Montag, 20. November 2017

Jamaikaneranisch

Spricht noch wer Jamaikaneranisch?

Es wurde verhandelt und die letzte Frist verlängert, bis sich hoffentlich doch auf einen Kompromiss geeinigt wird, mit dem alle leben können. Dies möglichst live und in Farbe damit auf allen Kanälen berichtet werden kann. Der Druck wird erhöht, damit Kompromisse als nötig der eigenen Basis verkauft werden können, wie böse Zungen meinen. Wir erfuhren über Kubickis Hemdenproblem in ratlosen Medien mehr als über Inhalte, an denen immer nur vorbeispekuliert wird.

Sollte ich darum auch noch meinen Senf dazugeben oder ist Schweigen besser, wo wir nichts wissen?

Wittgenstein meinte, worüber wir nicht reden können, darüber müssen wir schweigen, auch wenn er es mit ‘man’ noch sagte, nimmt dies den Worten aus dem Tractatus logico philosophicus  dem Inhalt nichts von ihrer Logik und nur weil mir egal ist, was ‘man’ so tut, schweige ich dennoch besser über das worüber ich nichts weiß und tue es also zum Inhalt.

Reden möchte ich jedoch über die Beurteilung des Ringens und seine Abwertung im öffentlichen Diskurs. Politik ist in der Demokratie immer die Kunst des Kompromisses. Um diese muss gerungen werden, um glaubwürdig auch in den eigenen Überzeugungen zu bleiben. Genau das erleben wir gerade bei den Gesprächen der Parteien. Das ist Politik in ihrer reinsten und besten Form, freue mich daran. egal wie das Ergebnis wird.

Das Ergebnisse nicht schnell und einfach errungen werden, macht sie danach nicht weniger tragfähig, im Gegenteil. Es kann in der Demokratie keine strahlenden Helden geben, weil für einen Kompromiss alle Federn lassen müssen, damit ein miteinander möglich ist. Das lässt sich medial nicht so gut verkaufen und darum kommen während der Verhandlungen immer wieder gern die entweder-oder-Schwätzer in den Vordergrund, die nichts erreichen als Ultimaten, die einzig den Druck erhöhen, ohne der eigentlichen Aufgabe, dem Finden von Kompromissen zu dienen.

Gute Kompromisse brauchen Zeit und wollen ruhig verhandelt werden. Der bessere Politiker scheint darum in diesem Augenblick neben der Kanzlerin ein Seehofer, der weiter verhandelt und auf Zeit setzt, statt Ultimaten wie Kubicki mit dem letzten Hemd, oder die FDP Führung, die nun abbrach, auch wenn es gerade ein weiser Schritt gewesen sein könnte, um wieder in Bewegung zu kommen.

Da ich nicht weiß, wie die Verhandlungen intern tatsächlich ablaufen, enthalte ich mich jeden Wortes dazu. Dass ein alter Fuchs wie Seehofer, der nie ein Sympathieträger für mich war und sich mit seiner Obergrenze juristisch verrannt hat, dabei besonders weise und demokratisch erscheint, ist wirklich erstaunlich. Wie oft die Vorverhandlungen noch abgebrochen werden müssen, bis es einen tragfähigen Kompromiss gibt, ist unklar - manchmal genügt ein Ruck, um die Geister in Bewegung zu setzen.

Ob die Grünen sich formal in den Kompromiss fügen, der einen teilweise beschränkten Nachzug abzulehnender Asylbewerber regelt, wie ihn die C-Parteien und wohl auch die FDP verlangen oder Bayern sich grundgesetzkonform einen Ruck gibt, bevor seine irrige Auffassung, es könnte für das Menschenrecht auf Asyl eine echte Obergrenze geben, vom Bundesverfassungsgericht für illegal erklärt wird, ist dabei egal - beide werden es schwer haben einen Kompromiss vor ihrer empörten Basis zu vertreten und können dies nur, wenn hart darum gerungen wurde.

Das ist echte Politik und gut so. Welche Auffassung ich dabei teile, ist weniger wichtig als wie ich mit einem Kompromiss umgehe und wie ich einen solchen erreiche. Dazu braucht es Zeit und gute Nerven, weil alle Politik viel rituelle Altlasten hat, mit denen die Massen der Anhänger bewegt werden.

Zunehmender Antisemitismus im Land durch den Zuzug muslimischer Flüchtlingen, die mit diesem Geist aufwuchsen, und die Wege zum besseren Klima ohne Kohle, wie ihn Frankreich nun vorbildlich geht, könnten dabei helfen, helfen Kompromisse zu finden. Wer den Atomausstieg um jeden Preis will, kann nicht so schnell auf Kohle verzichten, wie es nötig wäre, verantwortungsvoll etwas für das Klima zu tun. Wer den Antisemitismus leugnet oder in kauf nimmt, gefährdet den sozialen Frieden und die Zukunft des Landes. Im Schatten dieser Fragen, die einen Kern der Zukunft bilden, werden viele Lösungen leichter und kann sich die jeweilige Verantwortung zeigen.

So gesehen geht es im Kern um wichtige Kompromisse für die Zukunft unseres Landes und wenn die Verhandlungen dazu einige Monate dauern, ist das im Lichte der Geschichte nicht viel, auch wenn es für alle Beteiligten anstrengend wird. Wenn Merkel es unter ihrer Führung schafft, wenn nichts mehr möglich scheint im Drama, einen guten Weg für alle zu verhandeln, wissen wir, warum sie uns als gute Kanzlerin länger erhalten bleiben sollte. Wo nicht, werden andere Prioritäten gesetzt und bald andere Personen auftauchen wohl.

Ob wir damit  auf Neuwahlen setzen müssen oder es einen anderen, besseren Kompromiss braucht, werden wir sehen. Wo die FDP nun die Verhandlungen abbricht, muss das nicht das Ende der Fahnenstange sein, sondern kann ein erster Schritt zu einer Lösung sein. Wenn sich mit Befindlichkeiten und Sturheiten im Kreis gedreht wird, braucht es manchmal eine Unterbrechung, um einen Kompromiss zu finden, sei es auch nur, frische Hemden zu holen.

Finde es ein gutes Zeichen für unsere Demokratie, dass um Kompromisse lang gerungen wird, Lösungen nicht vorgefertigt präsentiert werden können, weil es um die Zukunft des Landes in wichtigen Fragen geht, bei der keiner als strahlender Sieger vor uns stehen kann. Nun stiegen die Liberalen aus, weil es besser sei, nicht zu regieren, als ohne Vertrauen, was jeder der Teilnehmer wohl unterschreiben könnte. Jetzt wird sich zeigen, wie es weitergehen soll und was eine kompromissfähige Lösung wäre.

Freuen wir uns an einer starken liberalen Partei, auch wenn sie jetzt den Buhmann gibt und einer Demokratie, die sich noch streiten kann, weil es ums Prinzip geht. Abbruch oder Unterbrechung können gut ein Neubeginn werden.

jens tuengerthal 19.11.2017

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