Wäre die Welt ideal, wenn alle vernünftig wären?
Frage es mich und möchte als überzeugter Aufklärer sofort JA! rufen, doch irgendwas rät mir innezuhalten und nochmal darüber nachzudenken, es also kritisch und vernünftig zu prüfen, ob die Vernunft wirklich immer so passend wäre.
Hätte sich meine Liebste vernünftigerweise in einen so viel älteren Mann verliebt, hätte ich vernünftigerweise und eigentlich mit genug Erfahrung versehen, etwas mit so einem jungen Ding angefangen, wäre ich immer vernünftig?
Jetzt, wo ich sie kenne und liebe, stellt sich mir die Frage nicht mehr und ich kann mir nichts vernünftigeres mehr vorstellen, als mit dieser Traumfrau für immer zusammen und glücklich zu sein und darf nur hoffen, dass es ihr mit dem immer älter werdenden Mann irgendwie noch lange genauso geht.
Die Vernunft aber hätte mich mit den gängigen Vorurteilen, mit denen ich groß wurde und die es einem doch erleichtern sollen, die nötigen Entscheidungen zu treffen, daran gehindert, mein Glück mit einer so viel jüngeren Frau zu suchen. Wie gut, dass ich so unvernünftig war und nun so glücklich bin, wie noch nie in meinem Leben, die ideale Frau finden konnte, mit der ich alles teile, was mir wichtig und schön erscheint und das nur, weil ich ganz unvernünftig am Anfang einem Bauchgefühl gegen alle Vernunft gefolgt bin und es auch zuließ, mich völlig in sie zu verlieben.
Wir meinen beide, wir hätten jeweils das große Los miteinander gezogen und es erscheint uns heute nichts vernünftiger, als das Leben zu teilen und für immer miteinander verbringen zu wollen, weil wir gegen alle ach so vernünftigen Vorurteile ideal zusammenpassen, Alter keine Rolle zwischen uns spielt, die Liebe, wenn sie groß genug ist, ohnehin alles überwinden kann.
So habe ich mein Glück gefunden, weil ich unvernünftig war, mich auf etwas eingelassen habe mit ganzem Herzen, was jeder Vernunft erstmal widerspricht und meinem Ideal von einer vernünftigen Beziehung auch bisher eher widersprach.
Nun könnte ich noch mutmaßen, ob es einfach typisch nur für das Glück ist als zufällige Konstellation und noch dazu in Verbindung mit der Liebe, so unvernünftig in Erscheinung zu treten. Aber um so länger ich darüber nachdenke, um so vernünftiger erscheint mir die Entscheidung, die mein Bauch richtig traf, weil wir in jeder Beziehung ideal zusammen passen und uns wunderbar ergänzen und glücklich machen, was allerdings wieder das Paradoxon in einem Satz vereint, ohne es aufzulösen.
Kann Glück vernünftig sein oder ist es dies seinem Wesen nach nie?
Was andererseits wäre vernünftiger als nach Glück zu streben im Leben?
So lassen wir uns manchmal von Idealen lenken, die nicht immer vernünftig begründbar sind, dann treibt uns wieder die Vernunft. Manche nehmen die Vernunft nur als notwendiges Übel, gerade in Beziehungen zu anderen Menschen, mit denen sie doch voller Gefühl umgehen wollen, was noch häufiger verunglückt, weil beide dabei irgendwie unvernünftig waren und entsprechend empfindlich aufeinander reagieren - in jede Richtung.
In der Politik sehen wir gerade die Jamaika Koalitionsverhandlungen, die sich um einen besseren Ton miteinander bemühen, damit nicht jeder ungehemmt vor sich hin und über den anderen plappert, bevor irgendwas vereinbart ist, sondern alle besser miteinander als übereinander reden und jeder mehr von sich spricht, als Mutmaßungen über das unbekannte Gegenüber anzustellen.
Wenn ich mir das ganze bildlich vorstelle, sehe ich Mutti Merkel in aller Ruhe am Tisch sitzen und sich um Sachfragen bemühen, über die schnell eine Einigkeit erzielt werden kann, während ihre etwas ungezogenen Kinder, der Horst, der Cem und der Patrick gerne den starken Jungen spielen und sich beim Muskel zeigen überbieten wollen. Dann verdrehen Angela und Kathrin die Augen, denken beide für sich, Männer halt. Mutt spricht dann von doch alternativlosen Verhandlungen und der Notwendigkeit einer Einigung, mahnt an die Vernunft und lieber miteinander als übereinander zu reden, bitte Stillschweigen nach außen und wer immer ein Problem nach Innen hat, könne sich an sie wenden, dann würde alles in Ruhe geklärt, es ginge doch nur um den vernünftigsten und besten Weg zum Glück aller. Die Pfarrerstochter und die Pfarrersgattin sind sich meist eigentlich einig, nur die Herren spielen noch ein wenig mit den Knallkörpern aus dem Wahlkampf, bevor es an die Sachfragen geht.
Wäre es nun dem Ideal der Vernunft entsprechend, wenn die Herren sich ohne alle Balzrituale zusammen ins Koalitionsbett legten, nicht jeder noch mit einem Scheitern drohte, um ein wenig mehr für sich heraus zu schlagen?
Vernünftigerweise können die Anhänger einer Partei doch erwarten, dass ihre Verhandlungsführer versuchen das Maximum ihrer Vorstellungen durchzusetzen und dabei auch an die Grenzen gehen. Wäre alles ganz einfach und nur Friede, Freude, Eierkuchen, brauchten wir auch nur noch die Merkelpartei dann ohne C hoffentlich und keine liberale Vielfalt mehr, die ohnehin erstaunlich vielen Mensch eher ein Graus ist als ein Ideal. So wollen insbesondere die Anhänger der Populisten am linken und rechten Rand gerne einfache Antworten.
Nebenbei kommentieren auch noch die Medien, wie es ihre Aufgabe ist, das Handeln der Politik und eifern dabei auch um Zuschauer, Leser und Einschaltquoten miteinander bei der möglichst besten Geschichte, auch wenn es so eine vernünftigerweise nie geben kann, weniger Skandal und eine ruhige Hand das Ideal der gelassen beamtisch verwalteten Demokratie wäre, keiner sich nach dem lächerlichen Trump noch irgendwo amerikanische Verhältnisse wünschen kann, deren Quittung die Welt und die Vereinigten Staaten gerade mit dem Kasper im Weißen Haus bekommen.
Auch hier scheint mir die Vernunft wieder ein wenig mit dem Ideal und der Leidenschaft lavieren zu müssen, um am Ende ein befriedigendes Ergebnis zu präsentieren, mit dem alle leben können und das der Aufgabe gerecht wird.
Dem Ideal der Vernunft nach, versucht jeder seine Aufgabe so gut wie möglich zu erfülllen, will niemanden dabei betrügen, auch und gerade seinen Chef nicht, mit dem jeden Mitarbeiter idealerweise sogar ein Treueverhältnis verbinden sollte. So leben es die meisten Menschen und so scheint es uns auch völlig normal.
Nur bei Politikern meinen viele Menschen völlig irrational, diese verrieten alle Ideale, wollten niemandem gut als sich selbst, dächten nur an ihren Vorteil und wollten der Bevölkerung schaden, sein das allerletzte. Die Summe der Vorurteile dabei ist unendlich.
Nun hatte ich das Glück, in meiner Berliner Zeit und der politisch aktiven Phase den einen oder anderen Bundespolitiker auch persönlich näher kennenzulernen, im Dialog zu erleben. Habe keinen erlebt, der nicht glaubwürdig auch guten Idealen folgte. War nicht mit allen einer Meinung, gerade die Populisten auf der ganz linken Seite waren mir immer eher zuwider, die CSU war früher für mich ein rotes Tuch, selbst wenn schwarz oder hellblau in dem Fall besser passte. Doch die Erfahrung in der Begegnung zeigte mir immer, es sind alles relativ vernünftige Menschen, die sich für die Gesellschaft und ihr Funktionieren einsetzen, ihren Job im Parlament ernst nehmen und dabei mehr Einsatz und Engagement zeigen als viele Führungskräfte in der Wirtschaft.
Weniger Vorurteile könnten also viele mit dem was ist zufriedener und damit glücklicher machen. All die Schreihälse, die nun AfD wählten oder mit eher komischen Plakaten bei Pegida spazierten,, um ihren gehemmten Rassismus offen ausleben zu können, sind selten in der Lage zu erklären, was sie an Merkel wirklich sachlich stört, wie sie in welcher Situation anders entschieden hätten unter den gegebenen Bedingungen. Was sie von sich geben sind Floskeln und Luftblasen, die ihnen der große Bruder in Moskau über seine Propagandasender eingibt, die gleichzeitig behaupten, alle anderen Medien würden lügen, damit die Menschen besonders in Sachsen und Neufünfland aber auch in Bayern, ihre Propaganda für wahr halten.
So wurde in der Politik die Vernunft immer mehr mein Ideal und ich muss zugeben, dass Angela Merkel, die als Vorbild Katharina die Große auf ihrem Tisch stehen hat, jene große russische Fürstin der Aufklärung, die das Entstehen der Enzyklopädie entscheidend mit ermöglichte und so den Geist förderte, der später zu den Menschenrechten und zur französischen Revolution führte, sich auch in der amerikanischen Revolution noch zeigte, als sie weniger vom christlichen Aberglauben verseucht als von freiheitlichen Idealen nach Lukrez geprägt war, diesem Ideal immer mehr entspricht, so fern mir als Atheisten die Partei mit dem C immer war.
Ihre Politik ist von Vernunft getragen, huldigt auch sichtbar am Berliner Humboldtforum dem Ideal der Aufklärung, macht ihren Weg und ihre Sache leise und eher bescheiden. Wie der Feldmarschall Moltke es noch so schön ausdrückte, viel leisten und wenig in Erscheinung treten. Keiner kann ihr ernsthaft irgendwelche persönlichen Interessen vorwerfen, die sie verfolge. Sie lebt ihr Leben relativ bescheiden, hat es nicht nötig groß zu tun, sondern stapelt lieber tief, was sie auch längst nicht mehr nötig hätte. So gesehen macht sie das beste und vernünftigste, was diesem Land jenseits der Wirren der Parteipolitik und ihrer von Klientel geprägten Interessen passieren kann. Das scheint mir gut und vernünftig, damit - Achtung Dialektik - fühle ich mich wohl, auch wenn ich sie immer noch nicht gewählt habe, weil sie einfach in der falschen Partei ist.
Das Ideal der Vernunft und insbesondere mehr davon täte und tut der Politik gut. Bin gespannt wie Andrea Nahles, die ich auch persönlich kennenlernen durfte und die ich wirklich sehr schätze und für eine unglaublich zuverlässige und gute Arbeiterin der Politik halte, wie ihr inzwischen auch CSU-Mitglieder attestierten, nun die Opposition führen wird. Es gefällt mir nicht, dass sie die Annäherung zur SED-Nachfolgeorganisation sucht, die sich die Linke nennt, andererseits täte es Deutschland gut, wenn eine Front der politischen Polarisierung sich auflöste und im Brei der Sozialdemokratie aufginge, die alte Abspaltung der USPD und die ewigen Lügen um Spartakus und KPD ein Ende fänden nach über hundert Jahren. Doch gehe ich davon weniger aus, da auch die SPD den linken Kitsch ihrem Wesen nach schätzt und es viele Genossen gibt, die noch die Seeheimer verfluchen, den Kreis realistischer Sozialdemokraten.
Aber für das Ideal der Vernunft spielt die alte Tante Sozialdemokratie vermutlich sobald keine tragende Rolle mehr, es sei denn der Altherrenverein ließe endlich mal eine Frau wirklich groß werden, statt peinlicher Ersatzkandidaten und da ist momentan außer Andrea Nahles und Manuela Schwesig nichts in Sicht und ob die stark genug sind, die Macht so an sich zu reißen, wie Merkel es nach dem Zusammenbruch Kohls in der Spendenaffäre tat, ist noch offen.
In der Politik liebe ich das Ideal der Vernunft und sähe gern mehr davon. In der Liebe handelte ich gegen alle Vernunft und Erfahrung und bin der glücklichste Mann geworden, der die auch vernünftig betrachtet bestmögliche Beziehung führt, an der ich nichts mehr ändern möchte in meinem Leben. Irgendwo dazwischen leben wir wohl idealerweise irgendwie immer und lavieren zwischen der Vernunft im Alltag und dem Gefühl als Ausnahme. Wünsche mir für die Zukunft, dass es mehr Vernunft in der Politik gibt und weniger Gefühle. Möchte so wenig Staat wie möglich und diese eher überflüssig lästige Last nicht noch mit unnötigen Emotionen aufladen, sondern nüchtern verwaltet wissen. Am besten von einer klaren Analytikerin wie der Physikerin Merkel auf deren Tun Verlass ist und die meist relativ berechenbar handelt.
Ob ein Mann oder eine Frau diesen Job ausfüllt, ist mir relativ egal, solange es so unbestechlich und zuverlässig ist, wie Merkel es tut, alles Balzgehabe entbehrlich wäre, ist es gut so, warum auf dem von überflüssigen männlichen Ritualen geprägten Parkett der Politik derzeit eine Frau besser wäre als ein Typ - wie wir an den drei lächerlichsten Verkörperungen männlicher Triebhaftigkeit und Macht - Trump, Putin und Erdogan - sehen können.
Vernunft als Ideal macht Gelassen und lässt dich Abstand nehmen, bevor du dich weiter aufregst, was immer nur zu viel Gefühl hochkochen lässt, dass der vernünftigen Politik nur schadet. Dem Gefühl andererseits zu folgen, wenn es um dieses geht, scheint mir, so widersinnig es dabei klingt, sehr vernünftig und führt auch zu größtmöglicher Zufriedenheit. Wo wir dem Gefühl glücklich folgten, Vernunft walten zu lassen, um auf Dauer miteinander glücklich zu sein, finde ich richtig und fühlt sich gut an.
So haben wir in vielen Punkten immer von beidem etwas und müssen sehen, wie wir es in ein vernünftiges Gleichgewicht bringen, um uns wohl zu fühlen. Nur Gefühl führt genauso ins Chaos wie der bloße Verstand uns fröstelnd erstarren ließe, mich nie so nah zu meinem Ideal gebracht hätte, von dem ich vorher noch nichts wusste, weil ich es mir vernünftigerweise gar nicht so denken konnte.
Das Ideal der Vernunft in der Politik hochhalten und also weniger Gefühl bei der bloßen Verwaltung zu fordern, entspricht meinem Gefühl von guter Politik, die nicht ständig polarisiert sondern Ausgleich und Kompromisse zum Wohl der größten Menge sucht. Am tragbarsten war schon immer eine vernünftige Politik der Mitte statt überhöhten Idealen, die versucht, das Mögliche einigermaßen vernünftig zu verwalten, statt unnötige Emotionen aufzuheizen, die keiner was die Verwaltung angeht eigentlich bräuchte.
Die Kanzlerin ist die oberste Schalterbeamtin der Republik. Sie soll ihr Amt gut und ordentlich verwalten und mich sonst möglichst in Frieden lassen. Keinen Irrsinn versprechen, niemanden aufhetzen und den Dingen ihren Lauf lassen, nur Eingreifen, wo es unbedingt nötig ist.
So bin ich auch in meiner Beziehung am glücklichsten, ohne große Dramen, auf einer guten vernünftigen Basis, sich gut zu tun und einander für das geistige und leibliche Wohl zu sorgen. Wo das passt. Möchte ich nichts mehr ändern und kann für immer dabei bleiben, wir nennen das dann Ehe oder so, ist auch egal, wie es heißt, hauptsache, es fühlt sich vernünftig an und tut gut.
Zumindest darin ähneln sich dann Politik und Liebe, was am Ende rauskommt, wird immer besser, wenn wir vorher genug Vernunft rein tun.
jens tuengerthal 26.10.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen