Samstag, 7. Oktober 2017

Sturmfolgen

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm und doch ist diesmal deutlich weniger noch da. Menschen tot, Bäume gefällt, Dächer abgedeckt und andere Katastrophen mehr halten die Feuerwehr immer noch in Atem. Gerade konnte ich sehen, dass vermutlich die Feuerwehr den Baum beseitigt hat, der hier nebenan auf ein parkendes Auto gekracht war. Dabei kam das Auto ziemlich glimpflich davon, nur der aus den Wurzeln gehauene Baum verschwand vollständig. Es war auch nicht einer der großen Bäume hier am Platz sondern einer der kleineren in der Straße, vielleicht zwanzig Jahre alt und 6m hoch.

Die Spuren werden beseitigt, die Toten begraben und der Müll wieder eingesammelt, in einigen Tagen merkt keiner mehr, was am Donnerstag hier noch los war. Nur manche bleiben für immer verschwunden, wie weggeweht aus dem Leben, ließen sie ihres unter umstürzenden Bäumen auch in der Stadt.

Die Natur ist stärker als der menschliche Wille, auch wenn dieser natürlich ein Teil der überall Natur ist, bleibt der sich für stark haltende Mensch immer der Natur unterlegen und sie zeigt es ihm deutlich in Stürmen, bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Wir sind ausgeliefert, auch wenn wir vermutlich durch unser Verhalten das Klima veränderten und die gerade Häufung des katastrophalen Wetters verursacht haben.

So sitze ich auf der einen Seite als Verursacher der Schäden auf der Anklagebank und bin andererseits auch Opfer der Folgen, das sich nicht zu wehren weiß.

Auch wenn ich so wenig, wie nur möglich fliege, kein Auto habe, viel Rad fahre oder noch lieber lange Strecken laufe, bin ich Teil einer Gesellschaft, die diese Schäden verursacht und konsumiere davon, verbrauche auch schmutzige Energie, weiß nicht, wie alles hergestellt wurde, was ich habe, möchte mich nicht einmal dauernd damit beschäftigen oder ein permanent schlechtes Gewissen haben.

Als ich heute die über 30km vom Flughafen Schönefeld im Süden Berlins zurück auf dem Berg lief, konnte ich vielfach noch die Spuren des letzten Orkans sehen, der Bäume fällte, Wege versperrte, Äste wild verteilte. Wege zu laufen, macht eine Strecke erst spürbar, wir erfühlen plötzlich die Natur, die wir sonst mit technischen Mitteln so leicht überwinden.

Hatte meine Liebste zu ihrem Flug nach Dublin gebracht. Den trat sie an, als ich in Schönefeld loslief gegen 18 Uhr. Überquerte gerade die Sonnenallee in Neukölln, als sie sich heil aus Dublin wieder meldete und wir telefonierten anschließend über eine Stunde auf dem Weg durch Neuköln und Kreuzberg, bis ich schließlich auf die Museumsinsel kam, sie ihre Mutter aus München in Empfang nahm und wir uns verabschiedeten.. Der größere Teil der Strecke ging durch eher ländlich, provinzielle Gebiete und auch wenn ich schon bald das Ortsschild Berlin, Neukölln erreichte, war ich noch lange im ländlichen Raum unterwegs, in dem die Spuren des Sturms nur sehr vereinzelt noch sichtbar waren.

Täter und Opfer der Katastrophen zu sein, kann helfen den Schrecken zu relativieren und Verantwortung zu übernehmen. Wir können nichts gegen Naturkatastrophen unternehmen, können uns nur während dieser so gut wie möglich schützen, um die schlimmsten Schäden zu vermeiden.

Die von einem vermutlich nicht mehr ganz zurechnungsfähigen älteren Mann mit wahnhaften Neigungen geführte US-Regierung, die lieber Verschwörungstheorien als der Wissenschaft glaubt, tut gerade das Gegenteil. Es wäre den Opfern gegenüber unfair, nun Genugtuung dabei zu empfinden, dass die USA besonders stark getroffen werden. Doch wenn es auch keine höhere Gerechtigkeit gibt und geben kann, so wenig wie einen höheren Richter, der über sie entscheidet, ist es doch gut, zu sehen, dass unser Handeln Folgen hat und diejenigen, die diese Konsequenz am lautesten negieren, besonders stark darunter zu leiden haben, was gegen Leichtgläubigkeit und Heilsversprechen mehr helfen könnte als viele andere vernünftige Einwände gegen die Macht von Dummheit und Propaganda unter Trump.

Unwetter gab es schon immer. Aber die Häufung katastrophaler Wetterlagen in den letzten Jahren, sind ein weiterer Beleg für die Richtigkeit der Theorien zur Erderwärmung und ihrer katastrophalen Folgen für alle. Bisher fühlten sich die USA wenig betroffen, sie drohten nicht zu versinken wie die Malediven oder die Niederlande und lebten von unseren Ressourcen auf eine Weise, die den Prozess noch beschleunigte, der sie nicht zu treffen drohte. Nun trifft es sie plötzlich doch und die Wirtschaft leidet darunter. Ob diese Naturkatastrophen, die in dem Land voller Aberglauben, dass sich auch Gottes eigenes Land nennt, gern als höheres Schicksal bezeichnet werden, genügen, ein Umdenken einzuleiten, bei jenen, die an Götter und oder Verschwörungstheorien glauben, bleibt noch fraglich.

Vielleicht nehmen sie plötzlich an, die Summe der Katastrophen sei Gottes Strafe dafür, einen idiotischen Blender zum Präsidenten gewählt zu haben, der die Welt von einer Katastrophe zur nächsten führt. Was zwar so unsinnig wäre, wie die Gründe, die sie zuvor für seine Wahl anführten, aber doch einen Sinneswandel herbeiführen könnte, so zumindest positive Folgen hätte.

Ist, was der Natur hilft gut, egal wie unsinnig die Begründung ist oder kann nur gut sein, was wissenschaftlich begründet ist und sind darum die Gebete des Papstes für Frieden oder Umweltschutz so idiotisch wie das wegbeten wollen von Krankheiten und darum zu verurteilen?

Vielen gilt die naturreligiöse und respektvolle Haltung der Indianer zur Natur als Vorbild, eine Umweltschutzorganisation wie Greenpeace beruft sich schon lange darauf, auch wenn sie den wissenschaftlichen Theorien zur Erderwärmung folgen, die zu bestreiten heute ungefähr so viel Logik hat wie die ehemalige Behauptung der römischen Kirche, unsere Heimat habe Scheibenform und die Sterne seien am Himmelszelt aufgehängt. Doch wenn der Aberglaube hilft, sich der Natur gegenüber respektvoll zu verhalten, kann er dann falsch sein?

Wer heilt hat recht und was hilft ist gut, sagte mein Vater der Arzt aus Überzeugung immer, der nichts von Wunderheilern hielt. Wenn es einem Teil der Menschheit hilft, sich ökologisch verantwortlich zu verhalten, wäre mir die Begründung relativ egal, wenn das nachhaltige Ergebnis stimmt.

Wir sind Opfer und Täter, entsprechend müssen wir zugleich heilen und bestraft werden, was an sich schon eine relativ schizophrene Situation für uns herbeiführt. Wir tun meist nichts schlimmes und doch genügt die Summe unseres Handelns schon durch unsere Art zu leben und Energie zu verbrauchen, im Alltag zu konsumieren, die Katastrophe zu beschleunigen.

Tankred Dorst hat diese natürliche Katastrophe in Der nackte Mann hervorragend geschildert, in dem einer sich bewusst wird, was er alles zerstört und tötet, um zu leben und wie sein Leben zur nahezu unzumutbaren Katastrophe wird, als er immer konsequenter versucht, jede mögliche Katastrophe zu vermeiden.

Müssen wir uns töten, um ökologisch nachhaltig positiv zu wirken?

Was dürfen wir noch tun und wo müssen wir dringend umdenken?

Wie sollen und wie wollen wir leben?

Müssen wir nicht alles tun, was wir können, weil es unserer Natur entspricht?

Warum sehen wir uns im Gegensatz zur Natur, wenn wir unserer Natur gemäß nach Glück  und Erfolg streben?

Gibt es eine Pflicht zu nachhaltigem Handeln und wohin führt sie uns?

Habe keine Antworten auf all diese Fragen und möchte auch nicht versuchen, sie teilweise für andere zu beantworten, wenn diese Worte und Gedanken nach dem letzten Sturm vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken anregen, könnte sich vielleicht mehr bewegen, als wenn wir darum kämpften, denn an was, wenn nicht die Kraft der Worte und ihre Wirkung sollte noch einer glauben, der schreibt und wie soll sich nach dem kategorischen Imperativ noch etwas ändern, als in der Haltung freier Menschen?

jens tuengerthal 6.10.2017

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