Doppelliebe
Bevor
ich auf dem Weg nach England meine Liebe zur roten Farbe entdeckte, war
ich innerlich zwischen zweien zerrissen, die mir sehr nah waren, noch
dazu irgendwie befreundet und also in Konkurrenz um mich standen und ich
wusste nicht wirklich, wie ich dabei angemessen reagieren sollte.
Der
großen Liebe folgen oder dem Trieb, verband sich beim echten Gefühl
beides ganz natürlich und was war die Richtige, wenn du zwei zur Wahl
hast, die dir beide sehr nah und kostbar sind. Galten soziale Aspekte
der Auswahl oder ging es nur um das reine Gefühl und gibt es das
überhaupt je.
Die
eine der beiden ging auf die Realschule, eine Klasse unter mir, der ich
aber noch auf dem Gymnasium war, das die andere auch besuchte, die
zugleich auch die Tochter entfernter Freunde der Eltern war, aus gutem
Hause kam also, Tochter eines irgendwie Politikers, kleine Schwester
eines großen Bruders, den ich kannte und für mich der Traum von einer
Frau, die noch dazu musikalisch begabt war, Vorlesewettbewerbe gewonnen
hatte, vorbildlich und ein Ideal in jeder Beziehung. Jene eine war
Tochter getrennter Eltern aber der Vater war ein erfolgreicher Werber,
die Mutter machte was mit Büchern, sie hatte ein wunderschönes Zimmer in
dem süßen Fachwerkhaus, während die andere aus einer heilen Familie mit
ebenfalls drei Kindern kam, in jeder Beziehung perfekt zu mir passte,
eine gute Partie war, wäre es mit 13 und 14 nicht etwas früh, davon zu
sprechen und doch bestimmte dieses altetümliche Denken mich mit und ich
tat das Gegenteil des Vernünftigen aus letztlich noch unvernünftigeren
Gründen.
England
hatte mich aus diesem Entscheidungszwang befreit, der sich noch nicht
ganz so zuspitzte wie nun, nachdem ich wieder frei war und beide auf
eine Entscheidung warteten, die ich nie treffen wollte. Eigentlich war
es klar die andere, die meinem vergötterten Ideal entsprach,
protestantisch wie ich, auch wenn wir beide nur aus mal Weihnachten oder
zur Taufe in die Kirche gehenden Familien stammten, war sie in allem,
wovon ich träumte, wenn ich ehrlich war, nur wann sind wir das zu uns
selbst, wenn es um die Liebe geht?
Sie
war auch diejenige, die zuerst da war und unsere Romanze hatte langsam
begonnen, war von Träumen getragen und zärtlich - eine zierliche blonde
Göttin, leicht alternativ aber edel angehaucht in meiner Erinnerung,
deutlich kleiner als ich und pagenkopflangen blonden Haaren, die sie
noch genauso trug, als ich sie sechs Jahre später einmal wiedersah und
mich erneut in sie verliebte und alles an Minne aufbot, was mir dann mit
Anfang zwanzig zur Verfügung stand, Novalis zitierend und mich voller
Gefühl romantisch ergießend, aber das war erst in den 90ern, als wir
beide schon erwachsen waren und davon sei dann erzählt, diesmal
entschied ich mich gegen meine Traumfrau nach langem Abwägen, das ich
auf verschiedenste Art und Weise vor mir rechtfertigte.
Es
war die Zeit zwischen dem Ende der Sommerferien und meinem Geburtstag
am 29. September in der ich mich entscheiden musste - am 15. Geburtstag
sollte es entschieden sein, diesen wollte ich mit meiner Freundin feiern
und feierte ihn dann doch mit beiden, auch wenn schon alles entschieden
war entgegen dem ursprünglichen Gefühl und aus Gründen über die ich bis
heute rätsele, auch wenn es mir wie gestern präsent ist, was mich
damals antrieb, ich nichts vergessen habe von dem, was mein Lieben
entscheidend prägen sollte.
Nachdem
ich mit 12 das erste mal erfolgreich mit einer Frau geschlafen hatte,
wenn auch nur einmal und versteckt und verboten irgendwie, zumindest
durfte ich mich nach meinem mir heiligen Versprechen niemandem gegenüber
damit brüsten, war es mit bald 15 höchste Zeit dies regelmäßig und ganz
offiziell zu tun fand ich. Meine Freunde bei der Jugendfeuerwehr und
meine Vorbilder dort waren 16 und älter, sprachen von wenig anderem, als
was ist, wenn sie die Pille vergißt oder ihre Tage hat und es gab viele
Sprüche über ein mir noch relativ unbekanntes Feld, das ich dringend
nun erforschen wollte, von dem alle anderen, den Sprüchen folgend, mehr
Ahnung zu haben schienen.
Das
die am lautesten darüber reden, meist tatsächlich am wenigsten Ahnung
haben, wusste ich da noch nicht, auch wenn es mir die Logik hätte
eigentlich erschließen können, folgte ich gelegentlich auch gerne dem
Schwarm, da ich mich ohnehin oft genug als völliger Sonderling fühlte,
im Leben allgemein, gegenüber meiner Umgebung, mit meinen Gefühlen
allein und den Trieben folgend erst recht. Dazwischen ballancierte ich
auf dem Weg zu mir und dem, was mir richtig und gut erschien - dabei war
viel Konvention aus der stets hoch gehaltenen Familie, die sich auf
beiden Seite aus Gründen gern für etwas besseres hielt und dies aus fast
noch besseren Gründen natürlich öffentlich verschwieg oder nur dem
jeweils anderen nahen Verwandten gerade dies Denken unterstellte.
So
also ein doppelter Sonderling, einerseits erhebend, andererseits
frustrierend, weil nie irgendwo wirklich dazugehörend, in die Welt
geworfen, um einsam zu sein, litt ich mir laut vor und nun von zwei
Frauen geliebt oder begehrt, aber da unterscheide ich ja nicht so
streng, wie oben bereits erläutert, musste ich mich entscheiden und das
richtige tun. Die Familie konnte erwarten, dass ich mich für die andere
entschied, wir passten einfach zu gut und wären ein Traumpaar gewesen,
denke ich heute noch manchmal, wenn ich mich frage, ob mein Leben wohl
anders verlaufen wäre, hätte ich Vernunft und Gefühl mehr getraut als
Trotz und Trieb.
Als
die Entscheidung anstand und ich nicht wusste wie, keine verletzen
wollte, um meine gute Seite zuerst zu nennen, keine verlieren wollte, um
ehrlich zu sein, möglichst gut dastehen wollte und mit diesem Zustand
noch ewig hätte leben können, ging ich mit beiden, je getrennt zu einem
letzten Spaziergang im Wingert, wie die nahen Kleingärten dort hießen,
wo mein Herz gerade um sich rotierte. Mit jeder ging ich zu einem
Rondel, einer Art Laube mit Aussicht auf das kleine Städtchen und doch
im irgendwie verborgenen, bewachsen liegend, um sie dort in romantischer
Einsamkeit zu küssen und zu sehen, wie weit ich kam.
Die
andere, die eigentlich die eine und die erste war, die meine Traumfrau
ein Leben lang blieb, vermutlich auch, weil ich sie nie errang und im
entscheidenden Moment dummerweise nicht wollte, küsste mich schüchtern
ein wenig, mochte es nicht, wenn ich nach ihrem noch sehr zarten Busen
greifen wollte, schob meine Hand lächelnd mit den Worten weg, bevor ich
irgendwas berühre, sollte ich mich doch entscheiden und wählen, baute
damit dramatisch korrekt die Spannung auf, die immer noch wirkt aber
damals der Konkurrenz des einfach Zugriffs unterlag. Die eine, die ich
ja auch liebte, hatte schon deutlich mehr Busen, da war etwas anzufassen
und sie ließ mich zugreifen in der Laube und küsste mich, ließ sogar
die Hand zwischen ihre Beine, hielt alles für möglich, schien triebhaft
vielversprechender.
So
entschied ich mich zwischen zwei wunderbaren Frauen für die, die ich
weniger liebte, die weniger zu mir passte, die ich weniger begehrte,
weil die Probe den schnelleren Zugriff erhoffen ließ - klingt so
nüchtern betrachtet schrecklich und ich könnte mich schlagen dafür,
wüsste ich nicht, wieviel Gefühl und Qual dabei war. Mit nun 30 Jahren
Abstand kann ich es gelassen sehen und darauf schauen und frage mich
dennoch, was mich trieb, das zu tun, von dem ich wusste, eigentlich war
es genau die falsche Entscheidung für mein Leben, die mich eher von
meiner Familie entfernte, die denkbar beste Partie zurückwies und damals
mit meinen 14, kurz vor dem 15. Geburtstag schien es mir alles
endgültig und unwiderruflich und tatsächlich, bis heute hat sich die
Chance zu der anderen, die innerlich die eine blieb, auch wenn
vielleicht nur darum, weil ich mich so entschied, nie wieder ergeben,
zog das Leben quasi ungeküsst an uns vorbei.
Das
schlimme dabei war noch, dass ich aus dieser Entscheidungsgrundlage
kein Hehl machte - irgendwie musste ich ja zwischen zwei Frau wählen,
die ich beide auf ihre Art liebte, warum also nicht der schnellere
Zugriff zum Busen und der mögliche zum übrigen, der mir bei der, die ich
zuerst und eigentlich liebte und begehrte eher fern lag - auch als ich
sie Jahre später wiedersah, verehrte ich sie wochenlang von Ferne in
schönster Reinheit, statt sie einfach zu umarmen und zu küssen, völlig
egal, ob sie einen anderen hatte, weil wir nach meinem Gefühl einfach
zusammengehörten - ich tat es nicht sondern nutzte die Chance bei ihrer
Freundin, die mir Zugriff gewährte und dieses mehr war dann ganz klar
die Grundlage meiner Entscheidung gegen das erste Gefühl und die
Vernunft bei den ersten Versuchen in der Liebe.
Diese
Beziehung, meine erste dauerhafte, hielt 11 Monate, ging mit mir in die
Tanzstunde, ist sicher einer der Gründe warum ich dies nie weiter
verfolgte, um über meine mangelnde Musikalität, die eher einem Thomas
Buddenbrook glich, lieber zu schweigen, erlebte mit mir meine
Konfirmation und wurde die erste mit der ich ganz offiziell schlief, was
ihre Mutter sehr gut und offen mit uns thematisierte, mir dennoch
schrecklich peinlich war, weil ich wusste, was korrekt war, wie ich mich
verhalten musste, aber doch bitte nicht vorher noch mit Eltern darüber
reden müssen, dachte ich, aber all dies wird ein eigenes Kapitel - dies
erste in dem beide parallel auftraten und in dem ich mir eine
Entscheidung gegen mein echtes Gefühl, mein Standesbewusstsein und alle
Vernunft vom reinen Trieb diktieren ließ.
Beide
waren natürlich zauberhafte Frauen, schlank und schön, nur die, die ich
wählte eben etwas weiblicher gebaut und mit etwas dunkleren, brünetten
Haaren als die andere mit dem festen blonden Pagenkopf, der von da an
mein Ideal keuscher treuer Liebe blieb und sah ich irgendeine, die ihr
nur glich in einem Partnernetzwerk später, versuchte ich alles, sie zu
bezirzen, was des Guten meist zuviel war.
Es
ist völlig idiotisch dreißig Jahre später mit einer Entscheidung zu
hadern, die mein Leben womöglich veränderte, mich meinem Schwanz folgen
ließ, von dessen Wirrungen ich hier berichte. Zu behaupten ich hätte
mich für die Hure und gegen die Heilige entschieden wäre doch eine
Reduktion, die mir eher fern liegt, zumal die im folgenden noch zu
erzählenden Wirrungen um diesen Vollzug das Gegenteil eher belegen, auch
wenn sie mich prägten, untergründig dieses Gefühl immer da war und
vermutlich sollte ich, die ich nicht wollte nun endlich wiedersehen,
statt heiligem Gerede sie nach aller Kunst vögeln und dafür ihre
Verehrung dann gelassen genießen, um gänzlich frei zu sein, wäre es
wirklich so wichtig und nicht nur eine Geschichte, die im Erzählen noch
dramatischer wird.
Wenn
du zwischen zwei Frauen die Wahl hast, nimm die, die weniger zu dir
passt, damit du länger weiter suchen kannst, könnte die Devise heißen,
über die ich gerade wieder nachdenken musste, nachdem mich nach einem
halben Jahr eine vermeintlich große Liebe, des Geldes wegen verließ, die
eigentlich nur ein hohle Nuß war, was mir immer noch schwer fällt, mir
einzugestehen, deren Häßlichkeit und Verhärmtheit ich liebend immer
übersah und so ist die Zahl der falschen Entscheidungen in der Liebe
wohl unendlich zumindest so lange, bis wir lebenslänglich glücklich
bleiben oder zumindest so etwas ähnliches wie glücklich und uns dafür
halten - einzig frage ich mich immer wieder, kann in der Liebe
irgendetwas je falsch sein, geht es überhaupt je um richtig oder falsch,
wenn nur das Glück am Ende zählt.
Nun
sagen zu können, ich bereue nichts, hätte wohl Größe, wäre ziemlich
cool aber fern meiner Realität - habe es manches mal bereut - besonders 6
Jahre später als ich sie im Sommer wieder sah und dachte, ich hätte nie
eine andere geliebt aber diese verzweifelt sehnsüchtige Liebe, die mich
der Dichtung erstmals wirklich zutiefst nahe brachte, ist es wohl wert
gewesen, ein Leben lang auch an der verpassten Gelegenheit zu leiden -
auch wenn ich ja nicht weiß, welche Entscheidung mich letztlich
glücklicher gemacht hätte, lässt die Sehnsucht doch weiter streben und
mich mit vollem Herzen hier weiter schreiben.
Jene,
gegen die ich mich entschied, schenkte mir dann zum Geburtstag ein
Märchen, selbst geschrieben, voller Schönheit, Romantik und
Zärtlichkeit, in einer Rolle gewickelt, die Geschichte unserer Liebe
sagenhaft versöhnlich erzählt und ich wusste wieder, wie nah wir uns
waren und hätte mich allein um dieses Abschiedsgeschenkes wegen
umentscheiden müssen, aber tat es nicht, weil Mannn ja außer triebhaft
auch noch konsequent sein muss und so genügte ich meiner Rolle mehr als
meinem Wesen und bis heute bewahre ich dies Märchen irgendwo
geheimnisvoll auf und wenn ich von Liebe träume, denke ich daran.
Wüsste,
was ich heute täte, dachte ich noch oft und doch ist es müßig, aber die
Liebe weiter auf diesem Niveau zu träumen und zu suchen, ist nicht so
schlecht, denke ich mir, wenn mich die eine oder andere mal wieder
frustriert oder ich mich nicht entscheiden kann welche nun - heute
wüsste ich es und wie gut, dass mit 45 noch das halbe Leben vor mir
liegt,
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen