Donnerstag, 30. November 2017
Barerotik
Früher schrieb ich sehr viel in Cafés und Bars, hielt das für außerordentlich inspirierend, heute ziehe ich meist die heimische Bibliothek vor, weil mich die Gesellschaft und das Geschwätz der meisten Menschen eher langweilt. Ein Satz der heute in der demokratischen Gesellschaft mit ihrem zwanghaften Hang zur verordneten Gleichheit und der heiligen Kommunikation völlig verpönt ist, wie er aber dem feinen Geist des Huysmannschen Werkes ‘Gegen den Strich’ oder der Proustschen Recherche entspräche, um nicht dem Werk von Ernst Jünger zu sagen, der immer auch elitär dachte.
Manchmal ist es dennoch nett, sich als Beobachter noch einen Moment neben dies Geschehen in den Bars und Kneipen zu setzen und das Tun der anderen zu beobachten. Es birgt Stoff für Geschichten und Lyrik, doch merke ich, wie fremd mir diese Welt da draußen immer mehr wird, wie wenig mich all dies Treiben und die immer gleiche Konversation noch interessiert. Sinnlich finde ich dies Geschwätz angemalter oder aufgeblasener Menschen, die sich mehr oder weniger auffällig um die eigene Begattung bemühen, schon lange nicht mehr. Auch wenn es eigentlich immer nur um das eine geht, auch wenn es selten ausgesprochen wird, was nur den Drahtseilakt der verlogenen Kommunikation noch sozial spannend machte, aber eigentlich nichts als seine Verlogenheit offenbart.
Habe es, bevor ich meine Liebste traf noch gelegentlich mitgemacht, fühlte mich aber immer eher deplatziert und distanziert amüsiert als gereizt. Auch wenn sich zwei näher kommen, läuft es in 99% der Fälle nach dem gleichen Schema immer ab und dann ist auch der eigentliche Akt des Vollzugs kein Höhepunkt mehr, sondern nur das enttäuschende Ende, bei dem jeder für sich Befriedigung suchen soll, ohne noch etwas gemeinsam zu haben.
Nun, wo mich dies sexuelle Treiben nicht mal mehr theoretisch interessiert, bin ich noch amüsierter, wieviele Menschen sich nur damit beschäftigen und wie alles ständig darum kreist und dennoch beide alles tun, zu verhindern, dabei gelassen glücklich zu werden. Das Spiel der Lügen über ihre Bedürfnisse weiter spielen.
Warum stehen Menschen stundenlang bei zu lauter Musik in Bars, unterfordern sich wechselseitig geistig und hoffen dabei noch den Partner fürs Leben oder doch zumindest eine wunderbare Nacht zu finden?
Sicher enthemmt der Lärm in Verbindung mit Alkohol wunderbar und macht die Annäherung der irgendwie geschlechtsreifen Großstädter leichter, doch wäre da nicht ein Gespräch in Gegenwart schöner Bücher viel angemessener?
Es gibt in einer Stadt wie Berlin jeden Tag irgendwo Lesungen, dazu kommen noch literarische Salons und Cafés mit diesem Schwerpunkt, wie das im Literaturhaus in der Fasanenstraße, auch wenn dort mehrheitlich zu stark geschminkte ältere Damen aus Charlottenburg oder Witwen aus Wilmersdorf verkehren und dennoch verkehrt die Mehrheit der auf Partnersuche befindlichen Zeitgenossen in den einschlägigen Etablissements, die fern aller Literatur bei zu lauter Musik das Ziel der Begattung bereits unausgesprochen zu deutlich fühlbar machen, als käme es nur auf die Enthemmung an und nicht den Rahmen dafür.
Vielleicht bin ich inzwischen zu alt, die Versuche der Annäherung in den Bars und Cafés noch irgendwie reizvoll zu finden, interessant ist es dennoch, nicht für mich, habe ja schon das größtmögliche Glück gefunden, sondern als beobachtender Flaneur. Beruhigend finde ich, dass meine doch mehr als ein Jahr jüngere Frau, es ähnlich empfindet und wenn ich ehrlich sein soll, erinnere ich mich auch gut daran, den größten Teil meines Lebens immer ohne Nachtleben verbracht und es gut so gefunden zu haben, vor allem weil ich mehr zum Lesen kam, als wenn ich meinte, ausgehen zu müssen.
Insofern Hauptgrund immer die Partnersuche war, hat sich das Thema für mich vollkommen erledigt. Da ich sicher weiß, es nicht mehr besser dabei treffen zu können, hat sich das Interesse auf weniger als null reduziert. Sollte ich nun glücklich in meiner Bibliothek sitzen vor meinem elektrischen Kamin und das Treiben der anderen nur noch von Ferne belächeln?
Einerseits fühlt es sich so an und die Anziehungskraft der Bücher ist wesentlich höher als die dort draußen im zu lauten, trunkenen Treiben. Andererseits muss der Flaneur flanieren und Teil der Gesellschaft bleiben, die er beschreibt. Ohne Teilnahme keine Anteilnahme und ohne diese keine Leidenschaft in den Worten. Dann beschrieb ich nur noch in gedrechselten Worten meinen Rückzug von der Welt, wie es Huysmans in ‘Gegen den Strich’ so herrlich ironisch tat oder Hesse es etwas schlichter immer wieder auch seine von der Welt angeekelten Protagonisten leben ließ. Kaum einer beschrieb den Weltekel so lyrisch fein wie Rilke, der ein wenig jünger als Huysmans, um genau zu sein 27 Jahre, doch nur 19 Jahre länger lebte.
Als ich Freitag meine geliebte Bibliothek verließ, um nach dem Besuch im Supermarkt im Winskiez, der die guten Holsteiner Cox für den norddeutschen Apfel Liebhaber im Programm hat neben dem üblichen, was weniger allein den Weg lohnte, noch das dortige Sorsi et Morsi auf einen Wein zum Schreiben mit literarischer Inspiration in dieser doch sehr umtriebigen Bar zu besuchen, hatte ich Glück und konnte dort erstmals in dem wunderbaren Chesterfield Ledersofa versinken, um zu schreiben.
Leider entsprach die Musik nicht dem Sofa und meinem Gefühl für diesen so wunderbar italienischen Ort und war dazu noch zu laut, was irgendwie alles in dem bewusst zu engen Laden, in dem sich alles aneinander vorbei drängen muss und sich schon dadurch nicht mehr berührt als gewollt, sondern genau so viel mehr als sonst üblich, wie es sich viele wohl dort wünschen, die nicht nur zum Schreiben hierher kommen wie ich. Wie den Weg von der Bar in den hinteren Teil mit den Toiletten stelle ich mir eine Tokioter U-Bahn vor, nur dürfte es dort wesentlich asexueller und steriler zugehen.
So litt ich letztes mal an diesem Ort, der mir plötzlich nervig und geistlos vorkam, fragte mich, was ich dort tat, warum ich nicht in meiner Bibliothek saß und lieber las. So geht es auch einem Freund von mir immer wieder, der allerdings jahrelang dort mehrmals die Woche verkehrte, um Frauen kennenzulernen, was wohl seltener gelang als die sexuelle Atmosphäre hoffen ließ.
Dennoch werde ich gern wieder am Freitag oder Samstag nach dem Einkauf auf einen Wein dort hingehen, um diese mir fremde Welt als Flaneur zu beschreiben, in diesen an sich absurden Raum einzutauchen und das nicht nur weil Johnny der Wirt so ausnehmend freundlich immer ist, sondern weil dieser Raum die Absurdität der Suche nach Sex in der Großstadt konzentriert auf den Punkt bringt, etwas, was der Flaneur in derselben schon aus Berufung beschreibt.
Beide Seiten wollen und warten sehnlichst darauf, verunmöglichen aber jede Realisierung durch einer Erfüllung zuwiderlaufende Erwartungen, die sie sich als Bedingung stellen und die damit sichere Enttäuschung tröstet über die folgliche Frustration am Nichts hinweg. Dies Muster wiederholt sich immer wieder ohne irgendeinen Lerneffekt bei den Teilnehmern, die dabei nicht alle dumm sein müssen, sondern sich einfach dem Glauben an einen hippen Ort zu sein, an dem doch etwas passieren müsse, weil schließlich alle darum hierher kommen, hingeben
Ein wenig kommt mir diese sehr italienisch laute Bar vor, wie ich mir einen Club-Urlaub vorstelle, den ich nie im Leben machen werde. So liebte auch eine Ex von mir diesen Laden am meisten, die auch am liebsten Cluburlaub in der Türkei machte und so genoss sie es persönlich von dem Barbetreiber Johnny geküsst und begrüßt zu werden.
Danach setzt das Denken nicht nur bei ihr aus, dahingestellt, ob es vorher je kritisch begann und die Anwesenden lassen sich dort unterhalten, wenn sie sich nicht gerade anbrüllen um über die Lautstärke hinweg zu kommunizieren. Wer das vermeiden will, muss sich sehr nah kommen und fördert damit wieder den eigentlich gewünschten Effekt.
Auf dem Chippendale Ledersofa etwas distanzierter noch als sonst schon von Natur aus und in diesem völlig versunken, war ich nur noch Beobachter und nicht mehr Teilnehmer, war mir sehr gut gefiel und meinem Charakter entspricht.
Ein Sofa, dass wunderbar in eine Bibliothek passte, bildete meine Insel an diesem absurden Ort, den ich doch zu gern immer wieder beschreibe und so sollte ich vielleicht noch früher hingehen, um dort einen Platz als Flaneur zu haben und sobald es laut wird und sich füllt, wieder verschwinden, um alles bis dahin zu beschreiben. Bin ich damit schon nur noch Beobachter, mehr Statistiker des Sexualverhaltens derjenigen Berliner, die gerne hipp ssein wollen?
Erstaunlich denke ich, gehe ich an einen Ort, der nur halb irgendwie eine Bibliothek imitiert, statt in diese, um die Stimmung zu nutzen und spiele so mehr mit der Dialektik, als der Natur der Dinge entsprechend zu handeln. Es ist ein hipper Ort in meinem näheren Umkreis, was Grund genug für die meisten der Massen ist, die sich dort jede Nacht durchschleusen. Finde sein Gegenteil eher inspirierend und die meisten Buchläden erotischer als diese überfüllte und zu laute Bar voller Typen, die sich wichtig nehmen und Frauen, die bewundert werden wollen.
Die Vorstellung einen Po oder Busen beim Drängeln dort ungewollt zu streifen, finde ich weniger sinnlich als mit der Hand die Buchrücken meiner heimischen Bibliothek zu streicheln. Der Ort und das Theater sind mir so fremd, wie ich mich im Gegenteil in einer stillen Bibliothek oder einem gut sortierten Buchladen von englischer Gemütlichkeit wohler fühlen würde als dort je. Bücher sind mir meist näher als Menschen und mit diesen pflege ich auch lieber Umgang in der Regel, weil die wenigsten Menschen meinem Geist Widerhaken oder Halt bieten, was vermutlich mein Fehler ist, mit dem ich aber gut leben gelernt habe inzwischen und was glücklich macht, kann nicht schlecht sein.
Vielleicht besuche ich diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten so gerne, weil er mich darin bestätigt, wie gut ich es mit meiner Liebsten traf im und wie fern mir dies Leben immer sein wird. Es ist wie ein Besuch im Zirkus, in dem mittelmäßige Artisten der Liebeskunst ihre Kunststückchen vor einem gelangweilten Publikum zum besten geben, das dennoch brav Aaah und Oooh sagt, weil es sich doch so gehört. Vielleicht wäre Menschenzoo noch passender und so finden sich dort regelmäßig vermutlich nur Menschen, die gerne bespaßt werden, wie Cluburlauber und beim eigentlichen Ziel der Annäherung nie Befriedigung finden, warum sie sich auch dieser mäßigen Ersatzform hingeben können, als sei sie der Höhepunkt im Leben.
Natürlich ist jede Bibliothek schöner als solch eine Bar, vor allem meist stiller und friedlicher, geistvoller allemal, doch wie sehr spüre ich erst die sinnliche Schönheit meiner Bücher, die mich still zuhause erwarten, wenn ich von diesem Ort komme, der in so vielem für das Gegenteil steht.
Es geht um unerfüllten Sex, um italienische Lust und katholische Lebenslügen, die sich gerne dem anstatt hingeben. Wie sehr spüre ich dort, wie gut ich es mit meiner Liebsten verglichen habe, was freue ich mich auf die Zweisamkeit in Stille, statt wie die dort auf die laute, ziellose Jagd zu gehen, die nahezu keinen zur Befriedigung führt, von der zusammen ganz zu schweigen und wie träume ich genüsslich davon nur mit meiner Liebsten und unserer Bibliothek das Leben zu verbringen, weil es nichts mehr braucht.
Frage mich, ob diese Bars, die im Ruf stehen, ideal zu sein Sexualpartner zu finden, welchen Grund hätten die meisten sonst an einen Ort zu gehen, an dem sich schlechter unterhalten lässt als anderswo, dem Leben ihrer Besucher entspricht?
Sie leben halt und machen mit, was gemacht wird, auch wenn es dem eigenen Ziel zuwiderläuft, miteinander auf Dauer glücklich zu werden. Es ist ein Sehen und Gesehen werden. Die Sehnsucht danach, vom Wirt erkannt und persönlich begrüßt zu werden als Ersatz für die nie erreichte und den meisten unbekannte gemeinsame Befriedigung, wird zum Ersatz und Zweck an sich, mit dem sich die meisten zufrieden geben, wenn sie unbefriedigt wieder gehen, um bald wiederzukommen.
Die Hoffnung dort das Glück zu finden stirbt vielleicht zuletzt, zumindest fühlen sie sich gut unterhalten und am Gedränge sichtbar, geht es wohl vielen dort so. Dies ließe sich auf die meisten Bars der Stadt so übertragen, aber ich erspare den Lesern weitere Details oder Studien, da es nahezu immer das gleiche ist. Auch kennt jeder irgendwen, der hier schon mal sein Glück gemacht hat, zumindestens flüstern sich alle das zu und hoffen, die nächsten zu sein, auch wenn sie eigentlich wissen, wie kontraproduktiv der Ort dafür ist.
Sex findet in den Bars nahezu nur in den Köpfen der Teilnehmer statt und auch wenn die eine oder andere an der Bar, den neuen dort Geschichten zu raunt, wie es bei dem oder diesem ist, ob es nach der einen Nacht noch ein Frühstück gibt und Männer sich hinter vorgehaltener Hand dezent erzählen, wie diese oder jene war - ich kann da nicht mitreden, habe nie eine dort kennengelernt und war auch nie in dieser Absicht dort, auch wenn ich vielleicht über die eine oder andere dort plaudern könnte, was mir aber fremd wäre, wenn schreibe ich dazu - habe ich von den regelmäßigen Teilnehmerinnen der dortigen Partnerbörse nur frustrierende Geschichten gehört.
Seltsamerweise sind Männer da eher zurückhaltender was die eigene Frustration betrifft und neigen dazu, jedes Abenteuer schön zu reden, auch wenn es nicht mal mäßig war. Auch ich habe meine Geschichten darüber immer verklärend schön geschrieben, obwohl ich aus Erfahrung eigentlich hätte wissen können, wie frustrierend es fast immer war, weil eben nur ganz wenige Menschen wirklich zusammenpassen und der Sex in den übrigen Fällen völlig entbehrlich ist, nur zum gemeinsamen Onanieren ohne geteilte Gefühle führt.
Natürlich gibt es auch mal Männer die lästern aber doch eher selten und vor allem nicht dort, wo sie sich sammeln um erfolgreich eine neue Nummer in ihre Begattungsliste einzutragen und wo sie genau damit glänzen wollen und heute eben auch als solche, die Frauen glücklich zu machen wissen. So sind auch dort viele eigentlich erfahrene Liebhaber mit eher nichts zufrieden und stärken mit dem eben möglichen ihr Ego. Habe mich schon gefragt, ob das mit der männlichen Potenz zusammenhängt, die wirkliche Ehrlichkeit vermutlich schnell erschlaffen ließe.
Wie wenig das meinem Wesen entspricht, habe ich früher mehrfach erlebt, wenn mein Schwanz, wenn er dann gefordert war, schändlich versagte und schlaff blieb, weil mich die Spiele um nichts null reizten. Konnte das immer noch einigermaßen durch sonstige Erfahrung kompensieren aber begriff doch irgendwann, dass es nicht meine Welt war, Sex ohne Liebe fad ist und auch nichts mehr hinterlässt.
Glücklich nur noch Beobachter dieser Spiele zu sein, mein Glück dabei in der Liebe gefunden zu haben, bin ich auch hier wohl nur noch Chronist des Begattungsverhaltens, der sich fragt, ob mehr Ehrlichkeit irgendwem nutzen würde oder keiner mehr erwartet, als alle dort bekommen. Werde ich damit zum Voyeur, der die Suche nach Sex der anderen beobachtet und wie hier beschreibt oder ist das ausgeschlossen, weil der Voyeur ja Befriedigung in der Beobachtung findet, während ich höchstens noch amüsiert bin und mich eher distanziere, um mit mir glücklicher zu sein, als die meisten dort je werden.
Vielleicht aber ist auch diese Annahme eine bloße Verkennung der dort versammelten Talente, die ihrem Wesen nach viel tiefer empfinden können und sich vom dortigen Spiel nur gut unterhalten lassen. Was weiß ich schon, denke ich und freue mich, an dem was ich habe, was mir so unendlich viel Distanz zum dortigen Theater gibt. Möge jeder nach seiner Fasson dort selig werden, wie ich mich darüber freue, es lächelnd zu betrachten.
jens tuengerthal 29.11.2017
Unaussprechlich
Wenn das Glück
Am größten ist
Wird es auch
Unaussprechlich
Wenn ich also
Nun nichts mehr
Schreibe wissen alle
Erstmal überhaupt nichts
Du aber weißt genau
Wie glücklich wir sind
Was uns genügt
Weniger ist heute mehr
Liebe als Worte
jens tuengerthal 30.11.2017
Mittwoch, 29. November 2017
Büchererotik
Für viele Menschen hat wohl die Musik eine ähnliche Wirkung und als wir noch Schallplatten hatten oder benutzten, war es ja auch irgendwie so, war auch die Musik aus der Konserve etwas, was wir in die Hand nehmen konnten. Denke ich an Thomas Manns wunderbare Beschreibung des Musikautomaten im Haus Berghof im Zauberberg, verbinde also Musik und Literatur, denke ich, es genügte wohl auch ein schönes Gerät gleich welcher Art, die Musik zu würdigen und erinnere mich wie ich das erste mal den Ring in der Bayreuther Aufnahme mit Böhm am Pult auf der heimischen Anlage hörte irgendwann Anfang der neunziger. Wie feierlich war es dann alle Stunde die Scheibe zu wechseln, um danach wieder in die Welt des Festspielhauses klanglich einzutauchen.
Doch ist Musik für mich nur Klang, schöner Klang zwar meist und beim Ring auch mit genug schlecht gereimten Versen dazu, aber doch etwas gänzlich anderes als die Erotik eines Buches, das ich in den Händen halte, Seite für Seite erobere, auch einmal gelesen, immer wieder hervorholen kann. Die Musik bleibt etwas unstet luftiges, was kaum erklungen, schon wieder vergangen ist, ohne Dauer und Bestand, hat sie, wenn es hoch kommt ein Echo und eine Niederschrift in Noten, die für mich ähnlich verschlüsselt ist wie chinesische Bücher.
Vielleicht ist es das mir so fremde Rätsel der Notation, dass mich fast immer Bücher vorziehen ließ, denn auch das vorgelesene Buch verhallt nicht anders als die Musik im Nichts der Klangwelten ohne Widerstand, während das gelesene, sich sinnlich in mich eingräbt, eins mit mir wird im Lesen, bis es nach dem Höhepunkt der letzten Seite wieder zugeschlagen wird. Doch mehr noch ist es die Tatsache, dass Notenwerke selten schön gebunden Bibliotheken füllen, keine Bücher eigentlich sind, sondern Mittel zum Zweck, daraus zu spielen - warum meist eine schwache Bindung bevorzugt wird und ich, unmusikalisch wie ein Thomas Buddenbrook, nie eine sinnliche Bindung zu ihnen entwickeln konnte.
Bedenke ich, welch magische Wirkung etwa alte französische Bibliotheken auf mich haben oder die vatikanische Bibliothek, jede Klosterbibliothek wie die wunderbare in St. Gallen hat, selbst wenn es dort nahezu immer nur um Fragen des Aberglaubens geht, den ich völlig uninteressant und irrelevant für mein Leben finde, kann die Lesbarkeit allein nicht entscheidend für mich sein. Natürlich hat gerade die Vatikanische in ihren Giftschränken auch viel, was Rom über Jahrhunderte sich verbat und was also auch geistig spannender ist als das Märchen vom lieben Gott, der dort noch gelehrt wird - auch große Denker wie Montaigne schätzten die dortige Bibliothek sehr und das obwohl er eine wunderbare Bibliothek sein eigen nannte, in dem kleinen Turm am einen Flügel seines Schlosses, mitten in seinen im Perigaud gelegenen Gütern voller Weinberge, in die er sich nach Jahren als Richter und Bürgermeister in Bordeaux völlig zurückzog, um dort seine bis heute genialen Essays zu schreiben.
Bezeichnend für die vatikanische Bibliothek ist vielleicht, dass dort die Bücher in wunderbar bemalten Schränken versteckt, dem profanen Auge auf dem ersten Blick unsichtbar sind. Die Mystiker halten den Geist gern im Verborgenen, was viel auch über die Schranken ihres eigenen Denkens verrät, weil sie die Freiheit mehr fürchten, als sie von ihrem eigenen Glauben überzeugt sind.
Wer fest im Glauben steht, muss nichts verbieten oder verteufeln. Woran wir auch merken, wie vorgestrig und unsicher der islamische Aberglaube noch ist, in dem die Gelehrten noch immer Fatwas gegen die Autoren unliebsamer Bücher aussprechen, was in der Wirkung der Inquisition vergleichbar ist. So ist diese Sekte noch zurückgebliebener als die anderen beiden großen monotheistischen zumindest im Umgang mit Büchern. Andererseits konnten sich viele Schätze der Antike nur über arabische Bibliotheken uns erhalten, weil die römischen Christen, wie jene in Byzanz, bis es an die Mauren für die letzten 500 Jahre fiel, was immer künftig sein wird, mit jener Stadt, die länger Byzanz und Konstantinopel als Istanbul hieß, wesentlich intoleranter früher noch waren, als es Muslime heute sind und darum auch alle Spuren vorheriger Kulturen in Europa auszuradieren bemüht waren.
Der Umgang mit Büchern und die Pflege ihrer Kultur sagt viel über den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft. Wir mögen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und virtueller Rechenspeicher, die auf Briefmarkengröße das Wissen einer ganzen Bibliothek speichern können und so trage auch ich auf meinem Telefon auch immer eine sehr umfangreiche Bibliothek mit mir herum, ohne dass sie ins Gewicht fiele, doch was bleibt davon in tausend Jahren, wenn schon heute die Programme von vor 30 Jahren keiner mehr virtuell lesen kann - verlieren wir all unser früher gedrucktes Wissen in virtuellen Welten, auf die wir nach Änderung der Programme durch fehlerhaft programmierte KI keinen Zugriff mehr haben?
Wenig wissen wir sicher, als auch uralte Bücher noch einfach aufzuschlagen und uns in sie mit dem, was uns die Natur von Geburt an als Fähigkeiten mitgab, irgendwie zurechtzufinden. Sicher, es hilft Lesen zu können, es sich nicht erst bei der Entdeckung der ersten Bücher selbst beibringen zu müssen aber zumindest können wir auch als Analphabeten noch ein Buch aufschlagen und etwas erkennen, wie ich als musikalischer Analphabet, wenn ich auf ein Notenblatt schaue, zumindest Punkte auf Linien sehe. Daten, die mit einer unbekannten oder vergessenen Software codiert sind, können wir nicht mal erkennen, sie sind für uns wertlos.
So schreibe ich hier zwar über die sinnlichen Vorteile der Bücher, die ihnen eigene Erotik, den Kitzel, der unsere Fortpflanzung noch nach Millionen Jahren reizvoll erscheinen lässt, auch wenn wir eigentlich längst gut wissen, wie es funktioniert, doch schadet es nicht, auch einen ganz manifesten Vorteil des Zugriffs zu erwähnen. Auch Gäste aus anderen Universen, die uns vielleicht irgendwann oder längst unsichtbar besuchten, können ein Buch aufschlagen und sich damit unser kulturelles Erbe ansehen.
Einen Rechner kann nur öffnen und die darauf gespeicherten Daten kann nur lesen, wer die richtige Brille dafür auf hat, also die Software kennt, sonst bliebe nur unlesbarer Datensalat übrig oder Bilder, die auch das zufällig bekannte Format haben müssen, um für andere lesbar zu sein. Ein Buch kann jeder Mensch öffnen. Lesen kann es jeder, der die Sprache kennt oder sich erschließt, was nach unserer Natur und unseren Anlagen möglich ist. Für die Lesbarkeit heutiger Software für kommende Generationen von vielleicht neuronalen Rechnern, die fest mit unseren eigenen neuronalen Netzen verbunden sein könnten, gibt es keinen Schlüssel in den Talenten unserer Natur.
Früher träumte ich davon, meine Bücher hinter Glas geschützt stehen zu haben, wie ich es aus der Familie kannte und es mir immer als Ideal wünsche, heute finde ich diese Vorstellung eher gruselig und beschränkt spießig. Im Gegenteil habe ich inzwischen sogar all meine Bücher nackt ausgezogen, also ohne Umschlag, möglichst vorne im Regal stehen, was nebenbei auch das Einstauben der Bretter verhindert, viel wichtiger aber ihre nackte natürliche Präsenz sichtbar macht.. Berühre gerne Bücherrücken im Vorübergehen, streichle meine Schätze zärtlich und möchte dabei nicht Papier berühren, dass bunt dem gerade aktuellen Geschmack irgendwelcher Verlage entsprechen, mehr Marketing als Kulturgut ist und wechselnden Moden unterliegt.
Die Vorstellung alle Bände einheitlich in Kalbsleder zu binden und mit meinem Wappen zu versehen, wie es früher in fürstlichen Bibliotheken üblich war und noch immer als höchster Luxus gilt, hat zwar etwas verlockendes, doch genügen mir Leinen und Pappe zum Glück vollkommen, solange sie mehrheitlich zumindest gebunden sind. Um mein Bett stehen die wunderbar gestalteten und edel gebundenen Bänder der Anderen Bibliothek und von Galiani und immer wieder ziehe ich den einen oder anderen heraus, sei es auch nur um wenige Seiten etwa Montaigne voller Genuss zu lesen, weil ein schönes Buch in den Händen zu halten, den Inhalt noch erhebender macht.
So gesehen habe ich ein zutiefst sinnliches Verhältnis zu Büchern, dass weit über den Inhalt hinausgeht, das Buch an sich zum Gegenstand meiner Lust macht. Beruhigend ist, dass es meiner Liebsten genauso geht, die sogar gern neue Buchseiten erschnüffelt beim ersten Öffnen, womit keiner auf die Leidenschaft des anderen eifersüchtig sein muss - wir gehen beide einander gern mit Büchern fremd, führen dies betreffend eine völlig offene Beziehung und gönnen gelassen jeder dem anderen die Leselust.
Wer keine sinnliche Beziehung zu Büchern hat, wird diese Ausführungen, fürchte ich, nie verstehen können. Auf eine Sache könne doch keine Mensch eifersüchtig sein, würden sie vielleicht einwenden und wissen nicht, wie viele Männer schon auf den Dildos ihrer Frau eifersüchtig waren, wenn sie je davon erfuhren. Wobei ich vermute, dass dies eher dann eher an der realisierten Frustration liegt, dass der Liebsten ihr Schwanz wohl nicht genügt. So ist jede Eifersucht meist mehr in Selbstzweifeln als in tatsächlichen Ereignissen begründet. Mir ist solches Denken zum Glück völlig fremd und ich könnte meiner Liebsten lieber einen solchen schenken, ohne Neid zu empfinden, wenn sie meiner entbehren müsste, auch wenn ich sicher immer gerne an dessen Stelle wäre.
Wenn beide Bücher lieben und mit diesen und sich eine offene Beziehung führen, scheint dies der Gipfel partnerschaftlicher Harmonie, wenn auch Menschen, die eine Neigung zur Eifersucht oder Verlustängste haben, damit Schwierigkeiten haben könnten. Habe häufiger erlebt, dass Frauen sich von mir gegenüber meinen Büchern zurückgesetzt fühlten und nicht immer konnte ich ihnen, muss ich heute sagen, mit voller Ehrlichkeit widersprechen, sondern tat es nur belustigt amüsiert oder genervt. Andere reagierten eifersüchtig auf mein Telefon, das real mein Schreibgerät auch ist, also eine Art elektronisches Buch, was mir noch absurder vorkam.
Würde heute sagen, dass es nahezu nichts gibt, was ich der Gesellschaft meiner Bibliothek vorzöge. Die einzige, bei der es stets so wäre, teilt meine Liebe zu den Büchern und ist ganz nebenbei auch meine Frau wie ich ihr Mann womit beide ohne jede Büchereifsucht glücklich sind, den Gipfel geteilten Glücks wohl erreichen, der noch andere wunderbar erotische Aussichten gemeinsam hat, aber um unsere Liebe und Lust geht es hier ja nicht, sondern nur um die Erotik der Bücher, die wir beide zu gern streicheln wie einander.
Die Liebe zu den Büchern und die Erotik, die sie unabhängig von ihrem Inhalt für mich ausstrahlen, ist wo sie geteilt wird, schon der Gipfel der Lust. Wer dabei dann noch die Gnade erlebt auch in dem was andere für Erotik halten, die schönsten Höhepunkte zu teilen, hat im Leben wohl alles nur mögliche erreicht. Lehne mich zurück und denke gut so und schaue mir manchmal nur das Treiben der anderen mit einer gewissen Distanz noch an.
jens tuengerthal 28.11.2017
Liebesglaube
Glaube immer an deine Liebe
Weil sie mich glücklich macht
Das genügt mir es zu sein
Was könnte je mehr werden
Liebe ist immer nur ein Gefühl
Dabei spüren wir sie ganz real
Auch wenn sie nur eine Idee ist
Bestimmt sie das ganze Leben
In der Lust wird sie körperlich
Darum ist sie nur so perfekt
Lust ohne Liebe wäre bloß
Befriedigung unserer Triebe
Wir teilen das große Gefühl
Das durch nichts beweisbar
Immer am Glauben nur hängt
Und sind uns dennoch sicher
Jedem Gläubigen der sagte
Er wissen von Gott weil er
Seine Liebe spüre würden wir
Atheisten wohl nur belächeln
Den Gläubigen hat die Liebe
In der Natur den Sex voraus
Der Gefühle spürbar macht
So stärkt Lust den Glauben
Weil uns aber die Liebe stets
Mehr als bloße Lust sein soll
Haben wir am Ende nicht mehr
Als die Gläubigen mit ihrem Gott
Kann dir meine Liebe nicht beweisen
Zumindest wissenschaftlich gedacht
Alle Liebesbeweise täuschen nur vor
Es gäbe dabei mehr als ein Gefühl
So bin ich als Liebender wohl nur
Ein Gläubiger des Gefühl doch was
Könnte mehr sein als darin sich sicher
Miteinander für immer zu fühlen
Wir bauen unser Leben auf nichts
Als den Gefühlsglauben aneinander
Was sehr leichtsinnig erstmal klingt
Doch braucht es mehr zum Glück
Nicht haben als unseren Glauben
Der uns dann glücklich machen soll
Scheint wenig und ist doch viel mehr
Als genug wenn wir ihn auch leben
So glaube ich immer an deine Liebe
Weil sie mich so glücklich macht
Das genügt mir es ewig zu sein
Was könnte je mehr werden
jens tuengerthal 29.11.2017
Dienstag, 28. November 2017
Liebesschlaf
Die Größe einer Liebe
Zeigt sich im Schlaf
Wo uns nur geschieht
Was wir nicht steuern
Es braucht keine Mystik
Einfach nur Ehrlichkeit
Die uns gut schlafen lässt
Bei- wie miteinander
Wer auf kleinstem Raum
Selig verschlungen schläft
Hat die ganze Welt für sich
Weil Nähe zuhause wird
So geht es mir mit der Liebsten
Darum ist meine Frau für immer
Der schönste Teil meines Lebens
Träume ich mit ihr selig zu schlafen
Wo wir nichts tun als entspannen
Sind wir wohl am ehrlichsten stets
Was mit uns geschieht sagt mehr
Als alle Debatten es je könnten
Als Aufklärer liebe ich die Vernunft
Ist mir ein Unterbewusstsein suspekt
Kämpfe ich für mehr Verstand immer
Als Liebender trau ich dem Gefühl
Wer ein Leben teilen will sollte sich
Klar sein wie sich beide im Schlaf
Also ohne Willen dabei noch fühlen
Näher und ehrlicher geht es nicht
So sehne ich mich voller Sehnsucht
Wieder nach Nächten mit der Liebsten
Auch der Lust davor wegen sicherlich
Doch mehr um des Liebesschlafs willen
jens tuengerthal 28.11.2017
Montag, 27. November 2017
Leidensweg
Glücklich preise ich mich
Eine so leidenschaftliche
Frau die meine zu nennen
Auch wenn es Leiden heißt
Unter der zarten Schale verbirgt
Das nur scheinbar stille Wesen
So viel Lust und Liebe wie ich es
Noch nie habe erleben dürfen
So wünsche ich mir manchmal wohl
Weniger Leiden auch daran um im
Ruhigen Glück der großen Liebe
Gelassen genießen zu dürfen
Doch nie wollte ich dafür verzichten
Auf die größte Lust und Liebe wie
Nur leidenschaftliche Menschen sie
Uns schenken können im Leben
Ihre unglaubliche Omnipotenz hat
Wie ihre grenzenlose Liebe auch
Den Preis gelegentlicher Leiden
Was sie immer vielfach wert ist
Wer ein solches Wunder genießt
Tut gut daran es ganz zu lieben
Auch wenn es an Grenzen geht
Eigene Kräfte mal überschreitet
Die Liebe mit echter Leidenschaft
Ist immer auch ein Leidensweg
Doch führt er zum höchsten Glück
Der geteilten befriedigten Erlösung
Wer das gemeinsam immer findet
Hat mehr Glück als möglich schien
Was ist da gelegentliches Leiden
Denke ich verliebt von ihr träumend
So finde ich auch im Wechselbad
Der Gefühle aus der Leidenschaft
Gelassenheit und zahle den Preis
Den auch das größte Glück hat
Frage mich nur ob nicht damit
Die Leidenschaft Feuer verliert
Wenn ich sie gelassen hinnehme
Sie sich ganz vernünftig erledigt
Doch bin ich relativ sorglos dabei
Zu zufällig sind immer die Gründe
Als das ich stets vorbeugen könnte
Sie mich nicht mehr leiden ließe
Glücklich nur macht mich dabei
Zu wissen dies ist halt der Preis
Für das Übermaß sonst an Glück
Bis zum nächsten Ausbruch dann
So werde ich sie immer mehr lieben
Wird das Begehren stets neu wachsen
Es ist anstrengend aber wunderschön
Wie die schönste Frau der Welt für mich
Eine leidenschaftliche Muse ist wohl
Unendlich kräftezehrend und doch
Das größte Glück eines Dichters
Auf seinem wortreichen Leidensweg
jens tuengerthal 27.11.2017
Sonntag, 26. November 2017
Romanform
Wer einen Roman erzählen will, sollte sich 117 Jahre nach dem Erscheinen der Buddenbrooks und 93 Jahre nach dem Zauberberg fragen, was heute zeitgemäß ist. Kunst geht, wenn sie etwas taugt, ihrer Zeit voraus, setzt aber auch gerne einen Kontrapunkt zum üblichen Denken, regt neues an, wenn sie mehr als nur eine Beschreibung dessen was ist, abliefern will.
Werden Romane besser, wenn sie die aktuelle, technisierte und denglisch verbogene Sprache der Jugend nutzen oder werden sie dann nur noch lächerlich?
Kaum denke ich und halte dies wie vieles für eine nur Mode, die ich schreibend nicht zu ernst nehmen sollte, wenn ich Bleibendes schaffen möchte. Es kommen zwar immer mal wieder Jugendworte in den Duden, sind frühere Slang-Worte, die ein Thomas Mann höchstens provokativ in der Umgangssprache mal genutzt hätte, längst keine Provokation mehr, sondern gewöhnlicher Umgang geworden und stören niemand mehr. Zugleich nutzen wir technische Ausdrücke für das Netz, mobile Kommunikation oder soziale Netzwerke, die Worte wie googeln oder tindern zum guten Sprachgebrauch machten.
Das Vokabular wird durch das jeweilige Sozialverhalten geprägt und wenn Jugendliche sich eben über das Netz verabreden und kommunizieren, sich in sozialen Netzwerken eher kennenlernen als in der Bar um die Ecke, prägt dies auch die Sprache und während es von räumlichen Schranken befreit, sich Menschen aus aller Welt verabreden und treffen können, macht es zugleich auch abhängig von der Technik, mit der wir uns verbinden, vom Netzzugang und anderen Ungewissheiten.
Während Goethe noch unruhig mehrmals täglich Boten zur verehrten Charlotte von Stein sandte, als diese sich nicht in der direkten Nachbarschaft sondern auf ihrem einige Kilometer entfernten Landgut befand, sind solche Distanzen heute kaum ein Lächeln wert, verabreden wir uns über jede Distanz via Whatsapp und telefonieren in Europa ohne Ende kostenlos miteinander, dahingestellt, ob diese Möglichkeit in allem immer ein Gewinn gegenüber der Goethezeit darstellt.
Nachdem meine Liebste mich in einem sozialen Netzwerk entdeckt hatte, setzte sie die entsprechenden Zeichen, auf die ich, ahnungslos alt, wie ich in der Beziehung wohl bin, erst mit einiger Verzögerung reagierte. Sie kannte sich dort viel besser aus als ich, obwohl sie doch so viele Jahre jünger ist als ich und war damit wie meine Tochter ein Kind dieser Zeit, in der ich auch lebe, die aber auch eine fremde andere schon für mich ist in vielem, der ich geboren wurde, bevor es Computer wirklich gab, als vom Internet noch keiner was ahnte und der bereits sein Studium beendete, bevor soziale Netzwerke überhaupt erfunden wurde.
Schließlich verständigten wir uns doch, fanden uns über die in jeder Hinsicht große Distanz zwischen Berlin und Schwaben sehr schnell zusammen, überwanden alle Hürden, die sich dem noch entgegen stellten in uns und um uns und lebten die schönste Liebesgeschichte, die sich je in einem sozialen Netzwerk fand, das noch dazu seine Nutzer nur auf oberflächliche Bildchen reduziert, weil das wovon es ausgeht nicht das, was ist, prägen muss.
Warum ich nun wieder von meiner wunderbar romantischen Liebesgeschichte erzähle, die sich in sozialen Netzwerken so unerwartet fand?
Weil sie typisch ist für die Liebe in unserer Zeit, wie ich es auch bei meiner Tochter beobachte, die ihre Flirts dort kennenlernt, länger nur virtuell pflegt, bis beide sich irgendwann ganz real treffen oder auch nicht und dann mehr oder weniger enttäuscht eine Beziehung versuchen oder nicht. Während Goethe noch revolutionär mit dem Werther einen Briefroman schrieb, der wunderbar tragisch mit dem Freitod des Protagonisten endet, der die Jugend Europas bis in die Romantik hinein aufwühlte, den angeblich auch Napoleon las und von da an immer bei sich trug, der ihm später peinlich war, als Autor des Faust und des Wilhelm Meister.
Doch hatte Goethe andere Gefühle als ich oder beschreibt er eine andere Situation als sie meine Tochter heute emotional erlebt?
Es gibt mit der virtuellen Welt einen neuen Raum, in dem sich die Liebenden bewegen, aber verändert dieser, was an der Art, wie sie sich begegnen?
Klar, Goethe kannte keinen Cybersex, aber wirklich spannend ist es doch, wenn du mit wenigen Worten und ohne Technik den anderen verführen und berühren kannst und daran hat sich von damals bis heute nichts geändert. Ob die Worte mit der Feder geschrieben oder ins Ohr gehaucht werden, um zu verführen, zu berühren, ein Herz zu gewinnen oder doch nur mittels Software elektronisch versandt und mittels eines selbstleuchtenden Lesegeräts gelesen werden, ist für die emotionale Wirkung nicht relevant.
Wenn ich mit einem meiner Freunde, der im Rollstuhl sitzt, über Sex plaudere, meinen wir beide das gleiche und beschreiben es nur unterschiedlich. Als ich mal eine einbeinige Geliebte hatte, war das zwar erstmal ungewohnt, wie für Goethe der Umgang mit dem Netz gewesen wäre, aber war dann doch so gut oder schlecht wie immer, da nicht die äußeren Umstände über die Qualität der Lust entscheiden, sondern das Gefühl dahinter.
Doch wie es nicht allen Menschen gegeben ist, sich auch physisch völlige Erfüllung gegenseitig zu schenken, dachte früher, es sei nur eine Frage der Technik, dazu müssten nur die richtigen Stellen korrekt stimuliert werden, und habe aber mit den Jahren lernen müssen, dass es auch an der Natur also der Physiognomie liegt, was zwei miteinander empfinden können oder nicht, dass der gemeinsame Höhepunkt für die meisten ein nur theoretisches Wunder bleibt, während es für andere ganz normal ist, so unterscheiden sich auch die Formen der Zuneigung sehr und haben sich doch auf ihre Art nie verändert. Was Goethe in seinen Briefen an die Stein schrieb oder Casanova in seinen Tagebüchern kann ich genau so nachempfinden und wie oft habe ich mich schon als Werther gefühlt, auch wenn ich nun erst die wirklich große Liebe entdeckte, die alles andere wertlos erscheinen lässt, verglichen, wäre sie nicht immer unvergleichlich.
Wenn sich aber nichts ändert in der Sache, nur die Formen etwas andere sind, wie die Technik beim Sex eine andere ist, wenn wir endlich gelassen begreifen, es kommt auf den nervus pudendus an, von wo aus und wie wir ihn auch immer reizen, um zusammen Befriedigung zu finden und nicht nur fälschlich bloß gemeinsames Onanieren für Sex zu halten, aber über allem doch das durch alle Zeiten gleiche Gefühl füreinander und die Hingabe aneineinander entscheidet, ob es gut war, dann wird es auch nicht darauf ankommen ob der Sex virtuell via Whatsapp-Nachrichten begann oder wie in den Gefährlichen Liebschaften als der eine die Lust der Verehrten in einem Brief beschwört, den er auf der nackten Haut der anderen mit einer sie kitzelnden Feder schrieb, die diese noch stimulierte.
Es müsste sich nichts ändern, es passten sich nur einige Techniken an den heutigen Stand der Technik an aber die Sache bliebe immer die gleiche und so bräuchte ich, was das zentrale Thema der Liebe betrifft, die uns doch alle immer wieder umtreibt, nichts ändern, um darüber noch aktuell schreiben zu können, als bei den Formen der Kommunikation die Werkzeuge anzupassen, doch hat sich da auch seit biblischen Zeiten nie etwas geändert, wie wir leicht in den immer noch erregenden Zeilen des Hoheliedes nachlesen können, einer der schönsten Texte der Erotik und noch dazu aus dem Bereich des Aberglauben.
Bedenke ich, dass König Salomo, der angebliche Erbauer des Tempels zu Jerusalem nach den Angaben des Märchenbuchs Bibel etwa im 10. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte, wenn es ihn historisch außerhalb der Bibel denn überhaupt gab, ist die ganze Geschichte ungefähr 3000 Jahre her. Nehmen wir die indischen Veden mit noch mehr Aberglaube aber nicht weniger Erotik, können wir sogar noch 500 Jahre weiter zurück gehen. Daran gemessen ändert sich nie etwas und seit Menschen schreiben und dichten können sind Liebe und Lust neben dem sie beschränkenden Aberglauben ein zentrales Thema.
Das andere große Thema ist die Geschichte selbst, über die ihre Chronisten mehr oder weniger lyrisch oder objektiv berichten wollten. Homer schrieb tatsächlich Geschichte in Versen in der Illias und vermutlich teilweise auch in der Odyssee - vielleicht werden wir es irgendwann beweisen können. Vierhundert Jahre nach Homer, der mehr als Epiker, denn als Historiker gesehen wird, auch wenn er sicher beides war, schrieb Herodot Geschichte, der noch heute als ein Autor von erstaunlicher Größe und ungeheurer Wirkung gilt. Er versuchte den Menschen einen Eindruck von der ganzen ihm bekannten Welt zu vermitteln, wie er sie sah von den Bräuchen und Sitten der Völker, die er auch selbst besuchte. Er selbst sagte über sein Werk:
„Dies ist die Darlegung der Forschung (griech. Historie) des Herodot aus Halikarnassos, damit die Taten der Menschen nicht durch die Zeitläufe vergehen, damit die großen und bewundernswerten Taten nicht ruhmlos vorübergehen, die auf der einen Seite von den Griechen und auf der anderen Seite von den Barbaren an den Tag gelegt wurden. Das alles hat er dargelegt, sowie aus welcher Ursache sie einander bekriegt haben.“
– Herodot: Proömium der Historien
Er hat den Anspruch, zu sagen, wie es war und hat für seine Schriften gut recherchiert, mit vielen Menschen vor Ort gesprochen und sie befragt. Dennoch kamen schon früh Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Aussagen auf. Plutarch etwa nannte ihn in einem Traktat einen Lügner. Heute wird er als ein für seine Zeit erstaunlich gut und methodisch arbeitender Berichterstatter gesehen, auch wenn andere immer noch meinen, er habe viele seiner Quellen frei erfunden und täusche immer wieder nur vor, Augenzeuge gewesen zu sein. Nach heutigem Wissen, gibt es dazu immer noch keine einheitliche Meinung. Die Schule der Lügner, wie diejenigen genannt wurden, die Herodot für einen solchen hielten, konnte sich jedoch auch nicht durchsetzen und so wird weiter gestritten. Zumindest wurde durch die Auseinandersetzung die Quelle Herodot ein wenig infrage gestellt aber auch in der Diskussion wach gehalten.
Auf dieses Problem stoßen alle Geschichtsschreiber irgendwann, besonders wenn sie noch dazu sogar politisch Position beziehen wie Herodot slebst, der aufgrund seines Engagements für die Demokratie und gegen die Tyrannis sogar seine Heimat verlassen musste und trotz späterer Aufhebung der Verurteilung nie wieder zurückkehrte.
Das weltweit bekannteste auch historische Werk ist wohl das Märchenbuch Bibel, das die Geschichte des jüdischen Volkes, im Lichte des ältesten noch existierenden Aberglauben erzählt. Es sammelt Sagen und Geschichten des Glaubens, die sie mit wirklichen Teilen aus der Historie mischt, damit war es, auch durch die an seine Tradition anknüpfenden jüdischen Sekten namens Christentum und Islam, unglaublich erfolgreich und kein Buch ist wohl im Laufe der Zeit häufiger gedruckt worden und wurde für so lange Zeit zum Maßstab der Sicht auf die Welt und ihre Geschichte, ist dies in vielem auch noch bis heute.
Noch immer gibt es etwa Kreationisten, welche die dort erzählte Schöpfungsgeschichte als wahr betrachten und zur Grundlage ihrer vom Aberglauben geprägten Wissenschaft machen, es mit ihrer absurden Sicht der Dinge teilweise sogar bis in aktuelle deutsche Schulbücher schafften, in dem sie versuchen, die Wissenschaft, welche die Dinge logisch erforscht und erklärt, auch als einen bloßen Glauben zu betrachten. Ihre Geschichtsschreibung beruht auf der Bibel, nimmt sie als wahr an und erklärt ihren Anhängern damit die Welt. Damit sind sie so erfolgreich, dass sie auch in den USA in einigen Staaten ernsthaft als Sichtweise an den Schulen gelehrt werden dürfen und damit der Infragestellung aller Vernunft und Logik natürlich Vorschub leistet.
Die Wahl des amtierenden amerikanischen Präsidenten lässt sich zwar nicht direkt auf diesen Irrsinn zurückführen, indirekt wirkte diese Lehre aber auch im Glauben breiter unaufgeklärter Schichten, einschließlich des Präsidenten selbst, an Verschwörungstheorien, die zwar jeder Vernunft widersprechen und auf Dummheit basieren, aber gerade historische Dinge mit einfachen Mustern erklären, welche keine Fragen offen lassen, jedoch nie einer wissenschaftlichen Untersuchung standhielten, deren Gültigkeit von den Anhängern dieser Lehren nach dem Prinzip alternativer Wahrheiten bezweifelt wird. Das begann mit den Zahlen über die Zuschauer bei der Einsetzung des Präsidenten und hört bei der Behauptung einer kriminellen Tätigkeit der Gegenkandidatin Clinton noch lange nicht auf, die von eigenen Fehlern ablenken soll.
Großer Beliebtheit erfreuen sich heute auch pseudowissenschaftliche Werke, die komplexe Zusammenhänge in einfacher Sprache aber mit dicken Schlagzeilen erklären. Unter deren Autoren findet sich eine große Zahl an Verschwörungstheoretikern, die so ihre vermeintlichen Wahrheiten unters Volk bringen wollen und mit ihren vermeintlichen Aufdeckungen immer noch erstaunlich viele Leser finden, die schon lange glauben, belogen zu werden, weil sie die realen Zusammenhänge einer komplexen Welt nicht mehr verstehen wollen und lieber an eine weltweite Verschwörung glauben, so absurd diese auch sein mag, als sich ernsthaft den komplexen Zusammenhängen zu widmen, die sich eben nicht einfach erklären lassen und möglicherweise ihre Auffassungsgabe überstiegen.
Was folgt daraus für einen, der sich dem Geist der Aufklärung verpflichtet fühlt, meint eine Kulturgeschichte schreiben zu wollen, in der er in Romanform die Geschichte seiner Familie erzählt?
Will ich nicht die Gläubigen und Zweifler fördern, müsste ich dies Projekt, an dem ich nun schon länger arbeite, auf den Boden der Wissenschaft stellen, eine schlicht lexikalische Historie schreiben, die es ja mit Wikipedia in hoher Qualität bereits gibt. Müsste, was ich behaupte, sorgsam beweisen, mein Werk mit Fußnoten spicken, es also ästhetisch infrage stellen, ohne dadurch einen Gewinn an Glaubwürdigkeit bei denen zu haben, die lieber Verschwörungstheorien glauben und der Wissenschaft muss ich die Richtigkeit ihrer Methode ja nicht beweisen, die für sie längst zum existenziellen Selbstzweck wurde.
Egon Friedell schrieb in der Einleitung seiner Kulturgeschichte der Neuzeit schon, dass jedes historische Werk immer nur die Meinung ihrer Zeit widerspiegelt, ein Feuilleton seiner Zeit ist, der nie Anspruch auf Objektivität erheben könnte und befreit sich damit von jeder Diskussion, weil er zwar die Sicht auf die Kultur dem Stand der Wissenschaft entsprechend erzählt aber dies auch immer wieder wunderbar plaudernd mit seiner Meinung mischt.
So wäre Friedell wohl ein großes Vorbild, um unterhaltsam zu schreiben und dennoch auf eine kluge Art Aufklärung zu betreiben, die aber aufgrund ihrer erklärten bloßen Subjektivität unangreifbar wäre. Könnte alle Kritiker weglächeln und sagen, natürlich ist alle Geschichtsschreibung subjektiv und vom Geist ihrer Zeit geprägt. Es kann ja auch gar nicht anders sein. Auch die beste Wissenschaft arbeitet mit Hypothesen, die dem Geist der Zeit entsprechen.
Durch die Berufung auf die logische Subjektivität aller Geschichtsschreibung hätte ich mich von den Zwängen der Wissenschaft befreit, könnte Geschichte schreiben, wie es mir gefällt, ohne die Aufklärung zu verraten, die der Leitstern all meines Denkens ist. Hätte es nicht schon Friedell so getan, wäre ich nicht nur ein Nachahmer, dächte ich nicht, unsere Zeit bräuchte eine andere Geschichtsschreibung, die ihrem Geist entspricht, um die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen unsere Zeit zu spiegeln.
Im Zeitalter der sozialen Netzwerke, das wir zugleich als das Anthropozän wahrnehmen, also das Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Faktor auch der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde, dreht sich der Mensch auch im Geiste vollständig nur noch um sich, wird sich jedoch langsam der Folgen seines Tuns bewusst.
Dies können wir beklagen und scharfe Warnungen aussprechen, wie es die Wissenschaft derzeit tut, oder ignorieren, wie es der egomane amerikanische Präsident macht, der in seinem nur um sich kreisen, der beste Beleg der Theorien ist, die er unverstanden bezweifelt. Beide Ansätze liegen mir als Aufklärer wie als Epikuräer fern. Möchte weder in den Chor des Jammerns und der Klage über den Egoismus der Menschheit einfallen, noch die Erkenntnisse der Wissenschaft dreist ignorieren, nur weil sie zu komplex sind, als das ich mir anmaßen würde, jedes Detail zu verstehen.
Was weiß ich schon, fragte der hochgebildete Montaigne vor über 400 Jahren und die Weisheit seiner Essays und die in ihnen wohnende Bescheidenheit bei gleichzeitiger Freude am Leben und großer Lebenslust, die sich dennoch bemüht immer mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen, ist bis heute eines der besten Lehrbücher für ein gutes Leben.
Sich zurückziehen um sich auf das Wesentliche zu besinnen, meine eigenen Grenzen wohl erkennen, denn was weiß ich schon, wie könnte ich meinen, besser als ein Friedell oder ein Mann im Zauberberg Kulturgeschichte zu schreiben, und doch voller Gelassenheit mit den mir eben gegebenen Mitteln lustvoll ans Werk zu gehen, scheint mir die Antwort auf die Frage nach der richtigen Form in der zumindest ich heute nur Geschichte schreiben kann. Dabei bin ich mir bewusst, im Zeitalter der sozialen Netzwerke und von Big Brother zu schreiben, in dem es nahezu immer um die bestmögliche Selbstdarstellung geht.
Werde meine Geschichte erzählen, die natürlich immer auch die meiner Familie ist, aus der ich stamme und die mich prägte, deren Erbgut ich weitergebe, nichts sonst. Werde dabei völlig subjektiv bleiben und es, um der Lust am Schreiben willen, eben romanhaft so erzählen, wie es mir gefallen würde zu lesen und wie es die Lücke füllte, die ich schließen könnte. Besinne mich auf meine Kräfte und Wurzeln, nutze meine Phantasie um aus der Wurzel aller Kultur heraus ihre Geschichte zu erzählen oder, was mir eine schöne literarische Freiheit zu sein scheint, noch besser also, lasse meinen längst verstorbenen Großvater dies erzählen, wie er es vielleicht getan hat oder sicher hätte tun können, es zumindest aus meiner Sicht, seinem Geist entspräche und werde nun also die Kulturgeschichte der Familie Tuengerthal erzählen, wie sie mir erzählt wurde und einfiel. Maße mir nichts an, als das zu tun, was ich kann, verkünde keine historischen Wahrheiten, lüge natürlich nicht, sondern schreibe einfach, wie es mir einfällt, wenn ich daran denke, was war. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind kein Zufall, sondern meine Sicht der Dinge, was natürlich dazu führt, dass nichts davon der Realität entsprechen muss, sondern immer nur meiner Sicht auf diese, wie wirklich die Wirklichkeit am Ende auch immer sein soll.
Mehr kann ich nicht, anderes könnte ich nicht verantworten. Keiner ist so, wie ich ihn beschreibe und nichts hat sich für die anderen so zugetragen nur weil ich es nun so sehe oder beschreibe, aber vielleicht macht es dem einen oder anderen außer der Familie Freude, diese kleine Selbstbetrachtung zu lesen, in der sich die Kulturgeschichten in meiner Familie und diese in meiner Sicht spiegelt. Nicht um zu sagen, es sei genau so gewesen, ich muss nichts besser wissen als andere, die es gar studierten, sondern um frei die Geschichte als meine Geschichte zu erzählen. Aus meiner Sicht entspricht diese Idee, Geschichte zu schreiben genau dem Geist der sozialen Netzwerke, in denen wir uns pausenlos selbst spiegeln, am besten auch noch mit Selfies, um der Wirklichkeit den Anschein eines guten Bildes von uns zu geben.
So ist dieser Weg gewiss eitel wie alles Erzählen von sich, doch wenn ich damit auch tue, was alle pausenlos machen, tue ich es zumindest in dem Wissen, nicht über mich hinaus zu können, auf mich beschränkt zu sein und maße mir dieses mal nicht an, etwas besser zu wissen oder die Welt erklären zu können, wie sie ist und wurde, wozu ja alle Geschichtsschreiber der Natur nach irgendwie neigen, warum ich mich auf meine Sicht der Welt und meiner Familie beschränke, die eben ist, wie sie ist. Wen das nun neugierig macht, der wird sicher Wege finden, mehr darüber zu erfahren, wenn es soweit ist.
jens tuengerthal in Berlin am 26. November 2017
Liebesschön
Meine Frau ist die schönste
Das ist ganz offensichtlich
Kann auch keiner übersehen
Entspricht meinem Gefühl
Natürlich macht die Liebe schön
Schöner nur geliebt zu werden
Wie sollte sie also nicht schön sein
Auch wenn sie manchmal zweifelt
Wer an sich äußerlich zweifelt
Kann ganz schnell verzweifeln
Darum fang ich es lieber nie an
Beschäftige mich nicht damit
Liebe meine wunderschöne Frau
Die natürlich viel schöner ist
Als ich sie hier beschreiben kann
Auch weil sie ist wie sie ist
Ihre Bescheidenheit macht sie
Für mich noch schöner als es
Ein strahlend starkes Ego könnte
Wie es so gewöhnlich nur ist
Jeder findet sich heute toll
Oder warum zeigen sie sich
Alle ständig selbst der Welt
Suchten sie nicht Bestätigung
Finde mich eher so normal
Ein Mensch halt mit allem dran
Was die Natur für ihn vorsah
Manches auch fehlt schon
Das Haar wird oben lichter
Der Bart nun langsam grau
Die Knochen schmerzen halt
Die Blase hält nur mühsam
Schön fand ich mich noch nie
Strebte auch nie im Leben
Danach ein Schöner zu sein
Wäre auch vergebens gewesen
Erst meine wunderbare Frau
Sagte mir wie schön ich sei
Glaub es natürlich nicht aber
Freu mich an der Liebe darin
Sie fand ich stets wunderschön
Um so mehr je näher ich kam
Weiß sie könnte jeden haben
Weil sie nicht nur schön ist
Solange sie daran zweifelt
Ist sie mit mir noch zufrieden
Könnte ich ökonomisch denken
Und tue doch das Gegenteil
Bin wohl kein Ökonom
Zumindest in der Liebe
Möchte ich glücklich machen
Wüsste ich nur immer wie
So bleiben beide bescheiden
Glauben großes Glück zu haben
Mit dem anderen und sind es
Ein Leben lang miteinander
Von mehr weiß ich nichts mehr
Na vielleicht doch was kleines
Ich hab natürlich viel mehr Glück
Aber das sag ich jetzt lieber nicht
jens tuengerthal 26.11.2017
Samstag, 25. November 2017
Liebeswert
Die Liebe verschiebt das Leben
Was nichts war wird uns alles
Anderes wird völlig unwichtig
Wird am anderen gemessen
Früher saß ich gerne im Café
Schaute alle Frauen dabei an
Wollte gern jede mal haben
Heute sind sie mir ganz egal
Als ich dich noch nicht kannte
Warst du einfach ein Mensch
Nicht weiter wichtig für mich
Heute bist du alles längst mir
Männer vergleichen sonst gern
Ihre Frauen wie beim Quartett
Wollen die Beste für sich haben
Du bist für mich unvergleichlich
Früher liebte ich die Frauen alle
Konnte an jeder etwas schönes
Noch entdecken heute sehe ich
Nur wieviel schöner du immer bist
Früher hatte ich einen Frauentyp
Später verlor sich auch dieser
Heute bist du die Erfüllung aller
Träume die ich doch nie hatte
Du fragst mich manchmal
Ob mir nun etwas fehlte
Was ich früher immer tat
Und ich verstehe es nicht
Weil du mir einfach alles bist
Kann mir nie etwas fehlen
Habe doch mit dir alle Träume
Erfüllt und bin immer glücklich
Habe meine Träume verloren
Weil sie sich mit dir erfüllten
Lebe den Traum nun lieber
Was mir für ein Leben genügt
So hat sich manches verschoben
In unserer beider Wahrnehmung
Solange es uns glücklich macht
Kann nichts besseres passieren
jens tuengerthal 25.11.2017
Geschichtsgeschichten
Natürlich finden wir absolute Gleichheit wie die Uniformität unter Mao oder die Feiern aller totalitären Organisationen, seien sie nun Nazis oder Kommunisten, was sich ja bekanntlich mehr in der Farbe als in der Überzeugung unterscheidet, schrecklich, wollen unsere Persönlichkeit ausleben und uns unterscheiden - aber bitte doch nicht zu sehr, weil eine gewisse Anpassung einfach nötig ist, um Anerkennung zu finden.
Wollte ich also Anerkennung, würde ich mich hüten von den Standards abzuweichen, damit ich nicht infolge nur ignoriert werde, denn irgendwas muss ich ja wohl auch sein. Oder steht es mir frei, jenseits aller Schemen, einfach zu tun, was mir gefällt?
Geschichte wurde früher von Mund zu Ohr erzählt, stand in der Tradition der Sagen und Märchen, verschwamm mit ihnen oder bildete sie. Die Ilias ist eine wunderbare, uralte Dichtung und zugleich die besterhaltene und am meisten verbreitete Geschichte der trojanischen Kriege, von denen kaum einer mehr wüsste, hätte sie nicht einst Homer so schön in Verse gefasst, die bei uns blieben und immer wieder erzählt werden.
Auch die bloße Heimreise der griechischen Truppen aus diesem Kampf, bei der sich nur einer der lokalen Fürsten ein paar Jahre etwas verfuhr, wurde Teil unserer Literaturgeschichte in der Odyssee, die in Joyce Ulysses wieder den bis heute präsenten Aufbruch in die Moderne wagte und mit der Zeit spielend, die nur ein Tag ist, das Irland der kleinen Leute beschreibt, wie es lange mit Beginn der Moderne und der Ausbreitung der Demokratie als schick galt, sich ausführlich auch mit dem gewöhnlichen zu beschäftigen.
Die von Teilen der Sozialisten erstrebte Diktatur des Proletariats zeigte sich auch in der Panik vor Elite in immer breiteren Schichten der Kulturgeschichte. Der gewöhnliche Alltag galt als dringend zu erforschen, da alles andere doch bekannt wäre und das Leben der gewöhnlichen Menschen bisher sträflich vernachlässigt wurde.
Wenn ich es schaffe dabei noch Schwule, Behinderte, Frauen oder andere, die sich gern benachteiligt fühlen, zu integrieren, bekommt meine Forschung auch reichlich staatliche Förderung. Nicht dass diese irgendwem nutzte - sie führt zum völligen Verlust der Orientierung der meisten Menschen, die sich von der Geschichte abwenden, die genügend damit zu tun hat, sich mit den neu entdeckten Themen der Sozialgeschichte des kleinen Mannes zu beschäftigen.
Schon zu meiner Schulzeit lernte ich mehr nach wechselnden Modellen als in Zusammenhängen über Geschichte, was sich immer danach bemaß, welche Partei wo regierte und welche Ideologie sie dabei durchsetzen wollte. In jedem Jahr mindestens einmal das Dritte Reich und das schlechte Gewissen aus der Schuld der Nation führte zu einer gewissen Desensibilisierung bei Teilen der Bevölkerung besonders im fernen Osten der Republik.
Von Karl V., der Zentralgestalt der deutschen Geschichte zwischen Mittelalter, Renaissance und Reformation, erfuhr ich nahezu nichts. Vom Antisemiten Luther, der den Geist säte, aus dem sich die NSDAP 450 Jahre später so erfolgreich bediente, den der Rache, des Zorns und des damit Antisemitismus, erfuhr ich nichts und wissen bis heute im Jubiläumsjahr viele Menschen nichts und ignorieren, dass die elende Reformation die geistige Befreiung der Renaissance in zentralen Teilen Europas für viele Menschen verhinderte.
Was die Aufklärung und ihren Geist der Freiheit ausmachte, erfuhr ich erst viele Jahre nach der Schule, als ich mich neugierig selbst auf den Weg mache. Hörte in der Schule Namen wie Rousseau statt Diderot, von Kant nur am Rande und warum dieser Geist der Freiheit in der Renaissance und ihrer Wiederentdeckung von Epikur und Lukrez gegen den zu engen Geist des Mittelalters wurzelt, erfuhr ich erst mit vierzig Jahren, stattdessen hatte ich Religionsunterricht, der mit biblischen Märchen wiederum ein Geschichtsbild prägte, das sich selbst zum Wendepunkt genommen hat mit dem Jahr 0 und alles vorige als Wert negierte.
Wir regen uns hier gern kultiviert über die Taliban auf, die gerade die Wurzeln anderer Kultur in den Gebieten, die sie beherrschen zerstört und nichts neben der Sekte des Straßenräubers Mohamed gelten lässt - doch war es hier je anders, was maßen wir uns da an?
Hat nicht der christliche Aberglaube alle vorherigen Traditionen entweder aufgefressen oder zerstört?
Wie war es mit dem römischen Atheismus im Geiste des Lukrez?
Tat Rom nicht alles, dieses große Kapitel der Freiheit vergessen zu machen?
Will weder die Taliban noch sonst eine Sekte verteidigen, es ist keine besser als die andere. Nur, wer andere verurteilt, muss sein Urteil vernünftig begründen können - angesichts der Kultur der Verdrängung, die Europa über Jahrtausende prägte, fände ich mehr Bescheidenheit wünschenswert, doch das bleibt wohl ein schöner Traum.
Jede Kultur versucht die anderen zu verdrängen, um als Sieger der Geschichte ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Wem eine einfällt, die es andere machte, wenn sie konnte und nicht musste, der möge mich eines besseren belehren - der Kampf um Herrschaft und Überlegenheit ist immer auch ein Kampf der Kulturen wie wir ihn gerade zwischen dem Westen und der islamischen Welt erleben.
Wir wissen heute wie anmaßend und ungebildet der koloniale Imperialismus auch des britischen Empire war und dennoch wollen wir mit dem Humboldt Forum ein auch durch die Kolonialzeit geprägtes Museum nach dem Modell des British Museum mit dessen ehemaligen Direktor als prägender Gestalt bauen. Ist das noch zeigemäß, ein Rentner die Zukunft gestalten zu lassen?
Bewundere Neil MacGregor, der mit 70 Jahren von Londons bester Position nach Berlin zog, wo so vieles, wenn nicht alles unklar ist, wo auch er sich möglicherweise Anfeindungen aussetzen muss, lese ihn zu gerne und denke er hat eine wunderbare Art Geschichte zu erzählen, wie er es in seiner auch Buch gewordenen BBC Sendung demonstrierte. Doch steht da nicht ein Mann des alten Empire dem Verein zur Füllung des neuen Berliner Schlosses nun vor?
Dies befürchten vor allem Kräfte aus dem radikalen linken Lager, die überall gern Faschismus und Imperialismus wittern, um ihre beiden Lieblingsfeinde nur zu nennen, die ihnen eine Existenzberechtigung erst geben.
Möchte mich hier wie immer lieber jeder Meinung enthalten, auch wenn ich MacGregor sehr schätze, den gebildeten Schotten, der so wunderbar über Geschichte plaudert und den Briten in ihrem Museum in seiner letzten Ausstellung zum Abschied so wunderbar und liebevoll Deutschland an brillant ausgewählten Objekten in seiner Kulturgeschichte erzählte, Auch wenn es der Berliner Martin Gropius Bau schaffte diese Ausstellung schlecht und kleinlich zu präsentieren, war doch der weite Geist des Schotten MacGregor noch spürbar, den konnte nicht mal die gruselige Inszenierung dort zerstören, die ohne jedes Feingefühl die eigene Kultur präsentierte.
In dessen neuem Haus wird sich Berlin nun, statt mit der geplanten sprachlichen Ergänzung der sonstigen Ausstellungen mit einer eitlen Nabelschau präsentieren, die erwartbar peinlich wird und nur vom beschränkten Intellekt eben sozialdemokratischer Amtsverwalter erzählt, nicht aber eine neue geistige Entwicklung aus der Hauptstadt andeutet, die nur ein großer Freizeitpark sein möchte, in dem die Leute sich bespaßen lassen, wie sie es aus der Provinz gewohnt sind.
All dies sind Beispiele dafür, wie unterschiedlich Geschichte erzählt werden kann. Wohin es führt, wenn sie uns nicht ergreift, sie uns nur zu lange primitiv ideologisch geprägt aufs Haupt rieselte, sehen wir in Neufünfland und der Stärke von Pegida und AfD in Sachsen, auch wenn von den primitiven Pegiden und Sachsen am liebsten keiner mehr spräche im Land, sie sind zu peinlich.
Dabei liegen sie mit manchen ihrer Standpunkte nicht mal so falsch, wie die Begrenzung des Zuzugs zeigt und die Schwierigkeiten bei der Integration zeigen, doch zwischen AfD und “Wir schaffen das”-Ideologie war wenig Platz für kritische Vernunft.
Kritische Vernunft aber braucht ein solches Denken, dass aus der persönlichen Identifikation mit dem Fragen resultiert. Es geht nicht um Wissen, vor allem nicht um Besserwissen, was im frustrierten Ergebnis vermutlich den radikalen Kräften mehr Stimmen brachte, sondern um Wege zur Identifikation.
Wenn ich aufhöre ständig Geschichte ideologisch zu verkaufen, werden sich auch wieder mehr Menschen für die Tatsachen interessieren, statt die ideologisch gewünschten Stöckchen zu apportieren. Wann fangen wir damit an?
In meiner Familie wurde immer die FAZ gelesen und früher eben die Frankfurter Zeitung, viele sahen sich als liberal, ohne in einer Partei sein zu wollen - aber auch da laufen die Brüche mitten durch die Familie, in der es Nazis und Widerständler gab. Lernte früh, dass wir jede Meinung vertreten können, wenn wir nur die richtigen Argumente benutzen, es weniger um Überzeugungen geht als darum, wie wir sie erfolgreich vertreten.
Dies klingt nun fast so, als wäre ich ein Fürsprecher neutraler Fakten. Gestehe es lieber gleich, ich glaube nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Alles ist irgendwie Meinung und in jeder Sicht steckt die eigene ideologische Prägung, meine Abneigung gegen die Linke und das Wort Sozialismus, wurzelt auch darin im Kalten Krieg aufgewachsen und aus einer Bremer Unternehmerfamilie mütterlicherseits zu stammen.
Wenn ich Geschichte erzähle, erzähle ich immer auch meine Geschichte und wie ich aufwuchs mit, auch wenn ich es nicht will, denn täte ich es nicht, handelte ich ohne jede Begeisterung und Überzeugung, was auch niemanden erreichte.
So erzähle ich nur noch meine Geschichte als Kulturgeschichte und da mein Leben etwas beschränkt ist, von den 70ern des vergangenen Jahrhunderts bis jetzt, wird es eben die Geschichte meiner Familie, wie sie mir mein Großvater vor seinem Tod noch erzählte. Damit es noch irgendjemand interessiert außer der betroffenen Familie erfinde ich Brücken zur Kulturgeschichte, die wir miterlebten und auch weil ich das kleine private Leben für nicht sonderlich berichtenswert halte, die Tendenz der Kulturgeschichte heute im privaten der kleinen Menschen zu wühlen für eine verfehlte Desorientierung halte, die nur daraus geboren wurde, dass sie meinten eine Vielzahl ganz neuer Themen rekrutieren zu müssen, die noch auf staatlich finanzierte Erforschung künftig warten, zumindest so sie politisch korrekt gegendert werden können.
Beschränke mich auf mich, meine Erinnerung, meinen engenHorizont und nehme ansonsten meine Phantasie zur Hilfe, um ein vollständiges Bild zu malen, das keine objektive Richtigkeit beansprucht und tue es zum Vergnügen, um was sonst soll es auch im Leben gehen?
Es Kulturgeschichte der Familie zu nennen, könnte wissenschaftlich und nach Sachbuch klingen, dabei schreibe ich nur eine Art Familienroman, der sich nur um mich und meine Sicht der Dinge dreht, doch indem ich mich auf das konzentriere, was ich kenne und weiß, mir nicht anmaße , ich könnte über das eine oder andere auch nur objektiv berichten, also am weitesten davon weg bin, komme ich ihm vielleicht am nächsten. So schwanke ich zwischen nichts und allem, schreibe als ich nur, das sich nur eben mit seiner Sicht in den größeren historischen Kontakt stellt, ohne zu behaupten, es sei je anders.
Was es wird, werden wir sehen, solange es Freude macht, wird es gut sein.
jens tuengerthal 24.11.2017
Freitag, 24. November 2017
Freitagsstimmung
Mal wieder Freitag
Im Sorsi suchen Menschen
Im Nebel Anschluss
Über allem noch
Hämmern Bässe in die Nacht
Wer reden will brüllt
Johnny plaudert gern
Küsst wie immer die Damen
Die strahlen dabei
Manche küssten gern
Kommen nur noch nicht dazu
Trinken anstatt mehr
Da freut sich der Wirt
Damen fühlen sich verehrt
Herren mehr trunken
Am Ende fühlen
Alle sich besser dabei
Weil sie da waren
Der Laden ist hipp
Dafür ertragen sie es
Der Flaneur lächelt
Bleibt Beobachter
Völlig ungerührt vom Spiel
Denkt an die Liebste
jens tuengerthal 24.11.2017
Erzählzeit
Schon 1913 fing er an zu schreiben, doch dann kam der Krieg und er schrieb erst den Felix Krull, Herr und Hund sowie die Betrachtungen eines Unpolitischen über die er sich mit seinem Bruder Heinrich entzweite für einige Jahre, bis er dann auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in den Vereinigten Staaten selbst politisch schrieb, was wie ein Widerruf der Betrachtungen klingen könnte, den er so nie tat, im Gegenteil ließ er ihn in den sechzigern noch einmal mit Vorwort seiner Tochter Erika neu auflegen. Doch erst 1923 vollendete er seine europäische Kulturgeschichte, die im Guckkasten der abgeschlossenen Welt des Sanatoriums Schatzalp spielt.
Inzwischen war der große Krieg zu Ende, Millionen Menschen in ihm umgekommen und die Welt, in der Mann aufwuchs, untergegangen, somit spielte der Roman real in der tiefsten Vergangenheit, auch wenn diese noch keine zehn Jahre vorher mit dem Ausbruch des Krieges untergegangen war und mit seinem Ende und der Ausrufung der Republik endgültig Geschichte war, obwohl sie sich auf eine Geschichte berief, die mit Karl dem Großen vor über tausend Jahren begann, mehr an Zeit für das Kontinuum als den Wechsel sprach, der doch unwiderruflich und nicht mehr aufzuhalten schien. Dies alles war nur noch tiefste Geschichte, untergegangen im Giftgas- und Geschütznebel auf den Hügeln um Verdun und doch ist die dort beschriebene Kultur lebendiger als manches, was heute so geschrieben wird.
Der Konflikt zwischen Settembrini und Naphta, dem Philosophen und Aufklärer mit dem Jesuiten beschreibt eine Auseinandersetzung, die im 18. Jahrhundert mit der Aufklärung und ihren großen Geistern von Diderot bis Kant begann. Nicht umsonst schreibt auch der italienische Freimaurer in Davos an einer Enzyklopädie und spielt damit auf das große Erbe der Aufklärung an, hält den Geist seines Bruders Garibaldi in humanistisch revolutionärer Tradition wach gegen den scharfen Geist seines Gegners Naphta, der noch für die dunkle Welt des Aberglaubens steht.
Doch ist diese Geschichte zwischen dem Humanisten und dem Mystiker noch viel älter, begann schon mit der Renaissance als der wiederentdeckte gottlose Lukrez, die Menschen neu denken lehrte, kurz nach dem Konstanzer Konzil, auf dem der Papst noch den böhmischen Reformator Jan Hus verbrennen ließ und so steht der Diener des Papstes, der mal Jude war, der zugleich für einen neuen extremen Ton im Diskurs steht, der mit den Faschisten und den Kommunisten aukam, also für Mann 1923, dem Jahr des Putsch von München, der Hitler nur zeitweilig nach Landsberg in den Knast brachte, ist ganz gegenwärtig und kündigt mit seinem extremen Ende zugleich die Zukunft der Faschisten in Europa an, die ihre Länder in den Selbstmord führten, ist auch als humanistische Aufklärung geradezu hellseherisch.
Erzählt in der tiefsten Vergangenheit, beschreibt sie die Gegenwart, während sie von einer Zeit berichtet, die untergegangen ist, schafft sie eine Vision in die Zukunft und zeigt so am Ende wie relativ Zeit immer ist, die alles zugleich und für jeden anderes umfassen kann. Die richtige Erzählform der Geschichte ist sicher die vollendete Vergangenheit. Nicht alles bleibt im Perfekt, manches stand im Imperfekt, um die Zukunft drohend zu beschreiben und die so fein geschriebenen Dialoge sind mir völlig gegenwärtig. Manche Ebenen verschwimmen auch an ihren Rändern, warum sich der Erzähler ehrlich fragt, ob es beim Erzählen der Geschichte ihrer noch bedarf, sondern wir besser gleichsam im Sinne einer völligen Relativität sie alle aufheben.
Wenn ich mir also die tiefste Vergangenheit bis in die so präsente erlebte Gegenwart vom Großvater erzählen lasse, den ich noch lange erlebte und darüber nun in einer anderen Zeit erzähle, um etwa meiner Tochter, die eigene Geschichte gegenwärtig zu machen, bemerke ich plötzlich, wie ich mich rasend schnell im Karussell der Zeiten drehe, gestern morgen ist und die fernste Zukunft längst vergangen scheint. Lässt sich noch sagen, was wir wann sind, was tatsächlich Geschichte ist und wo wir als Teil von dieser schon wieder jenseits der verlorenen Zeit sind, quasi die Quanten-Relativitätstheorie sprachlich uns gegenwärtig wird?
Was bin ich dann noch wirklich und wenn ja wo?
So werde ich im Dialog, der gegenwärtige Gespräche ausdrückt, von der tiefsten Vergangenheit erzählen lassen, sie damit uns vergegenwärtigen, um daraus für die Zukunft zu lernen. Wen das verwirrt, der möge sich nicht wundern, es ging mir lange ähnlich, bis die Suche nach der verlorenen Zeit in der gegenwärtigen Liebe ihr Ende ohne ein solches fand. Erst mit fortschreitender Zeit, verlor der riesen Berg der Geschichte seine Größe, verschwamm die Zeit zwischen den Erlebnissen, die mir ganz präsent sind, weil es eben die Geschichte auch meiner Familie ist. Eine Kulturgeschichte meiner Familie sollte ich schreiben. In dieser werde ich von der tiefsten Vergangenheit erzählen wie von der fernsten Zukunft in der wir vielleicht wissen, was wirklich ist und war und mir solange das Leben erzählend so schön machen, wie es mir gefällt, denn was ist schon real und wo sind wir je zwischen den Zeiten al in der Familie dieser Brücke zwischen den Generationen, die über die Zeit hinaus weist, in der wir jung und alt zugleich werden.
jens tuengerthal 24.11.2017
Liebeszeit
Hat die Liebe eine Zeit
Ist sie natürlich begrenzt
Wie unser Leben immer
Oder doch unendlich
Wer liebt will es für immer
Weil das Gefühl größer ist
Als alles nur vorstellbare
Anders wäre es nur halb
Dennoch sagt der Verstand
Alles Leben ist in der Natur
Endlich und darum auch die
Liebe ans Leben gebunden
Wenn einer stirbt endet nicht
Die Liebe dessen der noch lebt
Nur der andere ist nicht mehr
Wer übrig ist liebt eine Sache
Drum interessiert Liebende nie
Der Tod der sie scheiden wird
Sie lieben sich für die Ewigkeit
Egal ob es eine solche je gibt
Was ewig währt ist unendlich
Für das größte Gefühl gerade
Genug darum ist der Tod uns
Völlig egal wie was sein kann
Dich so für immer zu lieben
Macht mich unendlich glücklich
Das genügt für die Ewigkeit
Die wir in jedem Moment teilen
Goethe dichtete uns einst noch
Voller Sehnsucht der Augenblick
Möge doch verweilen weil er so
Wunderschön ihm wohl erschien
Brauche es nicht mehr zu hoffen
Lebe es längst so mit dir also
Ist der Augenblick uns Ewigkeit
Was mehr an Glück könnte sein
Die Liebe hat keine Zeit mehr
Sie fing irgendwann an aber
Mit ihr endet alles davor wie
Es kein danach mehr gibt
Wie wir uns die Welt machen
Entscheiden wir beflügelt von
Unserer Liebe und also ist es
So wie wir unsere Liebe leben
Endlos glücklich zu sein ist
Das schönste was sein kann
Weil ich gern glücklich bin
Liebe ich dich ohne Ende
Weil ich unendlich glücklich
Mit dir bin ist mir die Natur
In ihren Grenzen ganz egal
Wir lieben jenseits der Zeit
jens tuengerthal 24.11.2017
Donnerstag, 23. November 2017
Beziehungsmarketing
Braucht die Liebe Marketing
Müssen wir uns einander
Noch möglichst gut verkaufen
Um unseren Wert zu schätzen
Die Liebe genügt sich selbst
Stellt dafür keine Bedingungen
Sondern liebt bedingungslos
Zumindest ist es theoretisch so
Praktisch wollen wir gefallen
Tut es gut erkannt zu werden
Oder noch besser bewundert
Wollen toll gefunden werden
Natürlich zeigt sich die Liebe
Da am klarsten wo wir leiden
An uns oder an irgendwelchen
Zweifeln fast verzweifeln
Wer sich dann geliebt fühlt
Ist miteinander in Sicherheit
Dahin zu kommen aber hilft
Das Beziehungsmarketing
Alles im Leben hat seinen
Markt auf dem wir überlegen
Was es uns wert sein könnte
Welchen Preis wir zahlen
Die Liebe gibt es kostenlos
Sie kommt einfach oder nicht
Beziehungen jedoch sind stets
Ein Handel miteinander noch
Sich dabei gut zu verkaufen
Leitet uns der Instinkt natürlich
Da wollen wir toll erscheinen
Um Lust und Liebe zu wecken
Nur es Handel zu nennen ist
Natürlich bei echten Gefühlen
Total verpönt als seien diese
Irgendetwas übersinnliches
Alles was ist ist nur Natur
Glücklich wer in ihr gut lebt
Streben wir mit Liebe danach
Wird gutes Leben natürlich
So verkaufe ich mich meiner
Liebsten ganz natürlich immer
Von meiner besten Seite aber
Weiß auch um meinen Wert
Die Liebe möchte sich reizen
Um sich stets reizend zu finden
Wer dies sorgsam beachtet
Wird sich wertvoll bleibten
Was könnte noch schöner sein
Als meinem Schatz ein solcher
Größter Schatz zu sein immer
Beziehungsmarketing hilft dabei
Scheuen wir nicht der Liebe so
Fremde Worte der Wirtschaft
Wo sie zum natürlichen Ziel
Leichter uns führen sind sie gut
Alles was der Liebe dient ist gut
Manchmal eben auch Umwege
Die mehr wertschätzen lassen
Was uns der größte Schatz ist
jens tuengerthal 22.11.2017
Meinungsfrei
Sicher ist die momentane Situation des Übergangs und des offenen Ende weiterer Verhandlungen besonders dazu geeignet, sich mit einer festen Meinung in den Vordergrund zu spielen, genau Bescheid zu wissen und in Talkshows andere lautstark zu verurteilen, doch finde ich gerade viel mehr Freude daran, mich immer mehr auf diesem Gebiet jeder Meinung zu enthalten.
Nicht weil ich keine hätte oder es mir an Informationen oder Bildung mangelte, mir eine zu bilden, das vielleicht auch, möge die Nachwelt beurteilen, sich selbst da zu betrachten, wirkt immer irgendwie etwas eitel, sondern weil ich es wichtiger finde, viele Meinungen zuzulassen, als eine zu verurteilen.
Viele schreien nun nach Neuwahlen, empören sich über die Unfähigkeit zur Einigung, empören sich über die einen oder die anderen voller Leidenschaft, die selten mit der Ahnung in der Sache konform geht, sondern sich eher umgekehrt proportional verhält. Wer besonders empört den einen oder anderen verurteilt, ist meist nur darum sicher im Urteil, weil eine genaue Kenntnis der Inhalte fehlt.
Die Beschimpfung der Kanzlerin durch die verängstigten Pegiden, die den Untergang des Abendlandes mindestens fürchten, ist ein Beispiel für diese von Vorurteilen und Dummheit geprägte Ahnungslosigkeit, die mit der AfD sogar ein parlamentarisches Gesicht bekam. Spätestens mit dem Einzug dieser latent ausländerfeindlichen Populisten in den Bundestag, wurde es vornehmer, sich dort lieber zu enthalten, als das Krakeelen der Radikalen noch zu fördern. Ignoriere es lieber, statt mich lange mit den Aluhüten dort zu beschäftigen, wo Argumente mit Vorurteilen niedergebrüllt werden, fand der Diskurs ein Ende. Solange der Badenser Schäuble den älteren Wachmann im Bundestag gibt, bin ich aber völlig beruhigt.
Darum braucht dies Land nun eine stabile Regierung, die ihre Arbeit gut erledigt, den Populisten keine Plattform für Angriffe gibt, sondern deutlich macht wo die Grenzen des demokratischen Konsens sind. Diese soll sich auf eine sichere und große Mehrheit im Bundestag stützen können, damit das Parlament für den gewöhnlichen Gang der Geschäfte keine zu große Rolle mehr spielt, die Populisten echolos verhallen.
Die Bürger vor allem im Osten, dort besonders in Sachsen und teilweise auch in Bayern haben den Wert der stabilen Demokratie scheinbar noch nicht ganz verstanden und sind anfälliger für die einfachen Antworten der Populisten, scheint es. Darum werden wir diesen nun Zeit geben über dies Ergebnis in Ruhe nachzudenken, die radikalen Forderungen ins Leere laufen lassen und eine möglichst stabile Regierung aus allen demokratischen Parteien einsetzen, die ruhig und ordentlich ihre Arbeit erledigt.
Manche Sozialdemokraten habe diese historische Notwendigkeit auch noch nicht erkannt und möchten lieber mit ihrem bedingt tauglichen Mr. 100% ihre Wunden lecken, meinen sie würden populär, wenn sie nun nach Neuwahlen schreien und sich der SED-Nachfolgeorganisation, der sogenannten Linken, annähern. Andere die schon in ministerieller Verantwortung waren und sich dort bewährten, wie etwa Andrea Nahles, äußern sich umsichtig viel vorsichtiger, weil sie sachlich mehr verstehen als der ehemalige Bürgermeister von Würselen.
Weiß nicht, ob eine Neuwahl das Ergebnis sicherer und besser gestaltete, habe daran aber gewisse Zweifel, vor allem mag ich die dafür nötige politische Lüge des künstlichen Misstrauensvotums nicht, doch ist es nicht mehr meine Aufgabe, dies nun zu gestalten. Habe als Bürger meine Stimme abgegeben und damit den Auftrag erteilt, eine Regierung zu bilden. Wenn dies schwierig wird, müssen sie sich halt noch ein wenig bemühen und wenn nötig eine Regierung der nationalen Einheit der Demokraten gegen die radikalen Kräfte am linken und rechten Rand bilden.
Sich in der Mitte zu sammeln, gefällt nicht allen, weil sie dabei auch eine Stärkung der radikalen Ränder geben kann. So behaupten manche Demoskopen und Politologen der Aufstieg des AfD sei das Produkt von Merkels Besetzung der breiten Mitte. Bin weder das eine noch das andere, halte nur jede Statistik für die Hure desjenigen, der sie zu seinen Zwecken benutzt, enthalte mich darum einer Meinung dazu.
Die CSU in Bayern besetzt viele Felder, von aufgeschlossen modern und technikaffin bis zu radikal in der rechten Ecke, nahe dem AfD und war damit bisher in diesem Flecken des Landes relativ erfolgreich. Hat sich das S von den Sozen geklaut und in die Mitte gestellt und gibt damit vielen der Eingeborenen das Gefühl einer Allzuständigkeit, die mit dem christlichen C gar noch bis in den Himmel reicht, besonders als wir Papst waren, wie Bild noch du Papa Ratzis Wahl einst titelte.
Merkel hat die CDU weiblicher, grüner und aufgeschlossener gemacht. Die SPD hat eigentlich keinen Platz in der Mitte neben ihr. Das alte Klientel der SPD, das Milieu der Arbeiter ist weggebrochen oder wählt mangels Bildung lieber gleich radikal AfD oder Linke, weil einfache Antworten schlichten Gemütern schon immer mehr lagen, es blieben die frustrierten Oberstudienräte, die längst in Pension sind. Die Situation ist für klassische Strategen der linken Mitte schwierig geworden, zumal die Grünen einiges dort abdecken und die Linke alle unversöhnlich radikalen Geister und die Ewiggestrigen einsammelt, die Marx totalitäre Ideen immer noch für das bessere Gesellschaftsmodell halten und meinen der Sozialismus habe noch irgendwo Zukunft
Nun, wie auch immer, wer sich enthalten will, sollte sich enthalten und also fasse ich mich lieber kurz und widme mich den schöneren Dingen wie der Literatur und einem geruhsamen Blick in die Geschichte, denke an Michel de Montaigne, der sich mit Blick auf die Stoa und Epikur, den er über die Lektüre des Lukrez schätzen lernte selbst schrieb, dass ihm Enthaltung immer mehr als die klügste Philosophie erscheint, nicht weil er keine Meinung haben könnte, er stritt sich gern zu vielen Themen an seiner Tafel oder sonst bei jeder Gelegenheit als Jurist wie als Ritter, sondern weil die Kunst doch eher ist, im Urwald der Meinungen ihre mögliche Vielfalt zu erkennen und stehen zu lassen, weil nichts sicher ist, außer, dass alles fließt.
Mögen sich welche Verhandler auch immer nun einigen, darum möchte ich mich eigentlich nicht weiter kümmern und fände auch weniger mediale Hysterie dazu sehr angenehm. Die Worte des Bundespräsidenten waren deutlich und ich teile diese Sicht - der Wähler, also auch ich, hat seinen Auftrag abgegeben, nun sollen sich verdammt noch mal seine Vertreter bemühen, einen Weg mit stabilen Mehrheiten zu finden, wie ihn das Land für die Zukunft braucht.
Vielleicht ist es bei fehlender Aussicht auf dauerhafte Stabilität weise und politisch höchst verantwortlich, sich zurückzuziehen, damit andere eine Mehrheit finden können, nicht noch mehr Zeit verschwendet wird. Das Kindergartenverhalten, nein, nein, nein, mit dem koaliere ich jetzt nicht, müssen alle ablegen und nach einem gemeinsamen Weg suchen, der gangbar ist. Auch der Bundespräsident hat sich jeder Meinung und Parteilichkeit zu enthalten und nur kraft seines Amtes auf eine Lösung hinzuwirken, die von den Beteiligten aber selbst gefunden werden muss.
Sollen sie mal machen, noli me tangere, sagt der Lateiner und Stoiker, nichts rührt mich an oder regt mich auf. Wir brauchen keinen Liveticker aus den Sondierungen oder Meldungen im Sekundentakt welcher Furz nun wem bei möglichen Wegen quersitzt. Wenn Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen wollen, sollen sie das tun und miteinander reden. Wenn einer es nicht alleine tun will, sollen sie es gemeinsam ruhig und verantwortlich tun.
Möchte auch zu dem Thema nicht mehr mit stündlichen Wasserstandsmeldungen in den Koalitionsgläsern genervt werden. Wenn die Arbeit erledigt ist, gibt es eine Pressekonferenz und bis dahin bleiben die Türen besser geschlossen, damit nicht jeder ständig vom anderen lesen muss, was für diesen völlig unmöglich ist. Das sind erwachsene Menschen, wenn sie eine Regierung bilden wollen, müssen sie wohl einander vertrauen, wie in einer Ehe, wobei beides in der Realität schwieriger scheint, als es die Vernunft gebietet. Bis es eine Einigung gibt ist also Stille im Medienzirkus angesagt und jeder der zwischendurch Interviews oder Wasserstandsmeldungen weiter gibt, wird von allen künftigen Verhandlungen ausgeschlossen.
Dann wird die Hauptstadtpresse laut schreien. Aber damit könnte ich gut leben, sollen sie sich über eine solche vermeintliche Beschränkung der Pressefreiheit zum Wohle der Demokratie ruhig echauffieren, bis sich wer mit wem geeinigt hat, keine Berichte mehr, bitte, es schadet in der Sache mehr als es je nutzen kann.
Weil die versammelten Medien nun nicht unbedingt auf meine Meinung hören werden, vor allem da sie fürchten, es könne ihnen sonst eine gute Story entgehen oder entscheidende Worte, die mehr als das Blubb der letzten Wochen wären, kann ich nur allen vernünftigen Menschen nun raten, sich des Themas zu enthalten, bis es etwas dazu zu sagen gibt, also über irgendein Ergebnis diskutiert werden kann.
Dann sind wir möglicherweise noch Wochen in einem unklaren Schwebezustand, höre ich die Empörten schreien, die arme Wirtschaft, die doch immer Sicherheit bräuchte und viele mehr werden sich fürchterlich fürchten, so sie mit zuviel Zeit anfangen, darüber nachzudenken.
Kann alle diesbezüglich beruhigen. In Deutschland schwebt nichts, wir sind in einem gut verwalteten, ganz natürlichen Zustand, nur weil die Chefsessel der Ämter vielleicht teilweise neu besetzt werden, ändert dies nichts an der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Dabei interessiert mich die normale Arbeit der Verwaltung so wenig wie immer, es sei denn sie betrifft mich zufällig mal direkt. Die sollen ihre Arbeit erledigen, wie ich die meine und gleiches gilt auch für eine künftige Regierung. Das Parlament ist gewählt, Mehrheiten gibt es, nur gegen Merkel halt nicht, also kennen wir das Ergebnis vorher und der Rest ist nicht meine Sache.
Sich in Enthaltung und Gelassenheit üben, tut so gut, wie sich im Sturm hinter den Deich zu verziehen und einen feinen Tee zu trinken, was ich hiermit nun tue und meinen Senf zur deutschen Bundespolitik gebe ich erst, wenn überhaupt wieder, wenn wir eine Regierung haben. Es könnte auch dabei bleiben, um sich wieder wichtigen Dingen zu widmen wie Kunst, Kultur, Geschichte und Liebe. Ziehe mich also in die Welt der Bücher und der Literatur zurück und lasse diesen Sturm in Ruhe vorbeiziehen
jens tuengerthal 22.11.2017
Mittwoch, 22. November 2017
Launendeich
Wider die Launden der Natur
Schützt uns am Meer der Deich
In der Stadt der Regenschirm
Bei den Frauen Gelassenheit
Der Wall dient der Sicherheit
Die es in der Liebe nie gibt
Was wäre auch ein Gefühl
Wenn es nur vernünftig wäre
Wie die Natur auch gegen alle
Vernunft tut was ihrer Laune
Aus ganz komplexen Gründen
Entspricht sind Frauenherzen
Muss nicht mehr alles verstehen
Es genügt für ein Leben im Glück
Sich was auch immer kommen mag
In der Liebe als Mann sicher zu sein
Stürme kommen aus vielen Gründen
Es mag berechenbar vernünftig sein
Doch im Sturm brauche ich nur Schutz
Dann warte ich ab bis alles gut ist
Habe die beste Frau der Welt gefunden
Werde sie immer hüten wie mein Leben
Das sie so ausfüllt wie ich sie überall
In diesem Wissen bin ich in Sicherheit
So sitze ich wohl gut hinterm Deich
Beobachte den Sturm in aller Ruhe
Wenn der Himmel wieder blau ist
Gehe ich raus und grüß die Sonne
Wenn der Deich zu brechen droht
Hole ich Sandsäcke ihn zu stützen
Sonst hilft abwarten und Tee trinken
Alles wird wieder gut irgendwann
Der Deich wider die Launen der Natur
Ist ein guter Ort in Ruhe zu genießen
Bei einer heißen Tasse Tee abwarten
Gibt mehr Gelassenheit in der Liebe
jens tuengerthal 22.11.2017
Bürgerrituale
Es gab klare Konventionen, die, zumindest so lange meine Großeltern lebten, wir in ihrem Haus zeremoniell feierten, immer gleich abliefen. Dies begann schon mit der Ankunft von hinten, weil der Raum zum sonst Eingang, die sogenannte Halle, als Festsaal geschmückt wurde von den Großeltern, wir Kinder den Baum keinesfalls vorher sehen durften und meine Großmutter mit besonderer Liebe und Zärtlichkeit uns Kindern jedesmal den Baum nach der Bescherung noch en detail vorführte - von der singenden Christbaumkugel mit erzgebirgischer Mechanik bis zu den wenigen Neuerwerbungen vom Weihnachtsmarkt, wie wir sie vom elterlichen Baum kannten.
Wir waren stolz, dass uns die liebe Omi Elfie alles zeigte und wenn unsere Väter dann später nach dem Festessen anfingen, mit der Mechanik des Baums zu spielen, fanden wir das ziemlich kindisch und ungezogen, so gefesselt waren wir Kinder von den würdigen Ritualen, die der Feier bei den Großeltern ihre ganz besondere Würde gaben.
Wir schlichen uns also im Winter von hinten über das großelterliche Schlafzimmer, dass dann auch als Garderobe diente ins Haus. Vor dem Eingang zur Halle hing ein Bettlaken im Rundbogen und keiner von uns Kindern wagte einen Blick - zumindest für mich, war es aller Neugierde zum Trotz unvorstellbar, gegen das geheime Ritual der Großeltern zu verstoßen.
Die Geschenke wie auch das Schaukelpferd, das an Weihnachten aus dem Spielzimmer im Keller in die Halle getragen wurde und dessen Mähne der Großvater als alter Reiter persönlich flocht, wie er auch angeblich Sattel und Trensen genäht hatte für das in meiner Erinnerung schon immer uralt aussehende aber unsterbliche Schaukelpferd namens Pipifax.
Inzwischen ritt auch meine Tochter schon auf Pipifax und bald hoffentlich ihre Kinder wieder und ich denke an die Lederhosensage, das Gedicht des Börries von Münchhausen, der sich leider auch den Nazis so unrühmlich andiente - “Generationen kommen, Generationen gehen, hirschlederne Reithosen bleiben bestehen ...” Wer weiß wie viele Generationen nach mir noch auf diesem alten Schaukelpferd sitzen werden, für das mein Vater jüngst einige neue Kleinigkeiten spendierte, wie es bei Münchhausen die Hirschhornknöpfe waren.
Bis zur Bescherung verzogen wir uns noch mit den Vätern in den Keller, wobei die großen Jungens, also die Generation meiner Eltern immer viel leidenschaftlicher als wir spielte, sei es nun Tischfußball, Tischtennis oder mit der berühmten Billerbahn, über die stets mein Lehrer-Onkel als erfahrener Modelleisenbahner die theoretische Oberaufsicht führte, auch wenn sie der kleinste Bruder am Ende bei der Aufteilung des Erbes bekam.
Vielleicht gab es auch noch einen Tee vorneweg im großelterlichen Biedermeierzimmer, das mit Möbeln dieser Zeit, einem wunderbaren Prahlhans mit dem schönsten und kostbarsten Geschirr, dem Schreibtisch der Großmutter und einem eben biedermeierlichen Ohrensessel und Portraits, bei denen ich bis heute nicht sicher bin, ob es nicht doch Vorfahren waren, bereits reichlich gut gefüllt war als gute Stube für das Frühstück auch warm in Erinnerung.
Das etwas aufgeregte Spiel mit unseren Vätern, die in ihrem Elternhaus wieder zu Knaben wurden und in ständigem Konkurrenzkampf standen, war für mich immer eine der lustigsten Sachen der Zeit vor der Bescherung. Mit zunehmendem Alter wurde diese Zeit länger, da unsere Mütter die Großmutter beim Kochen des festlichen Essens immer mehr unterstützten - wie mein Großvater früher die Rehkeule aufschnitt, machte das später mein Vater als Herrendienst in der Küche.
Nicht weil die Väter nicht kochen konnten, zumindest teilweise konnten sie das auch, sondern eher als harmonische Verabredung bereiteten die Schwiegertöchter mit der Schwiegermutter das Festessen vor, während die kleinen und größeren Knaben und Mädchen im Keller spielten und der Großvater letzte Hand an den Baum legte, die Geschenke davor und darum drapierte.
Wenn die Rehkeule soweit war und auch sonst alles seinen ruhigen Gang ging, gab die Omie dem Grotepater genannten Großvater bescheid, ging zum Vorhang und rief hindurch: “Vaddern, wir wären dann soweit.” Dann steckte er die Bienenwachskerzen an - was anderes kommt auch meinem Vater bis heute nicht an den Baum und genau diese Kerzen verbreiteten den wunderbar weihnachtlichen Duft, der immer auch etwas schlossig war.
Dann schlug er zweimal den Gong und in den nun letzten Minuten vor der Bescherung erreichte die Spannung den Höhepunkt. Die Mütter riefen aufgeregt in den Keller, damit die Söhne und Gatten endlich kämen und diese rannten alle aufgeregt wie kleine Kinder die schmale Treppe hinauf, um nicht zu spät zu kommen, was immer wieder zu mindestens kleinen Auffahrunfällen führte, manchmal auch echt ins Fallen überging, bis einer, meist der Lehreronkel oder sein älterer Zwilling, der Afrikaner, streng ermahnte, nun sei aber schluß mit lustig, es sei schließlich Weihnachten, dabei war gerade er immer einer der aufgedrehtesten und die Onkel spielten uns Kindern vor, sie seien mindestens noch aufgeregter als wir, was die Geschenke betreffe, lachten laut und viel, wie Jugendliche die Zuhause noch Grenzen austesten müssen, vor allem die eigenen.
Natürlich sind Geschenke für die meisten Erwachsenen keine große Aufregung mehr - wir bekommen, was wir uns wünschen - auch die Söhne meiner Großeltern mutierten nicht zu Kindern, auch wenn sie sich immer noch auch gegenseitig gelegentlich gern selbstgebastelte Fotokalender oder ähnliche Dinge schenken und dann gemeinsam mit strahlenden Augen betrachten und sich erzählten wie es wo war - doch viel wichtiger als die Sachen, war das Ritual, das sie dabei zelebrierten voller Leidenschaft und bei dem sie eben in ihre alten Rollen zurück schlüpften, spielen konnten voll ausgelassener Albernheit, auch wenn sie noch nichts getrunken hatten und sich so im Ritual eben in Kinder verwandelten, was wir, ihre Kinder manchmal ein wenig übertrieben albern fanden aber doch auch irgendwie süß.
Sobald sich dann endlich mit immer irgendwelcher Verzögerung die ganze Familie samt aufgeregter Kinderschar vor dem Durchgang in der Schlange versammelt hat, die großen Jungens schubsten und kniffen sich dabei immer noch und ich weiß bis heute nicht, ob sie so albern waren, weil sie tatsächlich so aufgeregt wie wir Kinder waren, obwohl es doch eigentlich jedes Jahr das gleiche Theater war, sie es schon viel länger kannten oder sie aus pädagogischen Gründen übertrieben, um unsere Aufregung zu erhöhen, einfach ihren Spaß hatten, aber manchmal ist es auch gut, bestimmte Dinge offen zu lassen - nun mit bald 80 sind die großen Jungens etwas ruhiger geworden.
Auch nachdem der Großvater natürlich im dunklen Anzug schließlich den Vorhang öffnete und uns in die Halle ließ, durfte sich noch keiner auf die Geschenke stürzen, sondern dann wurde erstmal gefühlt stundenlang gesungen, jeder durfte sich ein Lied wünschen, zumindest fast jeder. Hier waren die großen Jungens, also meine Onkel wieder mit viel Albernheit und Leidenschaft dabei - mal dichteten sie Texte um, dann machten sie Faxen, bis Grotepater oder Omie Elfie, die nie Elfriede genannt werden wollte, sie zur Ordnung riefen.
Vor dem brennenden Baum stehen, aber mit noch gehörigem Abstand, die Geschenke teils in Wäschekörben schon erahnend war dieser lange Gesang eher eine Kinderfolter als das große Glück meiner Kindheit auch wenn ich heute selbst, sogar ohne jede eigene Musikalität für ein möglichst ausgiebiges Singen bin, es herrlich finde, sogar wenn es so bescheuert christliche Texte sind wie bei den meisten Weihnachtsliedern.
Wie bei den Buddenbrooks sind auch große Teile zumindest der männlichen Mitglieder meiner Familie nicht mit großer Musikalität gesegnet, doch während bei Mann noch dezent nur gebrummt wurde, um die Form zu wahren, wird bei uns zum Leid des musikalischeren Teils vermutlich, kann da nur vermuten, da ich nicht zu den Musikussen gehöre, voller Leidenschaft und Liebe laut gesungen, mehr oder weniger tonal je nach natürlicher Begabung.
Diese von hoher Selbstdisziplin auch der Kinder getragene Verzögerung wurde durch noch zwei rituelle Einlagen der bürgerlichen Familie bei uns verlängert, von denen ich heute erst verstanden habe, dass sie Weihnachten so schön machten, weil sie verzögerten, die Spannung und Aufregung davor möglichst lang erhalten blieb.
Wie bei den Buddenbrooks wurde dann aus der alten Familienbibel die Weihnachtsgeschichte vorgelesen, allerdings nicht von der Konsulin oder Großmutter, sondern von der ältesten Kusine, die in ein Engelskostüm gesteckt wurde, wenn ich mich richtig erinnere - the show must go on.
Kann dadurch die klassische biblische Weihnachtsgeschichte zu Teilen bis heute auswendig, meine ich zumindest:
“Und es begab sich aber zu der Zeit, da Quirinius Landpfleger in Syrien war, dass ein Gebot ausging vom Kaiser Augustus, dass alle Welt sich schätzen ließe. Und so ginge auch Josef aus Galiläa mit seinem Weib Maria und die war schwanger gen Bethlehem, denn er war vom Stamme David”.”
So oder so ähnlich würde ich es jetzt blind zitieren, kenne es seit Kindertagen, die doch nun auch mehr als 40 Jahre nun her sind. Rituale prägen sich ein, egal was wir darüber denken oder davon halten. Vielleicht sind die Rituale überhaupt nur der Rahmen der bürgerlichen Existenz, von der ohne nichts übrig bleibt
Es wurde in den letzten Jahren viel auch über den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft diskutiert, wie zugleich das Bionade-Biedermeier als neue Sehnsucht der eigentlich bürgerlichen Existenzen, die nach ihrem irgendwas mit Medien Studium in Berlin landeten, sich fortpflanzten und darum einen neuen Rahmen für ihre Familien suchten. Die Sehnsucht scheint erkannt, inhaltlich scheint wenig geklärt bis heute.
Wie wollen wir leben außer anders, was hält uns zusammen, wenn nicht die Rituale aus unserer Kindheit?
Auf die Weihnachtsgeschichte folgte das alte Lied Stille Nacht, bei dem sich dann vor dem finalen Erreichen der fröhlichen Weihnacht alle an den Händen fassten und so auswendig sangen, also textsicher sein mussten. Dann ging das große Umarmen und Knutschen los, während die Großmutter zum Baum ging, um die Geschenke unter Aufruf der Namen zu verteilen. Mit den Geschenken glücklich legte sich die Aufregung ein wenig, wenn auch das Zeigen und Bestaunen der Geschenke noch wichtig war, häufig und fast rituell begannen dann die Onkel zuerst mit dem neuen tollen Spielzeug zu spielen oder Ratschläge zu seiner Verwendung zu geben, wenn die Erwachsenen nicht schon mit dem ersten Sekt oder Cognac beschäftigt waren. Mancher erinnerte dabei an Christian Buddenbrook, wie er am Weihnachtsabend Hannos neuses Puppentheater bewundert und dann für einen Moment voller Leidenschaft im Schauspiel versinkt, selbst spielt, bevor er sich in den Club verabschiedet.
Das Familien Weihnachtsfest ging dann noch weiter im formellen Rhythmus der Gewohnheit. Auf das Auspacken der Geschenke folgte irgendwann das Festessen im Festsaal Keller, das auch ganz strengen Ritualen mit natürlich möglichst immer gleicher Speisenfolge als Siegel der Tradition und Beständigkeit.
Die ganze Familie mit den traditionellen Gästen, also ganz alten Freunden der Familie noch aus Kindertagen der Eltern oder den Geschwistern des Großvaters, dabei vor allem die älteste schwerhörige Großtante, die immer angebrüllt werden musste, damit sie etwas verstand, aber noch mit über neunzig mit ihrem Mercedes Coupé angebraust kam, wanderte in den Keller und nahm ihre Plätze so ein, wie es der Großvater als pater familias sich wünschte.
Alle bestaunten dann die wunderbare Tafel, die mit dem schönen Meißen eingedeckt war, jeder Teller mit Goldrand handgemalt mit einer anderen Blumen. An den Wänden hingen Kerzenleuchter, die den schloßigen Eindruck der riesigen Tafel noch verstärkten, auch wenn sie teilweise schon elektrisch betrieben wurden, was aber die Luft erträglicher hielt, denn in dem zwar großen aber doch mit der riesigen Tafel randvollen Raum mit der niedrigen Decke, wurde es beim tafeln schnell sehr warm und alle waren vom Alkohol erhitzt genug. Um die Teller lag in der Reihenfolge der Gänge das Besteck - das gute Familiensilber mit den Initialen der Großmutter, das noch vor Weihnachten von den beiden poliert worden war. Dazu mehrere Gläser für die verschiedenen Weine und ein Wasserglas, für die Kinder, manchmal auch nur das Kinderglas, wenn feste Plätze für uns vorgesehen waren, wie etwa, wenn es zu viele waren der Kindertisch in der Ecke, an dem wir uns dann ungestört fast wohler fühlten.
Doch kaum saßen alle und waren die ersten dampfend duftenden Platten auf der Tafel verteilt, hieß es wieder aufstehen, um vor dem Essen zu beten. Betrachte dabei andächtig die Meißen Teller mit dem Goldrand, die tatsächlich meist um die ganze Tafel herum reichten, jedoch weniger des Randes als der fein gemalten Blumen darauf wegen, muss aber zugeben, dass sich mir die wahre Schönheit dieses Porzellans erst langsam im Alter erschließt und ich sie lange eher nur bunt fand. Auch diese Teller sind bis heute, inzwischen haben meine Eltern das Erbe der Großeltern angetreten und irgendwann fällt das Erbe dann auf mich oder eines meiner Geschwister, wie die hirschledernen Reithosen Münchhausens, ein Kultgegenstand der Familie geworden.
‘Segne Vater diese Speise, uns zur Kraft und dir zum Preise’, betete dann der Großvater vor. Doch täuschte sich, wer dachte, er könne sich nun endlich auf die noch warmen Speisen stürzen - zuvor gaben wir uns alle noch die Hände - was bei weit über 20 Personen eine große Runde und ein mühsames sich finden werden konnte - und sagten dann alle gemeinsam:
“Gesegnete Mahlzeit und guten Appetit”
Dann bekamen zuerst die Großeltern ihre Teller gefüllt und wenn er dann schließlich das Glas erhob und sprach, “Laßt es euch schmecken und fangt einfach an, es wird ja nur kalt, zum Wohl!”, durfte auch das übrige Volk sich nehmen und mit dem Essen beginnen, das aber immer wieder durch einzelne Toasts in jedem Gang unterbrochen wurde.
Erst der große Toast auf die ‘Motter’, die dies wunderbare Essen gezaubert hätte und die sich dann bedankt und auf all ihre Helferinnen und den ‘Vadder’ trank, ohne den dies alles doch nicht möglich gewesen wäre. Dann dankte einer der Söhne mit schönen bewegenden Worten, besonders der jüngste hatte dabei ein rührendes Talent allen, einschließlich sich selbst feuchte Augen zu bescheren, so dass manche Rede kein normales Ende mehr fand und sich alle danach lachend und heulend in den Armen lagen. Während der späteren Gänge dankten auch die Gäste, meist dem Alter nach, etwa die Schwiegereltern der Söhne, so ihnen das Reden lag, dann die Freunde.
Während der mehr oder weniger kurzen Reden wurde andächtig und voller Gefühl gelauscht, nach und zwischen den Reden reichlich getrunken. Die Gesellschaft wurde immer zwanglos fröhlicher und in manchen Fällen, wenn es besonders warm wurde, lockerte der Großvater schon seine Krawatte, bis die Großmutter dann irgendwann in den lockeren Teil überleitete und den Herren gestattete ihre Jacketts auszuziehen.
Bevor wir uns wieder in die anderen Räume verteilten, oft nach einer kleinen Verdauungspause, die mit Tischtennis oder Tischfußball gefüllt wurde, falls es der der Grotepater gut gelaunt gestattete, was mit zunehmendem Alter häufiger vorkam, wurde noch der Nachtisch rituell verteilt.
Der Großvater verteilte die Portionen mehr oder weniger gerecht auf die Teller unter vielen lauten und lachenden Kommentaren der Anwesenden - das ist aber ungerecht, waren die häufigsten oder was für eine große Portion. Dann schloss er die Augen, während die Großmutter auf den einen oder Teller zeigte und fragte, “wer soll das haben?”, worauf der Großvater immer einen Namen nannte. Früher dachte ich auch die Nennung der Namen müsste einem bestimmten rituellen Ablauf folgen, auch wenn es Zufall suggerieren sollte, heute denke ich eher, er folgte seiner Intuition, die nur im Rahmen der sozialen Formen beschränkt wurde, Gäste meist vor Familie, die ‘Motter’ gerne am Anfang schon, wir nicht mehr hungrigen aber auf den so inszenierten Nachtisch ganz scharfen Kinder danach und dann alle der Reihe nach, wie es meinem Großvater gerade einfiel.
Vielleicht hatte er auch für dieses letzte Ritual der Tafel ein geheimes System, das er sich lange vorher notierte oder beim Decken der Tafel plante, ich weiß es nicht und habe ihn nie gefragt, weil es immer wie willkürlich zufällig inszeniert schien. Doch neigen der Kult und die Rituale der Familien zur Legendenbildung, wie die Geschichte um das Wappen der Familie, das mein Großvater über sehr skurrile Wege bei einem Antiquitätenhändler in Brüssel wohl wieder, wenn nicht doch neu entdeckte, mit dessen tatkräftiger Unterstützung - mein Großvater war immer ein guter Kunde für Antiquitäten, die auch preislich über seinen tatsächlichen Verhältnissen lagen, war sich aber immer sicher großartige Gelegenheiten genutzt zu haben, etwa bei seinem Turner, den er so günstig erstand, den aber außer ihm und seiner Frau wohl keiner für einen solchen hielt.
In ganz besonderen Fällen gab es noch das ominöse Ritual der großen Verehrung zelebriert, bei dem alle Gäste an der Großmutter vorbei flanierte, sie wie eine Königin begrüßten und ihr zuprosteten und sie auf rituelle Weise küssten. Denke es ist schöner, den genauen Ablauf als Geheimnis der Familie zu wahren, weil es meinem schlechten Gedächtnis entgegenkommmt.
Die Großeltern wussten Feste und Überraschungen wunderbar rituell zu inszenieren und ihr Leben hatte für uns Enkel eine genaue Ordnung, der sie stetig folgten. Ein Höhepunkt der Erinnerung ist auch eines der Feste, dass im Weinkeller des bereits schlafenden Großvaters feucht fröhlich endete, während wir uns auf Boden und wenige Hocker in dem kleinen Raum zwängten, den der frankophile Grotepater sehr liebevoll für sich ausgestattet hatte.
So haben viele alte Familien ihr ureigenen Traditionen und Rituale. Das Hände geben vor dem Essen habe ich immer weitergeführt und finde es wichtig und schön, um sich nicht nur die Nahrung zuzuführen, sondern das gemeinsame Mahl zu würdigen. In diesem Sinne finde ich sogar als Atheist das Tischgebet schön und betrachte es als familiäres Ritual, spreche es mit, weil es um eine schöne Tradition geht, die für mich, der ich so aufwuchs, einen Wert an sich darstellt, dennoch konnte ich mich nie von mir aus zum Gebet entschließen, es lag mir einfach zu fern, etwas über mir anzunehmen.
Es ist viel gefragt und geschrieben worden, was die Bürgerlichkeit heute ausmacht - Thomas Mann fing mit seinem Requiem auf die Epoche 1900 mit seiner feinen Ironie damit an, Joachim Fest fragte nach Bürgerlichkeit als Lebensform, von Schwanitz bis Reich-Ranicki bemühten sie sich wieder um den bürgerlichen Bildungskanon und den Umgang mit ihm in bildungsfernen Zeiten medialer Unterhaltung. Doch kommt es darauf wirklich an?
Bin in einer Familie voller Besserwisser groß und logisch selbst einer geworden, was es in der Schule und im Studium nicht immer einfacher machte, heute nicht das sicherste Mittel ist, Sympathien zu gewinnen, nicht für emotionale Intelligenz spricht - zum Glück habe ich eine Frau, die das schätzt, liebt und würdigt, was mir die Fortsetzung der Bildungstradition zumindest leichter macht, wenn es denn gewünscht ist und sinnvoll wäre.
Habe eine Jahreskarte in den Staatlichen Museen in Berlin und besuche sie bei jeder Gelegenheit wie auch das Städel, wenn ich mal in Frankfurt bin, sammle Bücher und lebe mit ihnen, versuche schreibend die Welt zu verstehen und meine Sicht auf sie zu erklären - aber kommt es darauf für die bürgerliche Tradition an oder ist die hoch getragene Nase und der Bildungskanon heute eher Ballast, um noch einen familiären Konsens zu finden, der die Tradition fortsetzt?
Als Einzelgänger, kümmere ich mich selten um andere und interessiere mich für sehr wenig, was die meisten Menschen tun, hatte nie einen Fernseher, würde nie freiwillig in ein Fußballstadion gehen, obwohl ich Fußball spannend finde, besuche die Museen lieber, wenn sie relativ leerer sind, um meine Ruhe zu haben. Damit bin ich wohl eher ungeeignet eine soziale Tradition fortzusetzen und habe auch lieber meine Ruhe, statt mich um alle zu kümmern, rufe selten wen an, bin genug mit meinen Gedanken und Worten beschäftigt. So gesehen bin ich vermutlich asozial und das Hochhalten der bürgerlichen Bildung als Kanon wäre bloß eine Beschäftigung mit meinen ureigensten Interessen, täte aber nichts für den Fortbestand der Gemeinschaft Familie.
Indem ich aber die Rituale einhalte, pflege ich die Familie und gebe jedem die Möglichkeit seiner Art entsprechend an dieser Gemeinschaft teilzunehmen. So werden sie zur Brücke miteinander, etwas das verbindet, ohne darüber hinaus zu fesseln oder Erwartungen zu stellen. Es ist ein Zelebrieren der Gemeinschaft in einer überkommenen Form, also eigentlich etwas ziemlich konservatives, was uns aber die Möglichkeit gibt, beieinander zu bleiben und immer eine Verbindung aus der gemeinsamen Geschichte zu haben.
Denke die Traditionen und Rituale der bürgerlichen Gesellschaft - vom Essen bis zum Feiern der Feste, können eine Brücke sein, mit der eine alte Lebensform in neuer Zeit weiter existiert. Sie ist flexibler als die Bildung, die den einen interessiert und den anderen weniger, zu der einer den Zugang findet, andere nicht. Betrachte ich etwa meinen Schwager, der mit bürgerlicher Bildung und Tradition vermutlich nicht so viel am Hut hat wie ich, aber seine Kinder ganz bewusst so erzieht, dass sie sich auch gut in die familiären Traditionen einpassen, denke ich, er tut damit auf seine Art mehr für die bürgerliche Gesellschaft als die Apologeten des Bildungskanons und ich kann ihn würdigen und so lieben, wie er ist auch weil er damit Teil unserer familiären Tradition wurde.
Es war für den Besserwisser nicht einfach sein traditionelles Gebiet zu räumen, sah ich es doch immer als Basis der bürgerlichen Gesellschaft, doch ich habe inzwischen gelernt, dass die sozialen Handlungen im Miteinander gerade bei der Einhaltung der gewohnten Rituale viel wichtiger ist, um miteinander auch in Zukunft glücklich zu sein. So sehe ich den früher von mir hochgehaltenen bürgerlichen Bildungskonsens nicht mehr als existentiell an, sondern bloß noch als mein ganz privates für viele skurriles Hobby. Gemeinschaft auch im bürgerlichen Sinne, der immer ein liberaler und freier auch war, bilden Menschen - ihr Miteinander entscheidet mehr als ihre Idee von Bildung.
jens tuengerthal 21.11.2017