Samstag, 25. November 2017

Geschichtsgeschichten

Wir unterscheiden gern die Literatur vom Sachbuch, fiktionales vom non fitkionalen, damit wir genau wissen, woran wir sind, als genügte dazu eine klare Kategorisierung, ließe sich die Welt in Muster einteilen und wäre dann so, wie wir sie sortiert haben. Empört reagieren darum die meisten auf alle Dinge, die in keine Kategorie passen, dazwischen oder gar daneben sind, etwas eigenes bleiben und darauf auch noch wert legen.

Natürlich finden wir absolute Gleichheit wie die Uniformität unter Mao oder die Feiern aller totalitären Organisationen, seien sie nun Nazis oder Kommunisten, was sich ja bekanntlich mehr in der Farbe als in der Überzeugung unterscheidet, schrecklich, wollen unsere Persönlichkeit ausleben und uns unterscheiden - aber bitte doch nicht zu sehr, weil eine gewisse Anpassung einfach nötig ist, um Anerkennung zu finden.

Wollte ich also Anerkennung, würde ich mich hüten von den Standards abzuweichen, damit ich nicht infolge nur ignoriert werde, denn irgendwas muss ich ja wohl auch sein. Oder steht es mir frei, jenseits aller Schemen, einfach zu tun, was mir gefällt?

Geschichte wurde früher von Mund zu Ohr erzählt, stand in der Tradition der Sagen und Märchen, verschwamm mit ihnen oder bildete sie. Die Ilias ist eine wunderbare, uralte Dichtung und zugleich die besterhaltene und am meisten verbreitete Geschichte der trojanischen Kriege, von denen kaum einer mehr wüsste, hätte sie nicht einst Homer so schön in Verse gefasst, die bei uns blieben und immer wieder erzählt werden.

Auch die bloße Heimreise der griechischen Truppen aus diesem Kampf, bei der sich nur einer der lokalen Fürsten ein paar Jahre etwas verfuhr, wurde Teil unserer Literaturgeschichte in der Odyssee, die in Joyce Ulysses wieder den bis heute präsenten Aufbruch in die Moderne wagte und mit der Zeit spielend, die nur ein Tag ist, das Irland der kleinen Leute beschreibt, wie es lange mit Beginn der Moderne und der Ausbreitung der Demokratie als schick galt,  sich ausführlich auch mit dem gewöhnlichen zu beschäftigen.

Die von Teilen der Sozialisten erstrebte Diktatur des Proletariats zeigte sich auch in der Panik vor Elite in immer breiteren Schichten der Kulturgeschichte. Der gewöhnliche Alltag galt als dringend zu erforschen, da alles andere doch bekannt wäre und das Leben der gewöhnlichen Menschen bisher sträflich vernachlässigt wurde.

Wenn ich es schaffe dabei noch Schwule, Behinderte, Frauen oder andere, die sich gern benachteiligt fühlen, zu integrieren, bekommt meine Forschung auch reichlich staatliche Förderung. Nicht dass diese irgendwem nutzte - sie führt zum völligen Verlust der Orientierung der meisten Menschen, die sich von der Geschichte abwenden, die genügend damit zu tun hat, sich mit den neu  entdeckten Themen der Sozialgeschichte des kleinen Mannes zu beschäftigen.

Schon zu meiner Schulzeit lernte ich mehr nach wechselnden Modellen als in Zusammenhängen über Geschichte, was sich immer danach bemaß, welche Partei wo regierte und welche Ideologie sie dabei durchsetzen wollte. In jedem Jahr mindestens einmal das Dritte Reich und das schlechte Gewissen aus der Schuld der Nation führte zu einer gewissen Desensibilisierung bei Teilen der Bevölkerung besonders im fernen Osten der Republik.

Von Karl V., der Zentralgestalt der deutschen Geschichte zwischen Mittelalter, Renaissance und Reformation, erfuhr ich nahezu nichts. Vom Antisemiten Luther, der den Geist säte, aus dem sich die NSDAP 450 Jahre später so erfolgreich bediente, den der Rache, des Zorns und des damit Antisemitismus, erfuhr ich nichts und wissen bis heute im Jubiläumsjahr viele Menschen nichts und ignorieren, dass die elende Reformation die geistige Befreiung der Renaissance in zentralen Teilen Europas für viele Menschen verhinderte.

Was die Aufklärung und ihren Geist der Freiheit ausmachte, erfuhr ich erst viele Jahre nach der Schule, als ich mich neugierig selbst auf den Weg mache. Hörte in der Schule Namen wie Rousseau statt Diderot, von Kant nur am Rande und warum dieser Geist der Freiheit in der Renaissance und ihrer Wiederentdeckung von Epikur und Lukrez gegen den zu engen Geist des Mittelalters wurzelt, erfuhr ich erst mit vierzig Jahren, stattdessen hatte ich Religionsunterricht, der mit biblischen Märchen wiederum ein Geschichtsbild prägte, das sich selbst zum Wendepunkt genommen hat mit dem Jahr 0 und alles vorige als Wert negierte.

Wir regen uns hier gern kultiviert über die Taliban auf, die gerade die Wurzeln anderer Kultur in den Gebieten, die sie beherrschen zerstört und nichts neben der Sekte des Straßenräubers Mohamed gelten lässt - doch war es hier je anders, was maßen wir uns da an?

Hat nicht der christliche Aberglaube alle vorherigen Traditionen entweder aufgefressen oder zerstört?

Wie war es mit dem römischen Atheismus im Geiste des Lukrez?

Tat Rom nicht alles, dieses große Kapitel der Freiheit vergessen zu machen?

Will weder die Taliban noch sonst eine Sekte verteidigen, es ist keine besser als die andere. Nur, wer andere verurteilt, muss sein Urteil vernünftig begründen können - angesichts der Kultur der Verdrängung, die Europa über Jahrtausende prägte, fände ich mehr Bescheidenheit wünschenswert, doch das bleibt wohl ein schöner Traum.

Jede Kultur versucht die anderen zu verdrängen, um als Sieger der Geschichte ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Wem eine einfällt, die es andere machte, wenn sie konnte und nicht musste, der möge mich eines besseren belehren - der Kampf um Herrschaft und Überlegenheit ist immer auch ein Kampf der Kulturen wie wir ihn gerade zwischen dem Westen und der islamischen Welt  erleben.

Wir wissen heute wie anmaßend und ungebildet der koloniale Imperialismus auch des britischen Empire war und dennoch wollen wir mit dem Humboldt Forum ein auch durch die Kolonialzeit geprägtes Museum nach dem Modell des British Museum mit dessen ehemaligen Direktor als prägender Gestalt bauen. Ist das noch zeigemäß, ein Rentner  die Zukunft gestalten zu lassen?

Bewundere Neil MacGregor, der mit 70 Jahren von Londons bester Position nach Berlin zog, wo so vieles, wenn nicht alles unklar ist, wo auch er sich möglicherweise Anfeindungen aussetzen muss, lese ihn zu gerne und denke er hat eine wunderbare Art Geschichte zu  erzählen, wie er es in seiner auch Buch gewordenen BBC Sendung demonstrierte. Doch steht da nicht ein Mann des alten Empire dem Verein zur Füllung des neuen Berliner Schlosses nun vor?

Dies befürchten vor allem Kräfte aus dem radikalen linken Lager, die überall gern Faschismus und Imperialismus wittern, um ihre beiden Lieblingsfeinde nur zu nennen, die ihnen eine Existenzberechtigung erst geben.

Möchte mich hier wie immer lieber jeder Meinung enthalten, auch wenn ich MacGregor sehr schätze, den gebildeten Schotten, der so wunderbar über Geschichte plaudert und den Briten in ihrem Museum in seiner letzten Ausstellung zum Abschied so wunderbar und liebevoll Deutschland an brillant ausgewählten Objekten in seiner Kulturgeschichte erzählte, Auch wenn es der Berliner Martin Gropius Bau schaffte diese Ausstellung schlecht und kleinlich zu präsentieren, war doch der weite Geist des Schotten MacGregor noch spürbar, den konnte nicht mal die gruselige Inszenierung dort zerstören, die ohne jedes Feingefühl die eigene Kultur präsentierte.

In dessen neuem Haus wird sich Berlin nun, statt mit der geplanten sprachlichen Ergänzung der sonstigen Ausstellungen mit einer eitlen Nabelschau präsentieren, die erwartbar peinlich wird und nur vom beschränkten Intellekt eben sozialdemokratischer Amtsverwalter erzählt, nicht aber eine neue geistige Entwicklung aus der Hauptstadt andeutet, die nur ein großer Freizeitpark  sein möchte, in dem die Leute sich bespaßen lassen, wie sie es aus der Provinz gewohnt sind.

All dies sind Beispiele dafür, wie unterschiedlich Geschichte erzählt werden kann. Wohin es führt, wenn sie uns nicht ergreift, sie uns nur zu lange primitiv ideologisch geprägt aufs Haupt rieselte, sehen wir in Neufünfland und der Stärke von Pegida und AfD in Sachsen, auch wenn von den primitiven Pegiden und Sachsen am liebsten keiner mehr spräche im Land, sie sind zu peinlich.

Dabei liegen sie mit manchen ihrer Standpunkte nicht mal so falsch, wie die Begrenzung des Zuzugs zeigt und die Schwierigkeiten bei der Integration zeigen, doch zwischen AfD  und “Wir schaffen das”-Ideologie war wenig Platz für kritische Vernunft.

Kritische Vernunft aber braucht ein solches Denken, dass aus der persönlichen Identifikation mit dem Fragen resultiert. Es geht nicht um Wissen, vor allem nicht um Besserwissen, was im frustrierten Ergebnis vermutlich den radikalen Kräften mehr Stimmen brachte, sondern um Wege zur Identifikation.

Wenn ich aufhöre ständig Geschichte ideologisch zu verkaufen, werden sich auch wieder mehr Menschen für die Tatsachen interessieren, statt die ideologisch gewünschten Stöckchen zu apportieren. Wann fangen wir damit an?

In meiner Familie wurde immer die FAZ gelesen und früher eben die Frankfurter Zeitung, viele sahen sich als liberal, ohne in einer Partei sein zu wollen - aber auch da laufen die Brüche mitten durch die Familie, in der es Nazis und Widerständler gab. Lernte früh, dass wir jede Meinung vertreten können, wenn wir nur die richtigen Argumente benutzen, es weniger um Überzeugungen geht als darum, wie wir sie erfolgreich vertreten.

Dies klingt nun fast so, als wäre ich ein Fürsprecher neutraler Fakten. Gestehe es lieber gleich, ich glaube nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Alles ist irgendwie Meinung und in jeder Sicht steckt die eigene ideologische Prägung, meine Abneigung gegen die Linke und das Wort Sozialismus, wurzelt auch darin im Kalten Krieg aufgewachsen und aus einer Bremer Unternehmerfamilie mütterlicherseits zu stammen.

Wenn ich Geschichte erzähle, erzähle ich immer auch meine Geschichte und wie ich aufwuchs mit, auch wenn ich es nicht will, denn täte ich es nicht, handelte ich ohne jede Begeisterung und Überzeugung, was auch niemanden erreichte.

So erzähle ich nur noch meine Geschichte als Kulturgeschichte und da mein Leben etwas beschränkt ist, von den 70ern des vergangenen Jahrhunderts bis jetzt, wird es eben die Geschichte meiner Familie, wie sie mir mein Großvater vor seinem Tod noch erzählte. Damit es noch irgendjemand interessiert außer der betroffenen Familie erfinde ich Brücken zur Kulturgeschichte, die wir miterlebten und auch weil ich das kleine private Leben für nicht sonderlich berichtenswert halte, die Tendenz der Kulturgeschichte heute im privaten der kleinen Menschen zu wühlen für eine verfehlte Desorientierung halte, die nur daraus geboren wurde, dass sie meinten eine Vielzahl ganz neuer Themen rekrutieren zu müssen, die noch auf staatlich finanzierte Erforschung künftig warten, zumindest so sie politisch korrekt gegendert werden können.

Beschränke mich auf mich, meine Erinnerung, meinen engenHorizont und nehme ansonsten meine Phantasie zur Hilfe, um ein vollständiges Bild zu malen, das keine objektive Richtigkeit beansprucht und tue es zum Vergnügen, um was sonst soll es auch im Leben gehen?

Es Kulturgeschichte der Familie zu nennen, könnte wissenschaftlich und nach Sachbuch klingen, dabei schreibe ich nur eine Art Familienroman, der sich nur um mich und meine Sicht der Dinge dreht, doch indem ich mich auf das konzentriere, was ich kenne und weiß, mir nicht anmaße , ich könnte über das eine oder andere auch nur objektiv berichten, also am weitesten davon weg bin, komme ich ihm vielleicht am nächsten. So schwanke ich zwischen nichts und allem, schreibe als ich nur, das sich nur eben mit seiner Sicht in den größeren historischen Kontakt stellt, ohne zu behaupten, es sei je anders.

Was es wird, werden wir sehen, solange es Freude macht, wird es gut sein.

jens tuengerthal 24.11.2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen