Mittwoch, 9. Dezember 2015

Frauenliebe 006


Doppelliebe


Bevor ich auf dem Weg nach England meine Liebe zur roten Farbe entdeckte, war ich innerlich zwischen zweien zerrissen, die mir sehr nah waren, noch dazu irgendwie befreundet und also in Konkurrenz um mich standen und ich wusste nicht wirklich, wie ich dabei angemessen reagieren sollte.

Der großen Liebe folgen oder dem Trieb, verband sich beim echten Gefühl beides ganz natürlich und was war die Richtige, wenn du zwei zur Wahl hast, die dir beide sehr nah und kostbar sind. Galten soziale Aspekte der Auswahl oder ging es nur um das reine Gefühl und gibt es das überhaupt je.

Die eine der beiden ging auf die Realschule, eine Klasse unter mir, der ich aber noch auf dem Gymnasium war, das die andere auch besuchte, die zugleich auch die Tochter entfernter Freunde der Eltern war, aus gutem Hause kam also, Tochter eines irgendwie Politikers, kleine Schwester eines großen Bruders, den ich kannte und für mich der Traum von einer Frau, die noch dazu musikalisch begabt war, Vorlesewettbewerbe gewonnen hatte, vorbildlich und ein Ideal in jeder Beziehung. Jene eine war Tochter getrennter Eltern aber der Vater war ein erfolgreicher Werber, die Mutter machte was mit Büchern, sie hatte ein wunderschönes Zimmer in dem süßen Fachwerkhaus, während die andere aus einer heilen Familie mit ebenfalls drei Kindern kam, in jeder Beziehung perfekt zu mir passte, eine gute Partie war, wäre es mit 13 und 14 nicht etwas früh, davon zu sprechen und doch bestimmte dieses altetümliche Denken mich mit und ich tat das Gegenteil des Vernünftigen aus letztlich noch unvernünftigeren Gründen.

England hatte mich aus diesem Entscheidungszwang befreit, der sich noch nicht ganz so zuspitzte wie nun, nachdem ich wieder frei war und beide auf eine Entscheidung warteten, die ich nie treffen wollte. Eigentlich war es klar die andere, die meinem vergötterten Ideal entsprach, protestantisch wie ich, auch wenn wir beide nur aus mal Weihnachten oder zur Taufe in die Kirche gehenden Familien stammten, war sie in allem, wovon ich träumte, wenn ich ehrlich war, nur wann sind wir das zu uns selbst, wenn es um die Liebe geht?

Sie war auch diejenige, die zuerst da war und unsere Romanze hatte langsam begonnen, war von Träumen getragen und zärtlich - eine zierliche blonde Göttin, leicht alternativ aber edel angehaucht in meiner Erinnerung, deutlich kleiner als ich und pagenkopflangen blonden Haaren, die sie noch genauso trug, als ich sie sechs Jahre später einmal wiedersah und mich erneut in sie verliebte und alles an Minne aufbot, was mir dann mit Anfang zwanzig zur Verfügung stand, Novalis zitierend und mich voller Gefühl romantisch ergießend, aber das war erst in den 90ern, als wir beide schon erwachsen waren und davon sei dann erzählt, diesmal entschied ich mich gegen meine Traumfrau nach langem Abwägen, das ich auf verschiedenste Art und Weise vor mir rechtfertigte.

Es war die Zeit zwischen dem Ende der Sommerferien und meinem Geburtstag am 29. September in der ich mich entscheiden musste - am 15. Geburtstag sollte es entschieden sein, diesen wollte ich mit meiner Freundin feiern und feierte ihn dann doch mit beiden, auch wenn schon alles entschieden war entgegen dem ursprünglichen Gefühl und aus Gründen über die ich bis heute rätsele, auch wenn es mir wie gestern präsent ist, was mich damals antrieb, ich nichts vergessen habe von dem, was mein Lieben entscheidend prägen sollte.

Nachdem ich mit 12 das erste mal erfolgreich mit einer Frau geschlafen hatte, wenn auch nur einmal und versteckt und verboten irgendwie, zumindest durfte ich mich nach meinem mir heiligen Versprechen niemandem gegenüber damit brüsten, war es mit bald 15 höchste Zeit dies regelmäßig und ganz offiziell zu tun fand ich. Meine Freunde bei der Jugendfeuerwehr und meine Vorbilder dort waren 16 und älter, sprachen von wenig anderem, als was ist, wenn sie die Pille vergißt oder ihre Tage hat und es gab viele Sprüche über ein mir noch relativ unbekanntes Feld, das ich dringend nun erforschen wollte, von dem alle anderen, den Sprüchen folgend, mehr Ahnung zu haben schienen.

Das die am lautesten darüber reden, meist tatsächlich am wenigsten Ahnung haben, wusste ich da noch nicht, auch wenn es mir die Logik hätte eigentlich erschließen können, folgte ich gelegentlich auch gerne dem Schwarm, da ich mich ohnehin oft genug als völliger Sonderling fühlte, im Leben allgemein, gegenüber meiner Umgebung, mit meinen Gefühlen allein und den Trieben folgend erst recht. Dazwischen ballancierte ich auf dem Weg zu mir und dem, was mir richtig und gut erschien - dabei war viel Konvention aus der stets hoch gehaltenen Familie, die sich auf beiden Seite aus Gründen gern für etwas besseres hielt und dies aus fast noch besseren Gründen natürlich öffentlich verschwieg oder nur dem jeweils anderen nahen Verwandten gerade dies Denken unterstellte.

So also ein doppelter Sonderling, einerseits erhebend, andererseits frustrierend, weil nie irgendwo wirklich dazugehörend, in die Welt geworfen, um einsam zu sein, litt ich mir laut vor und nun von zwei Frauen geliebt oder begehrt, aber da unterscheide ich ja nicht so streng, wie oben bereits erläutert, musste ich mich entscheiden und das richtige tun. Die Familie konnte erwarten, dass ich mich für die andere entschied, wir passten einfach zu gut und wären ein Traumpaar gewesen, denke ich heute noch manchmal, wenn ich mich frage, ob mein Leben wohl anders verlaufen wäre, hätte ich Vernunft und Gefühl mehr getraut als Trotz und Trieb.

Als die Entscheidung anstand und ich nicht wusste wie, keine verletzen wollte, um meine gute Seite zuerst zu nennen, keine verlieren wollte, um ehrlich zu sein, möglichst gut dastehen wollte und mit diesem Zustand noch ewig hätte leben können, ging ich mit beiden, je getrennt zu einem letzten Spaziergang im Wingert, wie die nahen Kleingärten dort hießen, wo mein Herz gerade um sich rotierte. Mit jeder ging ich zu einem Rondel, einer Art Laube mit Aussicht auf das kleine Städtchen und doch im irgendwie verborgenen, bewachsen liegend, um sie dort in romantischer Einsamkeit zu küssen und zu sehen, wie weit ich kam.

Die andere, die eigentlich die eine und die erste war, die meine Traumfrau ein Leben lang blieb, vermutlich auch, weil ich sie nie errang und im entscheidenden Moment dummerweise nicht wollte, küsste mich schüchtern ein wenig, mochte es nicht, wenn ich nach ihrem noch sehr zarten Busen greifen wollte, schob meine Hand lächelnd mit den Worten weg, bevor ich irgendwas berühre, sollte ich mich doch entscheiden und wählen, baute damit dramatisch korrekt die Spannung auf, die immer noch wirkt aber damals der Konkurrenz des einfach Zugriffs unterlag. Die eine, die ich ja auch liebte, hatte schon deutlich mehr Busen, da war etwas anzufassen und sie ließ mich zugreifen in der Laube und küsste mich, ließ sogar die Hand zwischen ihre Beine, hielt alles für möglich, schien triebhaft vielversprechender.

So entschied ich mich zwischen zwei wunderbaren Frauen für die, die ich weniger liebte, die weniger zu mir passte, die ich weniger begehrte, weil die Probe den schnelleren Zugriff erhoffen ließ - klingt so nüchtern betrachtet schrecklich und ich könnte mich schlagen dafür, wüsste ich nicht, wieviel Gefühl und Qual dabei war. Mit nun 30 Jahren Abstand kann ich es gelassen sehen und darauf schauen und frage mich dennoch, was mich trieb, das zu tun, von dem ich wusste, eigentlich war es genau die falsche Entscheidung für mein Leben, die mich eher von meiner Familie entfernte, die denkbar beste Partie zurückwies und damals mit meinen 14, kurz vor dem 15. Geburtstag schien es mir alles endgültig und unwiderruflich und tatsächlich, bis heute hat sich die Chance zu der anderen, die innerlich die eine blieb, auch wenn vielleicht nur darum, weil ich mich so entschied, nie wieder ergeben, zog das Leben quasi ungeküsst an uns vorbei.

Das schlimme dabei war noch, dass ich aus dieser Entscheidungsgrundlage kein Hehl machte - irgendwie musste ich ja zwischen zwei Frau wählen, die ich beide auf ihre Art liebte, warum also nicht der schnellere Zugriff zum Busen und der mögliche zum übrigen, der mir bei der, die ich zuerst und eigentlich liebte und begehrte eher fern lag - auch als ich sie Jahre später wiedersah, verehrte ich sie wochenlang von Ferne in schönster Reinheit, statt sie einfach zu umarmen und zu küssen, völlig egal, ob sie einen anderen hatte, weil wir nach meinem Gefühl einfach zusammengehörten - ich tat es nicht sondern nutzte die Chance bei ihrer Freundin, die mir Zugriff gewährte und dieses mehr war dann ganz klar die Grundlage meiner Entscheidung gegen das erste Gefühl und die Vernunft bei den ersten Versuchen in der Liebe.

Diese Beziehung, meine erste dauerhafte, hielt 11 Monate, ging mit mir in die Tanzstunde, ist sicher einer der Gründe warum ich dies nie weiter verfolgte, um über meine mangelnde Musikalität, die eher einem Thomas Buddenbrook glich, lieber zu schweigen, erlebte mit mir meine Konfirmation und wurde die erste mit der ich ganz offiziell schlief, was ihre Mutter sehr gut und offen mit uns thematisierte, mir dennoch schrecklich peinlich war, weil ich wusste, was korrekt war, wie ich mich verhalten musste, aber doch bitte nicht vorher noch mit Eltern darüber reden müssen, dachte ich, aber all dies wird ein eigenes Kapitel - dies erste in dem beide parallel auftraten und in dem ich mir eine Entscheidung gegen mein echtes Gefühl, mein Standesbewusstsein und alle Vernunft vom reinen Trieb diktieren ließ.

Beide waren natürlich zauberhafte Frauen, schlank und schön, nur die, die ich wählte eben etwas weiblicher gebaut und mit etwas dunkleren, brünetten Haaren als die andere mit dem festen blonden Pagenkopf, der von da an mein Ideal keuscher treuer Liebe blieb und sah ich irgendeine, die ihr nur glich in einem Partnernetzwerk später, versuchte ich alles, sie zu bezirzen, was des Guten meist zuviel war.

Es ist völlig idiotisch dreißig Jahre später mit einer Entscheidung zu hadern, die mein Leben womöglich veränderte, mich meinem Schwanz folgen ließ, von dessen Wirrungen ich hier berichte. Zu behaupten ich hätte mich für die Hure und gegen die Heilige entschieden wäre doch eine Reduktion, die mir eher fern liegt, zumal die im folgenden noch zu erzählenden Wirrungen um diesen Vollzug das Gegenteil eher belegen, auch wenn sie mich prägten, untergründig dieses Gefühl immer da war und vermutlich sollte ich, die ich nicht wollte nun endlich wiedersehen, statt heiligem Gerede sie nach aller Kunst vögeln und dafür ihre Verehrung dann gelassen genießen, um gänzlich frei zu sein, wäre es wirklich so wichtig und nicht nur eine Geschichte, die im Erzählen noch dramatischer wird.

Wenn du zwischen zwei Frauen die Wahl hast, nimm die, die weniger zu dir passt, damit du länger weiter suchen kannst, könnte die Devise heißen, über die ich gerade wieder nachdenken musste, nachdem mich nach einem halben Jahr eine vermeintlich große Liebe, des Geldes wegen verließ, die eigentlich nur ein hohle Nuß war, was mir immer noch schwer fällt, mir einzugestehen, deren Häßlichkeit und Verhärmtheit ich liebend immer übersah und so ist die Zahl der falschen Entscheidungen in der Liebe wohl unendlich zumindest so lange, bis wir lebenslänglich glücklich bleiben oder zumindest so etwas ähnliches wie glücklich und uns dafür halten - einzig frage ich mich immer wieder, kann in der Liebe irgendetwas je falsch sein, geht es überhaupt je um richtig oder falsch, wenn nur das Glück am Ende zählt.

Nun sagen zu können, ich bereue nichts, hätte wohl Größe, wäre ziemlich cool aber fern meiner Realität - habe es manches mal bereut - besonders 6 Jahre später als ich sie im Sommer wieder sah und dachte, ich hätte nie eine andere geliebt aber diese verzweifelt sehnsüchtige Liebe, die mich der Dichtung erstmals wirklich zutiefst nahe brachte, ist es wohl wert gewesen, ein Leben lang auch an der verpassten Gelegenheit zu leiden - auch wenn ich ja nicht weiß, welche Entscheidung mich letztlich glücklicher gemacht hätte, lässt die Sehnsucht doch weiter streben und mich mit vollem Herzen hier weiter schreiben.

Jene, gegen die ich mich entschied, schenkte mir dann zum Geburtstag ein Märchen, selbst geschrieben, voller Schönheit, Romantik und Zärtlichkeit, in einer Rolle gewickelt, die Geschichte unserer Liebe sagenhaft versöhnlich erzählt und ich wusste wieder, wie nah wir uns waren und hätte mich allein um dieses Abschiedsgeschenkes wegen umentscheiden müssen, aber tat es nicht, weil Mannn ja außer triebhaft auch noch konsequent sein muss und so genügte ich meiner Rolle mehr als meinem Wesen und bis heute bewahre ich dies Märchen irgendwo geheimnisvoll auf und wenn ich von Liebe träume, denke ich daran.

Wüsste, was ich heute täte, dachte ich noch oft und doch ist es müßig, aber die Liebe weiter auf diesem Niveau zu träumen und zu suchen, ist nicht so schlecht, denke ich mir, wenn mich die eine oder andere mal wieder frustriert oder ich mich nicht entscheiden kann welche nun - heute wüsste ich es und wie gut, dass mit 45 noch das halbe Leben vor mir liegt,
jens tuengerthal 9.12.15

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