Den Berg hinab, um Kunst zu betrachten ging es heute, die neuesten und die ältesten Werke Berlins, wollte ich sehen
Vom Helmholtzplatz über das Brandenburger Tor durch den Tiergarten zur Gemäldegalerie war der geplante Weg und ich lief ihn mit der Liebsten im Ohr auf dem schnellsten Weg, um noch Zeit in der heute bis 20h zumindest geöffneten Gemäldegalerie zu haben.
Die Schönhauser Allee hinunter, um noch ein wenig Dampf machen zu können und von dieser am Senefelderplatz in die Schwedter Straße, durch Templiner und Zionskirchstraße erreichte ich mit Überquerung dieser bereits den Bezirk Mitte, in den ich die Choriner hinunter noch weiter eindrang, die ehemalige Stadtmauer überquerend, die heute nur noch Straßenbahnschwelle ist, gelangte ich zur Linienstraße, der ich bis zum Koppenplatz folgte. Von dort ging es südlich in die Große Hamburger Straße bis zur Krausnickstraße, an deren Ende ich die Museumsinsel schon im Blick die Oranienburger überquerte, um gegenüber am Monbijou Park entlang, der nach dem früher hier gleichnamigen Schloss benannt wurde und mich direkt zum Bode Museum führte, das ich aber links liegen ließ, auch wenn ich damit dies wunderbare Haus heute sicher nicht gebührend würdigte, doch folgte ich weiter dem Kupfergraben gen Westen, bis zur Geschwister Scholl Straße, die nach der Georgenstraße zur Universitätsstraße wird, die ich an der Dorotheenstraße wieder westlich hinter der Universitätsbibliothek entlang in selbige verließ. Auf der Dorotheenstraße blieb ich, die Friedrichstraße noch überquerend bis zu ihrem Ende an der Wilhelmstraße, in die ich wieder südlich oder nach links abbog, um zum Pariser Platz zu kommen.
Dort fand sich eine große Menge an luxuriösen Limousinen - wohl für einen größeren Empfang in der gut bewachten französischen Botschaft. Ignorierte dieses gewiss bedeutende politische Ereignis, zu dem mich auch keiner einlud, was ich vielleicht angesichts der dort gereichten vergorenen französischen Getränke vielleicht bedauern könnte, aber nicht tat, da ich ja für die Kunst unterwegs war.
Genau in der Mitte auf dem ehemals der kaiserlichen Familie vorbehaltenen Weg durchquerte ich als freier Berliner Bürger das Brandenburger Tor und sah schon vor mir das Monument von Manaf Halbouni, das im Rahmen des 3. Berliner Herbstsalons vom Gorki Theater, das bereits von Februar bis April die Dresdner auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche in dort üblicher fremdenfeindlicher Weise empörte, einen typisch sächsischen Skandal auslöste, weil der Freistaat eben eher unfrei ist.
An Berlins zentraler Stelle standen nun auch die drei aufrecht stehenden Busse, die an die Situation der syrischen Flüchtlinge erinnern soll, in dem es an eine Straßensperre erinnert, die in gleicher Weise in Aleppo errichtet wurde, um die Zivilbevölkerung vor den Scharfschützen dort zu schützen. Hier empörte sich niemand. Einige betrachteten es ruhig, viele machten Fotos, sah aber keinen, der seinen Sefie-Stab angrinste. Eine gute Idee an einem zentralen Punkt, die nachdenklich macht und zumindest einige innehalten ließ. Am Kunstwerk standen Mitarbeiter des Gorki-Projekts für Fragen zur Verfügung, reichten auf Wunsch Flugblätter, viele lasen die Beschreibung genau. Sah kein Kopfschütteln und keine Aufregung. Auch an Berlins zentralem Symbol fühlte sich keiner durch das Kunstwerk provoziert - es wurde schlimmstenfalls ignoriert, wenn es auch keiner übersehen konnte, machte es so zum Thema, was viele gern verdrängen - die syrischen Flüchtlinge suchten nicht Wohlstand sondern Frieden im Land, ihretwegen öffnete die Kanzlerin die Grenzen, um eine unmenschliche Situation mit ihrem schlichten “Wir schaffen das” zu beenden. Daran in der Diskussion um Obergrenzen zu denken, scheint mir wichtig.
Nachdenklich aber zügig ging es weiter in den Tiergarten, um noch ein wenig Zeit in der Gemäldegalerie zu haben. Von dessen gerader Durchquerung im Dunkeln gibt es nicht viel zu berichten, außer dass mir wie immer viele Radfahrer und Läufer begegneten, von denen irgendwo am Rand des Tiergartens ein Nest zu sein scheint. Gegenüber der Philharmonie angekommen, überquerte ich die Tiergartenstraße, ging geradeaus in die Herbert von Karajan Straße, die ich zum Matthäikirchplatz verließ, um die lange schiefe Ebene zum Kulturforum zu erklimmen.
Dort angekommen, schloss ich alles überflüssige ein, zeigte meine Jahreskarte der Staatlichen Museen, die für einen Berliner ein unendlicher Fundus und Hort des Glücks ist, der Zutritt zu den wichtigsten Museen gibt und die eben auch zum schnellen Besuch mal zwischendurch einlädt und betrat die heiligen Hallen der Kunst, in der die Sammlungen vor 1800 noch hängen. Überraschend schön und neu stand die sonst große und leere Wandelhalle unter dem Motto in neuem Licht und präsentierte eine große Sammlung mit 70 sonst nicht gezeigten Werken entsprechend dem, was in den Räumen hinter der Halle sonst gezeigt wird, in einem riesigen Raum mit halbhohen Stellwänden in unterteilt. Alles in blau getaucht war das Flanieren im Verbindungselement Wandelhalle ein ganz neues Erlebnis, eine kleinere Gemäldegalerie als Schatzkästchen in der großen ließ durch die Jahrhunderte flanieren und spiegelte, was in den Räumen dahinter hing. Auf der rechten Seite beginnend mit früher Kirchenkunst des Mittelalters, niederländischen und deutschen Meistern, dem goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei, hin zur Kunst des 18. Jahrhunderts bis zum Rokoko, von dort nach Italien und Spanien, wo ein wunderbarer Velazquez von Karl V. in voller Rüstung beeindruckte, endete die erste Runde bei der italienischen Renaissance mit wunderbaren Altarbildern und einzelnen typischen Portraits aus der Blütezeit Italiens.
Nach dem ersten neuen Rundgang, machte ich mich auf dem Weg zum üblichen Rundweg durch die dort Kabinette und gleich im ersten stieß ich auf einen strahlend schönen weißen Busen von Jean Fouquet aus dem Dyptichon von Melun für die dortige Stiftskirche, das sonst in Antwerpen hängt. Die Madonna ist der rechte Flügel des getrennten Dyptichon, dessen linker Flügel mit dem Stifter Étienne Chevallier mit dem heiligen Stephanus zum Bestand der Berliner Sammlung seit 1896 gehört und beide zusammen gehören zu den wohl schönsten Hauptwerken der französischen Kunst vor 1500. Dazu kommt noch ein Emaille Medaillon mit einem Selbstportrait des Künstlers, das sonst im Louvre steht. Weitere Bilder von Jan van Eyck, Rogier van der Weider und Petrus Christus, erläutern die kleine exquisite Sammlung, so auch das Bild van Eycks, das Bildnis von Agnes Sorel, der Geliebten des Königs, deren Züge sich im Gesicht der Madonna finden sollen, die stolz stillend ihren fast ironisch runden Busen in schneeweiß präsentiert. Dazu kommen noch Zeichnungen, die den Kontext des Werks und den Weg zu ihm erläutern.
Eine bildschöne, weiße Madonna mit perfektem, fast unnatürlich rundem Busen, welche die Züge einer Geliebten des Königs trägt als hocherotisches Altarbild - das ist schon so genial und zeigt den französischen Sinn für Schönheit und das Spiel mit der auch öffentlich gelebten Erotik einfach wunderbar. Die Frau als Subjekt der Anbetung gibt trotz allem christlichen Schmuck und passender Symbolik diesem Gemälde eher den Charakter eines dionysischen Altargemäldes und das mit einem Augenzwinkern auf die christliche Prüderie in einer Kirche aufzustellen, zeugt von guter Kenntnis des menschlichen Wesens. Eine wunderbare kleine Kabinettausstellung, bei der mich nur der autoritäre Wärter verärgerte, der mich mit Gewalt am Fotografieren hindern wollte und zunächst lautstark die Löschung der Bilder verlangte.
Ignorierte ihn höflich lächelnd, verließ den Raum und er folgte mir nicht allzulange in den Bereich seiner Kollegen, sondern beließ es beim peinlichen Versuch seine Allmacht als Wärter im Bilderzoo gezeigt zu haben. So konnte ich diese prächtigen weißen Kugeln fern aller anatomischen Realität zumindest ein wenig von der Seite ablichten und sie waren sicher einen Blick wert.
Vor Dürers Madonna mit dem Zeisig einen Moment andächtig verweilend, diesem deutsch-italienischen Meisterwerk der Renaissance, die so leuchtend einen Quantensprung von der in Fouquets Diptychon entfernt scheint, wenn sie auch, vielleicht typisch deutsch, jeder Erotik eher entbehrt. Die weisen dafür die beiden Venus von Cranach und dessen Jungbrunnen zur genüge auf, die ich nur kurz besuchte heute, da sie von einem Malkurs junger Damen belagert war, dessen amüsante Produkte den Boden dekorierten, während die selbigen deutlich dekorativer ihrer Führerin lauschten.
Ein kurzer Zwischenstopp bei der kleinen Kabinettausstellung zu Luther anläßlich des 500. Jahrestages seines Thesenanschlags in Wittenberg lichtete ich eher im familiären Interesse ab, betrachtete ich bloß schnell - einige sehenswerte Blätter aber ich kann den Spalter und Antisemiten nicht leiden, so viel er auch mit seiner Bibelübersetzung für die Etablierung des Hochdeutschen getan hat. Der Mann, der die Renaissance in Deutschland durch die Reformation ersetzte, damit die geistige Freiheit dieser Bewegung, die in Italien begann, hier beendete, wird hierzulande viel zu viel gewürdigt für meinen Geschmack, er war in der Wirkung ein Bremser und kein Reformer.
Natürlich war seine Kritik an Rom und dem Ablaß, der den Petersdom und die Orgien finanzieren sollte, berechtigt, ist der Aberglauben mit Heiligen und Reliquien dort für jeden vernünftigen Menschen einfach lächerlich - doch wird der eine Aberglaube nicht besser, wenn ich ihn durch einen anderen, vermeintlich reineren Aberglauben ersetze - es bleibt ein solcher und so hat die Reformation eine Bewegung hin zur Befreiung vom Aberglauben verhindert, die mit der Wiederentdeckung des Lukrez und der Lehren des Epikur damit auf einem guten Weg war.
Doch die Gegenreformation und die Schlachten um den rechten Glauben in Europa, die nicht nur in Nordirland bis heute fortdauern, die auch Bayern immer wieder vor dem Bundesverfassungsgericht verliert, haben die Befreiung der Menschen aus dem Reich der Unvernunft und des Glaubens verhindert. Bis heute beruft sich etwa die sehr gute und vernünftige Verfassung der Bundesrepublik auf einen erfundenen Gott, egal welcher Konfession und es gibt Eide auf das Märchenbuch Bibel durch führende Politiker, was nur durch Tradition noch zu rechtfertigen ist aber jeder Freiheit Hohn spricht und Europas Werte verspottet.
Der Aberglaube hat in einem vernünftigen Land nichts im Staat verloren und gerade der Terror des Islam könnte uns dies besser lehren - aber hier ging es ja nur um den Reformator Luther und warum ich ihn ungern anschaue und mehr als kritisch sehe, ganz abgesehen davon, dass sein übler religiöser Antisemitismus gegen den Gründer seiner Sekte gerichtet schon paradox genug ist, diesen Irren nicht weiter ernst zu nehmen.
Dennoch waren die Stiche künstlerisch ganz nett und gaben ein schönes Bild der Lutherzeit in der sich Deutschland entscheidend veränderte, wenn auch nicht zum Guten hin, warum ich den Moment dort nicht bereute.
Ging die gleiche Runde nun innen, wenn auch manches Kabinett angesichts der fortgeschrittenen Zeit schneller durchschreitend und auch vor Breughels Bauernwimmelbild sammelte sich die nächste Traube junger Damen, warum ich beide lieber zügig ignorierte. Rembrandt bewundernd und ein Lächeln für Vermeers Licht ging es zu den Engländern und bei Prinz Heinrich, dem kleinen Bruder des Alten Fritz, der neben dem wunderbaren Selbstportrait der großen Berliner Malerin Dorothea Therbusch hängt, im Raum in dem auch das letzte Portrait Mozarts hing, den ich nochmal für meine Prinzessin ablichtete, gongte es und kam die Durchsage, dass nun geschlossen würde und zügig schweifte ich durch die nächsten Räume, Venedig und italienische Knabenerotik, Habsburger Familienbilder als Ausweis der zu vielen Inzucht, bis ganz am Ende vorm Ausgang, der auch Eingang ist, die italienische Renaissance mein Herz erwärmte. Großartige Bilder, die mit dem neuen Raum als Entdeckung der Zeit experimentieren, menschliche Gesichter zeigen, wie sie das Mittelalter nicht kannte.
Wieder aus dem Museum aufgetaucht, ging ich zügig durch den Tiergarten zurück, wollte am Bundestag vorbei zur Spree, doch die fortdauernden Sondierungen, die noch nicht mal Koalitionsverhandlungen sind, heute in großer Runde, die ein Ergebnis wohl bringen sollten, hinderten mich am direkten Weg - die Koalition erreichte nichts bis zum Morgen, vertagte sich auf das Wochenende, an dem hoffentlich der nervige Horst endlich fällt und ich folgte der Bundesstraße 2, die dort Dorotheenstraße noch heißt, ging an ihrem Ende links gen Norden, überquerte die Marschallbrücke, lief ein wenig immer meine Liebste im Ohr die Luisenstraße hinab, bog in die Marienstraße ein und setzte mich endlich einmal vor die Böse Buben Bar, was ich mir schon so lange vorgenommen hatte.
Es dauerte etwas, bis mich jemand bei der zugegeben recht frischen Luft draußen wahrnahm, doch schließlich bekam ich einen feinen, trockenen Rioja und genoß ihn dort auf einem der Felle, den Blick nach Innen auf die dort wunderschönen Bücherregale. Beim Gehen, noch einmal die dort Örtlichkeiten konsultierend, stellte ich fest, sie haben sogar ein Kindler Literaturlexikon auf dem Zigarettenautomaten zwischen den Klos stehen, zu dem sich noch eine kleine Herder Ausgabe gesellte. Hierher werde ich wieder mit der Liebsten kommen, um in einem Café voller Bücher die Stimmung gemeinsam zu genießen.
Über die Reinhardstraße, am gräßlichen Friedrichstadtpalast vorbei, dem spießigen Utensil aus DDR-Zeiten, das tut, als wäre es ein mondänes Varieté, wozu ihm bei der Vergangenheit logisch entscheidendes fehlt - Stil und Schönheit, über Oranienburger und Auguststraße zum Koppenplatz, beendete ich den Rundgang wie üblich über Ackerstraße und mit den Hussiten am Humboldthain vorbei, durch den Gesundbrunnen und heim nach 24 km mit der Liebsten immer im Ohr.
jens tuengerthal 16.11.2017
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