Donnerstag, 2. November 2017

Autoritätserfolg

Wie erfolgreich ist Autorität in Alltag und Theorie noch?

Wer einmal feststellt, dass autoritäres Verhalten, das sich mit Kraft und sei es auch nur verbaler Gewalt durchsetzt, erfolgreich ist, muss hart daran arbeiten, nicht an diesen schlichten Erfolg der einfachen Mittel zu glauben.

Vielleicht wollen manche Menschen einfach, dass ihnen jemand sagt, wo es langgeht und wie alles zu funktionieren hat, damit sie keine Verantwortung übernehmen müssen. Der Blick in die Fernsehprogramme spricht sehr für diese These und das Verhalten der meisten Menschen, wenn sie mit anderen zusammenkommen, spricht auch eher für diese Vermutung.

Vielleicht ist die Herde, an die sich jeder Teil von ihr anpasst, einfach vom Wesen her dumm. Nur wer bin ich, über sie urteilen zu dürfen oder zu meinen, ich sei nicht auch nur Teil einer anderen Herde, die eben ihren Riten folgt, zu denen gehört, sich über die tumbe Masse lustig zu machen, ohne darum wirklich klüger zu sein?

In der Kindererziehung, welch grässliches Wort schon, in dem steckt, wir zögen an den Kindern, um sie unseren Zwecken entsprechend zu formen, zeigt sich dies noch deutlicher. Autorität und klare Ansagen funktionieren. Habe das eine zeitlang praktiziert. Konnte mich nicht beschweren, meine Tochter war wohlerzogen und höflich, was von außen immer wieder gelobt wurde. Es waren eben unsere Rollen in der Beziehung. Obwohl ich zehn Jahre jünger war als ihre Mutter, habe ich als Vater die streng autoritäre Rollle mit Drohungen und ähnlichem übernommen, wie ich es auch von meinen Eltern kannte, die wohl selbst in den 70ern als junge Eltern mit diesen Dingen haderten, aber im Krisenfall doch immer wieder auch auf das Machtwort zurückfielen, bis hin zu großväterlichen Sprüchen des Vaters - “solange du die Füße unter meinen Tisch stellst…” - die Lösungen in ihrem Sinne mit verbaler Gewalt durchzusetzen versuchten, wie sie es von ihren Eltern kannten. Dennoch war bei meinen Eltern immer die große Liebe zu ihren Kindern spürbar und sie gab Vertrauen in sich und in das Leben und ich glaube heute diese Liebe und Sicherheit, war das wichtigste, was ich von meinen Eltern bekommen konnte, mehr als der ganze bürgerliche Hintergrund, die Essmanieren, die korrekten Formen und die ganzen anderen Oberflächlichkeiten, die einem das Leben erleichtern. Sich geliebt zu fühlen, macht stark und glücklich und ist aus meiner Sicht wichtiger als alles.

Beide Seiten waren bei mir immer darum bemüht, noch friedliche Lösungen zu finden aber auch bei uns war der Vater, wenn er denn da war, für das Machtwort zuständig, wie es eben den patriarchalen Strukturen alter Familien  entspricht. Auch heute bekommt mein Herr Papa noch manchmal solche Anwandlungen gegenüber den längst erwachsenen Kindern, was aber von diesen eher lächelnd überhört wird,  um sein Herz zu schonen. Am Ende zeigt sich also, wie ich es auch bei meinen Großväter beobachten konnte, die noch viel mehr zu der auch gewalttätigen Autorität neigten und ihre Kinder schlugen, was ich bei den wenigen malen, denen es mir passierte schon fast vergessen habe, eher ein Ausrutscher war, dass die Autorität sich in Nichts auflöst und durch lächelnden Respekt und Liebe ersetzt wird, mit dem sich alle wohler fühlen.

Was sich in ein Lächeln und Harmonie auflöst, weil es keiner braucht, könnte von Anfang an, überflüssig sein, fällt mir dazu ein. Warum diese alten Muster, wenn wir doch unsere Kinder zur Freiheit erziehen wollen, damit sie selbständige und starke Menschen werden, die ihren Weg finden?

Weiß es nicht, habe nur gemerkt, es funktioniert ganz einfach und wenn du einmal damit anfängst, hörst du nicht mehr damit auf, bis du darüber nachdenkst oder sich etwas grundlegend ändert in deinem Leben oder in der Beziehung zu anderen.

Bei mir war es die Trennung von der Mutter meiner Tochter und die Umstände dabei. Die einerseits Befreiung bei gleichzeitigem Verlust jeder Sicherheit und harter Brutalität dort im Kampf, wo vorher Liebe war, wie sich zwei schnell trickreich von Anwälten beraten, vor Gericht fertig zu machen versuchten, um ihre guten Rechte durchzusetzen.

Was für ein Mist, dachte ich, als mir klar wurde, was wir dort veranstaltet hatten und  sich alles wieder beruhigt hatte. Will nicht über Schuld und Verantwortung reden dabei. Das geht immer nur die beiden an, die es betrifft und damit müssen die klar kommen, mussten wir und eben leider auch unsere Tochter und das mit unserer Tochter haben wir irgendwann ziemlich gut hinbekommen, was wichtiger mir scheint als wer nun Recht oder Unrecht hat, ob es solches in der Konkursverwaltung einer Liebe überhaupt geben kann.

Es nicht zusammen geschafft zu haben, ist kritikwürdig genug für beide Eltern, dachte ich, dem seine Eltern ein Leben lang auch unter nicht immer ganz einfachen Umständen etwas ganz anderes vorgelebt haben. Zumindest lernte ich aus diesem großen Versagen plötzlich die gewohnte Rolle zu verlassen und nicht mehr in autoritäre Muster schlicht zu verfallen, sondern meine Tochter zu lassen, ihr Vertrauen zu schenken, was irgendwann auch so zurückkam. Die Beziehung wurde, auch wenn wir uns logisch seltener sahen, inniger, als sie je war, was mich sehr glücklich machte. Weiß manches, was die Mutter nie erfahren dürfte und mit meiner deutlich jüngeren Frau ist meine Tochter wie eine beste Freundin, was ich wunderbar finde und die Eltern-Kind-Freundin Schranke ein wenig durchbricht.

Es schien mir, erst ein wenig und dabei nun immer mehr, dass es die alten Muster und Schranken nicht mehr braucht, wir besser frei agieren miteinander, weil wir dann mehr voneinander lernen können, statt nur an Rollen und Mustern festzuhalten. Wann meine Tochter nach Hause kommt, überlasse ich ihr. Auch wenn ich da sicher noch gewisse Pflichten der Aufsicht rechtlich habe, hat sich gezeigt, dass Vertrauen belohnt wird und weiter führt als Kontrolle und Autorität. Verbiete ich ihr etwas, sieht sie es vielleicht Jahre später ein, wird aber ganz natürlich alles tun, das Verbot zu umgehen, um ihren Wünschen entsprechend zu handeln.

Warum ich etwas wünsche, wird damit nicht deutlich. Bin nur autoritär und setze mich durch, wie es auch gesellschaftlich gern erwartet wird. Ein autoritärer Vater mit gut erzogenen Kindern, weiß genau, wo es langgeht und bläst den anderen den Marsch, wenn nötig, kann sich durchsetzen, siegt im Kampf ums Überleben. So funktioniert unsere Gesellschaft in vielem noch, wo es um Befehl und Gehorsam geht. Manche meinen dies aus Darwins Theorie von der Entstehung der Arten ableiten zu können und schaffen mit dem Sozialdarwinismus des Survival of the fittest eine trivial beschränkte Reduktion, die keinem gut tut, sondern bloß Gewalt verherrlicht, statt Zivilisation voranzubringen.

Wäre darum antiautoritär immer richtig oder führt dieses andere Extrem auch nur zu Verwirrung?

Verteidiger der klassischen Haltung, wie ich früher, behaupten gern, Kinder bräuchten Grenzen und meinen, besser wir zeigen sie ihnen, als dass sie sozialen Schiffbruch erleiden. Als Begründung werden gern die Fälle herangezogen, die sich ohne Autorität verloren, den Drogen verfielen, ihr Leben verspielen. Hätte gerne mal exakte Zahlen zu diesen Fällen, falls es sie gibt - wie viele Kinder die autoritär erzogen wurden, kriminell werden, eine Drogenkarriere starten oder bei Hartz IV landen und wie viele es im umgekehrten Fall sind.

Vermute eher und alles was ich dazu bisher erlebte, spricht dafür, dass sich die Zahlen nicht wirklich unterscheiden. Die Neigung kriminell zu werden, drogensüchtig oder in irgendeiner Form asozial, hängt weniger mit der Form der Erziehung als dem Wesen der Person zusammen. Weiß nicht, ob ich nun soweit gehen würde, zu sagen, dass alle Psyche anlagebedingt ist - nichts ist absolut richtig und auch das ist nur eine Sicht auf den Menschen, aber was immer alles zur Entwicklung eines Menschen führt, von den Genen bis zur Prägung, die sich immer noch altbacken Erziehung nennt, es ist eine solche Vielzahl von Umständen und Elementen, dass es unsinnig wäre, sich auf eines allein zu kaprizieren und zu glauben, dabei allein läge die Antwort und Lösung aller Probleme.

Es mag eine genetische Disposition geben, die eher zu asozialem Verhalten führt, die aber nicht erklärt, warum der eine es wird und der andere nicht, weil wir nie wissen können, was alles einen Menschen ausmacht, wir immer nur kleine Teile überblicken und die Größe der Komplexität verführt ja Menschen auch seit Menschengedenken immer wieder dazu, sich höhere Wesen auszudenken. Wir können einzig und allein versuchen, alles zu tun, dass der andere sich so gut wie möglich entwickeln kann und auf die eine oder andere Art die Prinzipien des kategorischen Imperativs verinnerlicht, die Bedingung eines gedeihlichen Zusammenlebens sind.

Damit bin ich beim Kern meiner Abwendung von der Autorität und warum ich sie heute in dem was Erziehung oder sonst den Umgang mit Menschen betrifft für völlig verfehlt halte. Der kategorische Imperativ als Maßstab sittlich guten Handelns - handle stets so, dass dein Handeln Gesetz für jedermann sein könnte - ist ein zu erstrebender Näherungswert, der ein aufgeklärt, kritisch denkendes Wesen voraussetzt.

Aufgeklärt sein aber heißt nach Kant und bis heute, sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, um selbst zu denken. Unmündig ist dabei, wer sich unfähig zeigt, seinen Verstand ohne Hilfe anderer zu gebrauchen. Unmündig handelt also auch, wer nur Gesetzen folgt, ohne sie an seinem Gewissen zu prüfen, wer nur gehorcht, statt reflektiert zu handeln. Selbstverschuldet ist dies, wenn der andere nicht zu blöd ist, dies zu erkennen, sondern es einfach nur aus Faulheit und Trägheit unterlässt. Weil autoritäre Ansagen eben leichter sind, als Dinge in Ruhe abzuwarten und sich entwickeln zu lassen.

Hier wird häufig argumentiert, wir können die Kinder doch nicht ins Elend laufen lassen, müssen ihnen zeigen, was gut und richtig ist, damit sie sich nicht verirren, was so falsch ist, wie es im Ergebnis das Gegenteil erreicht. Wer nicht aus eigener Motivation gut handelt, handelt nicht gut, sondern gehorcht nur einem autoritären Muster, was zu nichts führt als  Widerstand oder erzwungenem Gehorsam.

Natürlich haben Eltern für Kinder eine Schutzpflicht, müssen Lehrer den Kindern einen Stoff nahe bringen, auch wenn diese systemimmanent gerade an ganz anderen Dingen Interesse haben. Darum ist es auch nicht grundsätzlich immer falsch, jemanden zu etwas zu bringen, was er gerade nicht will oder vom eigentlich gewünschten Verhalten abzuhalten. Denke an Kinder auf der Straße und im Verkehr, den Umgang mit Gefahren oder die Vermittlung eines Stoffes, der den anderen, der vor Sehnsucht oder Liebeskummer gerade vergeht, überhaupt nicht interessiert.

Dann kann es leichtfertig sein, die Kinder selbst erkennen zu lassen, dass es tödlich ist, unter einen Laster zu kommen. Wer sich aus einer Laune oder durch Prägung des Elternhauses in der Schule ständig verweigert, schafft sich Probleme, die noch gar nicht abgesehen werden können, warum es klug und verantwortlich ist, ihnen das zu vermitteln und notfalls auch schnell einzugreifen, damit nichts passiert.

Das ist immer  eine Gratwanderung zwischen zuviel und zuwenig bei der wir aus meiner Erfahrung noch mehr darauf achten müssen, nicht selbst in die einfachen Muster der Autorität zu verfallen, als Angst zu haben, nicht genug getan zu haben.

Für mich war es am wichtigsten die Freiheit meiner Tochter anzuerkennen. Sie ist ihr eigener Mensch und ich möchte, dass sie ihre eigenen Entscheidungen trifft und in dem Sinne sittlich verantwortlich handelt, wie es Kant beschrieb, ob sie dazu weiß, wer Kant ist oder nicht. Es geht  um das Prinzip, das gut nur diejenigen handeln, die es aufgeklärt tun und also nicht, weil sie gut erzogen oder brav sind und gefallen wollen, sondern weil sie davon überzeugt sind.

Der Sache nach kann ich kein Kind und keinen Menschen davon überzeugen, aufgeklärt und frei sein zu wollen. Dies funktioniert nur, wenn es jeder einzelne selbst will. Gutes tut nur, wer es will und von sich aus tut. Wer ein Gesetz und sei es auch nur ein geaberglaubtes göttliches Recht befolgt, handelt zwar nach gesellschaftlichen Maßstäben moralisch weil angepasst, sittlich betrachtet aber, ist dies Verhalten wertlos, da es bloß auf  einer Programmierung und Konditionierung beruht, nicht auf einem Willensentschluss.

Darum ließ ich meiner Tochter die Freiheit und schenkte ihr lieber Vertrauen als klare Regeln, las ihr lieber Sophies Welt vor, damit sie kritisch denken lernt, was sie zu meinem größten Stolz wirklich tut, auch wenn ich überhaupt nichts dafür kann, das Wort Stolz also eigentlich Fehl am Platz ist, weil das allein ihre Entscheidung und Entwicklung ist. Damit bin ich nun glücklich und zufrieden und kann es gut mit meinem Gewissen vereinbaren, denke Vertrauen ist immer besser als Autorität.

Fraglich ist, was in einer Partnerschaft gilt, wo wir uns eigentlich selbstverständlich als freie und gleichberechtigte Wesen begegnen sollten. Gerade in Konflikten neigt jede Seite dabei dazu, sich mit verschieden perfiden Mitteln durchsetzen zu wollen. Wenn ich nicht mehr brülle oder streite, tue ich es mit subtilen Mitteln wie Liebesentzug durch Rückzug oder Herablassung und ich traue mich nicht, zu sagen, dass ich je frei davon wäre.

Wie sollten wir reagieren, wenn wir uns Sorgen, um den anderen machen, er sich selbst beschädigt, ungesund reagiert oder sonst etwas tut, was der Beziehung gegen beider Willen schadet. Darf ich dann autoritär auf meine Grenzen hinweisen und sagen, bis hierhin und nicht weiter oder braucht es dazu anderer Lösungen und wie frei sind wir unter dem Einfluss von Hormonen und Gefühlen dabei überhaupt noch?

Die eigenen Grenzen aufzeigen, scheint mir in Ordnung, den anderen zum guten Weg bekehren zu wollen, dagegen nicht mehr. So ganz allgemein gesprochen zumindest und doch wird im Einzelfall immer wieder etwas anderes gelten, weil so viele Umstände eine Rolle spielen, die das Verhalten des anderen begründen, die vielleicht auch pathologisch sind und darum autoritäres Verhalten als Hilfe brauchen, wie Kinder im Straßenverkehr diese erstmal brauchen, um die Gefahr zu verstehen, ohne sie zu erleiden.

Andererseits müssen wir als Partner immer gleichbereichtigt sein, wenn wir Partner sein und uns lieben wollen, weil die Liebe nur in Freiheit sein kann, jedes andere Handeln nur dummer Gehorsam einer Maschine wäre, nie gut ist.

Weiß hier, wie so oft, keine klare Antwort sondern balanciere zwischen den eigenen Prinzipien, dem Wunsch nach Freiheit und den Zwängen der Natur, die uns selten ganz so gut sein lässt, wie wir es gern wären. Vermutlich ist das ganz normal und es geht ganz vielen Menschen so, die an ihre Grenzen kommen, sie überschreiten, dem anderen nur gut wollen und doch das Gegenteil erreichen. Es ist für mich, der ich nun eine um einges jüngere Partnerin habe, wie ich vorher der um einiges jüngere Partner war, wichtig, ihre Freiheit zu achten und sie darin zu stärken, Konflikte im Diskurs gleichberechtigter Partner zu lösen und doch ist es vermutlich ganz natürlich, ihr manche Erfahrung ersparen zu wollen, uns vor Konflikten beschützen zu wolllen, die gefährlich sein können und die eine kurze autoritäre Ansage vielleicht leichter beenden als eine lange überflüssige Diskussion.

So wandere ich weiter auf dem Seil zwischen gut wollen und besser wissen, dass für einen anderen wollen immer falsch ist, weil nur gut wird, was dieser selbst will und passe mich dabei täglich neu den wechselnden Bedingungen des Lebens an, das ganz zu verstehen ich mir nie anmaßen würde, schaue, staune und wundere mich.

jens tuengerthal 2.11.2017

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