Dienstag, 7. November 2017

Nebelwanderer

Laufen, laufen, laufen, durch die Nacht, durch den Nebel, durch die Nacht

In der längst Dunkelheit am Platz gen Mitte losgelaufen, schien die Nacht noch klar wie der Tag sonnig, doch je weiter ich den Berg hinab gen Mitte kam, desto mehr, schien es sich zu bewölken. Die Museumsinsel lag schon im leichten Dunst als ich sie über die Brücke an der Alten Nationalgalerie betrat, der nicht mehr ganz runde Mond dort oben wirkte leicht umflort, als wüsste das Wetter noch nicht, was werden soll.

Ahnte nicht, was mich bald erwartete, lief am Haus der Kanzlerin vorbei, bewunderte zuvor noch die schlanken Säulen des Neubaus zwischen Pergamon und Neuem Museum. Nebel schien nur um die Koalition zu liegen, die noch verhandelt, ob sie sich die nächsten vier Jahre vertragen möchte - die Spree dagegen lag still und starr, als  wäre sie bei den deutlich gesunkenen, sehr herbstlichen Temperaturen bereits gefroren.

Am Reichstag hinab zum Fluss, zwischen den Häusern der dort Abgeordneten hindurch am südlichen Ufer war die Sicht noch klar aber es wurde langsam feuchter in der Luft. Nach der dem Feldmarschall Moltke geweihten Brücke zum Kanzleramt am Wasser flanierend stieg erster Dunst in Schwaden auf, doch schien alles vor mir noch klar. Auf dem dunklen Weg zwischen dem Haus der Kulturen der Welt, ein Name, der schon wie verzaubert klingt, und Schloss Bellevue schließlich stieg der Nebel aus Fluss und Wiesen, legte sich wie ein weißer Schleier über die Landschaft.

Die große Stadt wurde weichgezeichnet, verlor ihre Ecken und Kanten, alles hüllte sich langsam in zarte Watte. Der einsame Wanderer mit seiner Liebsten in Dublin im Ohr folgte dem Ufer bis zum Schloss, schaute fasziniert gen Siegessäule, die schon unsichtbar war, überquerte die Lutherbrücke, auf der sich das Spiel von Licht und Nebel in den alten Laternen so wunderbar zeigte, schaute noch weit über den Fluss, dessen anderen Ufer er nun folgen wollte.

Dort am schön beleuchteten Magnus Hirschfeld Ufer wurde der Nebel langsam aber stetig immer dichter, vorbei an den Wohnungen der Abgeordneten in ihren Neubauten von halbrunder Form zwischen Ufer und S-Bahn, kam das blumig schöne Denkmal für die verfolgten Homosexuellen inmitten und war schließlich das Kanzleramt bereits in den Nebel eingetaucht. Das weißgrau umgab mich feucht kühl, wärmend nur die Stimme der Liebsten im fernen Dublin und wie groß wird die Sehnsucht des Wanderers, wenn er allein im Nebel spaziert, dessen kalte Feuchtigkeit immer zudringlicher wurde, der mich umgab, als liefe ich in Wolken.

Auf Höhe des Bahnhofs dann wieder aufgestiegen vom Fluss, um auf der Hugo Preuß Brücke die Einmündung zum Nordhafen zu überqueren. Sah den Bahnhof und die ganzen neuen Häuser um ihn bereits vom Nebel eingehüllt - die sonst klare Formensprache moderner Architektur schien romantisch weichgezeichnet, als hole sich die Natur mit einem starken Atemzug zurück, was ihres immer bleibt, stiege die, von manchen Urmutter genannte, aus der Spree und legte ihr weißes Band über alles.

Menschen bauen Städte, in denen die Natur unbemerkbar manchmal wird. Ihr Werden und Vergehen nur beim Besuch im Park noch sicher sichtbar ist, zwischen den Häusern aber, den Bürotürmen und Bettenburgen am Bahnhof im ehemaligen Grenzgebiet, scheint sie verdrängt und das Wetter egal, bis es plötzlich sich wieder über alles legt und die Landschaften der vermeintlichen Zivilisation weichspült im Nebel, bis sie ganz darin verschwinden. Nichts wird der Mensch im Nebel, der alles bedeckt, die Orientierung nehmen kann und manchen Wanderer schon in die Irre führte.

Der Wanderer kannte den Weg am Flussufer und doch erkannte er seine Stadt kaum wieder, als immer mehr verschwand im weißen Dunst, klare Linien, wie sie in der Hauptstadt des früher Preußens sonst vorherrschen, verschwanden unter dem überall Weichzeichner der Natur, manches wurde schon unsichtbar - vom Fernsehturm, der sonst immer Orientierung auch im nächtlichen Berlin, war nichts mehr zu sehen.  Die klaren Kanten der Angeordnetenhäuser in ihrer schicken modernen Architektur verschwammen mit dem immer noch starren Wasser im Nebel zu etwas unklarem.

Wieder durch die Mitte in Richtung Ackerstraße, schien der Nebel weniger, bis ich mich über die Ackerstraße dem Gesundbrunnen näherte und am dort Humboldthain vorbei lief aus dem, als habe sich die Natur an ihren letzten Wohnorten in der Stadt aufgerafft, die große Stadt weich zu zeichnen, die weißen Schwaden sich über den alten Arbeiterstadtteil legten. Die S-Bahngleise hinunter an der Wiesenbrücke leuchtet sonst in der nahen Ferne schon das Gesundbrunnencenter durch die Nacht - heute waren es nur matte Lichter irgendwo ohne Form. Über die Brücke der dort vielen Gleise, hatte sich der Nebel bereits weit gelegt, das unendliche Gewirr von Schienen und Tunnels, Brücken und Wegen verschwand an den Rändern bereits völlig, der alte Grenzübergang an der Bornholmerbrücke, war nicht mehr zu sehen. Die Baustellen am Rande des Mauerparks, um die so lange gekämpft wurde, verschwanden weichgezeichnet im Nebel mit wenigen noch sichtbaren Lichtern.

Auch der heimatliche Platz schien bei der Rückkehr weichgezeichnet, noch war nichts verschwunden, der Nebel brauchte vom Fluss bis auf den Berg ein wenig, als der einsame Wanderer mit der Liebsten im Ohr das gemeinsame Haus schließlich nach 22 km wiederfand, froh der feuchten, kühlen Landschaft ins trockene wärmere Heim zu entkommen.

So nimmt sich die Natur im Nebel die Landschaft wieder und verbirgt alles, was uns sicher scheint im weißen Dunst, der sich wie Watte über alles legt. Dies mag nur eine Illusion sein und wenn sich der Nebel am Morgen wieder verzogen hat, wird vermutlich alles noch an seinem Ort stehen, doch zeigt sie uns zugleich, wie klein wir sind und wie wenig mehr als eine Nebelschlussleuchte wir ihr entgegen stellen können, wie vergeblich alle Versuche, sie zu beherrschen sind. Ob es darum illusionär ist, zu meinen, wir könnten das Klima durch Wohlverhalten beeinflussen oder Katastrophen vermindern, wenn wir mehr auf die Natur hören, möchte ich nicht sagen. Im Gegenteil macht der Nebel mich eher bescheiden, weil er deutlich macht, wie schnell die Natur alles, was uns sicher und fest scheint, zumindest für das Auge verschwinden lässt und wie wirklich ist die so Wirklichkeit schon?

jens tuengerthal 6.11.2017

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