Sonntag, 15. Oktober 2017

Mittig

Ab durch die Mitte hieß es in meiner Familie früher, wenn es richtig losging. So entschloss ich mich am Samstagabend, ab durch die Mitte zu gehen, um zu sehen, was los ist im hippen Nachbarkiez und landete am Ende noch bei Tesla am Potsdamer Platz und lief runde 23 km durch die Stadt, wieder ein halber Marathon, wenn ich es denn eilig hätte. Aber der Reihe nach.

Mitte heißt von mir am Helmholtzplatz eigentlich Berg runter, sehe ich mal davon ab, dass rein formell Mitte schon auf der anderen Seite der Schwedter und der Choriner Straße beginnt. Mitte fängt für mich hinter der Torstraße an, wenn ich quasi die alte Stadtmauer überschritt und so ging ich auch diesmal los. Lief über die Dunckerstraße in Richtung Kulturbrauerei, die Choriner Straße von dort hinab und überquerte die früher Stadtmauer und heute vierspurige Torstraße mit der Straßenbahn inmitten, wo die Choriner in sie mündet.

Diesmal folgte ich der quasi Fortsetzung der Chorinerstraße auf der anderen Seite, der Gorrmannstraße, bis zu ihrem Ende, an dem sie auf die Rosenthaler Straße stößt.  Überquerte vorher noch die auch aus Berlin Alexanderplatz von Döblin berühmte Mulackstraße, die heute kein großes Aufsehen mehr macht ohne größere Beachtung und am Ende die Rosenthalerstraße, um auf Höhe der Weinmeisterstraße in die Gipsstraße gegenüber einzubiegen. Die klassische Mitte, Schuhladen reiht sich an Galerie und Whiskygeschäft, irgendwo dann doch immer wieder eine hippe Bar vor der die Raucher oder noch nicht reingelassenen standen und die engen Bürgersteige in der ohnehin engeren Mitte versperrten.

An Clärchens Ballhaus vorbei, dem Berlin Klassiker, in dem neulich auch William und Kate tanzten und plauderten, ging es klassisch durch die kleine Große Hamburger zur breiten Oranienburger Straße, was aber wiederum die Bedeutung und Größe beider Städte umgekehrt proportional wiedergibt, auch wenn ich natürlich wie meist in die Krausnickstraße abbog, um gegenüber dem Bode Museum anzukommen. Die Liebste in Dublin im Ohr wollte ich noch einige Orte des Lichterspektakels ablaufen, insbesondere für sie die Tesla gewidmete 3D Installation am Potsdamer Platz. Schätzt sie noch das kroatische Genie, der sich manchmal wohl auch im Wahn wie im Kapitalismus verlor für seinen Mut sehr.

Bis dahin gab es aber noch die eine oder andere Abwechslung, etwa der Menschenauflauf vor den 12 Aposteln, gegen den der vor der Lichtinstallation am Bode sich sehr bescheiden ausnahm und viel mehr der riesige Menschenauflauf auf dem Bebelplatz, zwischen neuer Staatsoper, von den Lichtkünstlern historisch bespielt, dem bunten Komödchen, wie die juristische Fakultät, die der Alte Fritz noch als Bibliothek plante in seiner damals Friedrichstadt, mit Blick auf die sehr bunte katholische Kirche in der Ecke, was ja vielfältig wieder zur Berliner Toleranz passt und dem wechselnd bunten Hotel du Rome. Der Gendarmenmarkt blieb langweilig, dafür zog mich das Schokoladenhaus unnötig an und war wenig mehr als bunt, warum ich wieder vergaß den guten E.T.A. Hoffmann zu besuchen, den ich immer fälschlich in der Jägerstraße wähnte, wo er nie wohnte.

Dafür gab ich zumindest auf einen Sprung der berühmten Weinhandlung Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt die Ehre ohne den ehemaligen Hoflieferanten, der heute, mangels Hof, der noch zu beliefern wäre, zumindest noch eine schöne Weinstube und ein feines Restaurant bietet.

Vom Schokoladen Rausch, der wahrlich einen bildhaften Rausch in Farbe oben und Schokolade unten bot, folgte ich der Mohren statt der Taubenstraße, ignorierte also den guten wie vielfältig genialen Romanitker Hoffman und lief stattdessen an Preußens großen Generälen  in denkmalsform am Ziethenplatz vorbei und grüßte Friedrichs Freunde und Militärs in historischem Angedenken freundlich. Sie machten Preußen einst groß. Ob dies den nachfolgenden Königen und Kaisern je entsprach oder nicht für alles was auf Friedrich folgte viel zu groß war, sei an dieser Stelle dahingestellt. Dank Bismarck und Moltke wurde es leider erst viel später bemerkt und Preußen musste im Guten wie im Schlechten untergehen.

Nach Ziethen huldigte ich ohne große Begeisterung den Göttern des Konsums in ihrem Mall of Berlin genannten Tempel. Wie alle Gotteshäuser relativ gediegen und doch so einförmig langweilig hätte ich dieses Ding ganz ignoriert, läge es nicht gerade auf dem Weg zum Potsdamer Platz, dessen eine U-Bahnstation direkt vor seiner westlichen Tür steht. Vor der östlichen befindet sich die Station Mohrenstraße, womit die Länge dieses ohne Bücher gänzlich unkultivierten Tempels deutlich wird. Die Tempel der Antike oder auch des Mittelalters wiesen zumindest noch große Kunst auf. Hier soll die Ware Kunst sein, als erscheine der dort angebetete Gott und wäre schon das Ding an sich.

Bekanntlich hab ich es ja nicht so mit Göttern und Aberglauben und so durchschritt ich den geschlossenen nur zum Durchgang frei gegebenen Tempel eher desinteressiert und berichtete nur der Liebsten, was ich sah.

Nach kleinem Umweg fand ich am Potsdamer Platz die 3D Lichtinstallation, die an den vielleicht genialen, zumindest ziemlich mutigen Physiker Tesla erinnerte. Es waren von unten irgendwie bunt angestrahlte Bäume und sah für mich erstmal total langweilig aus und ich fragte mich, was es sollte. Konnte auch die Prinzessin am Ohr nicht begeistern, bis ich ihr Fotos schickte auf denen die Show plötzlich sichtbar und geradezu obszön schön war.

Wäre ich klug, hätte ich eine 3D-Brille angezogen, da ich so etwas jedoch weder besitze noch sonst brauche, habe ich nicht daran gedacht und mit bloßem Auge nichts gesehen. Zum Glück war meine Telefonkamera klüger als ich und zeigte die Idee in ihrer ganzen bunten Vielfalt oder doch zumindest mehr als ich so nur mit meiner weniger 3D-Brille sehen konnte.

Zurück zum Brandenburger Tor, war es bei dessen Durchschreiten schon nach Mitternacht, die Lichterschau hatte geendet und der Pariser Platz nur normal voll. Über die Wilhemstraße, die ab der Marschallbrücke dann Luisenstraße heißt und bis zur Charité führt, in der meine Tochter einst geboren wurde, ging es bis zur Marienstraße, durch die ich schon der schönen Böse Buben Bar und des Wohnhauses von Menzel wegen gerne laufe, die in die Reinhardstraße mündet, welche wiederum auf den ostigen Friedrichstadtpalast zu führt, der auch nachts kein besonders erbauender Anblick ist, trotz der überlebensgroßen Werbung mehr oder weniger nackt glitzernder Tänzerinnen, was ich nicht nur dachte, weil ich die schönste Liebste im Ohr hatte, sondern schon immer empfand. Ein Revuetheater eben, dann noch mit östlichem Flair, bleibt gegen Deutsches Theater und Berliner Ensemble, die auch dort spielen, immer nur bemüht und für die Massen, weniger Kultur als Klatsch und Unterhaltung.

Folgte der Friedrichstraße bis zur Oranienburger, an deren Ende zugleich die Linienstraße mündet, der ich dann den Berg hinauf folgte, diesmal nur über die Kastanienallee. Oben dann konnte ich mich wieder an lauten Besuchern aus den Vororten freuen, die ihre trunkene Lächerlichkeit als Freiheit feiern, aber das ist eben der heutige Prenzlauerberg auch, eine Partymeile für manch weniger bemittelte Geister.

Die hier durchlaufenen Teile von Mitte haben jeder für sich ellenlange historische Geschichten zu erzählen, doch möchte ich die werten Leserinnen nicht schockieren oder langweilen und verzichte diesmal für den großen Gang auf alle feinen Details, die ich versprochen irgendwann nachliefere, wenn es gerade passt.

Nur ganz kurz sei etwas zum Verständnis der Stadtgeschichte erzählt. Berlin war früher nur der Teil nördlich des Spreeufers bis zur Akzisen oder Zollmauer, die ich an der Torstraße überschritt zu Beginn der Wanderung durch die Mitte. Das Viertel um den grässlichen Alexanderplatz hieß die Königsstadt, als Preußen noch einen König hatte. Die heutige Museumsinsel, das Prachtstück mit unserem bald wieder wunderbaren Schloss, das noch schöner nun Humboldtforum wird, was zumindest sicher besser ist als der vorige Ballast der Republik, was den gräßlichen Berliner Dom ein wenig ausgleicht zumindest, hieß Cölln. Das Stück vom anderen Spreeufer bis zum Brandenburger Tor war die Friedrichstadt und die Charité für Soldaten und Huren lag natürlich vor der Mauer, bevor sie bürgerlich zivilisiertund stolzer Teil von Mitte wurde.

Am Brandenburger Tor lief zu DDR Zeiten die Mauer, was den vielen Freiraum erklärt, den eine Mall natürlich als Kernsymbol des Kapitalismus gebührend würdigt. Den Potsdamer Platz gab es nicht mehr, das heutige Gedränge irgendwie moderner Bars und schick gemeinter Passagen, war Niemandsland im Zonenrandgebiet. Gut sichtbar auf Bilderreihen bei der Landesvertretung Schleswig-Holstein auf dem Weg vom Brandenburger Tor zum  Potsdamer Platz. Dabei geht es auch am Holocaust Mahnmal vorbei, der von der Jugend Berlins voll in die nächtliche Party-Szene integriert wurde, dort wird gesoffen, Flaschen abgestellt, Selfies gemacht und anderes mehr, wenn auch etwas dezenter als sonst, was schon viel hier heißt. Ob das dem Gedenken würdig genug ist, solches durch Aufsicht unterbunden werden müsste, um einen Ort der Stille zu schaffen, wie es ihm gebührte oder das eben auch Berlin ist, wo jeder macht was er will und alles irgendwie nebeneinander geht, will ich nicht entscheiden - denke zumindest etwas stiller als sonst aber ins Leben integriert ist besser als ein durch Polizeigewalt geschützter Ort der Stille.. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen - finde es nicht toll, aber auch kein Problem. Datt is eben Berlin, hier ist irgendwann immer überall Party und Gedenken ist kurz. Zumindest sind die Stelen damit gut integriert, besser als manche es über andere denken. Mitte ist noch viele Reisen wert, keine Frage.

jens tuengerthal 15.10.2017

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