat das Haus der Kulturen seinen Sitz in der ehemaligen Kongresshalle am Ufer der Spree dem heutigen Zentrum des Regierungssitzes.

Als Ikone der architektonischen Moderne wurde der Bau zu einem prominenten Symbol für die deutsch-amerikanische Allianz. Das Gebäude entstand als amerikanischer Beitrag zur internationalen Bauausstellung Interbau 1957 und sollte die Freiheit des Gendankenaustausches verkörpern. Neben kulturellen Veranstaltungen gab es auch Nutzungen zu politischen und gesellschaftlichen Zwecken etwa durch Gewerkschaften. John F. Kennedy und Jimmy Carter hielten dort Reden und auch der Bundestag tagte bis 1965 mehrmals dort. Dies wiederum ärgerte die Russen und die Regierung der DDR, die Westberlin nicht als Teil des Staatsgebietes der BRD ansahen, warum sie erstmals Militärmaschinen über dem Gebäude kreisen ließen, woraufhin die West-Aliierten weitere Sitzungen des Bundestages in Berlin verboten.

Am 21. Mai 1980 stürzte das Außendach der da längst Schwangeren Auster genannten Halle aufgrund von Materialermüdung und Planungsfehlern ein. Ob uns das zeigt, dass nicht alles, was aus den USA kommt, gut ist, mag dahingestellt sein, auch wenn sich diese Frage gerade im Moment wieder enorm aufdrängt. Im Berlin üblichen Tempo dauerten Umbau und Sanierung der Kongresshalle von 1984 bis 1987 womit sie zumindest zur 750 Jahrfeier Berlins rechtzeitig fertig wurde und wir wieder bemerken, wie jung unser großes Dorf an der Spree doch im Vergleich ist.

Das Gebäude war laut seinem Architekten Hugh Stubbins von Anfang an als Propagandabau geplant und sollte für Redefreiheit und westliche Modernität werben. Als modern galt damals nur die abstrakte, nicht gegenständliche Kunst, wie die atonale Musik und die neue Architektur, von der uns vieles heute eher zweifelhaft erscheint, ohne über die Schwangere Auster hier nörgeln zu wollen, die zumindest mutiger war als der Wiederaufbau des Schlosses.

Ab 1989 sollte es zu einem Forum für alle außereuropäischen Kulturen werden, eine Art Goethe-Institut mit umgekehrten Vorzeichen. Hier arbeitete es lange die koloniale Vergangenheit auf und gab den Regionen einen Ort und eine Stimme in Berlin, was nicht alle begeisterte und auch ein wenig bemüht immer wirkte. Nach dem Motto: wir meinen es gut mit den Kolonien, die wir nicht mehr haben. Mit dem Wechsel der Intendanz zu Bernd Scherer, wurde es zu einem Thinktank der Zeitgenossenschaft umgebaut und damit zu einer der ambitioniertesten Kulturinstitutionen Deutschlands. Damit bewegen sie sich auf höchstem akademischen Niveau, ohne sich den akademischen Konventionen beugen zu müssen, die alles Denken verlangsamt. Es wird Kunst gezeigt, hat aber mit einem Museum nichts zu tun und kombiniert das eine mit dem anderen. So bleibt es ein wunderbarer Ort der Moderne am Rande des Tiergartens.

Wunderbare Blicke auf das Waschmaschine genannte Kanzleramt und die Abgeordnetenhäuser entschädigen für den Blick auf den durch den geschmacklich sehr zweifelhaften Mehdorn verunstalteten Berliner Hauptbahnhof. Diesen eigentlich so filigran schönen Bau auf den dieser kulturell wohl eher schlicht denkende Macher und Schröder-Freund, was ihn ja mit Putin verbindet, primitiv plumpe Bürobauten setzte, die einen zentralen Bau Berlins bis heute verunstalten. Air Berlin und den Flughafen hat dieser großartige Manager ja auch schon weit vorangebracht und auch bei Heidelberger Druckmaschinen wurde bis heute mehr mit Naserümpfen über ihn gesprochen.

Das Kanzleramt heißt eigentlich Bundeskanzleramt und also auch momentan nicht Bundeskanzlerinnenamt und ist eine große Bundesbehörde in Berlin zwischen Spree, Reichstag und benachbart zur Schwangeren Auster. Es wurde von den Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank entworfen , die den Auftrag noch von Helmut Kohl bekamen, der aber nie in das sehr groß dimensionierte Gebäude einzog, über das anfangs viel gelästert wurde, was aber, wer es vom Wasser je sah, schätzen lernt in seiner Eleganz. Dies obwohl es derzeit das größte Regierungshauptquartier der Welt ist, das Weiße Haus an Größe achtmal übertrifft mit seiner Nutzfläche von über 25.000m². Neben dem Hauptgebäude gibt es in den Seitenflügeln noch 300 Büros á 16m² und 16 Wintergärten. Der Sichtbeton erwies sich als empfindlich und so musste das 2001 an den damaligen Kanzler Schröder übergebene Gebäude bereits saniert werden. Über die Spree führt noch eine Brücke für Fußgänger und Fahrzeuge zum Kanzlerpark und dem dortigen Hubschrauberlandeplatz.

Das Gebäude im Blick und in der Erinnerung flanierte ich weiter weiter an der Spree entlang. Am Reichstag vorbei bis wieder zur Marschallbrücke, ging es nach der Luisenstraße wieder an der Böse Buben Bar vorbei, die nun schon voller besetzt war und zurück nun statt der Linie durch die Auguststraße, bis diese auf die Kleine Auguststraße trifft und ich gen Norden zum Koppenplatz abbog, um wie immer über Ackerstraße und Hussitenstraße am Gesundbrunnen vorbei zurück gen Prenzlauer Berg auf einer Runde von etwa 27 km.

jens tuengerthal 30.10.2017

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