Heute ging es in den Garten Eden, wie die Berliner ihren englischen Garten nennen - dazu lief ich die Spree entlang und um die Museumsinsel zurück und mit allen Umwegen waren es am Ende 38km - fast schon ein gewanderter Marathon und dem Flaneur wurde in den Beinen spürbar, warum diese Distanz so eine große Hürde darstellt, zumal die Läufer noch joggen, während mir das Spazieren völlig genügt, auch um nicht achtlos und erschöpft an allem vorbei zu laufen, was schönes am Wegesrand liegt.
Vom Helmholtzplatz, meiner immer Basisstation aus ging es mit der Liebsten im Ohr über Kulturbrauerei, Oderberger Straße und Kastanienallee gen Mitte, in die ich wieder den Weinbergsweg mit beginnender Dämmerung hinunter lief. Über die alte Mauer, die nur noch vierspurig mit doppelter Straßenbahn inmitten, um die alte Mitte führt, betrat ich diese dort, wo früher das Rosenthaler Tor stand, folgte ein wenig der gleichnamigen Straße vom selbigen Platz aus bis ich gen Westen in die Linienstraße einbog, auf der ich dann bis zu ihrem Ende blieb, an dem sie in die Oranienburger mündet, die ich nur ignorant überquerte diesmal, auch wenn es dort viel zu sehen gäbe sonst, doch mein Ziel lag ja noch tief im Westen.
Bog gen Süden in die auch schon oft auf und ab gelaufene Friedrichstraße ein, der ich nur bis zur Reinhardstaße folgte, die wieder gen Westen führt, von der ich aber aber am Bunker mit der Sammlung Boros lieber wieder ein Stück gen Süden abbog, um wieder in der Marienstraße gen Westen zu marschieren, an der so schönen wie schon vollen Böse Buben Bar vorbei, um in die Luisenstraße am Ende der Marien abzubiegen gen Marschallbrücke, nach der ich am südlichen Spreeufer nun blieb.
Zwischen den Abgeordnetenhäusern vorbei, die den Bogen der Spree an dieser Stelle beeindruckend schön und modern zieren, unter den Brücken hindurch immer am schönen Spreeufer entlang, den eigentlich schönen aber durch Mehdorns Dickkopf verschandelten Berliner Hauptbahnhof auf dem anderen Ufer liegen lassend, weiter an Kanzleramt und Haus der Kulturen der Welt vorbei, folgte ich dem Fluss in noch gutem Tempo bis Schloss Bellevue, das angestrahlt als Sitz des Bundespräsidenten wunderschön diesen Teil des Tiergartens bekrönt.
Folgte von dort weiter dem Fluss bis ich am Ende des Tiergartens plötzlich zwischen Häusern im dort Hansaviertel stand und merkte, ein Stück zu weit gegangen zu sein, kehrte also um und fand mit Googles Hilfe das Teehaus, das auf der hier früher Villa von Gustav Gründgens steht und war jetzt bereits mitten im Garten Eden. Umkreiste das Teehaus zweimal, überlegte ob ich dort einen Tee trinken sollte, fand es aber nicht sonderlich einladend und lief weiter durch den Englischen Garten, obwohl das wunderbare Reetdachhaus mitten im Englischen Garten des Tiergartens gelegen, wie ein englisches Landhaus aussieht und schon von daher sehr einladend wirken könnte. Vielleicht besuche ich dies Landhaus mit schönem Kamin einmal mit der Liebsten, doch da auf der Karte nicht mal Tee stand, verzichtete ich lieber auf einen erneuten Versuch, nachdem der letzte im dortigen Biergarten schon mehr als mäßig nur war, da ich dann zumindest in schönster Gesellschaft dort bin, was alles ausgleichen kann.
Garten Eden nennen die Berliner diesen Teil des Tiergartens auf ihre flapsige Art, weil Anthony Eden, der damalige britische Außenminister bei der Einweihung dieses im Stile eines Englischen Gartens angelegten Teil des Tiergartens am 25. Mai 1952 anwesend war. Nachdem infolge des Krieges im Tiergarten großer Kahlschlag geherrscht hatte, spendete König Georg VI. und britische Bürger 5000 Bäume aus ihren Privatgärten zur Errichtung des neuen Englischen Gartens in Berlin. Eine Geste der Versöhnung wenige Jahre nach Kriegsende vom Vater der heutigen Königin Elisabeth II., der wenige Jahre später verstarb, da die Belastung des Krieges ihn zu einem Kettenraucher gemacht hatte.
Die Anlage des Gartens mit kleinem See und vielen schönen Bäumen wird an der einen Seite durch den Garten von Schloss Bellevue und Neubauten des Bundespräsidialamtes begrenzt. Auf der anderen läuft die Eisenbahn und S-Bahntrasse und auf der, der Spree gegenüberliegenden Seite, die vierspurige Altonaer Straße, die zum Großen Stern führt.
Folgte den schönen Wegen im Dunkeln, in denen sich in Richtung der Gleise einige Zeltlager wohl befanden, die aber mangels Licht nicht weiter auffielen oder störten, kam vom Teehaus zum Bismarck Denkmal und ging von diesem schließlich zum Großen Stern, um den militärischen Gegenpart des Großen Kanzlers, den Feldmarschall Moltke, den bescheidenen Mecklenburger, freundlich zu grüßen.
Dort verließ ich den Englischen Garten wieder, ging durch den Tiergarten zurück in Richtung Kanzleramt, an dessen Südseite vorbei ich diesmal bis zum Reichstag vorbei flanierte. Hinter dem Reichstag schaute ich auf die Villa der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, in der zur Zeit die Koalitionsverhandlungen oder Vorgespräche stattfinden, warum sich dort auch immer Übertragungswagen des Fernsehens im Einsatz befinden. Ließ mich davon nicht weiter stören, folgte weiter der Spree, bis zur Museumsinsel, lief bei der Kanzlerin vorbei, nach ihrem Büro an ihrer immer bewachten Privatwohnung, die so prominent gegenüber dem Pergamonmuseum liegt, bestaunte den neuen Eingangsbereich der Museumsinsel von Chipperfield, der bald James simon Gallerie heißen soll, der an einen griechischen Tempel erinnert und von daher perfekt zum Stil der Insel passt, bog danach gen Oste ab, flanierte an Neuem Museum, mit uralten Schätzen und Alter Nationalgalerie mit der Kunst des 19. Jahrhunderts unter den Säulen vorbei und genoss die vielen schönen Blicke dort.
Verließ die Muesumsinsel wieder über die Friedrichsbrücke, die heute Fußgängern vorbehalten und bog sogleich links wieder an der Spree entlang in den James Simon Park ein, den ich der Spree auf der anderen Seite folgend nun durchlief.
James Henry Simon, dem zu Ehren der Park so benannt wurde, war ein Unternehmer der wilhelminischen Ära vor allem aber ein großer Förderer der Berliner Museen, Gesprächspartner von Wilhelm II., was nicht gegen ihn sprechen muss, sowie Finanzier zahlreicher wohltätiger Einrichtungen. MIt seinem Namen ist insbesondere der berühmte Kopf der Nofretete verbunden, den er dem Ägyptischen Museum in Berlin übereignete, das sich heute wieder im Neuen Museum befindet. Der Vater von James Simon, Isaac Simon, war jüdischen Glaubens und zunächst mit einem Geschäft für Herrenmode erfolgreich gewesen, das infolge des Sezessionskrieges in den USA, der den Export von Baumwolle nach Europa beendete, durch seine noch großen Baumwollvorräte bei explodierenden Preisen sehr erfolgreich wurde. So konnten die Brüder Simon in der preußischen Baumwollkrise von 1863/64 ihre großen Lagerbestände zum fünffachen Preis verkaufen.
Die rasch wachsende Firma war bis 1914 zum bedeutendsten Baumwollunternehmen in Europa geworden. James Simon, der das berühmte Gymnasium am Grauen Kloster besuchte, hatte eine Vorliebe für Latein, Griechisch, Geschichte und hätte gern klassische Philologie studiert, folgte aber dem elterlichen Wunsch und übernahm nach dem Tod des Vaters das Unternehmen. Simon war politisch liberal und Begründer des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, dennoch genoss er das Vertrauen des eigentlich erzkonservativen Kaisers. Simon entwickelte gegen Ende seines Lebens wohl sogar gewisse Sympathien für die Sozialdemokratie. Doch blieb er zeitlebens mit dem inzwischen nach Holland geflohenen Kaiser befreundet, was ihn aber nicht daran hinderte die Weimarer Republik aktiv zu fördern.
Mit dem Kaiser verband Simon das große Interesse für Ägypten und er finanzierte die Expedition auf den Spuren des Echnaton, der erstmals einen monotheistischen Staat aufbaute. Aus den dortigen Funden kam die Büste von Echnatons Frau Nofretete in den Privatbesitz Simons, der sie später dem Museum vermachte. Seine Villa in der Tiergartenstraße war schon vorher zu einem Privatmuseum geworden. Sein Berater beim Aufbau der Sammlung war Wilhelm von Bode, der eine große Rolle beim Aufbau der Berliner Museen spielte. Mittelpunkt seines Interesses war die italienische Renaissance, aus der er eine umfangreiche Sammlung zusammentrug.
Mit dem Bau des Kaiser Friedrich Museums, des heutigen Bode Museums um 1900 vermachte Simon einen großen Teil seiner Sammlung dem neuen Museum, in dem es ein Kabinett Simon mit einer Mischung so bunt wie in seinem Privathaus gab, die verschiedene Gattungen der Kunst nach Epochen zusammenführte.
Simon schenkte die Nofretete, inzwischen eine Berliner Berühmtheit 1920 dem Ägyptischen Museum und damit der Öffentlichkeit. In seinem letzten öffentlichen Auftritt sprach er sich dann für die Rückgabe der Büste an Ägypten aus, die jedoch bis heute verhindert wurde, was die Berliner stolz freut. Insgesamt verschenkte Simon jedes Jahr rund ein Drittel seiner Einkünfte zum größten Teil für soziale Zwecke, wollte aber nie viel darüber reden oder es dokumentieren, da nach seiner Aussage nichts belastender sei als Dankbarkeit. Das eigentlich noch 2017 zur Eröffnung vorgesehene neue zentrale Eingangsgebäude der Museumsinsel von Chipperfield soll den Namen James Simon Galerie tragen, um den großen Mäzen zu ehren.
Durch den Simon geweihten Park lief ich also mit Blick auf die Museen, die zahlreiche seiner Spenden enthalten und deren Sammlungen er in manchem erst groß machte. Unter der Eisenbahn hindurch verließ ich den Park und kam auf der anderen Seite in den Monbijou Park, der an das ehemals dort stehende Schloss erinnert, das im Krieg verloren ging und dann abgerissen wurde. Durchquerte diese schöne Parkanlage, in der sich heute auch ein Freibad und Liegewiesen befinden, der Spree folgend mit Blick auf das wunderschöne Bode Museum, in dem heute irgendeine feierliche Veranstaltung stattfand, zumindest sah ich auf dem Weg zur Kanzlerin einige Taxis dort halten und Damen in langen Kleidern und Herren im Smoking im Museum verschwinden.
Am Ende des Monbijouparks folgte ich der gleichnamigen Straße in Richtung Oranienburger Straße, die ich wieder ignorant nur überquerte, um über Krausnickstraße, Große Hamburger und den Koppenplatz zur Ackerstraße zu kommen und auf der üblichen Runde die letzten 7km über Gesundbrunnen, am Humboldthain vorbei, diesmal durch den Gesundbrunnen Center sogar, zurück auf den Berg und an den heimatlichen Platz zu kommen und als krönenden Abschluss von 38km an einem Tag, mir als Flaneur noch mit der Liebsten im Ohr, einen kleinen Riesling vorm Misirlou zu gönnen.
jens tuengerthal 3.11.2017
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