Freitag, 26. April 2019

Aufklärungseros

Ein liebevoller Verriss

Der Eros der Freiheit von Ulrike Ackermann ist ein wichtiges Buch, auch wenn schon vor elf Jahren erschienen aktueller denn je und sie spricht die wichtigen Themen zur rechten Zeit an. Erklärt unser aktuelles Bild vom Staat und die Gefahren, die darin liegen, begründet die Notwendigkeit einer radikalen Aufklärung und gibt damit ein großes Plädoyer für die Freiheit, was in Zeiten der Angst und des Bedürfnisses nach Sicherheit so wichtig ist.

Die auch für liberale Blätter wie die FAZ schreibende Autorin hat damit das richtige Gefühl für die Zeit, spricht die entscheidenden Themen an und erklärt den historischen Hintergrund unserer Freiheit und der immer größer werdenden Angst vor ihr sehr fundiert an vielen Beispielen.

Ob es die Frankfurter Schule ist oder aktuelle politische Diskussionen, überall weist sie auf die Gefahren für die Freiheit hin und mahnt uns, sie nicht leichtfertig zu gefährden. So weit so gut und so weit sollte es fast ein Schulbuch werden, weil es die wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft erklärt, die gefährdete Freiheit vernünftig verteidigt und auf die Defizite klar hinweist. Bis dahin ist sie in ihrem gut geschriebenen Plädoyer auch besser lesbar als etwa Steven Pinker, in seinem sehr amerikanischen Aufklärung jetzt!, was inhaltlich ein Meilenstein ist, stilistisch aber teilweise in seiner Beweislust eher an Krücken humpelt.

Leider verfällt die Anhängerin der Psychoanalyse dann immer wieder dem Versuch diese postreligiöse Glaubensform als aufklärerisch darzustellen und verkennt damit den entscheidenden Unterschied zum strengen und klaren kantschen Denken, was genau diesen Fehler nicht macht. Natürlich konnte sich Kant nicht auf den über hundert Jahre nach ihm wirkenden Freud beziehen oder von ihm beeinflußt werden, aber zu verkennen, wie die Erfindung des Unterbewusstseins als Seelenersatz und seine quasireligiöse Einbindung in das System der Psychoanalyse, dem Geist der Aufklärung und Freiheit zuwiderläuft, ist erschreckend und läuft dem Ziel eines Plädoyers für eine radikale Aufklärung völlig zuwider, verdreht eher den Geist der Aufklärung eben postreligiös und damit nicht aufklärerisch

Diese Neigung zeigte sich schon in den Kapiteln, in denen sie über den Einfluss der Romantik auf den Geist der Aufklärung schrieb und den Wert der Innerlichkeit betonte, verkennend, welche Gefährdung der Freiheit in dieser stark subjektivierten Denkungsart und dem mit ihm Konform gehenden Idealismus liegt. Auch hier macht sie den Unterschied nicht deutlich, sondern beschreibt es als eine bloß dialektische Reaktion, die erst gemeinsam zur Vollständigkeit führte, was so aber genau falsch ist.

Es gibt nichts was nach dem kategorischen Imperativ und der Beantwortung der Frage, was Aufklärung sei, noch weiter in der Definition der Freiheit ging. Auch ihre Toleranz gegenüber der Religion im Staat geht hier zu weit und bleibt damit weit hinter dem zurück, was Diderot und Holbach bald dreihundert Jahre vorher schon erkannten. Es ist ein logisch ungenügender Kotau vor den Gewohnheiten der Gesellschaft, die aus Angst vor Brüchen weiter mitgeschleppt werden, aber nichts mit Demokratie und Freiheit zu tun haben.

Der Ansatz der Freiheit der Aufklärung, die sich nach Kant aus dem sich selbst befreienden Einzelnen und seiner sittlichen Verantwortung definiert, der jedes Gesetz an sich messen muss, um ihm moralische Gültigkeit wenn überhaupt zu geben, geht viel weiter. Vor allem kann der Ansatz der Psychoanalyse, der dem der Romantik sehr nah ist, auch wenn er wissenschaftlich scheinbar verpackt wird, nie diesen Grundlagen der Aufklärung genügen.

Wer sich von seinem Unterbewusstsein bestimmt sieht und dessen Wege nur nach den Schemen der Priester dieser Sekte erkennen kann, ist nicht sittlich und moralisch frei, sondern in ein System eingebunden, das dem der Beichte auf nur scheinbar naturwissenschaftliche Weise ähnlicher ist als dem Geist der Aufklärung, den sie ja vorgibt in ihrem Buch zu verteidigen.

Es nützt nichts, dem Individuum seine Freiheit nach Kant vor Augen zu führen und sie ihm danach wieder nach den Grundsätzen der Psychoanalyse zu rauben, weil erst die rituelle Erkenntnis des Unterbewusstseins ihn in einen paradiesisch freien Zustand führen könnte.

Wir können die Freiheit annehmen oder infrage stellen. Insofern ist unser Geist frei. Somit können wir uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien oder nicht. Sobald wir aber erkennen, dass wir es könnten, wird jedes Hindernis zum Störfaktor, den es auf dem Weg zur Freiheit zu beseitigen gilt. Die Möglichkeit zu haben, geistig frei zu sein, ist Beleg genug der Existenz der Freiheit. Weiterer Beweise bedarf es nicht mehr, ob wir sie annehmen, ist unsere Entscheidung und verrät eben viel über unsere Mündigkeit und wie weit wir uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit haben.

Frau Ackermann hat dies wunderbar beschrieben und analysiert, was für jeden Bürger zu lesen empfehlenswert wäre, bleibt dann aber in der Unfreiheit der Psychoanalyse und zu großer Toleranz gegenüber den immer noch Gewohnheiten des Glaubens in der formal freiesten aller Gesellschaften stecken, was wirklich schade ist. So kann nur mit scharfer Warnung die Lektüre empfohlen werden, die am Ende mehrfach den Geist der Aufklärung und ihre große Freiheit wieder verrät, die auch die Romantiker zugunsten einer emotionalen Bewertung verkannten.

Kann als Aufklärer tiefe Gefühle haben und ein liebender Mensch sein, gerade wieder leidvoll erfahren müssen, werde aber dennoch nie die Definition der Freiheit, davon abhängig machen, weil ich damit das eine um des anderen willen verriete. Auch wenn beides zum Menschsein dazugehört, müssen wir nicht versuchen, unsere emotionale Seite in das Konzept der Freiheit einzubinden, sondern diese unabhängig davon verstehen und definieren, um uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit dauerhaft und ernsthaft zu befreien und nicht als schwankende Wesen ständig zwischen Vernunft und Gefühl zu schwanken, sondern uns sicher sein können, auch wenn wir nicht immer jede emotionale Reaktion dazu verstehen müssen, hat unser Verstand die Freiheit, sie vernünftig zu betrachten und solange wir dies nicht anerkennen und bemerken, sind wir eben eher tierische Gefangene unseres Triebes und nicht freie Menschen, die sich aus ihrer Unmündigkeit selbständig befreien konnten. Insofern gleichen die Annahmen und Thesen der Psychoanalyse denen der Astrologie, die auch über bloße Behauptungen und Glaubenssätze, hier der angeblich erkennbare Einfluss der Sterne, dort der des behaupteten Unterbewusstseins, Einfluss auf unsere Freiheit und unser Verhalten zu erkennen behauptet, uns damit in gewisser Form als prädestiniert und eben nicht frei sieht. Dagegen aufzustehen, ist höchste Zeit, um die Freiheit umfassend zu verteidigen. Wir entscheiden, ob wir uns mündig verhalten oder prädestiniert einem System folgen wollen.

jens tuengerthal 26.4.2019

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