Sonntag, 15. Oktober 2017

Arnimkiez

Heute erzähle ich nur von einer kleinen Wanderung quasi nach nebenan in den benachbarten Arnimkiez, den seine Insellage zu etwas besonderem macht.

Von den Schönhauser Allee Arcaden aus, in denen ich noch kurz lästigerweise zur Post musste, um ein Einschreiben aus Tallin abzuholen, was mich zugegeben in größeres Erstaunen versetzte, da ich niemanden dort kenne, nichts von da erwartete und schon vorab anderes schlimmstes befürchtet hatte, doch schließlich waren es nur die Ersatzfilter für meine elektrische Pfeife und ich sah zu, dass ich schnell wieder aus dem Allerweltseinkaufszentrum kam, das mit den Dufgrüften der Douglasketten und den überallgleichen Auslagen zur Konsumverführung von relativ unerträglich klassenloser Durchschnittlichkeit ist und darin auch vollkommen der Mall of Berlin im kleinen gleicht, durch die ich gestern ging, um mich nochmal in meiner Abneigung gegen Einkaufszentren bestätigt zu fühlen, auch wenn diese so praktisch sind, das unsrige zumindest einen Kettenbuchladen hat, während die Mall berlintypisch ganz auf Bücher verzichtet, die in Berlin ohnehin keinen Wert haben, überquerte ich die Schönhauser Allee, damit dieser Satz endlich ein Ende findet und folgte der S-Bahn in das Arnimviertel.

Dies ist nach dem romantischen Dichter Achim von Arnim und nicht seiner Frau Bettina benannt, der geborenen Brentano, die einst einen Flirt mit Goethe hatte wie schon vorher im Jahrhundert ihre Großmutter, die damals eine berühmte Schriftstellerin war. Arnim ist einer der Köpfe der Heidelberger Romantik, der andere war sein Schwager Clemens Brentano, mit dem er zusammen die Liedersammlung des Knaben Wunderhorn herausgab, nachdem er mit ihm eine romantische Rheinreise veranstaltet hatte. Vorher hatte er noch in Halle ganz seriös studiert, bis er dort dem jungen Tieck begegnete, dessen Schreiben er bewunderte, der ihn gemeinsam mit Clemens Brentano und der auf der Reise entflammten romantischen Liebe zu dessen Schwester Bettina zur brachte. Er hat einige nette Stücke hinterlassen, romantisches und sehr phantastisches Zeug halt, dass heutige Freunde von Phantasy Literatur begeistern könnte. Ansonsten war er der Begründer der später zumindest sehr antisemitischen Deutschen Tischgesellschaft in Berlin, warum es nicht schadet auf diesen Sohn eines preußischen Kammerherrn auch kritisch vorsichtig zu schauen, weil ihm scheinbar die nötige Toleranz fehlte.

Seine Ehefrau Bettina, die zusammen mit ihm im Park am Arnimplatz auf dem Denkmal von Michael Klein, dem zeitgenössischen Bildhauer, der in Charlottenburg geboren wurde, aber später in Weißensee studierte und als Restaurator in den Staatlichen Museen zu Berlin arbeitete, bis 1989 dem Verband Bildender Künstler der DDR angehörte, dagegen schrieb auch über die Armut in Berlin und ist für ihre Berichte über die Berliner Zustände berühmt. Sie lebte im Tiergarten, in der Nähe der Straße in den Zelten, die heute nach einem amerikanischen General heißt, der die Berlin Blockade mit überwinden half, mit ihren sieben Kindern während ihr Mann Arnim ganz unromantisch getrennt von ihr den größeren Teil des Jahres auf den Gütern der Familie zubrachte und seine national gesinnten Kolumnen unter anderem für die Vossische Zeitung schrieb.

Vielleicht noch erwähnenswert wäre, dass Arnim Mitglied der Gesetzlosen Gesellschaft Berlins war, die bis heute besteht, wenn es sich dem Namen gemäß um eine irgendwie anarchische oder revolutionäre Vereinigung gehandelt hätte - es war jedoch lediglich der heiße Name für eine Gruppe von Aufklärern in Berlin, die sich 1809 gründete. Sie ähnelte einer typischen Gelehrtengesellschaft, ohne sich deren strenge Struktur aufzuerlegen, wie der Name schon nahelegt. Immerhin wollte sie gänzlich ohne Statuten auskommen, was ja schon ein großer Akt der Freiheit im e.V. Deutschland ist. Die Mitglieder trafen sich zu Tafelrunden, um Debatten zu führen und gut zu essen an wechselnden Orten vom Hotel Savoy bis zum Schlosshotel Steglitz.

Am Arnimplatz liegt ein neuer Rewe Supermarkt, den ich nur deshalb ausdrücklich erwähne, weil er sich von den übrigen unterscheidet, bestens sortiert ist, tatsächlich in Berlin freundliches Personal hat und in den Regalen keine mir sichtbaren Leerstellen. Ein Einkaufsgenuss wie im goldenen Südwesten, in dem meine Eltern in der reichen Kurpfalz wohnen.

Ansonsten zeigt der Arnimkiez geschlossenen Altbau bis zu seinem Ende, an dem die Schievelbeinerstraße, die dort schon längst Behmstraße heißt, am Betriebshof der Abfallwirtschaft, dem Ort zum Sperrmüll abgeben, gen Westen in den halb anatolischen Wedding führt - welch Sinnbild der Geschichte. Im Nordwesten grenzt das Viertel an den Platz des 9. November 1989, an dem es auf die Bornholmer Brücke geht, jener Brücke, die als Grenzübergang an eben diesem Tag als erstes geöffnet wurde und damit den Weg zur deutschen Vereinigung ermöglichte und damit zur wieder Einheit Berlins, zumindest formal und theoretisch, denn praktisch sind wir noch sehr weit davon entfernt in der innerlich tief geteilten Stadt mit zu vielen Beamten.

Es gibt um den Arnimplatz einige schöne Lokale von georgischer bis italienischer Küche, nette auch Sofa Cafés, der Prenzlauerberg Standard eben, der sich nach den entsprechenden Bewohnern richtet wie auch der übrige Einzelhandel dort, Die Straßen tragen irgendwie skandinavische Namen, sehen wir von dem Bildhauer Schievelbein mal ab.

Zurück schlug ich einen großen Bogen über die Prenzlauer Allee, um noch meine über 10 km voll zu bekommen und lief dann über die Dunkerstraße gen Helmholtzplatz. Diese längste der drei Straßen des LSD-Kiezes führte mich fast vor die Haustür.

jens tuengerthal 15.10.2017

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