Donnerstag, 30. November 2017

Barerotik

Haben Bars wirklich Erotik oder gerade dann am wenigsten, wenn die meisten dort hingehen, um diese zu finden?

Früher schrieb ich sehr viel in Cafés und Bars, hielt das für außerordentlich inspirierend, heute ziehe ich meist die heimische Bibliothek vor, weil mich die Gesellschaft und das Geschwätz der meisten Menschen eher langweilt. Ein Satz der heute in der demokratischen Gesellschaft mit ihrem zwanghaften Hang zur verordneten Gleichheit und der heiligen Kommunikation völlig verpönt ist, wie er aber dem feinen Geist des Huysmannschen Werkes ‘Gegen den Strich’ oder der Proustschen Recherche entspräche, um nicht dem Werk von Ernst Jünger zu sagen, der immer auch elitär dachte.

Manchmal ist es dennoch nett, sich als Beobachter noch einen Moment neben dies Geschehen in den Bars und Kneipen zu setzen und das Tun der anderen zu beobachten. Es birgt Stoff für Geschichten und Lyrik, doch merke ich, wie fremd mir diese Welt da draußen immer mehr wird, wie wenig mich all dies Treiben und die immer gleiche Konversation noch interessiert. Sinnlich finde ich dies Geschwätz angemalter oder aufgeblasener Menschen, die sich mehr oder weniger auffällig um die eigene Begattung bemühen, schon lange nicht mehr. Auch wenn es eigentlich immer nur um das eine geht, auch wenn es selten ausgesprochen wird, was nur den Drahtseilakt der verlogenen Kommunikation noch sozial spannend machte, aber eigentlich nichts als seine Verlogenheit offenbart.

Habe es, bevor ich meine Liebste traf noch gelegentlich mitgemacht, fühlte mich aber immer eher deplatziert und distanziert amüsiert als gereizt. Auch wenn sich zwei näher kommen, läuft es in 99% der Fälle nach dem gleichen Schema immer ab und dann ist auch der eigentliche Akt des Vollzugs kein Höhepunkt mehr, sondern nur das enttäuschende Ende, bei dem jeder für sich Befriedigung suchen soll, ohne noch etwas gemeinsam zu haben.

Nun, wo mich dies sexuelle Treiben nicht mal mehr theoretisch interessiert, bin ich noch amüsierter, wieviele Menschen sich nur damit beschäftigen und wie alles ständig darum kreist und dennoch beide alles tun, zu verhindern, dabei gelassen glücklich zu werden. Das Spiel der Lügen über ihre Bedürfnisse weiter spielen.

Warum stehen Menschen stundenlang bei zu lauter Musik in Bars, unterfordern sich wechselseitig geistig und hoffen dabei noch den Partner fürs Leben oder doch zumindest eine wunderbare Nacht zu finden?

Sicher enthemmt der Lärm in Verbindung mit Alkohol wunderbar und macht die Annäherung der irgendwie geschlechtsreifen Großstädter leichter, doch wäre da nicht ein Gespräch in Gegenwart schöner Bücher viel angemessener?

Es gibt in einer Stadt wie Berlin jeden Tag irgendwo Lesungen, dazu kommen noch literarische Salons und Cafés mit diesem Schwerpunkt, wie das im Literaturhaus in der Fasanenstraße, auch wenn dort mehrheitlich zu stark geschminkte ältere Damen aus Charlottenburg oder Witwen aus Wilmersdorf verkehren und dennoch verkehrt die Mehrheit der auf Partnersuche befindlichen Zeitgenossen in den einschlägigen Etablissements, die fern aller Literatur bei zu lauter Musik das Ziel der Begattung bereits unausgesprochen zu deutlich fühlbar machen, als käme es nur auf die Enthemmung an und nicht den Rahmen dafür.

Vielleicht bin ich inzwischen zu alt, die Versuche der Annäherung in den Bars und Cafés noch irgendwie reizvoll zu finden, interessant ist es dennoch, nicht für mich, habe ja schon das größtmögliche Glück gefunden, sondern als beobachtender Flaneur. Beruhigend finde ich, dass meine doch mehr als ein Jahr jüngere Frau, es ähnlich empfindet und wenn ich ehrlich sein soll, erinnere ich mich auch gut daran, den größten Teil meines Lebens immer ohne Nachtleben verbracht und es gut so gefunden zu haben, vor allem weil ich mehr zum Lesen kam, als wenn ich meinte, ausgehen zu müssen.

Insofern Hauptgrund immer die Partnersuche war, hat sich das Thema für mich vollkommen erledigt. Da ich sicher weiß, es nicht mehr besser dabei treffen zu können, hat sich das Interesse auf weniger als null reduziert. Sollte ich nun glücklich in meiner Bibliothek sitzen vor meinem elektrischen Kamin und das Treiben der anderen nur noch von Ferne belächeln?

Einerseits fühlt es sich so an und die Anziehungskraft der Bücher ist wesentlich höher als die dort draußen im zu lauten, trunkenen Treiben. Andererseits muss der Flaneur flanieren und Teil der Gesellschaft bleiben, die er beschreibt. Ohne Teilnahme keine Anteilnahme und ohne diese keine Leidenschaft in den Worten. Dann beschrieb ich nur noch in gedrechselten Worten meinen Rückzug von der Welt, wie es Huysmans in ‘Gegen den Strich’ so herrlich ironisch tat oder Hesse es etwas schlichter immer wieder auch seine von der Welt angeekelten Protagonisten leben ließ. Kaum einer beschrieb den Weltekel so lyrisch fein wie Rilke, der ein wenig jünger als Huysmans, um genau zu sein 27 Jahre, doch nur 19 Jahre länger lebte.

Als ich Freitag meine geliebte Bibliothek verließ, um nach dem Besuch im Supermarkt im Winskiez, der die guten Holsteiner Cox für den norddeutschen Apfel Liebhaber im Programm hat neben dem üblichen, was weniger allein den Weg lohnte, noch das dortige Sorsi et Morsi auf einen Wein zum Schreiben mit literarischer Inspiration in dieser doch sehr umtriebigen Bar zu besuchen, hatte ich Glück und konnte dort erstmals in dem wunderbaren Chesterfield Ledersofa versinken, um zu schreiben.

Leider entsprach die Musik nicht dem Sofa und meinem Gefühl für diesen so wunderbar italienischen Ort und war dazu noch zu laut, was irgendwie alles in dem bewusst zu engen Laden, in dem sich alles aneinander vorbei drängen muss und sich schon dadurch nicht mehr berührt als gewollt, sondern genau so viel mehr als sonst üblich, wie es sich viele wohl dort wünschen, die nicht nur zum Schreiben hierher kommen wie ich. Wie den Weg von der Bar in den hinteren Teil mit den Toiletten stelle ich mir eine Tokioter U-Bahn vor, nur dürfte es dort wesentlich asexueller und steriler zugehen.

So litt ich letztes mal an diesem Ort, der mir plötzlich nervig und geistlos vorkam, fragte mich, was ich dort tat, warum ich nicht in meiner Bibliothek saß und lieber las. So geht es  auch einem Freund von mir immer wieder, der allerdings jahrelang dort mehrmals die Woche verkehrte, um Frauen kennenzulernen, was wohl seltener gelang als die sexuelle Atmosphäre hoffen ließ.

Dennoch werde ich gern wieder am Freitag oder Samstag nach dem Einkauf auf einen Wein dort hingehen, um diese mir fremde Welt als Flaneur zu beschreiben, in diesen an sich absurden Raum einzutauchen und das nicht nur weil Johnny der Wirt so ausnehmend freundlich immer ist, sondern weil dieser Raum die Absurdität der Suche nach Sex in der Großstadt konzentriert auf den Punkt bringt, etwas, was der Flaneur in derselben schon aus Berufung beschreibt.

Beide Seiten wollen und warten sehnlichst darauf, verunmöglichen aber jede Realisierung durch einer Erfüllung zuwiderlaufende Erwartungen, die sie sich als Bedingung stellen und die damit sichere Enttäuschung tröstet über die folgliche Frustration am Nichts hinweg. Dies Muster wiederholt sich immer wieder ohne irgendeinen Lerneffekt bei den Teilnehmern, die dabei nicht alle dumm sein müssen, sondern sich einfach dem Glauben an einen hippen Ort zu sein, an dem doch etwas passieren müsse, weil schließlich alle darum hierher kommen, hingeben

Ein wenig kommt mir diese sehr italienisch laute Bar vor, wie ich mir einen Club-Urlaub vorstelle, den ich nie im Leben machen werde. So liebte auch eine Ex von mir diesen Laden am meisten, die auch am liebsten Cluburlaub in der Türkei machte und so genoss sie es persönlich von dem Barbetreiber Johnny geküsst und begrüßt zu werden.

Danach setzt das Denken nicht nur bei ihr aus, dahingestellt, ob es vorher je kritisch begann und die Anwesenden lassen sich dort unterhalten, wenn sie sich nicht gerade anbrüllen um über die Lautstärke hinweg zu kommunizieren. Wer das vermeiden will, muss sich sehr nah kommen und fördert damit wieder den eigentlich gewünschten Effekt.

Auf dem Chippendale Ledersofa etwas distanzierter noch als sonst schon von Natur aus und in diesem völlig versunken, war ich nur noch Beobachter und nicht mehr Teilnehmer, war mir sehr gut gefiel und meinem Charakter entspricht.

Ein Sofa, dass wunderbar in eine Bibliothek passte, bildete meine Insel an diesem absurden Ort, den ich doch zu gern immer wieder beschreibe und so sollte ich vielleicht noch früher hingehen, um dort einen Platz als Flaneur zu haben und sobald es laut wird und sich füllt, wieder verschwinden, um alles bis dahin zu beschreiben. Bin ich damit schon nur noch Beobachter,  mehr Statistiker des Sexualverhaltens derjenigen Berliner, die gerne hipp ssein wollen?

Erstaunlich denke ich, gehe ich an einen Ort, der nur halb irgendwie eine Bibliothek imitiert, statt in diese, um die Stimmung zu nutzen und spiele so mehr mit der Dialektik, als der Natur der Dinge entsprechend zu handeln. Es ist ein hipper Ort in meinem näheren Umkreis, was Grund genug für die meisten der Massen ist, die sich dort jede Nacht durchschleusen. Finde sein Gegenteil eher inspirierend und die meisten Buchläden erotischer als diese überfüllte und zu laute Bar voller Typen, die sich wichtig nehmen und Frauen, die bewundert werden wollen.

Die Vorstellung einen Po oder Busen beim Drängeln dort ungewollt zu streifen, finde ich weniger sinnlich als mit der Hand die Buchrücken meiner heimischen Bibliothek zu streicheln. Der Ort und das Theater sind mir so fremd, wie ich mich im Gegenteil in einer stillen Bibliothek oder einem gut sortierten Buchladen von englischer Gemütlichkeit wohler fühlen würde als dort je. Bücher sind mir meist näher als Menschen und mit diesen pflege ich auch lieber Umgang in der Regel, weil die wenigsten Menschen meinem Geist Widerhaken oder Halt bieten, was vermutlich mein Fehler ist, mit dem ich aber gut leben gelernt habe inzwischen und was glücklich macht, kann nicht schlecht sein.

Vielleicht besuche ich diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten so gerne, weil er mich darin bestätigt, wie gut ich es mit meiner Liebsten traf im und wie fern mir dies Leben immer sein wird. Es ist wie ein Besuch im Zirkus, in dem mittelmäßige Artisten der Liebeskunst ihre Kunststückchen vor einem gelangweilten Publikum zum besten geben, das dennoch brav Aaah und Oooh sagt, weil es sich doch so gehört. Vielleicht wäre Menschenzoo noch passender und so finden sich dort regelmäßig vermutlich nur Menschen, die gerne bespaßt werden, wie Cluburlauber und beim eigentlichen Ziel der Annäherung nie Befriedigung finden, warum sie sich auch dieser mäßigen Ersatzform hingeben können, als sei sie der Höhepunkt im Leben.

Natürlich ist jede Bibliothek schöner als solch eine Bar, vor allem meist stiller und friedlicher, geistvoller allemal, doch wie sehr spüre ich erst die sinnliche Schönheit meiner Bücher, die mich still zuhause erwarten, wenn ich von diesem Ort komme, der in so vielem für das Gegenteil steht.

Es geht um unerfüllten Sex, um italienische Lust und katholische Lebenslügen, die sich gerne dem anstatt hingeben. Wie sehr spüre ich dort, wie gut ich es mit meiner Liebsten verglichen habe, was freue ich mich auf die Zweisamkeit in Stille, statt wie die dort auf die laute, ziellose Jagd zu gehen, die nahezu keinen zur Befriedigung führt, von der zusammen ganz zu schweigen und wie träume ich genüsslich davon nur mit meiner Liebsten und unserer Bibliothek das Leben zu verbringen, weil es nichts mehr braucht.

Frage mich, ob diese Bars, die im Ruf stehen, ideal zu sein Sexualpartner zu finden, welchen Grund hätten die meisten sonst an einen Ort zu gehen, an dem sich schlechter unterhalten lässt als anderswo, dem Leben ihrer Besucher entspricht?

Sie leben halt und machen mit, was gemacht wird, auch wenn es dem eigenen Ziel zuwiderläuft, miteinander auf Dauer glücklich zu werden. Es ist ein Sehen und Gesehen werden. Die Sehnsucht danach, vom Wirt erkannt und persönlich begrüßt zu werden als Ersatz für die nie erreichte und den meisten unbekannte gemeinsame Befriedigung, wird zum Ersatz und Zweck an sich, mit dem sich die meisten zufrieden geben, wenn sie unbefriedigt wieder gehen, um bald wiederzukommen.

Die Hoffnung dort das Glück zu finden stirbt vielleicht zuletzt, zumindest fühlen sie sich gut unterhalten und am Gedränge sichtbar, geht es wohl vielen dort so. Dies ließe sich auf die meisten Bars der Stadt so übertragen, aber ich erspare den Lesern weitere Details oder Studien, da es nahezu immer das gleiche ist. Auch kennt jeder irgendwen, der hier schon mal sein Glück gemacht hat, zumindestens flüstern sich alle das zu und hoffen, die nächsten zu sein, auch wenn sie eigentlich wissen, wie kontraproduktiv der Ort dafür ist.

Sex findet in den Bars nahezu nur in den Köpfen der Teilnehmer statt und auch wenn die eine oder andere an der Bar, den neuen dort Geschichten zu raunt, wie es bei dem oder diesem ist, ob es nach der einen Nacht noch ein Frühstück gibt und Männer sich hinter vorgehaltener Hand dezent erzählen, wie diese oder jene war - ich kann da nicht mitreden, habe nie eine dort kennengelernt und war auch nie in dieser Absicht dort, auch wenn ich vielleicht über die eine oder andere dort plaudern könnte, was mir aber fremd wäre, wenn schreibe ich dazu - habe ich von den regelmäßigen Teilnehmerinnen der dortigen Partnerbörse nur frustrierende Geschichten gehört.

Seltsamerweise sind Männer da eher zurückhaltender was die eigene Frustration betrifft und neigen dazu, jedes Abenteuer schön zu reden, auch wenn es nicht mal mäßig war. Auch ich habe meine Geschichten darüber immer verklärend schön geschrieben, obwohl ich aus Erfahrung eigentlich hätte wissen können, wie frustrierend es fast immer war, weil eben nur ganz wenige Menschen wirklich zusammenpassen und der Sex in den übrigen Fällen völlig entbehrlich ist, nur zum gemeinsamen Onanieren ohne geteilte Gefühle führt.

Natürlich gibt es auch mal Männer die lästern aber doch eher selten und vor allem nicht dort, wo sie sich sammeln um erfolgreich eine neue Nummer in ihre Begattungsliste einzutragen und wo sie genau damit glänzen wollen und heute eben auch als solche, die Frauen glücklich zu machen wissen. So sind auch dort viele eigentlich erfahrene Liebhaber mit eher nichts zufrieden und stärken mit dem eben möglichen ihr Ego. Habe mich schon gefragt, ob das mit der männlichen Potenz zusammenhängt, die wirkliche Ehrlichkeit vermutlich schnell erschlaffen ließe.

Wie wenig das meinem Wesen entspricht, habe ich früher mehrfach erlebt, wenn mein Schwanz, wenn er dann gefordert war, schändlich versagte und schlaff blieb, weil mich die Spiele um nichts null reizten. Konnte das immer noch einigermaßen durch sonstige Erfahrung kompensieren aber begriff doch irgendwann, dass es nicht meine Welt war, Sex ohne Liebe fad ist und auch nichts mehr hinterlässt.

Glücklich nur noch Beobachter dieser Spiele zu sein, mein Glück dabei in der Liebe gefunden zu haben, bin ich auch hier wohl nur noch Chronist des Begattungsverhaltens, der sich fragt, ob mehr Ehrlichkeit irgendwem nutzen würde oder keiner mehr erwartet, als alle dort bekommen. Werde ich damit zum Voyeur, der die Suche nach Sex der anderen beobachtet und wie hier beschreibt oder ist das ausgeschlossen, weil der Voyeur ja Befriedigung in der Beobachtung findet, während ich höchstens noch amüsiert bin und mich eher distanziere, um mit mir  glücklicher zu sein, als die meisten dort je werden.

Vielleicht aber ist auch diese Annahme eine bloße Verkennung der dort versammelten Talente, die ihrem Wesen nach viel tiefer empfinden können und sich vom dortigen Spiel nur gut unterhalten lassen. Was weiß ich schon, denke ich und freue mich, an dem was ich habe, was mir so unendlich viel Distanz zum dortigen Theater gibt. Möge  jeder nach seiner Fasson dort selig werden, wie ich mich darüber freue, es lächelnd zu betrachten.

jens tuengerthal 29.11.2017

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