Donnerstag, 12. Oktober 2017

Bunkerhain

Vom Helmholtzplatz ging es heute Nacht zum Gesundbrunnen und bis auf den ehemaligen Flakbunker im Humboldthain, ein schöner Rundweg durch verschiedene Berliner Welten auf einer Länge von etwa 15 km.

Am heimatlichen Platz folgte ich der Raumerstraße bis zur Pappelallee und diese überquerend am noch zu später nächtlicher Stunde beliebten Crossroads vorbei zur Schönhauser Allee, die ich überquerend hier unter der oben auf der grünen Eisentrasse laufenden U-Bahn entlanglief.

Die dort Schaufenster mit der Liebsten in Dublin im Ohr bestaunend, bog ich in die Milastraße ein, der ich bis zur Cantianstraße, auf die sie stößt folgte, um in diese am Friedrich Ludwig Jahn Sportpark entlang links abzubiegen. Damit war ich im Gleimviertel, wenn auch noch nicht in der namensgebenden Gleimstraße auf die ich erst etwas später stieß und der ich dann nach Süden Richtung Gleimtunnel folgte. Dieses Viertel führte auf zwei Seiten durch die Zonengrenze beschränkt zu DDR Zeiten eine Art Inseldasein.

Das rund 22 Hektar große Areal wird durch die Max Schmeling Halle, Mauerpark, Cantian, Gaudi und Eberswalderstraße begrenzt. Das größte Gebäude auf dem Gelände ist das das Jahnstadion, das rund 24.000 Sitzplätze bietet und damit nach dem Olympiastadion bisher das zweitgrößte Stadion der Stadt ist, heute am Mauerpark liegt und früher direkt an der Zonengrenze der DDR in Ostberlin lag. Um das Stadion herum gibt es zahlreiche weitere Sportanlagen für Fußball, Leichtathletik und Tennis. Bevor das Gelände zum Sportplatz wurde, war es noch der Exerzierplatz des preußischen Kaiser Alexander Garde-Grenadier Regiments Nr. 1. Aus dieser Zeit rührt auch noch der Spitzname des Geländes, das Exer genannt wird. Ein anderer Spitzname war Patz der einsamen Pappel nach einer dort einzeln stehenden Schwarzpappel unter der am 26. März 1848 eine der ersten Volksversammlungen im Rahmen der Berliner Märzrevolution stattfand. Ende des 19. Jahrhunderts, als der Platz mittlerweile vollständig von Wohnbebauung umgeben war, wurde die militärische Nutzung aufgegeben und ein Übungsplatz errichtet, der bis 1904 die erste Spielstätte der heute im Olympiastadion spielenden Hertha BSC war, der mittlerweile wieder stabil in der 1. Bundesliga spielenden Berliner Fußballmannschaft. Anläßlich der Weltjugendfestspiele in der DDR folgte der Umbau durch Rudolf Ortner. Zunächst hieß das Gelände noch Berliner sportpark und wurde 1952 zu Ehren von Friedrich Ludwig Jahn umbenannt, dem berühmten Turnvater Jahn, der die Turnerbewegung im Rahmen der Befreiungskriege gegen Napoleon gründete und die Sportarten des Turnens an Reck und Barren entwickelte. Daneben war Jahn auch Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Den ersten Turnplatz hatte Jahn in der Berliner Hasenheide 1811 geschaffen. Die damals vorgeführten Spielarten der Deutschen Turnkunst sind bis heute im Turnbetrieb wiederzufinden, auch seine Begriffe fanden Eingang in die heute noch gültige Terminologie des Geräteturnens. Heutige Fitnessmode nahm bei Turnvater Jahn ihren Anfang, wenn auch zunächst mit klar national preußischer und militärischer Zielrichtung gegen Napoleon nach der vernichtenden Niederlage bei Jena. Das nach Jahn benannte Stadion wurde noch mehrfach saniert und war 2015 der Austragungsort des Finales der UEFA Women’s Chamoions League, was noch die Verlegung eines neuen Rasens sowie neue Sanitäranlagen erforderte, dem internationalen Standard noch zu genügen. Das Stadion ist heute noch Heimstätte des BFC Dynamo, des quasi FC Bayern der DDR, den erfolgreichsten Kickern der DDR Bundesliga. Diese waren als die Mannschaft ihres Ehrenvorsitzenden Erich Mielke, des einstigen Stasi-Chefs in der DDR trotz ihrer großen Erfolge verrufen und es gab immer wieder Gerüchte über Spielmanipulationen. Mittlerweile spielen die Kicker in der Regionalliga und sind auch für unschöne Ausschreitungen ihrer Hooligans etwa bei DFB Pokal Spielen gegen Bundesliga Größen bekannt, wenn auch sportlich wieder etwas besser als nach dem Absturz in die Oberliga nach der Wende. In dem Stadion trat unter anderem auch Michael Jackson einst auf, während Madonna in der direkt benachbarten Max Schmeling Halle sang.

Die Max Schmeling Halle wurde nach dem gleichnamigen Boxer benannt, der zwischen 1930 und 1932 Boxweltmeister im Schwergewicht war. Trotz eines Comebacks durch einen Sieg über Joe Louis 1936 gelang ihm die Rückeroberung des Titels im entscheidenden Kampf von 1938 nicht mehr. Schmeling gilt bis heute als einer der populärsten deutschen Sportler. Die Eröffnung der Halle fand 1996 noch in Anwesenheit des Namensgebers Schmeling statt, der besonders durch die NS Propaganda für Olympia 1936 in Berlin seine hohe Bekanntheit erreichte. Er blieb den Nationalsozialisten gegenüber immer kritisch und wahrte Distanz, ließ sich auch nicht von seiner jüdischen Frau scheiden. Sie ist eine der größten Veranstaltungshallen der Hauptstadt und gehört dem Land. In der Halle finden bis zu 11.900 Menschen Platz. Die Benennung nach Schmeling erfolgte, weil die Halle ursprünglich als Box-Halle für die Berliner Olympia Bewerbung für das Jahr 2000 gedacht war. Es spielten dort viele berühmte Künstler von David Bowie bis Peter Maffay und unzählige mehr. Das Dach der Halle trägt die größte Solarstromanlage auf einem öffentlichen Gebäude in Berlin, die im Jahr bis zu 220 MWh produziert, was dem Verbrauch von etwa 110 Haushalten entspricht und so vermeidet die Anlage jährlich etwa 220 Tonnen Kohlendioxid. Die zu zwei Dritteln im Boden versenkte Halle passt sich dadurch gut in die Umgebung ein und fällt bei Vorbeigehen nicht besonders auf, sieht sogar relativ elegant aus, was bei öffentlichen Hallenbauten immer der Erwähnung wert ist, weil eine seltene Besonderheit. Auf der Halle leben auch Bienenvölker womit der Grüne Eindruck noch bestätigt wird. 2002 gewann die Halle eine Goldmedaille als weltweit architektonisch beste und bestgenutzte Halle und ist seit 2011 mit dem Green Globe für ihr ökologisches Engagement zertifiziert und also ein grünes Ruhmesblatt des Bezirks Pankow, der immerhin auch in seinem grünen Norden ein eigenes Windrad betreibt. Zusätzlich ökologisch günstig wirkt sich das dortige Blockheizkraftwerk aus.

Neben Halle und Stadion tragen im Gleimvierteln noch ein großes Multilex Kino und der Mauerpark zur Volksbelustigung bei, von der auch die zahlreichen Bars und Cafés dort profitieren. Der Mauerpark liegt zwischen den Berliner Stadtbezirken Mitte und Pankow, eigentlich zwischen Prenzlauerberg und Gesundbrunnen. Der Park ist 11.000m² groß und war lange Gegenstand von teils sehr aufgeregten Auseinandersetzungen zwischen Anwohnern, Nutzern, Stadt und den Eigentümern des Geländes auf dem früher der Mauerstreifen der DDR verlief zwischen Bernauer und Eberswalder Straße. Durchquert von der Schwedter Straße, die dort für den Autoverkehr gesperrt wurde, ist er ein Stadtbiotop eigener Art geworden.

An seinem Rand findet jeden Sonntag einer der größten Flohmärkte statt und ihm die berühmtesten Karaoke Konzerte mit den meisten Zuschauern in einer Arena am Rand des Jahn Stadions. Der östliche Teil des Mauerparks gehörte zum sowjetischen Sektor, der westliche zum französischen. Früher lag auf dem französischen Teil des Geländes der Güterbahnhof der Norbahn, der 1877 eröffnet wurde, der später Eberswalder Bahnhof hieß und bereits 1985 geschlossen wurde, da an der Zonengrenze kein Güterkehr mehr stattfand. Die Schwedter Straße, die damals noch durch Äcker der Berliner Hufen führte hieß damals noch Verlorener Weg, was sehr gut zur späteren Nutzung als Grenzstreifen passte, an die noch keiner dachte aber damals beschrieb, wie sich der erst später zur Straße erhobene Feldweg im Nichts zwischen den Feldern verlor. Schon um 1900 kamen die ersten Klagen der Anwohner der zum größten Teil von Proletariern bewohnten Gegend über die untragbaren Zustände auf dem zur freien Nutzung vorgesehenen Geländes. Während östlich der nun Schwedter Straße der Sportplatz entstand, auf dem sich 1896 Herta BSC gründete, wurde westlich der Nordbahnhof als Endbahnhof der Berliner Nordbahn gebaut.

Als 1950 der Stettiner Bahnhof in Nordbahnhof umbenannt wurde, der es noch heute am anderen Ende der Bernauer Straße am Fuß des Berges in Mitte ist, wurde der verbliebene Güterbahnhof in Berlin Eberswalder Straße umbenannt, wie heute noch die nah gelegene Station der U2 auf der Schönhauser Allee heißt, von der ab die Danziger Straße nun Eberswalder Straße heißt, die dann nach dem Mauerpark zur Bernauer Straße wird. Nach dem 13. August 1961 wurde auf dem Streifen die Berliner Mauer zwischen den Bezirken Wedding und Prenzlauerberg errichtet.

Im heutigen Park befand sich der ehemalige Todesstreifen. An der Kreuzung Eberswalder Straße, Schwedter Straße, Bernauer Straße stand zu DDR Zeiten auf der Westberliner Seite einer der bekanntesten Aussichtsplattformen, die den Blick gen Osten ermöglichte. Mein Freund Max, der in der Oderberger Straße diesseits der Mauer groß wurde kannte den Blick auf diese schon im Westen gelegene Plattform von Osten her noch aus Kindertagen, wenn er sie auch im Osten lebend natürlich nie betreten durfte. Da der im französischen Sektor gelegene Güterbahnhof bereits im Westen lag und das schräg zur Schwedter Straße vom Stadion aus abfallende Gelände kaum zu bewachen und zu verteidigen war, erwarb die DDR Regierung 1988 für noch ein sagenhaftes Jahr den östlichen Teil des alten Bahnhofsgeländes und auf einer Länge von einem Kilometer wurde so die Zonengrenze um 50 m gen Westen verschoben. Von der Grenzanlage sind noch rund 300m der ehemaligen Hinterlandmauer erhalten. Nach der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung wurde der Mauerstreifen schnell zu einer öffentlich genutzten Grünfläche. Die zu Wendezeiten entstandene Idee eines Grenzstreifens fand schnell zahlreiche Anhänger in der Bevölkerung, die das Gebiet längst vielfältig alternativ nutzte.

Nachdem die Allianz Umweltstiftung umgerechnet rund 4 Millionen Euro für die Gestaltung des Parks zusagte, beschloss der Berliner Senat das im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg gelegene Stück des ehemaligen Güterbahnhofs als Park umzubauen. Am 9. November 1994 wurde der umgestaltete Park eröffnet. Dieser war noch ohne die im Wedding gelegenen Teile des Geländes gestaltet worden, die noch zum Vermögen der Bundesbahn gehörten, von der es 2001 zur Vermarktung an die Vivico ging. Klingt alles kompliziert, ist aber wichtig zum Verständnis des späteren Widerstandes. Das Gebiet wurde damals längst von Mietern als Baustofflager, Gartenmarkt und Flohmarktgelände genutzt.

Über den Park, seine Erweiterung und teilweise Bebauung wird seit Jahren gestritten wie über alle damit am Rande verbundenen Projekte und alle Nutzer, Anwohner und Investoren bekriegen sich aus tiefster Überzeugung im Glauben an die einzig richtige Lösung gegenseitig. Schwieriger wurde es noch dadurch, dass lange die Zuständigkeit für das westliche Gelände des geplanten erweiterten Parks beim Bezirksamt Mitte lag, während Pankow für die östliche Hälfte und den ehemaligen Grenzstreifen zuständig war. Dabei haben sich die Beteiligten zumindest auf eine Alleinzuständigkeit Pankows für das gesamte Gelände geeinigt, was zu einer Grenzverschiebung zwischen den Bezirken führte. Immer noch uneinig, wird der Teil nördlich des Gleimtunnels nun bebaut, während der übrige Teil als Park geplant ist, was den bestehenden erheblich erweitert. Dazu soll der sonntägliche Flohmarkt verkleinert werden, was natürlich Proteste hervorruft, weil sich dieser auch Touristenmagnet ohnehin ständig vergrößert und in die Nachbarschaft wuchert.

Die früher Unruhen in der Walpurgisnacht, die oft im Mauerpark begannen sind heute einem eher Volksfest gewichen, Randale gibt es hier eher nicht mehr. Dafür ist der Park längst eine vielseitig genutzte Freizeitanlage. Im Sommer als Liege-  und Spielwiese oder Konzertfläche, im Winter als Rodelbahn vom Stadion den Hang hinab zur Schwedter Straße. Einig werden sich die Beteiligten, die Betroffenen und die sonst Interessierten vermutlich nie - die einen, die sich Wohneigentum am Rand erwarben, fürchten weiter den Lärm aus dem Park, die anderen bangen um die fröhliche Freifläche alternativer Lebensgestaltung, weitere fürchten um ihre Betriebe und ihre Einnahmen auf dem Gelände, jeder hat irgendwie Recht, alle haben Anwälte und es muss auch um kleine Schritte ewig verhandelt werden, weil jeder um seine Interessen kämpft und die ganze Sache aus dem Blick verliert - typisch Berlin eben und darüber thront der Senat, der mit den Bezirken konkurriert, die eigentlich zuständig sind und so passiert ähnlich wenig wie beim BER. All dies stört den Park nicht, in dem immer irgendwas los ist.

Lange Rede über eine Fläche an der ich nun nur nördlich des Gleimtunnels am Kinderbauernhof entlang vorbei lief. Eine Lösung weiß ich auch nicht, aber vielleicht ist das auch gerade gut so und typisch Berlin. Wo nichts so genau feststeht, vieles sich selbst natürlich regelt und anderes einfach untergeht. Hinter dem Kinderbauernhof liegt noch rechter Hand gegenüber der neu gebaute Aldi Markt mit seinem riesigen Parkplatz, der natürlich auch viel Ärger der Bewohner der Gleim-Insel hervorrief, die um ihre Ruhe direkt an den Bahngleisen fürchteten, wenn nun die Massen zu diesem Markt strömen sollten und den denkmalgeschützten Tunnel dazu durchquerten. Der Markt kam, irgendwie läuft es, ist alles nicht so dramatisch geworden, gerüchteweise kaufen auch die einst größten Gegner nun dort ein und so regelt wie immer in Berlin die Zeit manches von allein.

Am streitigen Markt vorbei überquerte ich die Eisenbahnlinien einerseits der Ringbahn und andererseits des Bahnhofs Gesundbrunnen in dessen Richtung ich irgendwie laufen wollte auf der langen eleganten Brückenanlage, die dort Schwedter Steg heißt und die auf die Behnstraße stößt, die dort auch als Brücke erhoben, die zahlreichen Gleisanlagen überquert. Dieser folgte ich, bald wieder ebenerdig, am Gesundbrunnen Center vorbei bis sie in die Brunnenstraße mündet. Der Ortsteil Gesundbrunnen, durch den ich nun lief, war ein altes Arbeiterviertel, auch bedingt durch die dort gelegenen Fabriken zum Eisenbahnbau und anderes mehr. Entsprechend hat er einen hohen Anteil an Migranten. Im Gegensatz zu den oft sehr gut integrierten Türken und Arabern in Neukölln und Kreuzberg, herrscht im früher roten Wedding keine Multikulti Stimmung. Hier dominieren eher Erdogan Anhänger, während in Kreuzberg eher seine Gegner und Kurden, die meist zu letzteren aus guten Gründen zählten, die Mehrheit haben. Sichtbar und spürbar auf den Straßen auch durch viele Kopftücher, misstrauische Blicke älterer Herren und ein raueres Klima.

Das Gesundbrunnen Viertel wird durch Bad-, Brunnenstraße und Bernauer begrenzt und durchquert und stößt im Norden an Wilmersdorf. Der Teil, durch den ich marschierte heißt auch noch Brunnenviertel und wird durch den Bahnhof Gesundbrunnen und das dortige Gesundbrunnen Einkaufszentrum, eine eben typische Shopping Mall, geprägt. Der Name Gesundbrunnen geht auf die Nähe des früheren Luisenbades zurück, das eine mineralhaltige Quelle hatte, an der die Städter kurten. Der Quelle, die nach der so jung und schön verstorbenen Königin Luise benannt wurde, der geborenen von Mecklenburg-Strelitz, soll heilende und jugenderhaltende Wirkung gehabt haben. Die heilende Quelle für die Reichen und Schönen fiel den Interessen der Industrialisierung zum Opfer und ist heute zumindest in der Bibliothek am Luisenbad erhalten und so einem lesenden Kulturort gewichen, die in Berlin einen viel zu geringen Wert haben und hat so zumindest theoretisch eine nachhaltig aufklärerische Wirkung als die vorher genutzte Quelle.

In der Umgebung dieser Quelle entstand nach der einen Richtung der Wedding, der nach dem Vorwerk Weddinge hieß, was sich wiederum nach dem spurlos verschwundenen dort gelegenen Dorf Weddinge nannte und nach der anderen Seite der Gesundbrunnen, nach selbiger Luisenquelle benannt. Daher heißt der Kiez im Berliner Volksmund auch schlicht Pumpe. Das Privileg zur Errichtung einer Heil und Badeanstalt an der Quelle erwarb 1751 der Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm, nach dem die heute noch Behmstraße dort benannt wurde. Die Quelle wurde baulich eingefasst und passende Loggien für bis zu  50 Kurgäste errichtet. Auch König Friedrich II. logierte hier, wenn er auf Truppenbesuch weilte hier mit seinem Gefolge, wenn er mal wieder die nahe gelegenen Attilerieübungsplätze inspizieren wollte. Unbekannt ist, ob er auch auf die Wirkung der Quelle gegen sein Rheuma vertraute oder nur den heimeligen Ort nutzte.  Es hieß damals natürlich noch Friedrich Gesundbrunnen.

Als die Anlage 1808 verkauft wurde, erwirkte der Käufer Flittner, ein Medicinal Asessor und Buchhändler, durch seine Beziehungen zum Hof, dass ihm die Umbenennung in Luisenbrunnen gestattet wurde und erhielt sogar ein Schreiben von der da noch lebenden Königin Luise, die später ohne persönliche Leistung als ihren frühen Tod an einer Lungenentzündung und die Trauer ihres Mannes, des Königs Friedrich Wilhelm III. zur preußischen Heiligen stilisiert wurde. Ihre Söhne, die späteren Könige und Kaiser Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm II. trugen auch zu dieser Verklärung bei. 

Der Gesundbrunnen wurde 1861 nach Berlin eingemeindet und bildete gemeinsam mit dem Wedding den Wedding genannten Beziirk, der 2001 mit Mitte zur Mitte zusammengelegt wurde. Durch anhaltende Landflucht wurde der Erholungsort Gesundbrunnen ab Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Arbeiterbezirk mit den entsprechenden Mietskasernen, in denen das Industrieproletariat dicht gedrängt lebte. Ab 1900 wurde der Umsteigebahnhof Gesundbrunnen bereits zum Fern-, Ring- und Vorortbahnhof und hat diese multifunktionale Aufgabe bis heute.  Aus dem Ortsteil kommt übrigens der Fußballverein Hertha-BSC und viele der hier stammenden Berliner erzählen stolz davon seit Generationen Eisenbahner, AEGler oder Straßenbahner gewesen zu sein. Diese alte Tradition ist immer mehr einer konservativ türkischen Population von Arbeitern gewichen, denen der ehemals rote Wedding und der Blutmai von 1929 so fremd sind wie der Aufstand gegen Erdogan im Sommer 2016.

Während des Nationalsozialismus gab es im Viertel starken Widerstand, bei dem auch viele Menschen ihr Leben lassen mussten, dienen gelegentlich, so namentlich bekannt, an Hauswänden gedacht wird. Mit 25,9% hatte die NSDAP im Wedding ihren niedrigsten Stimmenanteil während die KPD hier auf bis zu 39,1% noch kam. Im Krieg wurden nahezu alle Kirchen und auch sonst sehr viel in diesem auch industriell genutzten Kiez zerstört. Bis zum Mauerbau wurde die Brunnenstraße zur florierenden Haupteinkaufsstraße Berlins, in die auch die Bewohner des sowjetischen Sektors zum einkaufen schnell kamen. Nach dem Mauerbau 1961 endete diese kurze Blüte. Zahlreiche der ab 1961 durch Anwerbeabkommen mit der Türkei eingereiste Arbeiter fanden hier ihr neues Zuhause, was den bis heute hohen Anteil an Migranten erklärt. Warum diese im ehemals roten Wedding im Gegensatz zum multikulturellen Kreuzberg so konservativ religiös wurden, lässt sich wohl schwer durch lokale Gegebenheiten erklären.

Größter Arbeitgeber war im früheren Arbeiterviertel Gesundbrunnen die AEG mit ihren verschiedenen Gliederungen an der Brunnenstraße und in der Ackerstraße. Daneben gab es noch die Druckmaschinenfabrik Rotaprint und die Berliner Maschinenbau AG Louis Schartzkopff. Heute gibt es nur noch Teile der von der Industrie verlassenen schönen Gebäude. Im Viertel selbst ist keinerlei Industrie mehr ansässig.

Die wichtigste und größte Grünanlage ist der Volkspark Humboldthain, der von Gustav Meyer geplant wurde. Zu diesem wollte ich auf meinem Weg, überquerte darum die Brunnenstraße auf Höhe des Bahnhofs um den Aufstieg auf den Bunker zu finden. Der Flakbunker wurde von Kriegsgefangenen während des zweiten Weltkrieges errichtet, war dann zu massiv, um wieder gesprengt zu werden und ist heute der Aussischtspunkt des Volksparks auf dem sich auch zu nächtlicher Stunde noch Gruppen von Jugendlichen treffen, wie ich dort gerade erleben durfte. Schnaufte die Treppen hinauf und ignorierte oben dann, meine liebste Prinzessin im Ohr die zu laut für meinen Geschmack zu schlechte Musik hörenden Gruppen da oben und genoss die Aussicht über die Stadt. Zurück verzichtete ich auf die vom feuchten Laub sehr rutschigen Treppen, da hinauffallen immer weniger schlimm ist als hinabfallen.

Zurück unten im Park ging ich am dort gelegenen zauberhaften Rosengarten vorbei, ignorierte aber völlig im frischen Oktober das auf der anderen Seite gelegene Freibad und folgte auf der gegenüberliegenden Seite nach nun schon über 12 km Fußmarsch der Ramlerstraße, die dann zur Grauenstraße wird und wenn das Grauen ein Ende hat, sich schließlich Wollinerstraße nennte, die vom Gesundbrunnen dann bis zur Zionskirche in Mitte führt. In der Wollinerstraße hatte ich einst meine erste Wohnung als ich über Nacht nach Berlin ziehen musste mit Blick auf den Mauerpark, von dem ich nichts merkte, weil davor ab 5h morgens Betrieb auf dem Schrottplatz davor war. Eine etwas eigenwillige Gegend mit teilweise schönen Altbauten und noch anderen etwas weniger hübschen Bauten der Nachkriegszeit in der Männer mit Kampfhunden misstrauisch schauend in ihren glänzenden Sporthosen mit stark gedehntem Gummizug spazieren gehen und an anderer Stelle eine Gruppe älterer bärtiger Herren mit Bier auf Sofas an der Straße saß und freundlich grüßte. Im Winter sind hier viele Fenster mit sehr bunten blinkenden Lichtern bestückt und der Anteil der Arte Zuschauer hinter den nahezu überall sichtbar laufenden Fernsehern gegenüber den RTL II Freunden dürfte verschwindend gering sein, auch wenn sich der günstigen Mieten wegen langsam eine neue Gruppe Künstler hier ansiedelt.

Kaum die Bernauer Straße überquert wird das Kiezgefühl wieder vertrauter, aus dem neuen Weinladen schwanken freudig erregte Gestalten und plauderten mit stark süddeutschen und hamburgischen Akzent. Es war wieder bunter irgendwie und die Tristesse endete auch an den Schaufenstern, denen ich nach der Zionskirche auf der Kastanienallee mit der Liebsten in Dublin im Ohr noch folgte. So kehrte ich schließlich durch die Pappelallee am Kochhaus und Suhrkamp vorbei, in die Raumerstraße und zum heimatlichen Platz nach 17 km zurück und inzwischen hatte zumindest hier in Berlin schon der nächste Tag begonnen auf den Dublin noch eine Stunde länger wartete, wenn auch vermutlich genauso müde von der dort Seeluft.

jens tuengerthal 11.10.2017

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