Montag, 23. Oktober 2017

Pankewege

1. Teil vom Bürgerpark Pankow zur Mündung

Bin der Panke gefolgt, dem kleinen Flüsschen aus eiszeitlichen Gründen des Barnim und habe die Wanderung auf ihrer Strecke diesmal am Bürgerpark Pankow begonnen, von wo aus sie durch Pankow, den Wedding gen Mitte führt, um dort nahe dem Erika Hess Eisstadion in den Nordhafen zu münden. Mit Hin- und Rückweg durch Mitte waren es 21 km auf meist sehr ruhigen Wegen am Ufer entlang.

Begann den Weg wie immer am Helmholtzplatz, folgte an dessen Ende der Lychener Straße, von der ich rechts in die Stargarder abbog in Richtung der Gethsemane Kirche, die in Wendezeiten eine große Rolle spielte, hier aber gerade nicht, warum ich eine Kreuzung vor der Kirche in die Pappelallee wiederum rechts abbog und dieser bis zur Wisbyer Straße folgte, auch wenn sie ab der Wichertstraße sich schon Stahlheimer heißt, was nur merkt, wer die Straßenschilder genau liest. Im erweiterten heimatlichen Kiez tue ich das natürlich eher weniger, zumal einige öffentliche oder private Spaßvögel derzeit die Schilder aus mir unerfindlichen Gründen mit grauer Folie überkleben, zu welchem Zweck auch immer. Nachsichtig überlege ich dann, ob es Anarchisten eher oder Narren sind, was nicht immer weit auseinanderliegt, aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte.

Nach der vierspurigen Wisbyer, die noch eine Straßenbahnspur inmitten führt, also gut  Autobahnbreite hat, hieß die Pappelallee dann Neumannstraße und ich folgte ihr bis zum hochromantischen Eschengraben, den ich fälschlich mit einer Ex in Verbindung brachte, wie ich nun das dritte mal feststellte, als ich vorne an der Tankstelle auf die hier in Pankow schon Berliner Straße genannte eigentlich nur Fortsetzung der Schönhauser Allee treffe. Genau an der Stelle verschwindet die bis dahin oberhalb fahrende U-Bahn wieder im Untergrund für noch zwei Stationen bis zur Endhaltestelle Pankow, was mir in der Kombination der Worte eigentlich eine sehr sinnhafte inhaltliche Beschreibung dieses inzwischen Berliner Vororts ist.

Die Alliierten wollten einst die Bonzen der DDR ärgern und legten die Einflugschneise des neuen Flughafens Tegel genau über deren Siedlung in Pankow, wo sie mangels vollendeter Alternative bis heute liegt und aller Voraussicht und Vernunft nach wohl auch bleiben wird. Dies wird die eine Zeit lang explodierten Pankower Wohnungspreise dann wieder auf ein realistisches Maß relativieren. Ansonsten ist der Unterschied direkt nach der Wisbyer in der Architektur nicht spürbar, es sieht aus, als ginge der Prenzlauer Berg weiter. Viegeschossige Altbauten in ähnlicher Traufhöhe und so geht es fast bis zum Rathaus Pankow weiter.

Doch der zweite Blick in die Gesichter klärt schnell auf. Du bist nicht mehr im schicken Prenzlauer Berg, dem jungen sich dynamisch verändernden Viertel, du bist eben in Pankow, viele sind halt da geblieben, übrig geblieben oder mussten her und schaust du in die Kneipen und Cafés, dann merkst du, bis auf wenige Ausnahmen, Pankow ist halt nicht Berlin sondern eigentlich längst Brandenburg und so fühlt es sich auch an beim Durchlaufen. Brandenburg eben. Ein wenig ostig, Zone halt, mehr Menschen mit frustrierten Gesichtern als lächelnd, was die Patrioten dann mit offen und ehrlich umschreiben und hässlichere Menschen als in Mitte und am Berg, manche dicker, Damen mit zu bunten Haaren, Herren mit Freizeitkleidung, die bereits die Kontrolle über ihr Leben verloren haben, falls Lagerfeld Recht hatte.

Es gibt auch da Ausnahmen, die noch mehr auffallen, aber irgendwie passt Pankow gut zur Panke, die ja aus dem Barnim kommt und den Ort ganz durchfließt nördlich schon aus Buch kommend. Pankow hat wunderbar prächtige Villen um den Schlosspark und beim Bürgerpark gibt es noch einiges ansehnliches, was von besseren Zeiten kündet, doch scheint dieser Glanz bürgerlicher Zeiten eine Anekdote aus der Vergangenheit, die mit der sichtbaren Gegenwart wenig zu tun hat.

Als ich mit meinen Eltern von Bad Vilbel nach Walldorf zog, dieses Kaff südlich von Heidelberg, damals sprach noch keiner über SAP oder Dietmar Hopp, schien es mir, der ich in und um Frankfurt aufwuchs, in Bremen geboren wurde, der provinzielle süddeutsche Verrat an meiner Kultur. Als ich die Leute dort reden hörte, schien sich alles noch zu bestätigen. Provinz eben, wie Brandenburg, nur halt Baden Württemberg und heute reichste Gemeinde Deutschlands mit vielen Neureichen.

Nun habe ich eine schwäbische Frau, die das größte Glück ist, was mir passieren konnte, was manche typisch Berliner Vorurteile für mich widerlegte, der ich nun länger in Berlin lebe als an irgendeinem anderen Ort in meinem Leben, warum es auch höchste Zeit war, sich seinen Ort zumindest zu erlaufen. So lächle ich auch freundlich über die Endhaltestelle Pankow, frage mich manchmal, ob aus der Florastraße wirklich mal der Kiez wird, der er zu sein hofft und die Architektur eines Tages die bürgerliche Gediegenheit trägt, welche die bestuckte Schale zu versprechen scheint.

Ging aber nicht bis zur Endhaltestelle sondern folgte der Maximilanstraße bis zum Rathaus Pankow, auch wenn sie bis dahin Schönholzer Straße heißt und ein kleines Stück Heymstraße sich vorher nannte. An der Ecke oder eher Kurve, an der sich der letzte Ritter in den Schriftsteller verwandelt, stand eine Bar, die auf den ersten Blick in dem rustikalen Umfeld interessant gemacht aussah und auf den zweiten Blick doch wieder ein wenig brandenburgisch von außen wirkte - mangels Gästen kann ich auch nichts über das sonst Publikum des seine Gläser polierenden Barkeepers sagen.

Am Rathaus endlich angekommen, überquerte ich die Wollankstraße, die vierspurig aus dem Wedding auch kommt und der Kreuzung vor dem Rathaus Wedding fast ein Gefühl von Stadt verleiht, bliebe es nicht doch immer Pankow. Auf der anderen Seite schließlich folgte ich der Wilhelm Kuhr Straße im längst mehr halbdunkel, die irgendwann an der Panke zu am Bürgerpark wird und zum Kinderbauernhof führt, aber das führte mich zu weit, der ich ja dem Flusslauf gen Süden ab hier folgen wollte.

So war ich erst gen Norden gegangen, um später wieder von Süden zurück zu kommen. Aber dazu, wenn es soweit ist. Zunächst fand ich mich auf einem wunderbar belaubten Fußweg, den die Blätter der Kastanien des Bürgerparks bedeckten. Irgendwann ist dieser ein eher matschiger Feldweg, aber zumindest mit viel Laub und wirkt ländlich nett. Der Beginn brachte erst eine kleine Enttäuschung. Ich fand die Panke aber der Weg, den Goggle mir vorschlug, ging durch ein mit einem Tor verschlossenes Naturschutzgebiet und so musste ich wieder ein kleines Stück den bepfützten Feldweg zurück, um an der Nordbahnstraße noch einnmal die Panke zu überqueren und dort am anderen Ufer mein Glück zu versuchen.

Damit war ich wieder im Wedding und folgte idyllischen Fußwegen, bis zur nächsten Fußgängerbrücke, an der ich wieder die Seite wechselte auf der Höhe Gottschalkstraße, um das Franzosenbecken, wie der dortige, derzeit eher trocken gelegte Überlauf der Panke wohl, heißt, zu umrunden und dem Strom der Panke, die  manchmal fast reißend schien, zumindest Kraft hat, weiter gen Mitte zu folgen. Nun wieder in Pankow blieb ich dort auf wieder matschigen Trampelpfaden bis zur hier Osloerstraße, die ich weiter östlich noch als Wisbyer Straße überquert hatte, die von der Autobahn kommt und am Ende auf Höhe des Klinikums Virchow dann Seestraße heißt.

Überquerte wieder die Panke und folgte einer unbenannten Straße mit netten industriellen Klinkerbauten der Gründerzeit bis zur Bibliothek am Luisenbad und war damit im Herz des Gesundbrunnens und der Keimzelle seiner beiden Teile Gesundbrunnen und Wedding. Auf der anderen Seite hätte es noch einen Bolzplatz gegeben, der heute Boatengkäfig heißt, weil dort der heutige Spieler von Eintracht Frankfurt, Kevin Prince Boateng das Kicken lernte, der wie sein Halbbruder, der noch bei Bayern und in der deutschen Nationalmannschaft glänzt ein Kind des Wedding ist. Der dritte im Bunde der Boateng, die auch eine Hauswand in der Brunnenstraße zieren, spielt meines Wissens irgendwo in der Berliner Regionalliga. Aber ich ließ den Fußball, Fußball sein, ging auf der anderen Seite und folgte lieber dem Ruf der Bücher.

Hier gab es, wie bei einem anderen Spaziergang, an dem ich aber nicht an der Quelle selbst war, die inzwischen ohnehin längst versehentlich zugeschüttet wurde, eine seit dem 18. Jahrhundert bezeugte und genutzte Heilquelle, die schon Friedrich den Großen, der nahe dort seine Manöver abhielt, hier verweilen ließ. Sie wurde Anfang des 19. Jahrunderts vom Friedrichsbad zum Luisenbad, nach der da noch nicht verstorbenen neuen nationalen Heldin Köngin Luise, der Frau von König Friedrich Wilhelm III., der viel Ärger mit Napoleon hatte. Die Quelle zog immer Gäste an, eine Infrastruktur entstand um den Gesundbrunnen und so wuchs dieser weiter, bis er irgendwann mit der Spandauer Vorstadt, die heute zu  Mitte gehört am Rand zusammenstieß.

Eine Bibliothek statt einem Kurbrunnen, um zumindest den Geist zu kuren scheint mir mehr als vernünftig, gerade in Gesundbrunnen mit seinem hohen Anteil an Migranten und im ehemals roten Wedding, der mit Gesundbrunnen und Mitte vereinigt nun ein bunter, sehr vielfältiger Kiez wurde, gefällt mir Vernunft und Aufklärung noch besser als jede Agitation.

Nach der Bibliothek am Luisenbad, das wieder auf der anderen Seite der Panke lag, blieb ich auf dieser Seite am Rand der seit dem Bürgerpark Pankow kanalisierten Panke. Überquerte die Badstraße, wie hier die Brunnenstraße heißt, die in Mitte begann, lief hinter dem mächtigen Gebäude des Amtsgerichts Wedding aus dem 19. Jahrhundert entlang und folgte der Panke weiter bis zur Chausseestraße hinter der sie neben dem Erika Hess Eisstadion kurz im Boden versinkt, um in den Hafen zu fließen.

Nun hatte ich die Expedition bis zur Mündung der Panke vollbracht. Dem Weg zur Quelle will ich ein anderes mal folgen. Zurück folgte ich der Liesenstraße, die mich am Friedhof der Französischen Domgemeinde vorbei führte, auf dem Fontane mit Frau und Tochter begraben liegt, der aber leider schon geschlossen war und ging weiter bis zu dem Kreisel, unter dem sich die Gleise mit der Berliner Mauer trafen. Der genialen Stahlkonstruktion der Liesenbrücken, die dort S-Bahn und Eisenbahnen aneinander vorbei führten und unten die Autos zwischen vier Straßen im Kreis wählen lässt und ich wählte die fünfte.

Dort beginnt die lange Ackerstraße, die bis zum Koppenplatz gen Mitte führte und der ich nun auf ganzer Länge folgte. Es ist ein Gang durch verschiedene Welten. Aus dem Arbeiterviertel Gesundbrunnen mit vielen Migranten und außer den verbliebenen Klinkerbauten der Industrie - dort baute AEG einst Straßenbahnen, wenn es nicht Siemens war, gibt es viele hässliche Neubauten. Dann geht es an der Mauergedenkstätte über die ehemalige Mauer, die hier noch zu einem kleinen Stück sogar steht mit einem Wachturm zur Erinnerung, die ich aber einfach auf dem Gehweg überquerte, der nach Westen gerichtet Berliner Mauer schrieb, damit es keiner vergisst, der sonst vielleicht die Linke wählt, um die Interessen seiner Klientel zu fördern.

Wieder im Osten und also Mitte folgte ich nun der Ackerstraße bis zum Koppenplatz um auch wirklich im alten Berlin wieder anzukommen, dass ich ja erst nach überqueren der Torstraße betrat, die dort läuft wo einst die Stadtmauer war. Der Straße hinter der Mauer, der Linienstraße folgte ich nun wie gewohnt bis zur Gormannstraße. Dort liegt rechter Hand, bevor ich links in die eben genannte einbiege der alte Garnisonsfriedhof auf dem auch der Dichter Fouqué beerdigt liegt, den wiederum Gerhart Hauptmann beschreibt, weil er von seiner ersten Berliner Bude aus genau auf dessen Grab schaute. Im übrigen spielt dies Viertel vom Rosenthaler Platz bis zum Alex eine große Rolle in Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin. Hier arbeiteten die Huren und Gauner, lebten viele arme auch jüdische Familien, wie jener gute Ostjude bei dem Franz Biberkopf erstmal unterkommt, als er aus dem Knast kam.

Verließ die literarisch reiche Mitte hier, kümmerte mich auch nicht um das besetzte Haus weiter vorn, die das Tucholsky Zitat, Soldaten sind Mörder, dem Garnisonsfriedhof entgegen gespannt haben, unklar was die dort drinnen von Fouqué und Hauptmann überhaupt wissen, aber auch das ist eben bunte Berliner Folklore. Überquerte wieder die Torstraße und also die nicht mehr Stadtmauer, flanierte die Füße nach bald 20 km nun spürend, die Choriner Straße hinauf, und lustwandelte über Zionskirchstraße, Templiner Straße, Schwedter Straße zur Schönhauser Allee, der bekannten Magistrale des Bergs, die ich übequerte an Europas angeblich größten Biommarkt vorbei in die Kollwitzstraße stieß, der ich wieder bis zum Ende folgte, um über da Göhrener Ei in den heimatlichen Helmi Kiez zu fallen nach einem schönen Panke-Mitte-Rundgang von etwas über 21 km.

jens tuengerthal 23.10.2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen