Freitag, 20. Oktober 2017

Friedrichsstraßig

Von Kreuzberg aus ging es am frühen Vormittag wieder in Richtung auf den heimatlichen Prenzlauer Berg, dabei die ganze Friedrichstraße hinunter und über drei Friedhöfe am Wegesrand, des schönen Herbstlaubes wegen. In Summa waren es etwas über 18 km bei immer strahlenderer Sonne ein Flanieren durch die Stadtmitte mit erstaunlich viel Grün dazwischen.

In der Jüteborgerstraße ging ich los, wo ich zuvor noch einen sehr frühen Termin mit meiner wunderbaren Tochter zu erledigen hatte und flanierte von dort oben mitten durch den Bergmannkiez hinab. Verschlafen sahen um diese frühe Stunde wenig nach acht Uhr noch die meisten Gesichter hier aus. Aber anders als auf dem heimischen Berg. Kreuzberg hat die ältere alternative Szene, die lange vor der Wende bestand, dort in der Nische am Rand der Mauer nach Ostberlin ihr eigenes Dasein geführt und teilweise bis heute überlebt,. Es gibt dort mehr Menschen über fünfzig oder älter, die sich noch irgendwie jugendlich fühlen und so leben wollen. Daneben gibt es eine große türkische und arabische Gemeinschaft, die teils daneben einfach ihr eigenes Leben lebt und sich teils an die freie Szene dort angepasst hat, ausgesprochen locker ist.  Es wird sich toleriert und meist freundlich bis liebevoll miteinander umgegangen.

Von der Jüterboger Straße führt die Friesenstraße direkt zur Marheineke Markthalle, die wiederum an der Bergmannstraße liegt, welche dem ganzen Kiez seinen Namen gab. Der Bergmannkiez ist voller Kneipen, Secondhand Läden und anderen Orten der typisch Kreuzberger-Kultur mit ihrem alternativen Flair, der langsam immer schicker und gediegener wird, sich dagegen aber auch wehrt und gerne noch etwas schlampig tut, weil sie ja schon immer die Schmuddelkinder spielen und nicht hipp sein wollen.

Durch die Markthalle zu flanieren, ist auch am Morgen herrlich, wenn die Stände frisch aufgebaut werden, die Anwohner sich ihre belegten Schrippen beim Bäcker holen, der bretonische Käse und die südfranzösische Wurst noch etwas zu intensiv duften, das Obst noch frisch und prall in den Auslagen liegt. Mag dieses Kreuzberg irgendwie, mit seiner alternativen Szene erinnert es mich an ein Museum meiner Kindheit in den 70er Jahren und so fühlt es sich auch in manchem an, dort hindurch zu laufen.

Im Mittelalter noch lag Kreuzberg außerhalb der Doppelstadt Berlin Cölln, die eben die Insel mit einschloss. Es gehört heute neben Neukölln, Friedrichshain, Gesundbrunnen und Prenzlauer Berg zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Berlins und die Bebauung erstreckt sich teilweise bis in den vierten Hinterhof. Im 19. Jahrhundert erweiterte sich Berlin südlich um die nördlichen Teile des heutigen Kreuzberg. Namensgeber der großen Straßen waren damals die Helden der Befreiungskriege wie Yorck von Wartenburg und Gneisenau oder die Schlacht bei Waterloo, nach der das Waterloo-Ufer heißt, auch wenn es nur das Hauptquartier von Wellington war, das 1947 erst in Mehringdamm umbenannt wurde.

Wichtig im Städtebau war das 1821 eingeweihte Nationaldenkmal auf dem namensgebenden Kreuzberg. Die damals noch Tempelhofer Berg genannte, immerhin 66 m hohe Erhebung, lag mitten in den Feldern vor der Stadt und auf ihr wurde nach Plänen von Schinkel ein Denkmal in der Form eines Eisernen Kreuzes errichtet, um an die Befreiungskriege gegen Napoleon zu erinnern, die später auch der Beginn von Preußens Aufstieg zur Großmacht waren, wenn auch Friedrich der Große eigentlich die strategische Grundlage dafür mit der Eroberung Schlesiens legte.

Auch nach der Eingemeindung in Groß-Berlin 1920 hieß der Bezirk zunächst Hallesches Tor und wurde erst später nach dem Berg mit dem Kreuz benannt. Im 2. Weltkrieg schlugen sich die verbliebenen Nazis noch lange mit den anrückenden Russen um diesen Bereich, wobei es nur um wenige blutige Tage ging und manche Kommandeure noch Hitlers Politik der verbrannten Erde folgten und so etwa das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz in die Luft sprengten, wie es die dortige SS tat.

Nach dem Krieg wurde ein großer Teil des ehemaligen Bezirks dem amerikanischen Sektor zugeteilt. So war auch der wichtigste Übergang in den Osten der Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße - aber dazu, wenn ich später beschreibe, wie ich diese vollständig entlang flanierte oder auch nicht, denn eigentlich ist er nur noch Geschichte, besser nachzulesen. Kurz davor kreuzt die Kochstraße die Friedrichstraße, der östliche Teil heißt heute Rudi Dutschke Straße, um an die studentischen Unruhen zu erinnern, die eine Auslieferung der Springerpresse verhindern wollte, die am anderen Ende der Kochstraße gemacht wurde. Bei den sogenannten Osterunruhen kam es damals zum Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Aus der Wut darüber radikalisierte sich ein Teil der Studenten weiter, was direkt oder über Umwege in den Untergrund führte, in dem dann der Terror der RAF entstand, der die 70er Jahre prägen sollte und den damaligen Kanzler Helmut Schmidt als unnachgiebig hart zeigte. Wie weit die RAF von der Stasi finanziert, ein Produkt östlicher Geheimdienste war wie es Pegida heute ist und Teile der Linken immer noch lieber ihre Anweisungen und Gelder aus Moskau erhalten, dass aber auch AfD und NPD finanzierte als umfassend radikaler Brandstifter, sei hier dahingestellt, wichtiger war mir auf die vielen brandheißen Stellen in der deutschen Geschichte in diesem kleinen Bereich hinzuweisen.

Heute sind fast ein Drittel der Einwohner Kreuzbergs Migranten. Teils türkischer Abstammung und deren Nachkommen. Ab 1987 war Kreuzberg für seine regelmäßigen massiven Straßenschlachten zum 1. Mai berühmt. Die Gewalt ist eher ritualisiert und ein mediales Ereignis, wurde durch Veranstaltungen wie Myfest aufgefangen. Dabei geht es weniger um politische Motive als um die Suche nach Randale und Abenteuer wie auch in Hamburg - typisch jugendlicher Irrsinn ohne tiefere Bedeutung, nichts was größerer Aufregung noch wert wäre.

Seit 1925 hat sie die Zahl der Einwohner Kreuzbergs ungefähr wieder halbiert und lag 2013 bei 152.000. Regiert wird Kreuzberg durch die traditionell starke alternative Szene in den letzten Jahren Grün, vorher Rot, auch wenn es sogar Bürgermeister aus der CDU gab.

Vom Marheineke Platz aus folgte ich der Zossener Straße Richtung Landwehrkanal, um am Ende die Friedrichstraße, die am Halleschen Tor beginnt, in voller Länge zu laufen. Überquerte dazu die Gneisenaustraße und flanierte weiter, bis mich die Friedhöfe am Halleschen Tor magisch anzogen und nach Westen in den Friedhof abbiegen ließen. Die Friedhofsanlage liegt zwischen Mehringdamm und Zossener Straße. Es sind dort mehrere Friedhöfe noch außerhalb der Berliner Zollmauer auf einem Gelände heute zusammengefasst. Insgesamt sechs Friedhöfe wurden so vereint, von der Dreifaltigkeitsgemeinde bis zu den Herrnhutern. Auf dem Friedhof sind insgesamt 28 Mitglieder der Familie Mendelssohn bestattet worden, die in Berlin und weit darüber hinaus eine große Rolle spielten. Daneben finden sich dort noch die Gräber des Architekten Knobelsdorff, mit Moehsen der ehemalige Leibarzt Friedrichs des Großen und des Geodäten Gauß sowie anderer mehr oder weniger berühmter Berliner. Schön war es, bunt war es und die Sonne schien durch den noch leichten Dunst am Morgen, der über dem Friedhof schwebte, auf dem ich noch wenig andere Besucher traf. Durch die Grünanlage zwischen Blücherstraße und Waterloo Ufer, ging es Richtung Landwehrkanal. An der Stelle, an der sich die Straße von Waterloo Ufer in Tempelhofer Damm umbenennt, überquerte ich sie in Richtung Kanal und die dort gelegene Brücke direkt an der U-Bahn Station Hallesches Tor.

Die U-Bahn ist dort wie im zentralen Prenzlauer Berg eine Ü-Bahn eigentlich, die auf einem Gerüst überirdisch am Kanalufer entlang fährt und sich am Halleschen Tor mit der tatsächlich U-Bahn in Richtung Tempelhof kreuzt. Ging an dieser verkehrsumtosten Stelle über die auf der anderen Seite des Kanals gelegene Straße Hallesches Ufer und kam am Mehringplatz in eine seltsame Siedlung, die das Ende der Friedrichstraße bildet. Das dortige Neubaugebiet ist ein sozialer Brennpunkt und also ein neudeutsch Präventionsgebiet genanntes Viertel. Angelegt wurde der Platz bei der Erweiterung Alt-Berlins um 1730. Von 1734 bis 1815 hieß der Platz noch in alter Schreibweise Rondel am Halleschen Thore - daraus wurde dann nach dem Sieg von Wellington und Blücher bei Waterloo über Napoleon der Belle Alliance Platz.

Belle Alliance und Waterloo meinen die gleiche Schlacht, die nur Blücher und Wellington unterschiedlich nach ihren jeweiligen Hauptquartieren nannten. Der Brite saß bei dem belgischen Dorf Waterloo, der Preuße auf dem Gehöft Belle Alliance und Wellington hoffte noch, dass es Nacht wird und die Preußen kommen, was sie ja bekanntlich taten - aber eigentlich ist es der gleiche Ort um die letzte Schlacht Napoleons bevor er verbannt wurde. Dieser siegreiche nationale Taumel gegen die Franzosen, schien der Regierung von Berlin nach 1945 nicht mehr angebracht und so wurde der die Friedrichstraße abschließende Platz zum Mehringplatz nach Franz Mehring, dem Publizisten Politiker und marxistischen Historiker, was Grund genug heute für eine Rückbenennung in Belle Alliance wohl wäre, zumal Mehring heute als Antisemit gilt.

Auf dem Platz mit den seltsam wechselnden Namen steht eine Viktoriasäule mit dem Namen Friedenssäule, sie wurde nach einem Entwurf von Cantian noch unter der Regentschaft Friedrich Wilhelms III. errichtet, ist so als ein Denkmal für die Befreiungskriege zu sehen, auch wenn der Platz nun nach einem ollen, antisemitischen Marxisten heißt - Berlin eben, wollen sie was verbessern und machen es am Ende noch schlimmer und nichts wirklich.

Aus einem Brunnen erhebt sich die Säule aus schlesischem Marmor, erzählt von der Zeit, als Schlesien noch nicht polnisch war. Die Viktoria, die auf der Säule balanciert, ist ein Abguss von Rauchs zweiter Charlottenburger Viktoria, die wiederum nach dem antiken Vorbild einer 1823 in Pompeji gefundenen kleinen Nike aus Bronze entstand. Eingeweiht wurde die Säule mit deren Bau zugleich das howassergefährdete Gebiet unterkanalisiert und angehoben wurde zum 20. Jahrestag der Schlacht bei Großbeeren, bei der sich die Preußen erfolgreich den Franzosen entgegenstellten am 3. August 1843. Die Spülung der Kanalisation erfolgte durch den Brunnen um die Säule, die so auch einen praktischen Zweck zumindest verfolgte. Die Truppen des preußischen Heeres waren zur Schlacht bei Großbeeren übrigens durch das Hallesche Tor aus der Stadt abgezogen, warum die Erinnerung doppelt passte.

Ende des 19. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot der Belle Alliance Platz großbürgerlichen Wohnkomfort vom feinsten. Die Gegend galt damals als vornehm - wie schnell sich Zeiten doch ändern oder verkehren. Nach Ende des Zweiten Welkrieges wurde der Platz als total zerstört eingestuft. Den Wettbewerb für die Bebauung gewann Hans Sharoun, der eine bewohnbare Stadtlandschaft schaffen wollte, was sichtbar wird, wenn du durch das seltsam anmutende Rondel heute läufst. Als der Schüler Scharouns nach dem Tod des Meisters übernahm, hatten sich die politischen Vorgaben vollständig verändert und es ging mehr darum, sozialen Wohnraum zu schaffen, was so manche baulichen und ästhetischen Verbrechen der 60er und 70er begründen sollte, für die kein Politiker oder Architekt je haften musste.

Die Gestaltung ist wieder typisch, nett gedacht aber schlecht gemacht und so wundert der hohe Drogen und Alkoholkomsum dort nicht, um diese für viele vermutlich Wohnhölle zu ertragen, die einst beste bürgerliche Wohngegend am Halleschen Tor war und heute eher 1-Euro-Läden und Spielhöllen neben gammeligen Döner Läden beherbergt am Kreuzberger Ende der Friedrichstraße um die Ecke vom Willy Brandt Haus. Einen der Billigläden mit sehr freundlichem Personal besuchte ich auch und fand erstaunlich gute Schnäppchen. Hier, kurz vor Beginn der teuren Friedrichstraße, noch in Kreuzberg, im alten Westberlin, bevor es in Mitte schick wird.

Die Friedrichstraße wurde übrigens nach dem Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg benannt, dem Großvater des Alten Fritz, der später König Friedrich I. in Preußen wurde und dessen Frau Charlottenburg ihren Namen gab.

Die Friedrichstraße beginnt am Oranienburger Tor, der Kreuzung von Friedrichstraße mit Torstraße und Hannoverscher Straße. Sie überquert die Spree an der Weidendammbrücke und unterquert den Bahnhof Friedrichstraße, sehen wir von dessen großen unterirdischen Areal einmal ab. Dieser Bahnhof, der zu DDR Zeiten auch Bahnhof der Tränen hieß, ist typisch für Berlin, weil er für die perfide Trennung und Teilung Berlins durch die Kader der SED stand, deren Nachfolger heute als sogenannte Linke im Bundestag angeblich für moderne linke Politik stehen wollen - aber das totalitäre Gedächtnis vieler Menschen scheint sehr kurz.

Die letzte Regierung der DDR versuchte noch mit ihren bescheidenen ästhetischen Mitteln die Friedrichstraße zu einem urbanen Boulevard auszubauen, an seine große Geschichte im Berlin der 20er anzuknüpfen. Die Gerüste ihrer Versuche wurden nach der Wende abgerissen. Im übrigen halten sich die durch den Sozialismus verursachten Schäden an der einstigen Prachtstraße, der ich mich von Süden kommend näherte, in überschaubaren Grenzen. Anders als beim vollständig verschandelten Alexanderplatz, der städtebaulich ein toter Aufmarschplatz ist, wie er den Hirnen totalitärer Sozialisten nur entsprungen sein kann und wie wir diesen Ausbund an Hässlichkeit überall im ehemaligen Ostblock finden können.

Diese deutliche ästhetische Kritik ändert nichts an der Anerkennung der Lebensleistung vieler Ossis, es stellt nur den primitiven Geschmack ihrer Führung in die richtige Reihe, der sogar noch den des Nationalsozialismus unterbot, wofür die meisten nichts konnten und der eben systemimmanent war, warum dringend die verbliebenen Sünden dieser Zeit entfernt werden sollten, um wieder mehr Schönheit Raum zu geben, statt sich in Ostalgie zu ergehhen.

Ein Beispiel dafür wäre das grässliche Thälmann Denkmal am Rande des gleichnamigen Parks in Prenzlauer Berg. An Thälmann, den Held der östlichen Pioniere, der real einer der Mörder der Weimarer Republik war, den aber nicht mal Stalin von Hitler wieder wollte, sollte nicht mehr öffentlich erinnert werden und bevor der Denkmalschutz auf die Idee kommt das Grauen der DDR weiter für schutzwürdig zu erklären, sollte der Schönheit wieder Freiraum zur Entfaltung gegeben werden. Wie sehr diese Orte mit größter Erbitterung von Politikern der Linken verteidigt werden, zeigt deren wahre Wurzeln und macht jeden weiteren Diskurs überflüssig. Wir stellen in der Demokratie keine grauenvollen Denkmale ihrer Feinde auf sondern beseitigen die totalitäre Ästhetik vorheriger Diktaturen so schnell wie möglich - doch dieser demokratische Tenor ist in der Berliner SPD, die gern auf Kuschelkurs mit der Linken geht, nicht mehrheitsfähig, was sie logisch unwählbar für mich als ehemaliges Mitglied sogar machte.  Aber genug vom Grauen, wenden wir uns lieber wieder der Geschichte und den Wegen dieses Prachtboulevards zu, der Unter den Linden in ihrer Mitte kreuzt.

Das Viertel bis zum Brandenburger Tor, das Ende des 17. Jahrhunderts in Planquadrate eingeteilt wurde, hieß nach der zweiten Frau des Großen Kurfürsten, Dorothea Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, was etwas lang wäre, schlicht Dorotheenstadt. Die zweitwichtigste Straße nach dem längst Prachtboulevard Unter den Linden war die große Querstraße, die zunächst auch genauso hieß. Sie reichte damals von der Weidendammer Brücke bis zur Behrenstraße. Als es um den Ausbau des neuen Viertels ging, beschied der Kurfürst Friedrich III., dass Querstraße kein anständiger Name wäre und sie darum seinen tragen sollte - wörtlich sagte er “ein anständiger Name muss es sein, der meinige.” Sich groß fühlen, scheint zu helfen, einmal Großer genannt zu werden, auch wenn der Alte Fritz weniger dazu neigte.

Danach wurde erweitert, gebaut und aufgekauft in dem neuen Stadtteil, der ab da den Namen Friedrichstadt trug. In diese Gegend waren meist Hugenotten gezogen, die durch ihr hohes handwerkliches Geschick, Reichtum und Ansehen des Herrscherhauses mehrten. Als der Soldatenkönig seinem Vater folgte, forcierte er den Ausbau der Friedrichstadt sogar mit militärischer Gewalt.  So konnte die Friedrichstraße schließlich bis zum Halleschen Tor südlich und bis zum Oranienburger Tor nördlich verlängert werden. Dabei können wir uns vorstellen, dass der Teil nördlich der zu diesem Zeitpunkt noch hölzernen Weidendammer Brücke, noch sehr ländlich eher war. Dafür wurden dann viergeschossige Kasernenbauten für das königliche Husaren Regiment dort gebaut. Infolge ließen sich erste Kontore und Manufakturen in der Friedrichstraße nieder.

Auch im Rahmen der Märzrevolution von 1848 spielte die Friedrichstadt eine Rolle. Hier, nahe der Caféhäuser, in denen zuvor viele Wochen debattiert wurde, fanden wichtige Barrikadenkämpfe ab, die auch den Abzug des königlichen Militärs aus der Stadt erzwangen.

Im 19. Jahrhundert gewann der Abschnitt zwischen der Weidendammer Brücke und dem Halleschen Tor immer mehr an Bedeutung. Es kamen teure Hotel, Restaurants und Künstleretablissments und mit ihnen immer mehr zahlende Gäste. Die Friedrichstraße war um 1900 ein Haupthandelsplatz für Edelsteine und Gold und zugleich ein Zentrum der Berliner Prostitution, wie ich sie, als ich vor 17 Jahren in die Stadt zog noch am 17. Juni und auf der Oranienburger erleben durfte und die der Stadt mehr Flair gaben als die immergleichen Ketten und gefegten Bürgersteige.

Martin Heidegger, der philosphische Lehrer der großen Hannah Arendt, der sich auch mit den Nazis gut engagierte und sie bejubelte, schrieb seiner Frau im Juni 1918 über die Friedrichstraße:

„Eine solche Luft künstlich hochgezüchteter, gemeinster u. raffiniertester Sexualität hätte ich nicht für möglich gehalten, ich verstehe aber jetzt Berlin schon besser – der Charakter der Friedrichstraße hat auf die ganze Stadt abgefärbt […] Die Menschen hier haben die Seele verloren.“
– Martin Heidegger: Mein liebes Seelchen!

Ein Philosoph, der moralisch empört über Seelen schwadroniert, fühlt sich mit Sicherheit bei den eher hausbackenen Nazis wohler als in einer mondänen Weltstadt, in der leider zu oft kleine Geister die Regierung mitbestimmen, die sich mehr fürchten, als der Energie der Stadt, genug Raum zu geben, sich genial hier zu entfalten, wie es allein zu dieser Stadt passte. So viel zu Weltgeist und Enge.

Folgte der Friedrichstraße nun von Süden, also ihrem Ende gen Norden zu ihrem Anfang und kam also zuerst durch die Fußgängerzone mit den meist eher bedürftiges Klientel ansprechenden Läden, die teilweise auch orientalisches Gold und falschen Glitzer anboten, woran wir sehen, wie sehr die Umgebung den Ort auch prägt.

Bis zum Checkpoint Charlie, der alten Zonengrenze, die heute noch museal wach gehalten wird mit als amerikanische Soldaten verkleideten Statisten, wird es, bis auf einzelne Bauten, nicht sonderlich prächtig, dann steigt es von der Wertigkeit ein wenig bis zur Leipziger Straße hin an und macht nach dieser den Sprung nach oben in dem Stück zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden. Danach kommt nur noch der Bahnhof Friedrichstraße, das Kulturkaufhaus Dussmann, das ich des Namens wegen für überschätzt halte und das einfach nur auf großer Fläche bietet, was jeder gute Buchladen auf kleinerer schöner präsentiert, einige Hotels und ein Revuetheater aber nicht mehr mit diesem Anspruch auf noble Exklusivität, den der Abschnitt hinter dem Gendarmenmarkt ausmacht, der neben der Galerie Lafayette, zahlreiche mehr oder weniger bekannte Designer und Juweliere beherbergt, bei dem VW mit seiner großen Repräsentanz des bunten Konzerns Unter den Linden den Abschluss bildet.

Viele Konsumtempel und Orte an denen auch wohlhabende schnell viel Geld los werden können, reihen sich aneinander, geben sich edel und wirken doch immer noch ein wenig neureich. Es ist eben nicht gewachsen diese Mitte, sie ist aufgesetzt und glänzt nur so, wie es entsprechende Orte in Paris oder London tun, wer ein wenig an der Fassade kratzt, spürt schnell den Geist der DDR auch hier noch auf, was aber dem kultischen Kapitalismus zumindest ein dialektisches Gegenbild gibt und so auch seine Art ästhetischen Wert wohl hat, zumindest soweit ich darüber nachdenke, wovon ich beim größeren Teil der Besucher nicht ausgehen würde.

Der Flair eines KadeWe fehlt dort einfach und diese viele Tradition kann eine schnell hingeworfene Galerie Lafayette auch nicht künstlich erzeugen, so sehr sie sich bemühen - vermutlich fehlt es auch am gediegen und selbstsicher schauenden Personal dort und sie nahmen stattdessen gut geschminkten, gerade noch ansehnlichen Durchschnitt dafür, der zumindest freundlich lächelt. Allein in der Lebensmittelabteilung des Lafayette kommt ein Gefühl von Weltstadt und internationalem Flair auf, tauchen wir genüsslich in diese edle Welt auch als nur ärmliche Besucher ein oder als betrachtende Flaneure.

Ersparte mir diesmal alle Konsumtempel, hatte ja noch zwei Friedhöfe im Hinterkopf und außerdem schmerzte die Hüfte noch vom unfreiwilligen Salto nahe der Charité am Vortag, als ich vor dem unerwarteten Bus flüchtete. So ging ich vorbei, betrachtete, nahm das eine oder andere Bild auf, ließ mich aber weder beeindrucken noch mitreißen vom Strom der dort angebotenen Gelüste.

Überquerte bald die Linden, genoß den Blick in westlicher und östlicher Richtung, ging weiter bis zu Dussmann, wo sich mein Besuch auf die kleine sehr überschaubare Abteilung schöner Bücher, insbesondere der Anderen Bibliothek beschränkte. Den Rest halte ich dort für völlig entbehrlich für Kulturmenschen, eher für eine Zumutung sogar. Fand den von der Liebsten gepriesenen Band der Brüder Goncourt, der schön aufgemacht wie immer, zumindest einen Reiz zum Konsum auf dieser ganzen Strecke für mich darstellte, sehen wir von dem Schnäppchen im etwas verwahrlosten 1-Euro Laden am Mehringplatz und den Delikatessen in der Markthalle ab, doch widerstand ich diesem und fühlte mich noch besser als die ewige Friedrichstraße am Oranienburger Tor endete und von da an als Chausseestraße weiter lief, was im Unterschied vermutlich nur bemerkt, wer es weiß und darum versteht, dass die Torstraße die Mauer war, hinter der es ins freie Land ging, in dem ursprünglich die Charité noch lag, in der auch viele Arme und Huren verkehrten, von den Soldaten mal abgesehen.

Merke schon, überall tauchen die Huren auf, die Berlin nun so bitterlich fehlen, dass die Stadt in reinlicher Langeweile immer mehr verliert vor allem von dem, was sie mal sexy machte und da mag es Clubs für jeden Sex geben, wie es will. Wer das älteste Gewerbe aussperrt, raubt der Stadt die öffentliche Erotik. Dies sage ich nicht, weil ich sie besuchen oder ihre Dienste konsultieren möchte - bewahre, kein Interesse mehr - sondern weil ich die Veränderung bemerke, die den wunderbaren Geist der Stadt, in die ich 2000 zog langsam unter sauberem Feminismus politisch korrekt erstickt. Berlin wird sterbenslangweilig, wenn es so weitergeht und dann werden Künstler sich neue Orte suchen, um sie zu beschreiben und anziehend zu machen und arm aber sexy ist dann nur noch Geschichte, dann bleibt nur arm aber ungebildet, was keine besonders anziehende Kombination ist.

Genug von den Huren mehr von den Friedhöfen. Als erstes kam nun der Dorotheenstädtische Friedhof in der Chausseestraße westlich gelegen in Richtung der alten Charité, an den noch der Friedhof der französischen Domgemeinde, also der Hugenotten, grenzt. Eigentlich heißt der Friedhof korrekt Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden, liegt in Mitte und bedeckt 17.000 Quadratmeter. Auf ihm fanden zahlreiche bekannte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe, wie es im Slogan des Aberglauben so schön euphemistisch heißt. Es wurden und werden eben dort die Reste auch und gerade prominenter Toter entsorgt. Von Bertolt Brecht, der mit Helene Weigel noch im Grab kuschelt zu Heinrich Mann, der eher theoretisch dort liegt, bis zu Johannes Rau und Christa Wolf.

Der Friedhof wurde zwischen 1814 und 1826 noch mehrfach vergrößert, dennoch war bereits 1860 Schluss und er wurde wegen Überbelegung geschlossen und es durften nur bereits bezahlte Gräber weiter genutzt werden oder Promis ein Ehrengrab bekommen. So hat etwa die Akademie der Künste dort weiter ein Nutzungsrecht, was etwa Anna Seghers dort hinbrachte, wie immer wir diese Sozialistin ästhetisch beurteilen.. Hegel und Fichte reichen Schinkel und Schadow auf diesem kleinen aber feinen Friedhof die Hand, den ich mit besonderem Blick auf das schöne Laub in der Sonnne durchquerte. Betreten hatte ich den Friedhof übrigens nicht durch den üblichen Gang am Brecht Haus vorbei sondern über den Friedhof der französischen Domgemeinde, der sich allerdings längst weiter draußen an der Chaussee Straße noch erweiterte, wo der gute Theodor Fontane sein Grab neben seiner Frau fand. Dort lief ich an diesem Tag aber nicht mehr hin.  Stattdessen wieder durch das Romantiker Viertel mit Schlegel und Tieck Straße, um an deren Ende über die Bergstraße zum Friedhof Sophien II zu kommen, der direkt zwischen Invaliden und Bernauer Straße liegt und auch mit großen und wunderschön alten Bäumen bunt zu beeindrucken wusste.

Es ruht dort neben Carl Bechstein und Walter Kollo auch Max Stirner, ehemals als Atheist und Anarch in die letzte Reihe gestellt, hinter der nur noch die Nonnen des gegenüberliegenden Klosters kamen, nun nur noch sehr weit hinten gelegen aber kein Solitär mehr, wie es doch so gut zum Autor des Einzigen passt. Sein Grab, das quasi über 30 Jahre direkt an der Mauer stand, besuche ich immer. Nicht um den Toten zu ehren - der Tod geht mich nichts an, wer tot ist, ist nicht mehr und nur noch eine bewegliche Sache, braucht keine Ehre, sondern um mich an seine guten Ideen im Einzigen und seinen Weg zu erinnern, den jener andere Junghegelianer namens Karl Marx, der viel bekannter wurde, obwohl oder vermutlich eher weil er so totalitär wie primitiv dachte, so empfindlich kreuzte und störte.

Vom letzten Friedhof aus besuchte ich nur auf einen Sprung noch den wunderbaren Buchladen Ocelot in der Brunnenstraße zwischen Invaliden und Torstraße, ein wenig zu plaudern und schöne Bücher anzuschauen nach genug Gräbern. Nun ging es durch den Weinbergspark hinauf und zurück auf den heimatlichen Berg, den ich mit dem Überschreiten der Schwedter Straße wieder erreichte.

jens tuengerthal 19.10.2017

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