Die Liebste zum abheben gen Schönefeld gebracht und dann von dort, dem südlichen Luftfahrtknotenpunkt der Weltstadt mitten in der Provinz losgelaufen. Dieser improvisierte Haufen von Schuppen, der einmal für Billigfluglinien irgendwie improvisiert wurde, ist inzwischen schon zu lange die eigentlich peinliche Dauerlösung, nahe dem immer noch nicht absehbar fertigen BER.
Von der Abflugbaracke der irischen Billigfluglinie, die gerade vor allem durch Streichungen berühmt wurde, ging es über den nur teuer zu bezahlenden Parkplatz, als seien wir wirklich an einem großstädtischen Flughafen und nicht nur auf einem irgendwie Festivalgelände in tiefster Provinz, wie er eher aussah in seiner realen Schlammhaftigkeit. Der sich anschließenden vierspurigen Straße mit Grünstreifen inmitten folgte ich in östlicher Richtung zunächst weiter als nötig, obwohl sie von typisch vorstädtischer Hässlichkeit außer einer sichtbar alten Kirche, die noch aus Zisterzienser Zeiten stammen könnte, nichts zu bieten hatte als Leihwagenhändler, Imbissbuden, Bordells, Tankstellen und ein Hotel. Flughafenumgebung, hingestreut und nicht gewachsen, zum schnellen durchqueren und vergessen.
Hinter dem Hotel hätte ich sofort links gemusst, was ich übersah, warum ich erst im zweiten Versuch die rostige Brücke über die Bahngleise bestieg, die schon zu DDR Zeiten alt geworden sein könnte.
Kaum kam ich die Brücke hinab, war ich mitten in Brandenburg, tiefste Provinz mit noch gewölbten Straßen, wenn nicht nur bessere Feldwege zu den Einfamilienhäusern dort führten, an Fischteichen vorbei, die wunderbar baumumstanden, die idyllische Atmosphäre noch verstärkten. Alt Schönefeld hat seine Reize, zumindest solange ich es als Wandere,r von der Schnellstraße kommend, durchquere und nicht dort leben muss.
Mütter mit Kinderwagen und Hundehalter kamen mir entgegen, alle den irgendwie Fremdling dort bestaunend als sei ich ein unerwünschter Flüchtling, der ich mit Wanderstiefeln und Rucksack, ansonsten aber ziemlich zivil durch den Ort flanierte, nur ganz in Schwarz halt, wie meist. Ob daraus geschlossen werden kann, dass den Märkern alles Schwarze erstmal suspekt ist, weiß ich nicht - willkommen fühlte ich mich auf den ersten Blick nicht in den noch der Straße folgend zu durchquerenden Dörfern Brandenburgs.
Dies entspräche wohl auch dem Charakter der märkischen Landbevölkerung wie Fontane sie beschrieb. Von deren Neigung sich selbst für Kleinigkeiten gern zu loben, habe ich nichts mitbekommen. Gelegentliche Jogger, die der kleinen Straße, die nur auf Karten, da die einzige dort, groß aussah, grüßten dagegen sehr freundlich - es waren auch nur zwei - vermutlich eine Solidarität unter Exoten - Wanderer und Läufer sind nicht, was der neben der Großstadt ganz ländlich lebende Märker häufig sieht. Wozu auch rausgehen und durch die Landschaft rennen, die ist ja immer da und es war noch nie etwas los, seit tausenden von Jahren.
Von Alt Schönefeld ging es der Rudower Chaussee folgend überraschenderweise gen Rudow, was den Wanderer bereits mit dem Ortsschild Berlin Neukölln begrüßt. Eine schöne Überraschung mitten in der märkischen Provinz plötzlich in Neukölln gelandet zu sein. Es sah ganz anders aus als sich die normalen Besucher Neukölln vorstellen, nämlich eigentlich genau wie die märkische Provinz davor mit dem einzigen Unterschied, dass es diese sich Berlin nannte, die Autos ein B auf ihrem Kennzeichen haben und wir nun im alten Westberlin und nicht mehr in ehemaliger DDR waren, was nur ein Gefühl war und doch irgendwie tröstlich wirkte.
Die Babauung ähnelte sich, einige niedliche Bauten in Alt Rudow mit sich ländlich benehmenden sehr jungen Damen, die, dich auffällig ingorierend, mehrfach aus verschiedenen Richtungen an dir vorbeiliefen und den ersten arabisch und türkisch sprechenden jungen Männern, die im Gegensatz zum Wanderer viel Interesse an den jungen Damen zeigten, die von diesen aber naserümpfend ignoriert wurden. Auf das Rümpfen der Nase verzichtete ich und lächelte einfach freundlich vor mich hin, was vermutlich, wenn es dich Wanderer nach Rudo verschlägt, verrückt genug wirkt, von niemandem angesprochen zu werden, Außer diesen jungen Damen, die immer wieder auftauchten und hofften ihr auffälliges Ignorieren würde für Interesse sorgen, was es aber nicht tat, kamen mir noch einige stark geschminkte typische Westberliner Matronen entgegen. Die vier Damen unterhielten sich lautstark, waren alt genug mich auf auffällig direkt anzuschauen und weckten dabei aber auch nicht mehr Interess als ihre möglicherweise Enkelinnen. Schon erstaunlich, wie sich die Generationen so übergreifend im Schutze der Dämmerung manchmal verwirren.
Dabei fiel mir ein, dass ich mal eine nur körperlich lange Geliebte aus Rudow hatte, von der wenig mehr in Erinnerung ist, als dass sie außer zwei Kindern auch mindestens zwei Katzen hatte, warum ich bis dato noch nie in Rudow war. Zeitlich war dies Kapitel sehr kurz und bedarf auch darum keiner weiteren Erwähnung, es fiel mir nur ein, als ich die Damen jenseits der höflich vierzig und realistisch vermutlich in der nächsten Dekade gelegenen Sparkassendirektorsgattinnen und Arztgattinnen oder Lehrerinnen dort flanieren sah mit ihren als Angel ausgefahrenen Blicken und schnell zusah, dass meine Augen sich auf den netten Buchladen dort konzentrierten.
An Kleingartensiedlungen vorbei ging es weiter bis zu dem kleinen Abstecher an der Hufeisensiedlung, von der ich im Dunkeln mehr die Form erahnte als tatsächlich sah, die aber dennoch einen guten Eindruck hinterließ und sehr aufgeräumt wirkte, wie so vieles im Dunkeln viel aufgeräumter wirkt, warum wir das Licht manchmal der Ordnung halber überschätzen. Auch dieses Weltkulturerbe ist Neukölln. Hier hatte ich schon fast die Hälfte des Weges bis nach Prenzlauerberg geschafft und war doch noch in einer anderen Welt - in einem eher ländlich oder kleinstädtisch geprägten Vorort noch, wenn auch die ersten U-Bahnstationen im schönen Design der Zeit auftauchten, die nach Berlin führten.
Nach der Unterquerung der A100, also des inneren Autobahnrings heißt die bis dahin Buschkrugalllee plötzlich Karl Marx Straße und das für eine sehr lange Zeit und durch verschiedenste Welten. Es wird immer städtischer und die typischen Berliner Altbauten nehmen zu, dazwischen immer mal neue Zweckbauten mit Einkaufszentren oder sonstigem Bedarf.
Während es auf der Höhe des alten Flughafen noch vereinzelt Sportplätze und Tankstellen oder andere Gewerbe gab, nimmt gen Innenstadt die Wohnbebauung immer weiter zu und was mit gelegentlichen Döner Läden begann wurde eine immer stärkere Präsenz der türkisch-arabischen Gemeinschaft, die dort etwa die ehrwürdige Hohenzollern Apotheke einrahmt oder in riesigen Schaufenstern Beschneidungsanzüge für Knaben zweisprachig anbietet.
Dass diese Bräuche des Aberglauben bei uns praktiziert werden dürfen, finde ich eigentlich eher ärgerlich, auch wenn die Toleranz dazu verpflichtet, jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen, was ja spätestens seit dem Alten Fritz guter Berliner Brauch ist, fragt sich doch, warum wir Kinder nicht nachhaltig davor schützen, wir es zulassen, dass unschuldige Wesen nur um dem Aberglauben zu genügen, irreversibel verstümmelt werden. Eine Beschneidung der Knaben ist nicht so schlimm wie etwa eine andernorts praktizierte Klitorektomie bei Mädchen aber nötig ist sie auch nicht und es sollte die Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft allein Erwachsenen vorbehalten bleiben.
Noch sind wir leider nicht soweit, die Toleranz religiöser Riten gilt als liberal, auch ein Grüner wie Volker Beck setzte sich auch der deutschen Juden wegen für größere Toleranz dabei ein. Sehe das ganz grundsätzlich anders und habe auch schon mit Volker damals darüber gestritten aber das ist ja kein Thema hier, wo nur der Wanderer von seinem Weg vom Land in die Stadt berichtet. Es waren nur die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich diese Schilder sah und mich fragte, wieviel Toleranz verträgt die liberale Gesellschaft ohne ihren Kern zu verlieren?
Neukölln fordert viel Toleranz, wenn sich bärtige Muftis auf der Straße lautstark arabisch unterhalten, in Kaftane gehüllt, die sie schnell als Anhänger der Salafisten erkennen lassen, dachte ich, während ich mir durch meinen etwas kürzeren Vollbart fuhr.
Andererseits war es unterhaltsam diese verschiedenen Welten aufeinanderprallen zu sehen. Die relativ knapper bekleideten schwedischen oder niederländischen, jedenfalls sehr blonden Touristinnen, die ihr Bier in der Hand singend oder laut redend vorüber schwankten und die so arabischen Herren, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. In Berlin geht das nebeneinander ohne Probleme, in noch krasseren Fällen auch, wenn die junge Frau in Strapsen und Minirock mit Lackstiefeln, der älteren voll verschleierten arabischen Dame die Tür aufhält und fragt, ob sie ihr beim Tragen helfen soll, und die Dame sie beim Vornamen nennt und sagt, lass gut sein mein Liebes, scheint Multikulti real existent und es fragt sich, was die Märker für Angst und Probleme haben, nur wenige Kilometer von hier, wo nahezu keine Muslime leben, es sei denn sie müssen, weil lagerweise zugewiesen.
Nach dem Rathaus Nerukölln bin ich irgendwo gen Maybachufer links abgebogen. Während ich auf diesem Weg die Sonnenallee überquerte, meldete sich mein Schatz aus Dublin, den ich als die Wanderung begann noch in Schönefeld verabschiedet hatte. Sie war gut gelandet, ich lief immer noch und wir hatten nun eine gute Stunde, um miteinander zu telefonieren, während der ich das wohl ein wenig zumindest im Herbst überschätzte Maybachufer entlanglief, den aus guten Gründen verrufenen Kotti überquerte, der real immer noch häslicher ist als nur von Peter Fox besungen und durch die Hochhausschluchten gen Spree wanderte, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen, bis ich den Fluss irgendwann Richtung Insel und also Mitte überquerte.
Zum Schloss, dass noch eingerüstet ist und Humboldt-Forum heißt, weil sich doch keine Demokratie ein altes eigentlich langweiliges aber wunderbar passendes Schloss sonst in ihre Mitte stellen dürfte. Dieses steht nun, widmet sich in großen Teilen den Kulturen der Welt bald irgendwann und der Berliner Eitelkeit wie Müller kleingeistig nach der Machtübernahme von Wowereit beschloss, weil gerade die alten Westberliner gern die lokale Eitelkeit für was auch immer pflegen und sich damit wunderbar als die von Theo Fontane einst so treffend beschriebenen Märker entpuppen und so auch unser bürgermeisternder Schweibwarenhändler in zu roter Koalition sich als echter alter Berliner zeigt, was ja zumindest ein Qualitätsmerkmal für manche vielleicht wäre.
Beim Weg über die Brücke sah ich schon den bunt beleuchteten Fernsehturm, jenes Potenzsymbol der östlichen Parteiführung, was bis daton zumindest das schlankeste Gebäude am neuen Alex ist. Ob Schlankheit ein Wert an sich ist oder überschätzt wird, mehr auch mehr immer ist und weniger einfach weniger und viel schneller zu wenig, mag an dieser Stelle dahinstehen. Dieses Phallussymbol östlicher Bauart glänzte hier mehr durch seine Beleuchtung als ob seiner sonstigen Zweckfreiheit wegen. Auch das Humboldtforum leuchtete und manches mehr, wie ich aber an diesem Tag nach bereits über 25km zu Fuß nicht mehr en detail entdecken wollte. Dafür war der Samstag gut oder der Sonntag oder die ganze übrige Woche, wenn es hoffentlich nicht mehr regnen wird wie gerade in Strömen, während ich die Zeilen über die gestrige Wanderung schrieb.
Noch kein Marathon, nichts weltbewegendes aber am Ende, als ich auf dem Berg wieder ankam und die Tour bei einem Glas Riesling vor meinem Stammcafé beendete, doch 32km zu Fuß, was den Wanderer letztere spüren ließ.
Wandern ist wunderbar und lässt dich Landschaft und Stadt erst wirklich erspüren, weil du nicht vorüberast, sondern um so länger die Tour wird, desto mehr flanierst und dir Zeit lässt, auch mal eine Pause einlegst, um dich gut zu finden dabei. Glücklicherweise zählt meine Google Fitness App die Kilometer großzügiger als die selbe Funktion auf dem elektrischen Apfel meiner Liebsten, was doch eine große befriedigende Wirkung hat, wenn du ganz gelassen vor deinem liebsten Café sitzt und allen Bekannten und Unbekannten ganz nebenbei davon erzählen kannst, möglichst bescheiden die Kilometer nur flüsternd aber doch laut genug, dass es garantiert jeder mitbekommt.
Nach dem kleinen Zwischenstopp vor dem Bar-Café meiner Wahl begab ich mich stolz und geschafft noch die drei Etagen zu mir hinauf und war genug gelaufen für den Tag. Morgen, also heute geht es zum Festival of Lights oder übermorgen oder überübermogen. Frei von allem sportlichen Ehrgeiz der Läufer, die gern die Zähne zusammenbeißen, um sich leidend zu beweisen, wie hart sie sind und was sie alles aushalten, muss ich mir nichts mehr beweisen, sondern genieße lieber, was ist. Der kurdische Freund im Café feierte mich dort peinlich laut als Held und erzählte jedem, was ich ihm eben zugeflüstert hatte, damit tat er zwar, was ich insgeheim vermutlich gehofft hatte, wäre ich ehrlich, aber wer ist das schon,was die eigene Eitelkeit betrifft und so war er bloß offiziell so peinlich, dass ich mich zufrieden und still in meine Bücherhöhle zurückziehen konnte - die Welt am Platz hatte meine Heldentat zur Kenntnis genommen, die zwar keine ist und doch war ich bescheiden zufrieden, hatte ich es doch aus Liebe getan.
jens tuengerthal 7.10.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen