Samstag, 11. November 2017

TB-Balance

Lebensballance

Bücher und Tee halten Geist und Körper
Im Gleichgewicht auf der Suche nach Glück
Was in der Natur liegt wo sie eins sind
jens tuengerthal 29.5.2016

Tee und Bücher sind alles, was es zu einem glücklichen Leben braucht. Natürlich gibt es noch kleine Details, die das Ganze ausschmücken, um sich nachhaltig wohl zu fühlen, aber es sind nur Details, der Kern sind Tee und Bücher, um die es sich dreht.

Bücher weil sie uns in geistige Welten holen, die wir als Leser zu unseren machen, ohne den Platz neben unserer Teetasse verlassen zu müssen. Tee weil er mehr eine Haltung zum Leben ausdrückt, als ein Heißgetränk nur ist.

Tee wird vom Teetrinker mit Ruhe und Genuss zubereitet. Mal eben schnell einen Tee machen, funktioniert nicht - du musst dir Zeit nehmen, um das Wasser bei der richtigen Temperatur aufzugießen, den Tee in richtiger Menge zu portionieren, ihn ziehen lassen. Wer sich so Zeit nimmt für den Genuß, würdigt das Leben und weiß zu genießen, lässt sich von niemandem und nichts hetzen dabei.

Prioritäten im Genuss zu setzen und damit Werte im Leben zu erkennen, zeugt von innerer Ausgeglichenheit und Stabilität. Dies ist die Tee-Balance im Leben. Nicht weil der zeremonielle Genuss eines Heißgetränks wie in Japan eine quasi religiöse Bedeutung bekommen soll, dazu dient höhere Kräfte oder ähnlichen Hokuspokus anzurufen, sondern, weil wir uns Zeit nehmen, sie damit haben, uns also unserer Freiheit versichern, um es schön zu haben.

Für eine geruhsame Tasse Tee, wenn nötig auch eine Schlacht zu unterbrechen, gilt als typisch englisch und ich würde diese Zeremonie des Inselvolks nicht geringschätzen, wenn sie nicht in vielem bloß Ausdruck imperialer Macht und Ausbeutung wäre. Doch schätze ich die Traditionen dieses Königreichs hoch genug, weil sie in vielem so gut verstanden haben, was die innere Balance ausmacht und dies in ihrer typisch britischen Haltung in jeder Lebenslage zum Ausdruck bringen.

Könnte glatt zum Briten in vielem mutieren, würden sie nicht so grässlichen Tee meist kochen, der auch mit dem dort üblichen Zucker und der vorher oder danach zum Tee gegebenen Milch nicht besser wird.

Der feine Teetrinker schätzt den Tee als solchen, weiß das Blatt zu würdigen, lässt ihn sich entfalten, trinkt ihn nicht fermentiert sondern grün, bin ich geneigt zu sagen, um zu betonen, wer Tee wirklich liebt, weiß seine Natur zu schätzen, wie es Chinesen und Japaner häufig tun. Das die feinen grünen Teeblätter fermentiert wurden, um sie haltbarer für den langen Transport an Bord von China oder Indien nach Europa zu machen, kann ich nachvollziehen. Doch müssen wir darum heute aus der Not eine Tugend machen und noch trinken, was einst nur der Not gehorchte?

Aber, fällt mir da ein, wie war das noch mit dem Earl Grey, den ich grün besonders liebe, wurde er nicht nach einem Unfall erst entdeckt, als sich aus im Sturm gebrochenen Fässern das feine Bergamotte Öl auf den darunter liegenden Tee ergoss  - dieser wurde meist im Rumpf am günstigsten transportiert und schmeckte entsprechend muffig und gelegentlich auch fischig - eine furchtbare Vorstellung, denke ich heute.

Als einmal der Tee auf einem Transport durch Bergamotte Öl verschmutzt worden war, sollte er eigentlich vernichtet werden, doch der verantwortliche Premierminister, Charles Grey, 2. Earl  Grey, der nebenbei  das Preismonopol der East India Company im Handel mit China aufhob, beschloss vielleicht aus Gründen der Sparsamkeit, immerhin war der Lord an der schottischen Grenze geboren worden, den verschmutzten Tee doch vor seiner Vernichtung noch einmal zu probieren und so ward eine wunderbare neue Teemischung mit dem leicht sauren und frischen Geschmack der Bergamotte geboren, den bis heute Teetrinker aus aller Welt schätzen, der aber vor allem dem muffigen Tee aus dem Kielraum wieder Geschmack schenkte.

So lautet zumindest die Legende zur Entstehung des Earl Grey irgendwann nach 1833. Tatsächlich ist diese Sorte etwa ab 1850 im Handel bekannt. Zunächst trat meine Lieblingssorte noch als Grey’s Tea auf und ab 1880  dann erstmals nachweislich als Earl Grey.

Dieser Charles Grey war ein vielfältig aktiver Mann, der sich übrigens auch einer Affäre mit Georgina Cavendish rühmen konnte, mit der er eine Tochter hatte und diese Vorfahrin der späteren Lady Di, beide waren geborene Lady Spencer, die sie zu ihrer Zeit sogar an Bekanntheit fast übertraf, erhöhte den Ruhm des Earl of Grey, der sich für die Freiheit der Afrikaner und gegen Monopole einsetzte.

Wie entspannt das Verhältnis der beiden war, kann ich gerade nicht beurteilen, zumindest taugte es noch als Vorbild für den Film die Herzogin aus dem Jahr 2008, in dem Keira Knightley die Herzogin spielt, Ralph Fiennes ihren Mann William Cavendish und Dominic Cooper eben jenen Charles Grey, der zum Paten des Tees wurde, auch weil er die imperialistischen Monopole vorausschauend aufhob.

Der Schuss Bergamotte Öl bewahrte den Tee aus China, der so lange Transporte auf den Segelschiffen der Zeit hinter sich hatte, bis er in England ankam, vor einem dauerhaft muffigen Geschmack und spielte darum eine große Rolle für das Marketing des chinesischen Tees nach der Aufhebung des Monopols der East India Company, was den Tee erschwinglicher machte und vielleicht schon die Boston Tea Party verhindert hätte, die später zur Gründung der USA führte, die ohne den übertriebenen Imperialismus der Briten vielleicht so nett wie Kanada geworden wären, statt zur unentspannten Supermacht unter dem Choleriker Trump zu werden, die an ihren anfallsweise abgegebenen Tweets gemessen eher mehr guten Tee benötigte, um zu sich zu finden.

Nun habe ich so lange über Tee geredet und fast die andere Hälfte der TB-Balance, die Bücher, vergessen. Bücher sind heute und schon sehr lange ein Massenmarkt. Gedruckt wird, was sich irgendwie vermarkten lässt. Hat hier jedes Buch die gleiche Wirkung oder kann ein Goethe nie mit einem Konsalik, eine Rosamunde Pilcher nie mit einer Jane Austen verglichen werden, muss der Genießer für die Balance unterscheiden, taugt der eine mehr, der andere weniger, um zu genießen?

Suum cuique, hatten die Hohenzollern in ihrem Wappen und kaum einer von ihnen lebte es so konsequent wie der Alte Fritz, der tatsächlich jeden nach seiner Fasson glücklich werden ließ, wenn er denn ein guter Preuße war, also seine Pflicht tat. So ist das auch bei Büchern. Mit steigender Erfahrung hebt sich der Anspruch und immer weniger kann da noch dauerhaft glücklich machen.Dennoch gibt es auch erfahrene Leserinnen, die etwa einen Martin Walser schätzen, der mich schon immer langweilte und dessen geistige Enge ich immer mehr bei der Lektüre als Beleidigung empfand.

Aber darauf kommt es nicht an, was zählt, ist, dass es uns beim Lesen packt, wir in die Welt der Autoren wandern und sie ganz genießen können - von der italienischen Renaissance über den französischen Hof, zum Turm von Michel de Montaigne, ins beschauliche Weimar der Goethezeit oder mit Manns Ironie durch Lübeck schlendern und den Zauberberg besteigen. Natürlich unterscheidet sich ein Thomas Mann oder ein Goethe von vielem, was heute zum Bestseller wird, was nach meinem Maßstab keiner Lektüre wert ist - aber wie sagt der halb gebildete Lateiner so gern: de gustibus non est disputandum - über Geschmack lässt sich nicht streiten und vielleicht gibt mir genügend Tee und gute Lektüre auch die Ruhe hier nicht werten zu wollen, wo es doch um den Kern der Balance geht.

Sicher bevorzugte ich einen Montaigne oder einen Seneca lange vor dem, was heute die Bestsellerlisten anführt - aber es ändert nichts daran, dass jeder für sich entscheiden muss, was ihn beim Lesen glücklich macht und wenn die Masse gern in der Herde läuft, um sich wohl zu fühlen, weil sie gern wissen, wollen, was sie gelesen haben müssen, um mitreden zu können, dann sollen sie das tun. Wichtiger wäre mir da, sie tränken auch mehr Tee als den ollen Kaffee dabei, um in Balance zu finden, aber vermutlich lässt sich nicht mal dieser Anspruch verallgemeinern.

Die intensivste Kaffetrinkerin unter all meinen Frauen, war ansonsten eher eine völlige Schlaftablette, die selten den Mund aufmachte noch sonst große Leidenschaft entwickelte oder kannte - ob sie Tee leidenschaftlicher gemacht hätte oder sie dann gänzlich zum Nichts zwischen Cluburlaub und Bürojob geworden wäre, weiß ich nicht, weil sie einfach ganz ruhig war, nicht mal der Rede noch wert ist.

Vermutlich verstehen wieder nur wenige Teetrinker, die noch dazu lesen, diesen Text, empfindet der Rest ihn als herablassend arrogant, weil sie die Sprache nicht verstehen, in der ich über eine Welt plaudere, die ihnen unbekannt ist. Das ist wohl das Schicksal der lesenden Teetrinker eine vielleicht gebildete aber auch verachtete Minderheit zu bilden, die es noch so gut meinen kann und doch immer von der Mehrheit unverstanden bleibt. Zumindest dieses Hesse, Demian oder Mann, Kröger -Gefühl beschreibt diese Welt sehr schön, denke ich grinsend, trinke einen letzten Schluck Earl Grey bevor ich noch einkaufen gehe im Supermarkt umme Ecke. Auch als nur scheinbar hehres Wesen aus der Gruppe der belesenen Teetrinker, muss ich das und einiges mehr, was am Ende die Frage stellt, wer von TB-Balance profitiert und wie lange dieses Glück real anhält.

jens tuengerthal 10.11.2017

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