Sonntag, 26. November 2017

Romanform

Was ist die Form des Romans unserer Zeit?

Wer einen Roman erzählen will, sollte sich 117 Jahre nach dem Erscheinen der Buddenbrooks und 93 Jahre nach dem Zauberberg fragen, was heute zeitgemäß ist. Kunst geht, wenn sie etwas taugt, ihrer Zeit voraus, setzt aber auch gerne einen Kontrapunkt zum üblichen Denken, regt neues an, wenn sie mehr als nur eine Beschreibung dessen was ist, abliefern will.

Werden Romane besser, wenn sie die aktuelle, technisierte und denglisch verbogene Sprache der Jugend nutzen oder werden sie dann nur noch lächerlich?

Kaum denke ich und halte dies wie vieles für eine nur Mode, die ich schreibend nicht zu ernst nehmen sollte, wenn ich Bleibendes schaffen möchte. Es kommen zwar immer mal wieder Jugendworte in den Duden, sind frühere Slang-Worte, die ein Thomas Mann höchstens provokativ in der Umgangssprache mal genutzt hätte, längst keine Provokation mehr, sondern gewöhnlicher Umgang geworden und stören niemand mehr. Zugleich nutzen wir technische Ausdrücke für das Netz, mobile Kommunikation oder soziale Netzwerke, die Worte wie googeln oder tindern zum guten Sprachgebrauch machten.

Das Vokabular wird durch das jeweilige Sozialverhalten geprägt und wenn Jugendliche sich eben über das Netz verabreden und kommunizieren, sich in sozialen Netzwerken eher kennenlernen als in der Bar um die Ecke, prägt dies auch die Sprache und während es von räumlichen Schranken befreit, sich Menschen aus aller Welt verabreden und treffen können, macht es zugleich auch abhängig von der Technik, mit der wir uns verbinden, vom Netzzugang und anderen Ungewissheiten.

Während Goethe noch unruhig mehrmals täglich Boten zur verehrten Charlotte von Stein sandte, als diese sich nicht in der direkten Nachbarschaft sondern auf ihrem einige Kilometer entfernten Landgut befand, sind solche Distanzen heute kaum ein Lächeln wert, verabreden wir uns über jede Distanz via Whatsapp und telefonieren in Europa ohne Ende kostenlos miteinander, dahingestellt, ob diese Möglichkeit in allem immer ein Gewinn gegenüber der Goethezeit darstellt.

Nachdem meine Liebste mich in einem sozialen Netzwerk  entdeckt hatte, setzte sie die entsprechenden Zeichen, auf die ich, ahnungslos alt, wie ich in der Beziehung wohl bin, erst mit einiger Verzögerung reagierte. Sie kannte sich dort viel besser aus als ich, obwohl sie doch so viele Jahre jünger ist als ich und war damit wie meine Tochter ein Kind dieser Zeit, in der ich auch lebe, die aber auch eine fremde andere schon für mich ist in vielem, der ich geboren wurde, bevor es Computer wirklich gab, als vom Internet noch keiner was ahnte und der bereits sein Studium beendete, bevor soziale Netzwerke überhaupt erfunden wurde.

Schließlich verständigten wir uns doch, fanden uns über die in jeder Hinsicht große Distanz zwischen Berlin und Schwaben sehr schnell zusammen, überwanden alle Hürden, die sich dem noch entgegen stellten in uns und um uns und lebten die schönste Liebesgeschichte, die sich je in einem sozialen Netzwerk fand, das noch dazu seine Nutzer nur auf oberflächliche Bildchen reduziert, weil das wovon es ausgeht nicht das, was ist, prägen muss.

Warum ich nun wieder von meiner wunderbar romantischen Liebesgeschichte erzähle, die sich in sozialen Netzwerken so unerwartet fand?

Weil sie typisch ist für die Liebe in unserer Zeit, wie ich es auch bei meiner Tochter beobachte, die ihre Flirts dort kennenlernt, länger nur virtuell pflegt, bis beide sich irgendwann ganz real treffen oder auch nicht und dann mehr oder weniger enttäuscht eine Beziehung versuchen oder nicht. Während Goethe noch revolutionär mit dem Werther einen Briefroman schrieb, der wunderbar tragisch mit dem Freitod des Protagonisten endet, der die Jugend Europas bis in die Romantik hinein aufwühlte, den angeblich auch Napoleon las und von da an immer bei sich trug, der ihm später peinlich war, als Autor des Faust  und des Wilhelm Meister.

Doch hatte Goethe andere Gefühle als ich oder beschreibt er eine andere Situation als sie meine Tochter heute emotional erlebt?

Es gibt mit der virtuellen Welt einen neuen Raum, in dem sich die Liebenden bewegen, aber verändert dieser, was an der Art, wie sie sich begegnen?

Klar, Goethe kannte keinen Cybersex, aber wirklich spannend ist es doch, wenn du mit wenigen Worten und ohne Technik den anderen verführen und berühren kannst und daran hat sich von damals bis heute nichts geändert. Ob die Worte mit der Feder geschrieben oder ins Ohr gehaucht werden, um zu verführen, zu berühren, ein Herz zu gewinnen oder doch nur mittels Software elektronisch versandt und mittels eines selbstleuchtenden Lesegeräts gelesen werden, ist für die emotionale Wirkung nicht relevant.

Wenn ich mit einem meiner Freunde, der im Rollstuhl sitzt, über Sex plaudere, meinen wir beide das gleiche und beschreiben es nur unterschiedlich. Als ich mal eine einbeinige Geliebte hatte, war das zwar erstmal ungewohnt, wie für Goethe der Umgang mit dem Netz gewesen wäre, aber war dann doch so gut oder schlecht wie immer, da nicht die äußeren Umstände über die Qualität der Lust entscheiden, sondern das Gefühl dahinter.

Doch wie es nicht allen Menschen gegeben ist, sich auch physisch völlige Erfüllung gegenseitig zu schenken, dachte früher, es sei nur eine Frage der Technik, dazu müssten nur die richtigen Stellen korrekt stimuliert werden, und habe aber mit den Jahren lernen müssen, dass es auch an der Natur also der Physiognomie liegt, was zwei miteinander empfinden können oder nicht, dass der gemeinsame Höhepunkt für die meisten ein nur theoretisches Wunder bleibt, während es für andere ganz normal ist, so unterscheiden sich auch die Formen der Zuneigung sehr und haben sich doch auf ihre Art nie verändert. Was Goethe in seinen Briefen an die Stein schrieb oder Casanova in seinen Tagebüchern kann ich genau so nachempfinden und wie oft habe ich mich schon als Werther gefühlt, auch wenn ich nun erst die wirklich große Liebe entdeckte, die alles andere wertlos erscheinen lässt, verglichen, wäre sie nicht immer unvergleichlich.

Wenn sich aber nichts ändert in der Sache, nur die Formen etwas andere sind, wie die Technik beim Sex eine andere ist, wenn wir endlich gelassen begreifen, es kommt auf den nervus pudendus an, von wo aus und wie wir ihn auch immer reizen, um zusammen Befriedigung zu finden und nicht nur fälschlich bloß gemeinsames Onanieren für Sex zu halten, aber über allem doch das durch alle Zeiten gleiche Gefühl füreinander und die Hingabe aneineinander entscheidet, ob es gut war, dann wird es auch nicht darauf ankommen ob der Sex virtuell via Whatsapp-Nachrichten begann oder wie in den Gefährlichen Liebschaften als der eine die Lust der Verehrten in einem Brief beschwört, den er auf der nackten Haut der anderen mit einer sie kitzelnden Feder schrieb, die diese noch stimulierte.

Es müsste sich nichts ändern, es passten sich nur einige Techniken an den heutigen Stand der Technik an aber die Sache bliebe immer die gleiche und so bräuchte ich, was das zentrale Thema der Liebe betrifft, die uns doch alle immer wieder umtreibt, nichts ändern, um darüber noch aktuell schreiben zu können, als bei den Formen der Kommunikation die Werkzeuge anzupassen, doch hat sich da auch seit biblischen Zeiten nie etwas geändert, wie wir leicht in den immer noch erregenden Zeilen des Hoheliedes nachlesen können, einer der schönsten Texte der Erotik und noch dazu aus dem Bereich des Aberglauben.

Bedenke ich, dass König Salomo, der angebliche Erbauer des Tempels zu Jerusalem nach den Angaben des Märchenbuchs Bibel etwa im 10. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte, wenn es ihn historisch außerhalb der Bibel denn überhaupt gab, ist die ganze Geschichte ungefähr 3000 Jahre her. Nehmen wir die indischen Veden mit noch mehr Aberglaube aber nicht weniger Erotik, können wir sogar noch 500 Jahre weiter zurück gehen. Daran gemessen ändert sich nie etwas und seit Menschen schreiben und dichten können sind Liebe und Lust neben dem sie beschränkenden Aberglauben ein zentrales Thema.

Das andere große Thema ist die Geschichte selbst, über die ihre Chronisten mehr oder weniger lyrisch oder objektiv berichten wollten. Homer schrieb tatsächlich Geschichte in Versen in der Illias und vermutlich teilweise auch in der Odyssee -  vielleicht werden wir es irgendwann beweisen können. Vierhundert Jahre nach Homer, der mehr als Epiker, denn als Historiker gesehen wird, auch wenn er sicher beides war, schrieb Herodot Geschichte, der noch heute als ein Autor von erstaunlicher Größe und ungeheurer Wirkung gilt. Er versuchte den Menschen einen Eindruck von der ganzen ihm bekannten Welt zu vermitteln, wie er sie sah von den Bräuchen und Sitten der Völker, die er auch selbst besuchte. Er selbst sagte über sein Werk:

„Dies ist die Darlegung der Forschung (griech. Historie) des Herodot aus Halikarnassos, damit die Taten der Menschen nicht durch die Zeitläufe vergehen, damit die großen und bewundernswerten Taten nicht ruhmlos vorübergehen, die auf der einen Seite von den Griechen und auf der anderen Seite von den Barbaren an den Tag gelegt wurden. Das alles hat er dargelegt, sowie aus welcher Ursache sie einander bekriegt haben.“
– Herodot: Proömium der Historien

Er hat den Anspruch, zu sagen, wie es war und hat für seine Schriften gut recherchiert, mit vielen Menschen vor Ort gesprochen und sie befragt. Dennoch kamen schon früh Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Aussagen auf. Plutarch etwa nannte ihn in einem Traktat einen Lügner. Heute wird er als ein für seine Zeit erstaunlich gut und methodisch arbeitender Berichterstatter gesehen, auch wenn andere immer noch meinen, er habe viele seiner Quellen frei erfunden und täusche immer wieder nur vor, Augenzeuge gewesen zu sein. Nach heutigem Wissen, gibt es dazu immer noch keine einheitliche Meinung. Die Schule der Lügner, wie diejenigen genannt wurden, die Herodot für einen solchen hielten, konnte sich jedoch auch nicht durchsetzen und so wird weiter gestritten. Zumindest wurde durch die Auseinandersetzung die Quelle Herodot ein wenig infrage gestellt aber auch in der Diskussion wach gehalten.

Auf dieses Problem stoßen alle Geschichtsschreiber irgendwann, besonders wenn sie noch dazu sogar politisch Position beziehen wie Herodot slebst, der aufgrund seines Engagements für die Demokratie und gegen die Tyrannis sogar seine Heimat verlassen musste und trotz späterer Aufhebung der Verurteilung nie wieder zurückkehrte.

Das weltweit bekannteste auch historische Werk ist wohl das Märchenbuch Bibel, das die Geschichte des jüdischen Volkes, im Lichte des ältesten noch existierenden Aberglauben erzählt. Es sammelt Sagen und Geschichten des Glaubens, die sie mit wirklichen Teilen aus der Historie mischt, damit war es, auch durch die an seine Tradition anknüpfenden jüdischen  Sekten namens Christentum und Islam, unglaublich erfolgreich und kein Buch ist wohl im Laufe der Zeit häufiger gedruckt worden und wurde für so lange Zeit zum Maßstab der Sicht auf die Welt und ihre Geschichte, ist dies in vielem auch noch bis heute.

Noch immer gibt es etwa Kreationisten, welche die dort erzählte Schöpfungsgeschichte als wahr betrachten und zur Grundlage ihrer vom Aberglauben geprägten Wissenschaft machen, es mit ihrer absurden Sicht der Dinge teilweise sogar bis in aktuelle deutsche Schulbücher schafften, in dem sie versuchen, die Wissenschaft, welche die Dinge logisch erforscht und erklärt, auch als einen bloßen Glauben zu betrachten. Ihre Geschichtsschreibung beruht auf der Bibel, nimmt sie als wahr an und erklärt ihren Anhängern damit die Welt. Damit sind sie so erfolgreich, dass sie auch in den USA in einigen Staaten ernsthaft als Sichtweise an den Schulen gelehrt werden dürfen und damit der Infragestellung aller Vernunft und Logik natürlich Vorschub leistet.

Die Wahl des amtierenden amerikanischen Präsidenten lässt sich zwar nicht direkt auf diesen Irrsinn zurückführen, indirekt wirkte diese Lehre aber auch im Glauben breiter unaufgeklärter Schichten, einschließlich des Präsidenten selbst, an Verschwörungstheorien, die zwar jeder Vernunft widersprechen und auf Dummheit basieren, aber gerade historische Dinge mit einfachen Mustern erklären, welche keine Fragen offen lassen, jedoch nie einer wissenschaftlichen Untersuchung standhielten, deren Gültigkeit von den Anhängern dieser Lehren nach dem Prinzip alternativer Wahrheiten bezweifelt wird. Das begann mit den Zahlen über die Zuschauer bei der Einsetzung des Präsidenten und hört bei der Behauptung einer kriminellen Tätigkeit der Gegenkandidatin Clinton noch lange nicht auf, die von eigenen Fehlern ablenken soll.

Großer Beliebtheit erfreuen sich heute auch pseudowissenschaftliche Werke, die komplexe Zusammenhänge in einfacher Sprache aber mit dicken Schlagzeilen erklären. Unter deren Autoren findet sich eine große Zahl an Verschwörungstheoretikern, die so ihre vermeintlichen Wahrheiten unters Volk bringen wollen und mit ihren vermeintlichen Aufdeckungen immer noch erstaunlich viele Leser finden, die schon lange glauben, belogen zu werden, weil sie die realen Zusammenhänge einer komplexen Welt nicht mehr verstehen wollen und lieber an eine weltweite Verschwörung glauben, so absurd diese auch sein mag, als sich ernsthaft den komplexen Zusammenhängen zu widmen, die sich eben nicht einfach erklären lassen und möglicherweise ihre Auffassungsgabe überstiegen.

Was folgt daraus für einen, der sich dem Geist der Aufklärung verpflichtet fühlt, meint eine Kulturgeschichte schreiben zu wollen, in der er in Romanform die Geschichte seiner Familie erzählt?

Will ich nicht die Gläubigen und Zweifler fördern, müsste ich dies Projekt, an dem ich nun schon länger arbeite, auf den Boden der Wissenschaft stellen, eine schlicht lexikalische Historie schreiben, die es ja mit Wikipedia in hoher Qualität bereits gibt. Müsste, was ich behaupte, sorgsam beweisen, mein Werk mit Fußnoten spicken, es also ästhetisch infrage stellen, ohne dadurch einen Gewinn an Glaubwürdigkeit bei denen zu haben, die lieber Verschwörungstheorien glauben und der Wissenschaft muss ich die Richtigkeit ihrer Methode ja nicht beweisen, die für sie längst zum existenziellen Selbstzweck wurde.

Egon Friedell schrieb in der Einleitung seiner Kulturgeschichte der Neuzeit schon, dass jedes historische Werk immer nur die Meinung ihrer Zeit widerspiegelt, ein Feuilleton seiner Zeit ist, der nie Anspruch auf Objektivität erheben könnte und befreit sich damit von jeder Diskussion, weil er zwar die Sicht auf die Kultur dem Stand der Wissenschaft entsprechend erzählt aber dies auch immer wieder wunderbar plaudernd mit seiner Meinung mischt.

So wäre Friedell wohl ein großes Vorbild, um unterhaltsam zu schreiben und dennoch auf eine kluge Art Aufklärung zu betreiben, die aber aufgrund ihrer erklärten bloßen Subjektivität unangreifbar wäre. Könnte alle Kritiker weglächeln und sagen, natürlich ist alle Geschichtsschreibung subjektiv und vom Geist ihrer Zeit geprägt. Es kann ja auch gar nicht anders sein. Auch die beste Wissenschaft arbeitet mit Hypothesen, die dem Geist der Zeit entsprechen.

Durch die Berufung auf die logische Subjektivität aller Geschichtsschreibung hätte ich mich von den Zwängen der Wissenschaft befreit, könnte Geschichte schreiben, wie es mir gefällt, ohne die Aufklärung zu verraten, die der Leitstern all meines Denkens ist. Hätte es nicht schon Friedell so getan, wäre ich nicht nur ein Nachahmer, dächte ich nicht, unsere Zeit bräuchte eine andere Geschichtsschreibung, die ihrem Geist entspricht, um die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen unsere Zeit zu spiegeln.

Im Zeitalter der sozialen Netzwerke, das wir zugleich als das Anthropozän wahrnehmen, also das Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Faktor auch der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde, dreht sich der Mensch auch im Geiste vollständig nur noch um sich, wird sich jedoch langsam der Folgen seines Tuns bewusst.

Dies können wir beklagen und scharfe Warnungen aussprechen, wie es die Wissenschaft derzeit tut, oder ignorieren, wie es der egomane amerikanische Präsident macht, der in seinem nur um sich kreisen, der beste Beleg der Theorien ist, die er unverstanden bezweifelt. Beide Ansätze liegen mir als Aufklärer wie als Epikuräer fern. Möchte weder in den Chor des Jammerns und der Klage über den Egoismus der Menschheit einfallen, noch die Erkenntnisse der Wissenschaft dreist ignorieren, nur weil sie zu komplex sind, als das ich mir anmaßen würde, jedes Detail zu verstehen.

Was weiß ich schon, fragte der hochgebildete Montaigne vor über 400 Jahren und die Weisheit seiner Essays und die in ihnen wohnende Bescheidenheit bei gleichzeitiger Freude am Leben und großer Lebenslust, die sich dennoch bemüht immer mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen, ist bis heute eines der besten Lehrbücher für ein gutes Leben.

Sich zurückziehen um sich auf das Wesentliche zu besinnen, meine eigenen Grenzen wohl erkennen, denn was weiß ich schon, wie könnte ich meinen, besser als ein Friedell oder ein Mann im Zauberberg Kulturgeschichte zu schreiben, und doch voller Gelassenheit mit den mir eben gegebenen Mitteln lustvoll ans Werk zu gehen, scheint mir die Antwort auf die Frage nach der richtigen Form in der zumindest ich heute nur Geschichte schreiben kann. Dabei bin ich mir bewusst, im Zeitalter der sozialen Netzwerke und von Big Brother zu schreiben, in dem es nahezu immer um die bestmögliche Selbstdarstellung geht.

Werde meine Geschichte erzählen, die natürlich immer auch die meiner Familie ist, aus der ich stamme und die mich prägte, deren Erbgut ich weitergebe, nichts sonst. Werde dabei völlig subjektiv bleiben und es, um der Lust am Schreiben willen, eben romanhaft so erzählen, wie es mir gefallen würde zu lesen und wie es die Lücke füllte, die ich schließen könnte. Besinne mich auf meine Kräfte und Wurzeln, nutze meine Phantasie um aus der Wurzel aller Kultur heraus ihre Geschichte zu erzählen oder, was mir eine schöne literarische Freiheit zu sein scheint, noch besser also, lasse meinen längst verstorbenen Großvater dies erzählen, wie er es vielleicht getan hat oder sicher hätte tun können, es zumindest aus meiner Sicht, seinem Geist entspräche und werde nun also die Kulturgeschichte der Familie Tuengerthal erzählen, wie sie mir erzählt wurde und einfiel. Maße mir nichts an, als das zu tun, was ich kann, verkünde keine historischen Wahrheiten, lüge natürlich nicht, sondern schreibe einfach, wie es mir einfällt, wenn ich daran denke, was war. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind kein Zufall, sondern meine Sicht der Dinge, was natürlich dazu führt, dass nichts davon der Realität entsprechen muss, sondern immer nur meiner Sicht auf diese, wie wirklich die Wirklichkeit am Ende auch immer sein soll.

Mehr kann ich nicht, anderes könnte ich nicht verantworten. Keiner ist so, wie ich ihn beschreibe und nichts hat sich für die anderen so zugetragen nur weil ich es nun so sehe oder beschreibe, aber vielleicht macht es dem einen oder anderen außer der Familie Freude, diese kleine Selbstbetrachtung zu lesen, in der sich die Kulturgeschichten in meiner Familie und diese in meiner Sicht spiegelt. Nicht um zu sagen, es sei genau so gewesen, ich muss nichts besser wissen als andere, die es gar studierten, sondern um frei die Geschichte als meine Geschichte zu erzählen. Aus meiner Sicht entspricht diese Idee, Geschichte zu schreiben genau dem Geist der sozialen Netzwerke, in denen wir uns pausenlos selbst spiegeln, am besten auch noch mit Selfies, um der Wirklichkeit den Anschein eines guten Bildes von uns zu geben.

So ist dieser Weg gewiss eitel wie alles Erzählen von sich, doch wenn ich damit auch tue, was alle pausenlos machen, tue ich es zumindest in dem Wissen, nicht über mich hinaus zu können, auf mich beschränkt zu sein und maße mir dieses mal nicht an, etwas besser zu wissen oder die Welt erklären zu können, wie sie ist und wurde, wozu ja alle Geschichtsschreiber der Natur nach irgendwie neigen, warum ich mich auf meine Sicht der Welt und meiner Familie beschränke, die eben ist, wie sie ist. Wen das nun neugierig macht, der wird sicher Wege finden, mehr darüber zu erfahren, wenn es soweit ist.

jens tuengerthal in Berlin am 26. November 2017

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