Verstehen wir uns nur mit Verstand oder genügt Gefühl zur Verständigung völlig aus?
Wer schon einmal mit den Liebsten stritt, kennt das Problem der Verständigung mit viel Gefühl im Hintergrund. Alle Beteiligten sind sich völlig sicher, es nur gut zu meinen. Sie kennen den anderen ja, meinen sie und handeln ganz in seinem Sinne. Vielleicht scheint ihnen sogar vernünftig, was sie tun, weil sie ohnehin nie böse wollten, nur das Unverständnis des anderen für ihren doch so guten Willen, macht sie wahnsinnig wütend, weil eben sehr viel Gefühl im Spiel ist.
Können wir uns wirklich so gut kennen, stets richtig zu antizipieren, was der andere will?
Wohl kaum, sagen Vernunft und Erfahrung hier mal völlig einig. Nur das Gefühl ist sich in der Liebe gern sicher, immer zu wissen, was der geliebte Mensch will, weil wir ihn doch lieben, was zwar logisch betrachtet eine Tautologie ist, aber wen stören solch unwichtige theoretische Einzelheiten schon, wenn es um große Gefühle geht.
Wir stellen also nur Mutmaßungen an und auch wenn mich alle Erfahrung mit den mehr als zwei Frauen in meinem Leben lehrte, dass es erstens immer anders kommt und zweitens Frauen besser nie kalkuliert werden, wer wäre ich, sollte ich meinen, ich täte das vernünftigerweise nie und bildete mir keine Muster, mit denen ich auf Gewohnheiten reagiere. Jeder braucht diese Muster, um vernünftig im Alltag reagieren zu können.
Wozu gäbe es Erfahrung, wenn wir nichts aus ihr lernten, als nichts lernen zu können?
Dazwischen lavieren wir dann in Auseinandersetzungen bei denen Verstand und Gefühl miteinander ringen. In der Liebe heilen wir manches, so zumindest meine geringfügige Erfahrung mit Lust, wenn Worte nicht mehr weiterhelfen.
Die Leidenschaft, in der wir ja ganz ursprünglich bei uns irgendwie sind, wird gerne mit Gefühl verknüpft und aller meiner geringen Erfahrung nach, erhöht es auch ihren Wert, macht sie von der bloßen Gymnastik miteinander mit artistischen Einlagen, zum sogenannten Liebesakt oder sogar zum friedenstiftenden Beischlaf, wenn Worte nicht mehr weiter kommen. Dahingestellt, ob dies die Beteiligten einer Lösung näher bringt, ist es zumindest schön und kann als solches genossen werden, führt zur Befriedigung, die manches relativiert und damit auch entspannt, so den Beteiligten dies Glück gegeben ist.
Es wäre einfacher, gerade zwischen Mann und Frau, wenn wir uns stets vernünftig verhielten und darüber Verständigung suchten, zumindest theoretisch. Ob die männliche Vorstellung von Vernunft dabei der weiblichen entspricht, möchte ich mal dahinstehen lassen, wenn wir annehmen, es gäbe etwas Vernünftiges, müsste dies auch für alle Fälle gelten.
Suchten wir eine mathematische Lösung unserer Probleme miteinander, würde dies rein logisch völlig unabhängig vom Geschlecht gelten. Finde einen solchen Ansatz zugegeben sehr faszinierend und habe ihn irgendwann einmal in meinem Konzept der Krisenpfade als ressourcenorientierte Open Source Lösung entwickelt, doch bisher hielt sich die Nachfrage dazu in relativ überschaubaren Grenzen, was allerdings auch an fehlender Vermarktung liegen könne, weil mache lieber denken und andere lieber machen.
Die Praxis lehrte mich jedoch immer wieder, dass einfache, logische Antworten zwischen Männern und Frauen eher ekalieren, während die bloß hormonell gesteuerte ansonsten aber eher leidenschaftlich unvernünftige Konfliktlösung in der Horizontalen oder durch andere Maßnahmen jenseits der Vernunft wie Küsse, Liebeserklärungen oder in harten Fällen sogar Heiratsanträgen auch ohne alle Vernunft mehr bewirken als viele Worte.
Sollten wir also der Praxis glauben und mehr küssen als reden?
Alle Vernunft und die Grundsätze der Aufklärung nach Kant definiert sprechen absolut dagegen. Wenn Aufklärung die Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist und Unmündigkeit dabei die Unfähigkeit meint, seinen Verstand, ohne Hilfe anderer zu benutzen, bliebe das Praxismodell immer unaufgeklärt und hätte lediglich den faktischen Erfolg für sich.
Andererseits ist ohne Verstand eine Verständigung in keinem Sinne möglich, warum es vermutlich wieder, wie so oft im Leben, auf eine Mischkalkulation hinausläuft. Erinnere mich immer gern an die Worte meines Vater als Arzt, der sagte, wer heilt hat Recht, auch wenn wir es nicht immer verstehen.
Als überzeugter Aufklärer würde ich stets für die Diskurslösung plädieren und halte sie für den theoretisch einzig möglichen Weg, mit dem beide glücklich werden können und eine langfristige und nachhaltige Verständigung erreichen.
Doch ist in der Liebe alle Theorie grau und nach vielen Jahren, in denen immer alles ausdiskutiert werden musste, neige ich auch aus zeitökonomischen Gründen wieder mehr dem zweiten Modell zu, was nebenbei noch den Vorteil hat, Lust und Sehnsucht zu befriedigen bei zugleich voller Gefühl erhöhter Anziehung, die, was ja auch relativ vernünftig wieder ist, zumindest unserem Hormonhaushalt in relative Ordnung durch das Chaos des Aktes bringt.
Am Ende ergibt sich: Miteinander reden ist gut, Lösungen suchen noch besser, vernünftig sein ist am besten. Aufgeklärt und also moralisch im Sinne Kants handelt nur, wer der Vernunft folgt. Aber Sex und oder Zärtlichkeit kann viel schneller lange Diskussionen zu einem glücklichen Ende führen, beide befriedigen und damit auch glücklich machen. Dies mag unvernünftig sein aber ist dafür wiederum ganz natürlich und die Natur ist ja in sich vernünftig, warum sich der Aufklärer völlig beruhigt in ihren Schoß begeben kann, um zu genießen, was geschieht. Auch kann was ökonomisch in aller Regel wesentlich effektiver und zielführender ist, nicht an sich falsch sein, nur weil die Motivation nicht vernünftig ist. So tut wer unmoralisch die Lust nutzt mehr für beider Glück und handelt also gut, was nicht falsch sein kann. Sein wir unvernünftig und geben uns hin, um möglichst schnell ein vernünftiges Ergebnis miteinander jenseits aller Gespräche zu finden, scheint in Zeiten der #MeToo-Inflation ein mit Vorsicht zu genießender Lösungsansatz, anderes wäre aus dieser Sicht vermutlich vernünftiger, aber das alles gilt natürlich nur mit viel Liebe und da ohne diese immer alles nichts wäre, ist nun jedes weitere Wort entbehrlich.
jens tuengerthal 12.11.2017
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