Heute hat jeder eine Meinung und soziale Netzwerke scheinen dazu da zu sein, die fehlende verbale Kinderstube für alle deutlich zu machen. Es wird geschimpft, verflucht und mit sicherer Meinung schwadroniert und gestritten. Manche tragen ihre politischen Ansichten auch noch auf die Straße.
Sicher ist die momentane Situation des Übergangs und des offenen Ende weiterer Verhandlungen besonders dazu geeignet, sich mit einer festen Meinung in den Vordergrund zu spielen, genau Bescheid zu wissen und in Talkshows andere lautstark zu verurteilen, doch finde ich gerade viel mehr Freude daran, mich immer mehr auf diesem Gebiet jeder Meinung zu enthalten.
Nicht weil ich keine hätte oder es mir an Informationen oder Bildung mangelte, mir eine zu bilden, das vielleicht auch, möge die Nachwelt beurteilen, sich selbst da zu betrachten, wirkt immer irgendwie etwas eitel, sondern weil ich es wichtiger finde, viele Meinungen zuzulassen, als eine zu verurteilen.
Viele schreien nun nach Neuwahlen, empören sich über die Unfähigkeit zur Einigung, empören sich über die einen oder die anderen voller Leidenschaft, die selten mit der Ahnung in der Sache konform geht, sondern sich eher umgekehrt proportional verhält. Wer besonders empört den einen oder anderen verurteilt, ist meist nur darum sicher im Urteil, weil eine genaue Kenntnis der Inhalte fehlt.
Die Beschimpfung der Kanzlerin durch die verängstigten Pegiden, die den Untergang des Abendlandes mindestens fürchten, ist ein Beispiel für diese von Vorurteilen und Dummheit geprägte Ahnungslosigkeit, die mit der AfD sogar ein parlamentarisches Gesicht bekam. Spätestens mit dem Einzug dieser latent ausländerfeindlichen Populisten in den Bundestag, wurde es vornehmer, sich dort lieber zu enthalten, als das Krakeelen der Radikalen noch zu fördern. Ignoriere es lieber, statt mich lange mit den Aluhüten dort zu beschäftigen, wo Argumente mit Vorurteilen niedergebrüllt werden, fand der Diskurs ein Ende. Solange der Badenser Schäuble den älteren Wachmann im Bundestag gibt, bin ich aber völlig beruhigt.
Darum braucht dies Land nun eine stabile Regierung, die ihre Arbeit gut erledigt, den Populisten keine Plattform für Angriffe gibt, sondern deutlich macht wo die Grenzen des demokratischen Konsens sind. Diese soll sich auf eine sichere und große Mehrheit im Bundestag stützen können, damit das Parlament für den gewöhnlichen Gang der Geschäfte keine zu große Rolle mehr spielt, die Populisten echolos verhallen.
Die Bürger vor allem im Osten, dort besonders in Sachsen und teilweise auch in Bayern haben den Wert der stabilen Demokratie scheinbar noch nicht ganz verstanden und sind anfälliger für die einfachen Antworten der Populisten, scheint es. Darum werden wir diesen nun Zeit geben über dies Ergebnis in Ruhe nachzudenken, die radikalen Forderungen ins Leere laufen lassen und eine möglichst stabile Regierung aus allen demokratischen Parteien einsetzen, die ruhig und ordentlich ihre Arbeit erledigt.
Manche Sozialdemokraten habe diese historische Notwendigkeit auch noch nicht erkannt und möchten lieber mit ihrem bedingt tauglichen Mr. 100% ihre Wunden lecken, meinen sie würden populär, wenn sie nun nach Neuwahlen schreien und sich der SED-Nachfolgeorganisation, der sogenannten Linken, annähern. Andere die schon in ministerieller Verantwortung waren und sich dort bewährten, wie etwa Andrea Nahles, äußern sich umsichtig viel vorsichtiger, weil sie sachlich mehr verstehen als der ehemalige Bürgermeister von Würselen.
Weiß nicht, ob eine Neuwahl das Ergebnis sicherer und besser gestaltete, habe daran aber gewisse Zweifel, vor allem mag ich die dafür nötige politische Lüge des künstlichen Misstrauensvotums nicht, doch ist es nicht mehr meine Aufgabe, dies nun zu gestalten. Habe als Bürger meine Stimme abgegeben und damit den Auftrag erteilt, eine Regierung zu bilden. Wenn dies schwierig wird, müssen sie sich halt noch ein wenig bemühen und wenn nötig eine Regierung der nationalen Einheit der Demokraten gegen die radikalen Kräfte am linken und rechten Rand bilden.
Sich in der Mitte zu sammeln, gefällt nicht allen, weil sie dabei auch eine Stärkung der radikalen Ränder geben kann. So behaupten manche Demoskopen und Politologen der Aufstieg des AfD sei das Produkt von Merkels Besetzung der breiten Mitte. Bin weder das eine noch das andere, halte nur jede Statistik für die Hure desjenigen, der sie zu seinen Zwecken benutzt, enthalte mich darum einer Meinung dazu.
Die CSU in Bayern besetzt viele Felder, von aufgeschlossen modern und technikaffin bis zu radikal in der rechten Ecke, nahe dem AfD und war damit bisher in diesem Flecken des Landes relativ erfolgreich. Hat sich das S von den Sozen geklaut und in die Mitte gestellt und gibt damit vielen der Eingeborenen das Gefühl einer Allzuständigkeit, die mit dem christlichen C gar noch bis in den Himmel reicht, besonders als wir Papst waren, wie Bild noch du Papa Ratzis Wahl einst titelte.
Merkel hat die CDU weiblicher, grüner und aufgeschlossener gemacht. Die SPD hat eigentlich keinen Platz in der Mitte neben ihr. Das alte Klientel der SPD, das Milieu der Arbeiter ist weggebrochen oder wählt mangels Bildung lieber gleich radikal AfD oder Linke, weil einfache Antworten schlichten Gemütern schon immer mehr lagen, es blieben die frustrierten Oberstudienräte, die längst in Pension sind. Die Situation ist für klassische Strategen der linken Mitte schwierig geworden, zumal die Grünen einiges dort abdecken und die Linke alle unversöhnlich radikalen Geister und die Ewiggestrigen einsammelt, die Marx totalitäre Ideen immer noch für das bessere Gesellschaftsmodell halten und meinen der Sozialismus habe noch irgendwo Zukunft
Nun, wie auch immer, wer sich enthalten will, sollte sich enthalten und also fasse ich mich lieber kurz und widme mich den schöneren Dingen wie der Literatur und einem geruhsamen Blick in die Geschichte, denke an Michel de Montaigne, der sich mit Blick auf die Stoa und Epikur, den er über die Lektüre des Lukrez schätzen lernte selbst schrieb, dass ihm Enthaltung immer mehr als die klügste Philosophie erscheint, nicht weil er keine Meinung haben könnte, er stritt sich gern zu vielen Themen an seiner Tafel oder sonst bei jeder Gelegenheit als Jurist wie als Ritter, sondern weil die Kunst doch eher ist, im Urwald der Meinungen ihre mögliche Vielfalt zu erkennen und stehen zu lassen, weil nichts sicher ist, außer, dass alles fließt.
Mögen sich welche Verhandler auch immer nun einigen, darum möchte ich mich eigentlich nicht weiter kümmern und fände auch weniger mediale Hysterie dazu sehr angenehm. Die Worte des Bundespräsidenten waren deutlich und ich teile diese Sicht - der Wähler, also auch ich, hat seinen Auftrag abgegeben, nun sollen sich verdammt noch mal seine Vertreter bemühen, einen Weg mit stabilen Mehrheiten zu finden, wie ihn das Land für die Zukunft braucht.
Vielleicht ist es bei fehlender Aussicht auf dauerhafte Stabilität weise und politisch höchst verantwortlich, sich zurückzuziehen, damit andere eine Mehrheit finden können, nicht noch mehr Zeit verschwendet wird. Das Kindergartenverhalten, nein, nein, nein, mit dem koaliere ich jetzt nicht, müssen alle ablegen und nach einem gemeinsamen Weg suchen, der gangbar ist. Auch der Bundespräsident hat sich jeder Meinung und Parteilichkeit zu enthalten und nur kraft seines Amtes auf eine Lösung hinzuwirken, die von den Beteiligten aber selbst gefunden werden muss.
Sollen sie mal machen, noli me tangere, sagt der Lateiner und Stoiker, nichts rührt mich an oder regt mich auf. Wir brauchen keinen Liveticker aus den Sondierungen oder Meldungen im Sekundentakt welcher Furz nun wem bei möglichen Wegen quersitzt. Wenn Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen wollen, sollen sie das tun und miteinander reden. Wenn einer es nicht alleine tun will, sollen sie es gemeinsam ruhig und verantwortlich tun.
Möchte auch zu dem Thema nicht mehr mit stündlichen Wasserstandsmeldungen in den Koalitionsgläsern genervt werden. Wenn die Arbeit erledigt ist, gibt es eine Pressekonferenz und bis dahin bleiben die Türen besser geschlossen, damit nicht jeder ständig vom anderen lesen muss, was für diesen völlig unmöglich ist. Das sind erwachsene Menschen, wenn sie eine Regierung bilden wollen, müssen sie wohl einander vertrauen, wie in einer Ehe, wobei beides in der Realität schwieriger scheint, als es die Vernunft gebietet. Bis es eine Einigung gibt ist also Stille im Medienzirkus angesagt und jeder der zwischendurch Interviews oder Wasserstandsmeldungen weiter gibt, wird von allen künftigen Verhandlungen ausgeschlossen.
Dann wird die Hauptstadtpresse laut schreien. Aber damit könnte ich gut leben, sollen sie sich über eine solche vermeintliche Beschränkung der Pressefreiheit zum Wohle der Demokratie ruhig echauffieren, bis sich wer mit wem geeinigt hat, keine Berichte mehr, bitte, es schadet in der Sache mehr als es je nutzen kann.
Weil die versammelten Medien nun nicht unbedingt auf meine Meinung hören werden, vor allem da sie fürchten, es könne ihnen sonst eine gute Story entgehen oder entscheidende Worte, die mehr als das Blubb der letzten Wochen wären, kann ich nur allen vernünftigen Menschen nun raten, sich des Themas zu enthalten, bis es etwas dazu zu sagen gibt, also über irgendein Ergebnis diskutiert werden kann.
Dann sind wir möglicherweise noch Wochen in einem unklaren Schwebezustand, höre ich die Empörten schreien, die arme Wirtschaft, die doch immer Sicherheit bräuchte und viele mehr werden sich fürchterlich fürchten, so sie mit zuviel Zeit anfangen, darüber nachzudenken.
Kann alle diesbezüglich beruhigen. In Deutschland schwebt nichts, wir sind in einem gut verwalteten, ganz natürlichen Zustand, nur weil die Chefsessel der Ämter vielleicht teilweise neu besetzt werden, ändert dies nichts an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Dabei interessiert mich die normale Arbeit der Verwaltung so wenig wie immer, es sei denn sie betrifft mich zufällig mal direkt. Die sollen ihre Arbeit erledigen, wie ich die meine und gleiches gilt auch für eine künftige Regierung. Das Parlament ist gewählt, Mehrheiten gibt es, nur gegen Merkel halt nicht, also kennen wir das Ergebnis vorher und der Rest ist nicht meine Sache.
Sich in Enthaltung und Gelassenheit üben, tut so gut, wie sich im Sturm hinter den Deich zu verziehen und einen feinen Tee zu trinken, was ich hiermit nun tue und meinen Senf zur deutschen Bundespolitik gebe ich erst, wenn überhaupt wieder, wenn wir eine Regierung haben. Es könnte auch dabei bleiben, um sich wieder wichtigen Dingen zu widmen wie Kunst, Kultur, Geschichte und Liebe. Ziehe mich also in die Welt der Bücher und der Literatur zurück und lasse diesen Sturm in Ruhe vorbeiziehen
jens tuengerthal 22.11.2017
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