Mittwoch, 29. November 2017

Büchererotik

Kenne nichts sinnlicheres als eine schöne, gut bestückte Bibliothek, in der ich mit der Hand über die Buchrücken streiche. Sicher, der vollkommene Körper meiner Liebsten steht natürlich bei allem und immer außer Konkurrenz, weil er schlicht nicht zu übertreffen ist, doch sehe ich davon ab, und das geht ja auch nur uns was an, besinge ich vielleicht noch in der Lyrik, gibt es nur die Bücher und dann lange nichts sinnlich vergleichbares.

Für viele Menschen hat wohl die Musik eine ähnliche Wirkung und als wir noch Schallplatten hatten oder benutzten, war es ja auch irgendwie so, war auch die Musik aus der Konserve etwas, was wir in die Hand nehmen konnten. Denke ich an Thomas Manns wunderbare Beschreibung des Musikautomaten im Haus Berghof im Zauberberg, verbinde also Musik und Literatur, denke ich, es genügte wohl auch ein schönes Gerät gleich welcher Art, die Musik zu würdigen und erinnere mich wie ich das erste mal den Ring in der Bayreuther Aufnahme mit Böhm am Pult auf der heimischen Anlage hörte irgendwann Anfang der neunziger. Wie feierlich war es dann alle Stunde die Scheibe zu wechseln, um danach wieder in die Welt des Festspielhauses klanglich einzutauchen.

Doch ist Musik für mich nur Klang, schöner Klang zwar meist und beim Ring auch mit genug schlecht gereimten Versen dazu, aber doch etwas gänzlich anderes als die Erotik eines Buches, das ich in den Händen halte, Seite für Seite erobere, auch einmal gelesen, immer wieder hervorholen kann. Die Musik bleibt etwas unstet luftiges, was kaum erklungen, schon wieder vergangen ist, ohne Dauer und Bestand, hat sie, wenn es hoch kommt ein Echo und eine Niederschrift in Noten, die für mich ähnlich verschlüsselt ist wie chinesische Bücher.

Vielleicht ist es das mir so fremde Rätsel der Notation, dass mich fast immer Bücher vorziehen ließ, denn auch das vorgelesene Buch verhallt nicht anders als die Musik im Nichts der Klangwelten ohne Widerstand, während das gelesene, sich sinnlich in mich eingräbt, eins mit mir wird im Lesen, bis es nach dem Höhepunkt der letzten Seite wieder zugeschlagen wird. Doch mehr noch ist es die Tatsache, dass Notenwerke selten schön gebunden Bibliotheken füllen, keine Bücher eigentlich sind, sondern Mittel zum Zweck, daraus zu spielen - warum meist eine schwache Bindung bevorzugt wird und ich, unmusikalisch wie ein Thomas Buddenbrook, nie eine sinnliche Bindung zu ihnen entwickeln konnte.

Bedenke ich, welch magische Wirkung etwa alte französische Bibliotheken auf mich haben oder die vatikanische Bibliothek, jede Klosterbibliothek wie die wunderbare in St. Gallen hat, selbst wenn es dort nahezu immer nur um Fragen des Aberglaubens geht, den ich völlig uninteressant und irrelevant für mein Leben finde, kann die Lesbarkeit allein nicht entscheidend für mich sein. Natürlich hat gerade die Vatikanische in ihren Giftschränken auch viel, was Rom über Jahrhunderte sich verbat und was also auch geistig spannender ist als das Märchen vom lieben Gott, der dort noch gelehrt wird - auch große Denker wie Montaigne schätzten die dortige Bibliothek sehr und das obwohl er eine wunderbare Bibliothek sein eigen nannte, in dem kleinen Turm am einen Flügel seines Schlosses, mitten in seinen im Perigaud gelegenen Gütern voller Weinberge, in die er sich nach Jahren als Richter und Bürgermeister in Bordeaux völlig zurückzog, um dort seine bis heute genialen Essays zu schreiben.

Bezeichnend für die vatikanische Bibliothek ist vielleicht, dass dort die Bücher in wunderbar bemalten Schränken versteckt, dem profanen Auge auf dem ersten Blick unsichtbar sind. Die Mystiker halten den Geist gern im Verborgenen, was viel auch über die Schranken ihres eigenen Denkens verrät, weil sie die Freiheit mehr fürchten, als sie von ihrem eigenen Glauben überzeugt sind.

Wer fest im Glauben steht, muss nichts verbieten oder verteufeln. Woran wir auch merken, wie vorgestrig und unsicher der islamische Aberglaube noch ist, in dem die Gelehrten noch immer Fatwas gegen die Autoren unliebsamer Bücher aussprechen, was in der Wirkung der Inquisition vergleichbar ist. So ist diese Sekte noch zurückgebliebener als die anderen beiden großen monotheistischen zumindest im Umgang mit Büchern. Andererseits konnten sich viele Schätze der Antike nur über arabische Bibliotheken uns erhalten, weil die römischen Christen, wie jene in Byzanz, bis es an die Mauren für die letzten 500 Jahre fiel, was immer künftig sein wird, mit jener Stadt, die länger Byzanz und Konstantinopel als Istanbul hieß, wesentlich intoleranter früher noch waren, als es Muslime heute sind und darum auch alle Spuren vorheriger Kulturen in Europa auszuradieren bemüht waren.

Der Umgang mit Büchern und die Pflege ihrer Kultur sagt viel über den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft. Wir mögen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und virtueller Rechenspeicher, die auf Briefmarkengröße das Wissen einer ganzen Bibliothek speichern können und so trage auch ich auf meinem Telefon auch immer eine sehr umfangreiche Bibliothek mit mir herum, ohne dass sie ins Gewicht fiele, doch was bleibt davon in tausend Jahren, wenn schon heute die Programme von vor 30 Jahren keiner mehr virtuell lesen kann - verlieren wir all unser früher gedrucktes Wissen in virtuellen Welten, auf die wir nach Änderung der Programme durch fehlerhaft programmierte KI keinen Zugriff mehr haben?

Wenig wissen wir sicher, als auch uralte Bücher noch einfach aufzuschlagen und uns in sie mit dem, was uns die Natur von Geburt an als Fähigkeiten mitgab, irgendwie zurechtzufinden. Sicher, es hilft Lesen zu können, es sich nicht erst bei der Entdeckung der ersten Bücher selbst beibringen zu müssen aber zumindest können wir auch als Analphabeten noch ein Buch aufschlagen und etwas erkennen, wie ich als musikalischer Analphabet, wenn ich auf ein Notenblatt schaue, zumindest Punkte auf Linien sehe. Daten, die mit einer unbekannten oder vergessenen Software codiert sind, können wir nicht mal erkennen, sie sind für uns wertlos.

So schreibe ich hier zwar über die sinnlichen Vorteile der Bücher, die ihnen eigene Erotik, den Kitzel, der unsere Fortpflanzung noch nach Millionen Jahren reizvoll erscheinen lässt, auch wenn wir eigentlich längst gut wissen, wie es funktioniert, doch schadet es nicht, auch einen ganz manifesten Vorteil des Zugriffs zu erwähnen. Auch Gäste aus anderen Universen, die uns vielleicht irgendwann oder längst unsichtbar besuchten, können ein Buch aufschlagen und sich damit unser kulturelles Erbe ansehen.

Einen Rechner kann nur öffnen und die darauf gespeicherten Daten kann nur lesen, wer die richtige Brille dafür auf hat, also die Software kennt, sonst bliebe nur unlesbarer Datensalat übrig oder Bilder, die auch das zufällig bekannte Format haben müssen, um für andere lesbar zu sein. Ein Buch kann jeder Mensch öffnen. Lesen kann es jeder, der die Sprache kennt oder sich erschließt, was nach unserer Natur und unseren Anlagen möglich ist. Für die Lesbarkeit heutiger Software für kommende Generationen von vielleicht neuronalen Rechnern, die fest mit unseren eigenen neuronalen Netzen verbunden sein könnten, gibt es keinen Schlüssel in den Talenten unserer Natur.

Früher träumte ich davon, meine Bücher hinter Glas geschützt stehen zu haben, wie ich es aus der Familie kannte und es mir immer als Ideal wünsche, heute finde ich diese Vorstellung eher gruselig und beschränkt spießig. Im Gegenteil habe ich inzwischen sogar all meine Bücher nackt ausgezogen, also ohne Umschlag, möglichst vorne im Regal stehen, was nebenbei auch das Einstauben der Bretter verhindert, viel wichtiger aber ihre nackte natürliche Präsenz sichtbar macht.. Berühre gerne Bücherrücken im Vorübergehen, streichle meine Schätze zärtlich und möchte dabei nicht Papier berühren, dass bunt dem gerade aktuellen Geschmack irgendwelcher Verlage entsprechen, mehr Marketing als Kulturgut ist und wechselnden Moden unterliegt.

Die Vorstellung alle Bände einheitlich in Kalbsleder zu binden und mit meinem Wappen zu versehen, wie es früher in fürstlichen Bibliotheken üblich war und noch immer als höchster Luxus gilt, hat zwar etwas verlockendes, doch genügen mir Leinen und Pappe zum Glück vollkommen, solange sie mehrheitlich zumindest gebunden sind. Um mein Bett stehen die wunderbar gestalteten und edel gebundenen Bänder der Anderen Bibliothek und von Galiani und immer wieder ziehe ich den einen oder anderen heraus, sei es auch nur um wenige Seiten etwa Montaigne voller Genuss zu lesen, weil ein schönes Buch in den Händen zu halten, den Inhalt noch erhebender macht.

So gesehen habe ich ein zutiefst sinnliches Verhältnis zu Büchern, dass weit über den Inhalt hinausgeht, das Buch an sich zum Gegenstand meiner Lust macht. Beruhigend ist, dass es meiner Liebsten genauso geht, die sogar gern neue Buchseiten erschnüffelt beim ersten Öffnen, womit keiner auf die Leidenschaft des anderen eifersüchtig sein muss - wir gehen beide einander gern mit Büchern fremd, führen dies betreffend eine völlig offene Beziehung und gönnen gelassen jeder dem anderen die Leselust.

Wer keine sinnliche Beziehung zu Büchern hat, wird diese Ausführungen, fürchte ich, nie verstehen können. Auf eine Sache könne doch keine Mensch eifersüchtig sein, würden sie vielleicht einwenden und wissen nicht, wie viele Männer schon auf den Dildos ihrer Frau eifersüchtig waren, wenn sie je davon erfuhren. Wobei ich vermute, dass dies eher dann eher an der realisierten Frustration liegt, dass der Liebsten ihr Schwanz wohl nicht genügt.  So ist jede Eifersucht meist mehr in Selbstzweifeln als in tatsächlichen Ereignissen begründet. Mir ist solches Denken zum Glück völlig fremd und ich könnte meiner Liebsten lieber einen solchen schenken, ohne Neid zu empfinden, wenn sie meiner entbehren müsste, auch wenn ich sicher immer gerne an dessen Stelle wäre.

Wenn beide Bücher lieben und mit diesen und sich eine offene Beziehung führen, scheint dies der Gipfel partnerschaftlicher Harmonie, wenn auch Menschen, die eine Neigung zur Eifersucht oder Verlustängste haben, damit Schwierigkeiten haben könnten. Habe häufiger erlebt, dass Frauen sich von mir gegenüber meinen Büchern zurückgesetzt fühlten und nicht immer konnte ich ihnen, muss ich heute sagen, mit voller Ehrlichkeit widersprechen, sondern tat es nur belustigt amüsiert oder genervt. Andere reagierten eifersüchtig auf mein Telefon, das real mein Schreibgerät auch ist, also eine Art elektronisches Buch, was mir noch absurder vorkam.

Würde heute sagen, dass es nahezu nichts gibt, was ich der Gesellschaft meiner Bibliothek vorzöge. Die einzige, bei der es stets so wäre, teilt meine Liebe zu den Büchern und ist ganz nebenbei auch meine Frau wie ich ihr Mann womit beide ohne jede Büchereifsucht glücklich sind, den Gipfel geteilten Glücks wohl erreichen, der noch andere wunderbar erotische Aussichten gemeinsam hat, aber um unsere Liebe und Lust geht es hier ja nicht, sondern nur um die Erotik der Bücher, die wir beide zu gern streicheln wie einander.

Die Liebe zu den Büchern und die Erotik, die sie unabhängig von ihrem Inhalt für mich ausstrahlen, ist wo sie geteilt wird, schon der Gipfel der Lust. Wer dabei dann noch die Gnade erlebt auch in dem was andere für Erotik halten, die schönsten Höhepunkte zu teilen, hat im Leben wohl alles nur mögliche erreicht. Lehne mich zurück und denke gut so und schaue mir manchmal nur das Treiben der anderen mit einer gewissen Distanz noch an.

jens tuengerthal 28.11.2017

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